Apr 142013
 

2012-08-02-110820.jpg

Das zutiefst Ungerechte der Liebe zum Einzelnen war den Philosophen oftmals ein Dorn im Auge. Montesquieu, so sahen wir vor wenigen Tagen, erwartet von der wahrhaft philosophischen Tugend eine gleichmäßig abstrahlende Hinwendung und Hilfeleistung. Tugendhafte Nächstenliebe, die Auswahl und  Bevorzugung im Erbarmen liefert, ist laut Montesquieu nicht vollkommen tugendhaft zu nennen!

Der große Dichter dieser allgemeinen, der menschheitsumfassenden Liebe ist Friedrich Schiller. Seine Hymne An die Freude – von Beethoven im Schlusschor der 9. Symphonie vertont – ist eine unüberbietbar pathetische Anrufung des universalen Bandes der Sympathie, das alle Wesen zusammenschlingt.

Seid umschlungen, Millionen!
Diesen Kuß der ganzen Welt!

Einen deutlich begrenzteren, einen anderen Ton schlug Goethe in seinen Urworten. orphisch an.Er scheint hier direkt auf Schiller zu antworten:

Gar manches Herz verschwebt im Allgemeinen,
Doch widmet sich das edelste dem Einen.

Das ungesteuert Planlose, das letztlich Unverhoffte und Unverdiente der Liebe fasst Goethe sehr treffend. Liebe ist nicht etwas, was wir verdienen, wie das Ich Freuds es verlangt, sondern etwas, was uns entgegenkommt, etwas, was sich auf uns stürzt. Wenn sie gelingt, gar erwidert wird, sprechen wir von Gnade, wenn sie unerwidert bleibt, von Entbehrung und Leiden.

Sehr schön auch, wie Goethe hier das Androgyne, die Geschlechter Überspringende der Liebe fasst – SIE, denn wir sagen DIE Liebe. Und doch ER, denn es heißt DER Eros. In dieser Doppeltheit herrscht ein höheres Vorwaltendes, das die tiefe Vereinzelung des Menschen zu überwinden verheißt.

Ερως, Liebe

Die bleibt nicht aus! – Er stürzt vom Himmel nieder,
Wohin er sich aus alter Öde schwang,
Um Stirn und Brust den Frühlingstag entlang,
Scheint jetzt zu fliehn, vom Fliehen kehrt er wieder,
Da wird ein Wohl im Weh, so süß und bang.
Gar manches Herz verschwebt im Allgemeinen,
Doch widmet sich das edelste dem Einen.

via Goethe, Johann Wolfgang, Theoretische Schriften, »Urworte. Orphisch« – Zeno.org.

 Posted by at 22:31

Sorry, the comment form is closed at this time.