Jun 102017
 

Die Berliner Landes- und Bezirkspolitik erzeugt parteiübergreifend allzu oft eine Kultur des Verdachts, zum Beispiel indem sie Angst vor Veränderungen schürt, indem sie den Wandel aussperrt, indem sie starr am Vorhandenen festhält. Man gewinnt oft den Eindruck, die paternalistische Politik Berlins wollte das freie Handeln freier Menschen verhindern und traue ihnen nichts zu. Die Verhängung einer Erhaltungsverordnung – gekoppelt mit der Aufforderung an die Bürger, „verdächtige Baumaßnahmen“ zu melden – ist ein bezeichnendes Beispiel dafür. Allein schon das Wort „Verdachtsgebiet“ spricht Bände! So viel Verzagtheit, so viel Missmut, so viel Angst prägt ein solches Vorgehen, wie man es wieder und wieder im Bundesland Berlin sehen kann! Dabei hat nachweislich eine derartige typisch Berliner Verhinderungspolitik – zu der auch das Verbot privater Ferienwohnungen gehört – das unleugbare Steigen der Mieten weder verhindern noch verlangsamen können; und auch private Investoren ziehen sich zunehmend aus dem Wohnungsbau zurück. Wen wundert’s?

Um so wichtiger war es mir heute, dagegen kräftige Zeichen des Vertrauens aufzunehmen, sobald sie sich bieten würden! Und so geschah es! Angesagt war heute das Ordnen meines reichen Notenbestandes.  Dazu kauften wir ein Regal zum Selberbauen. Ein Möbeltaxi brachte es nachhause. Ich knüpfte ein Gespräch mit dem Fahrer an. Sein Name war Ismael. Sofort stellte sich eine Vertrauensbasis her. Denn Ismael, das ist ja der erstgeborene Sohn Abrahams, gezeugt mit der Magd Hadschar oder auch Hagar, wie sie bei uns meist genannt wird. Wie die meisten anderen biblischen Gestalten auch, so erscheint der Urvater Abraham oft eher schwach, ja zwielichtig. Die Art, wie er Hadschar und den gemeinsamen Sohn Ismael in der Wüste aussetzt, wird schonungslos sowohl in jüdischen wie auch in muslimischen Quellen geschildert: er gibt den Einflüsterungen seiner Erstfrau nach und verstößt Mutter und Sohn in die wasserlose Wüste. Clemens Brentano hat dieses Schicksal sehr ergreifend und voller Mitgefühl besungen:

O Wüste, Traum der Liebe, die verachtet
Vom Haus verstoßen mit der Hagar irrt,
Wo schläft der Quell? da Ismael verschmachtet,
Bis deine Brust ihm eine Amme wird.

Das Fehlverhalten Abrahams wird weder in der Bibel noch im Koran beschönigt. Und doch wird dieser verstoßene Erstling Abrahams zum Stammvater der Muslime weltweit werden, auf den sie sich heute alle noch beziehen! In der wunderbaren Errettung Ismaels aus der wasserlosen Wüste erblicken viele Muslime einen besonderen Gnadenbeweis – „und Gott findet dich…“, wird Brentano in seinem grandiosen Gedicht „Der Traum der Wüste“ dichten.

Nicht überrascht war ich, als auch mein heutiger Ismael berichtete, dass er aus einer mehr oder minder aus dem Land getriebenen Minderheit stamme, nämlich der türkischen Volksgruppe, die bis vor kurzem noch in Bulgarien wohnte. Wir plauderten freundschaftlich über dies und das, und schon bald hatten wir das Ziel erreicht, und ich konnte endlich meinen gesammelten Notenbeständen (Bach, Beethoven und den anderen Gefährten) eine neue, sichere Heimat namens Billy gewähren.

Mein Gespräch und die Taxifahrt mit Ismael bedeutete den Übergang vom Verdachtsgebiet der Berliner Politik  in das Vertrauensgebiet der Berliner Menschen.- Weitere Schritte in das Vertrauensgebiet brachte dann eine kurze Rast in der herrlichen Labungsstätte des Namens Rüyam – „mein Traum“ heißt das auf Türkisch. Und der Wüstentraum manifestierte sich hier als rein pflanzlicher Kebap; eine echte Delikatesse Schönebergs! Die Menschen dort im Rüyam zeigen alle viel Herz – und wer hätte das gedacht? Als hätten sie geahnt, dass wir sehr durstig waren, schenkten sie uns noch zwei Becher Ayran dazu. Einfach so, es gab keinen echten Anlass; es war eine Geste der Menschenfreundschaft.

Und damit ist auch das merkwürdige Erlebnis, durch die Politik plötzlich das eigene Wohngebiet zum „Verdachtsgebiet“ erklärt zu wissen, abgehakt und überwunden! O nein, ihr Politiker, wir leben hier ganz und gar nicht im Verdachtsgebiet, sondern offenkundig in einem Vertrauensgebiet, einem Gebiet der Mitmenschlichkeit und der Menschenfreundschaft.

Brentano, dessen Herz auch für Ismael schlug, klingt hier erneut nach:

Dann wehet Friede,
klingender Lieder
glänzender Lauf,
ringelt sich nieder,
wallet hinauf.

 

 Posted by at 23:04

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