Jan 232016
 

In den modernen Übersetzungen ist der Stil des Paulus leider allzusehr domestiziert und „in Ordnung“ gebracht, so daß in ihnen sein Donner nur noch von ferne hörbar ist und die Blitze merklich an Schein verloren haben.

Eine sehr schöne, sehr treffende Einsicht, die Marius Reiser, der zuletzt an der Universität Mainz lehrende Theologe hier niederschreibt.

Wie tönte es noch in Bachs Matthäuspassion?

Sind Blitze sind Donner
In Wolken verschwunden

Wie kann man verschwundene Blitze und verhallten Donner wieder hörbar machen?

Zunächst einmal wollen wir die griechische Dichtung ohne die späteren Hinzufügungen, also ohne die glättenden Satzzeichen anbieten.

Sinn und Zweck unserer kleinen Übung soll es nämlich sein, einen deutschen Wortlaut anzubieten, der beim Gesang, also beim Vortrag für die Gemeinde, einen ähnlichen Sinneseindruck hinterlässt, wie es mutmaßlich der in Ephesos verfasste Text des Paulus beim rezitativischen Vortrag in Korinth erzeugt haben könnte.

Dann brechen wir behelfsmäßig die einzelnen Glieder der Dichtung, die Kola, in Zeilen um.

Schließlich wird der bezeugte Text in einer möglichst genauen, insbesondere in der Syntax möglichst das Original nachhörenden deutschen Fassung wiedergegeben. Die Fügungen des Paulus sind hart, es gibt Brüche, Überraschungen, ja fast Gewaltsames!

So beginnt es also:

Ἐὰν ταῖς γλώσσαις τῶν ἀνθρώπων λαλῶ καὶ τῶν ἀγγέλων
ἀγάπην δὲ μὴ ἔχω
γέγονα χαλκὸς ἠχῶν ἢ κύμβαλον ἀλαλάζον

Wenn ich mit den Zungen der Menschen lalle und der Engel
Acht aber nicht habe
ward ich ein Donner-Erz oder ein Schlachtrufer-Becken

Zitate:
Marius Reiser: „Paulus“, in: ders., Sprache und literarische Formen des Neuen Testaments. Eine Einführung. Ferdinand Schöningh, Paderborn 2001, S. 69-77, hier bsd. S. 77

„So ist mein Jesus nun gefangen“. Aria [Duetto], in: Joh. Seb. Bach: Passionsmusik nach dem Evangelisten Matthäus. Klavierauszug. Nach dem Autograph der Partitur und der Stimmen herausgegeben von Kurt Soldan. C.F. Peters, Frankfurt, London, New York, o.J., S. 52-61 (Nr. 33), hier insbesondere S. 56

ΠΡΟΣ ΚΟΡΙΝΘΙΟΥΣ Α‘, in: Novum Testamentum Graece (Nestle-Aland), 28. Auflage, Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart 2012, hier: 13,1

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