Feb 152017
 

Ein äußerst reizvolles Miteinander, besser Gegeneinander ergab sich uns, als wir vor Tagen kurz hintereinander Goethes während seiner Harzreise des Jahres 1777 geführte Aufzeichnungen und Gedichte mit Heinrich Heines Reisebild „Die Harzreise“  von 1824 durchlasen. Zwei völlig unterschiedliche Persönlichkeiten, unterschiedliche Zeiten, durch die ungeheuren Zeitenbrüche, besser Verwerfungszonen der Französischen Revolution  und der Napoleonischen Kriege getrennt. Es herrscht in den Seiten dieser beiden Dichter ein jeweils anderer Ton, es weht ein anderer Wind, es atmet sich völlig unterschiedlich! Es erhellt sich bei beiden ein unverwechselbares, höchstpersönliches und in den tiefsten Kern des Selbst hineinreichendes Grundverhältnis zum Ich, zur Welt, zum Du.

Doch gehen wir es langsam an und fragen: Was ist den beiden Dichtern gemeinsam? Antwort: Beide besichtigten damals auf ihren Harzreisen ein Bergwerk von innen, beide bestiegen den Brocken, beide führten beständig einen inneren Dialog mit anderen Menschen, beide suchten das Gespräch mit Gott, sie wanderten als Beter und versuchten die Anrufung Gottes, beide zitierten ausdrücklich aus der Bibel, beide nutzten diese Wanderung als Anlass der mühseligen Selbsterhellung und Selbst-Klärung. Heine erlebte den Harz bereits – wie der hier Schreibende – im Lichte Goethes, er verehrte ihn – wie der hier Schreibende – über alle Maßen wie keinen zweiten deutschen Schriftsteller, er kannte den ersten Teil unseres heutigen Faust sehr gut, und Heine schloss seine eigene Fußwanderung sogar mit einem höchst merkwürdigen Besuch bei Goethe in Weimar ab, der ihn ungeheuerlich verstört und niedergeschmettert haben muss. Genug Stoff für mehrere Tage des Nachdenkens!

Für Goethe stellte die Gebirgslandschaft und hier wiederum die geologische Erforschung der Granitformationen der „Felsklippen“ eine Abklärung der letzten irdischen Gewissheiten dar. Im Granit vermeinte er einen unerschütterlichen Urkern der Erde zu erleben, eine Urform des Lebens vor allem organischen Leben der Pflanzen und Tiere, er erlebte eine Schau des Werdens vor allem Sein. Tiefste Gewissheit des Vorpersönlichen, unerschütterliches Hinabreichen in das Tiefste und Beständigste, in das „vorthematische Bewusstsein“, wie das die Phänomenologen nach Art des Edmund Husserl nennen würden! Goethes Prosadichtung „Der Granit war in ältesten Zeiten“ ist ein höchst beredtes Zeugnis dessen.

Wie anders klingt es da bei Heine! Wir zitieren hier als Beleg seine Wiedergabe des Besuchs in dem Bergwerk Caroline, in das er als Tourist eingestiegen ist. Während Goethe im Erdinneren Gewißheiten findet, stößt Heine auf ein nicht mehr Durchschaubares, ein Unerklärliches, nicht zu Gewärtigendes, das Angstgefühle erweckt, deren er nur durch die ironische Wendung „Ich habe keinen Anflug von sogenannter Angst empfunden“ Herr wird, eine geniale Wendung! Allein  deswegen lohnt sich das Lesen Heines schon!

Zur Einstimmung sei hier ein Auszug aus Heines Schilderung eingefügt. Man lese sich dieses Stück laut und gemessenen Ganges vor, man höre es sich an, um es so richtig zu verstehen und zu genießen!

Ich war zuerst in die Carolina gestiegen. Das ist die schmutzigste und unerfreulichste Carolina, die ich je kennengelernt habe. Die Leitersprossen sind kotig naß. Und von einer Leiter zur andern geht’s hinab, und der Steiger voran, und dieser beteuert immer: es sei gar nicht gefährlich, nur müsse man sich mit den Händen fest an den Sprossen halten, und nicht nach den Füßen sehen, und nicht schwindlicht werden, und nur beileibe nicht auf das Seitenbrett treten, wo jetzt das schnurrende Tonnenseil heraufgeht, und wo, vor vierzehn Tagen ein unvorsichtiger Mensch hinuntergestürzt und leider den Hals gebrochen. Da unten ist ein verworrenes Rauschen und Summen, man stößt beständig an Balken und Seile, die in Bewegung sind, um die Tonnen mit geklopften Erzen, oder das hervorgesinterte Wasser heraufzuwinden. Zuweilen gelangt man auch in durchgehauene Gänge, Stollen genannt, wo man das Erz wachsen sieht, und wo der einsame Bergmann den ganzen Tag sitzt und mühsam mit dem Hammer die Erzstücke aus der Wand herausklopft. Bis in die unterste Tiefe, wo man, wie einige behaupten, schon hören kann, wie die Leute in Amerika »Hurrah Lafayette!« schreien, bin ich nicht gekommen; unter uns gesagt, dort, bis wohin ich kam, schien es mir bereits tief genug: – immerwährendes Brausen und Sausen, unheimliche Maschinenbewegung, unterirdisches Quellengeriesel, von allen Seiten herabtriefendes Wasser, qualmig aufsteigende Erddünste, und das Grubenlicht immer bleicher hineinflimmernd in die einsame Nacht. Wirklich, es war betäubend, das Atmen wurde mir schwer, und mit Mühe hielt ich mich an den glitschrigen Leitersprossen. Ich habe keinen Anflug von sogenannter Angst empfunden, aber, seltsam genug, dort unten in der Tiefe erinnerte ich mich, daß ich im vorigen Jahre, ungefähr um dieselbe Zeit, einen Sturm auf der Nordsee erlebte, und ich meinte jetzt, es sei doch eigentlich recht traulich angenehm, wenn das Schiff hin und her schaukelt, die Winde ihre Trompeterstückchen losblasen, zwischendrein der lustige Matrosenlärmen erschallt, und alles frisch überschauert wird von Gottes lieber, freier Luft. Ja, Luft!

Heinrich Heine: Die Harzreise. 1824. In: derselbe, Reisebilder. Mit einem Nachwort von Joseph A. Kruse und zeitgenössischen Illustrationen. Insel Taschenbuch, Frankfurt am Main, 1980, S. 9-93, hier S. 30-31

Bild: Auf dem Brocken, 30.12.2016

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