Okt 072016
 

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Trinke Mut des reinen Lebens!
Dann verstehst du die Belehrung,
Kommst, mit ängstlicher Beschwörung,
Nicht zurück an diesen Ort.

„Ich verstehe die Belehrung. Aber ich weiß nicht mehr welche.“ Welches war die Lehre eigentlich? Worum ging es? War es das höchste Gut? Ging es um die größte Not?

Wir vermochten es nicht zu erraten bei einem kleinen Gastmahl, das wir am Abend nach der sauren Arbeit des Tages zu uns nahmen. Soviel war sicher: Goethe hatte diese Belehrung empfangen. Aber von wem stammte sie?

Arm an Beutel, krank am Herzen
Schleppt‘ ich meine langen Tage.
Armut ist die größte Plage,
Reichtum ist das höchste Gut!
Und zu enden meine Schmerzen,
Ging ich einen Schatz zu graben.
Meine Seele sollst du haben!
Schrieb ich hin mit eignem Blut.

Eine kleine Nachforschung erbrachte die Lösung. Der Spruch „Trinke Mut des reinen Lebens“  stammt aus Goethes Gedicht „Der Schatzgräber“, erschienen erstmals im Musen-Almanach für das Jahr 1798, den Friedrich Schiller 1797 herausbrachte. „Artige Idee, daß ein Kind einem Schatzgräber eine leuchtende Schale bringt“, vermerkt Goethe am 21.05.1797 in seinem Tagebuch dazu. Und es ging tatsächlich um das höchste Gut im Menschenleben, den Reichtum.

So fährt er fort:

Und so zog ich Kreis‘ um Kreise,
Stellte wunderbare Flammen,
Kraut und Knochenwerk zusammen:
Die Beschwörung war vollbracht.
Und auf die gelernte Weise
Grub ich nach dem alten Schatze,
Auf dem angezeigten Platze.
Schwarz und stürmisch war die Nacht.

Und ich sah ein Licht von weiten;
Und es kam gleich einem Sterne,
Hinten aus der fernsten Ferne,
Eben als es zwölfe schlug.
Und da galt kein Vorbereiten.
Heller ward’s mit einem Male
Von dem Glanz der vollen Schale
Die ein schöner Knabe trug.

Holde Augen sah ich blinken
Unter einem Blumenkranze;
In des Trankes Himmelglanze
Trat er in den Kreis herein.
Und er hieß mich freundlich trinken;
Und ich dacht: es kann der Knabe,
Mit der schönen lichten Gabe
Wahrlich! nicht der Böse sein.

Trinke Muth des reinen Lebens
Dann verstehst du die Belehrung,
Kommst, mit ängstlicher Beschwörung,
Nicht zurück an diesen Ort.
Grabe hier nicht mehr vergebens.
Tages Arbeit! Abends Gäste!
Saure Wochen! Frohe Feste!
Sei dein künftig Zauberwort.

Zitiert nach: Johann Wolfgang Goethe. Gedichte 1756-1799. Herausgegeben von Karl Eibl, Deutscher Klassiker Verlag, Sonderausgabe 1998, S. 668-669 (Text) sowie S. 1224 (Kommentar)

Bild: Blick von Schloss Rheinsberg auf den Grienericksee, Aufnahme vom 03.10.2016

 

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