Jul 012008
 

Mit seiner Weigerung, den Lissaboner Vertrag zu unterzeichnen, erobert Polens Präsident Lech Kaczyński die europäische Presse. Nicht ohne Genugtuung stellt dies die Tageszeitung „Dziennik“ in ihrer Internetausgabe fest. Genau dieses Organ hatte durch das Interview mit dem Präsidenten die Lawine losgetreten, Wind gesät – und erntet nun höchst zufrieden den Sturm in der Presselandschaft. Überall spricht man jetzt über den Dziennik!

Dziennik – Polityka – Kaczyński z traktatem podbił zagraniczne media

Dass gestern Bundespräsident Horst Köhler ebenfalls die Unterschrift zurückzuhalten erklärte, ehe sich das Bundesverfassungsgericht in der Sache erklärt haben würde, „schaffte es nicht auf die Frontseiten der Internetportale in der Europäischen Union“:

Wczoraj wieczorem prezydent Niemiec Horst Koehler zapowiedział, że wstrzyma się z ratyfikacją traktatu lizbońskiego do czasu orzeczenia sądu konstytucyjnego. Ta wiadomość nie trafiła jednak na czołówki portali internetowych w Unii Europejskiej. Serwisy największych europejskich dzienników cytują za to słowa polskiego prezydenta, Lecha Kaczyńskiego.

Dass nach den Iren nun auch die Deutschen und die Polen sich querstellen, wirft ein schlechtes Licht auf die europäische politische Klasse. Denn gerade die Gebrüder Kaczyński handelten den Vertrag in dieser Gestalt mit aus, wie auch der Figaro zurecht erinnert:

„Le Figaro“ przypomina, że to właśnie Lech Kaczyński, „razem ze swoim bratem bliźniakiem“ wynegocjował traktat z Lizbony w takim kształcie.

Was ist davon zu halten? Der Vertrag von Lissabon, den ich für höchst unterstützenswert halte, ist den Leuten nicht richtig erklärt worden. Ein kommunikatives Desaster der Extraklasse. Wer trägt dafür die Verantwortung? Vermutlich wir alle ein bisschen: Wir Blogger, weil wir dem Thema zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet haben, die Politiker, weil sie die Menschen nicht mitgenommen haben, die Presse, weil sie nicht ausreichend informiert hat, die Fernsehstationen, weil sie europäische Themen auf sträfliche Art vernachlässigen. Nebenbei: Das ZDF-heute-Journal, die ARD-Tagesthemen müssen jeden Tag mindestens ein europäisches Thema aufgreifen! Dafür dürfen sie und sollen sie die teilweise recht störende Werbung für eigene Box- und Fußballsendungen ersatzlos streichen. Plumpe Eigenwerbung hat in seriösen Nachrichtensendungen nichts verloren.

Meine persönliche Schlussfolgerung: Ich werde ab sofort europapolitischen Themen in diesem Blog noch mehr Aufmerksamkeit zollen, mehr aus der europäischen Presse berichten und noch mehr Fremdsprachenangebote einbauen. Aber immerhin habe ich in diesem Blog schon Beiträge und Zitate in 9 europäischen Sprachen drin – darunter auch Sorbisch und Türkisch! Was wollt Ihr mehr?

Europa misslingt einsam! Es scheitert immer dann, wenn die einzelnen Akteure sich nicht einbinden lassen, bloß für sich und ihr Land das Beste herausholen wollen und das europäische Gemeinwohl mit Füßen treten.

So geht es nicht weiter. Nein: Europa gelingt gemeinsam – das Motto der deutschen Ratspräsidentschaft fand ich schon mal gut, für den Anfang.

 Posted by at 12:35

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