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Etappe 6: Hochfügen – Sidanjoch – Melchboden – Schlegeisspeicher

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Aug 132023
 

Freitag, 28. Juli 2023

Unsere Wanderung führte uns zunächst an den ausgestorbenen Wintersport- oder besser Skizirkus-Einrichtungen Hochfügens vorbei taleinwärts. Nach einer guten halben Stunde schweißtreibenden Anstiegs hatten wir bereits ein Almdorf, den Pfundsalm-Niederleger, erreicht. Es ging weiter bergan und taleinwärts. Ehe wir auf schmale Bergwege wechselten, gönnten wir uns noch eine kurze Trinkpause. Dann ging es steil bergaufwärts. Immer wieder hielten wir inne, um die wunderschönen Almlandschaften, Ausblicke, Gipfel und das Licht- und Schattenspiel der Wolken und Sonne im Wechsel der Landschaft zu betrachten.

So erreichten wir das Sidanjoch und blickten auf die schneebedeckten Gipfel der Dreitausender im Süden. Auf dem Kamm wanderten wir weiter und wurden nicht müde, uns an der hochalpinen Landschaft zu erfreuen. Die Rastkogelhütte ließen wir rechts liegen, um Energie zu sparen, und „zogen durch“. Auf dem Weg begegnete uns eine große Kuhherde mit einheimischen Bauersleit. Diese Kühe wurden gerade auf eine neue Weide getrieben. Auf die Tatsache, dass einige Viecher keine Hörner hatten, angesprochen, gab uns der Bauer in schönstem Tirolerisch ein Plädoyer für Vielfalt mit auf den Weg. „Ja, man versucht jetzt diese neuen hornlosen Typ Kuh durchzusetzen. Heutzutag reden alle von Vielfalt, und dann sollen doch alle Kühe gleich aussehen.“

Auf einem schönen Steig in sanftem Auf und Ab zwischen Alpenrosen, Zirben, Lärchen und Fichten liefen wir zu unserem Etappenziel, der Jausenstation Melchboden. Dort kamen wir um 12:00 Uhr an. Da der Bus laut Fahrplan erst um 14:30 Uhr abfahren würde, hatten wir Zeit für eine ausgiebige Pause. Wir tranken gespritzten Johannisbeersaft und aßen jeder einen Melchbodensalat mit Kaspressknödel. Um unsere Energiespeicher endgültig wieder aufzufüllen, gab es noch Kaffee und Kuchen (Mohnkuchen, Apfelstrudel). Anschließend setzten wir uns auf die Wiesen in der Nähe der Bushaltestelle und genossen einfach das großartige Bergpanorama beziehungsweise nutzten die Zeit, um ein wenig in unseren Zeichenbüchern zu skizzieren.

Um 14:30 Uhr nahmen wir den Bus zum Bahnhof Hippach. Entgegen unserer Befürchtung bekamen wir einen guten Sitzplatz und konnten die abenteuerliche Fahrt auf engen, oft steil abschüssigen Straßen mit Gegenverkehr sogar genießen. Von Hippach fuhren wir 2 Stationen mit dem Zug nach Mayrhofen, dort nahmen wir einen weiteren Bus, der uns zum Schlegeisspeicher brachte (zirka eine Stunde Fahrzeit). Ein fast unwirkliches Hochgebirgspanorama erwartete uns: der türkisblaue Schlegeis-Speichersee, die übermenschliche monumentale Staumauer, über allem thronend ewige Gipfel und Gletscher!

Wir bezogen unser gemütliches Zimmerchen in der Dominikushütte und wurden von der Hüttenwirtin, einer netten patenten Niederländerin, in alles eingewiesen und zum zeitnahen Einnehmen eines Abendessens angehalten. Dem kamen wir gern nach und genoss außen auf der Terrasse den Blick auf das Panorama sowie einen Veggie-Teller mit Kas- und Spinatknödel und einen Fitness-Salat.

Die 131 m hohe Staumauer erstreckt sich über 725 m Länge. Bauzeit: 1965 bis 1971. Hinten knapp oberhalb der Mauer: die Dominikushütte.

Danach machten wir einen Spaziergang auf der Staumauer und hinunter an den See. Bei der Rückkehr nahmen wir ohne Bedauern zur Kenntnis, dass eine Gruppe junger Österreicher, die zuvor laut lärmend im Gastraum einen Junggesellenabschied gefeiert hatten, mit aufheulenden Motoren wieder abzog.

Den Abend verbrachten wir damit, den schönen Bergtag Revue passieren zu lassen und immer wieder aus dem Fenster auf die großartige Aussicht zu schauen.

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Etappe 5: Fügen – Spieljoch – Gartalm – Loassattel – Hochfügen

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Aug 122023
 

Donnerstag, 27. Juli 2023. Der Morgen ruft uns beiden in einer Unterführung ein herzliches „Griaß enk!“ entgegen, „[Ich entbiete meinen] Gruß euch beiden“, denn dieses „enk“ entstammt bekanntlich im Bairischen dem alten Pronomen personale dualis, also dem altehrwürdigen Dativ-Dual der frühen germanischen Sprachen, der im heutigen Hochdeutschen völlig verloren gegangen ist (vgl. gotisch „igquis“ = euch beiden).

An der Bushaltestelle besteigen wir um 08.18 Uhr den Bus, der uns auf langen gewundenen Serpentinen hinunter nach Jenbach bringt. Dort besteigen wir die Zillertalbahn nach Mayerhofen, die schon wartend am Bahnsteig steht. Ich nutze die Wartezeit um zu bestaunen, wie am Nebengleis die Dampflokomotive der Zillertalbahn befeuert wird. Zentnerweise lädt ein Heizer Kohle in die Ladeluke des Dampfrosses.

Bräunlich-rußige Schwaden dringen aus dem vorderen Schlot. Hinten steigt weißer Dampf aus den erhitzten Wasserkesseln. Diese Männer verrichten die gleichen Arbeiten, wie sie schon vor 130 Jahren verrichtet wurden! Was wäre unsere Welt ohne den tiefgreifenden, flächendeckenden Einsatz der fossilen Brennstoffe Kohle, Erdöl, Erdgas – und des Stickstoffdüngers! Der heutige Wohlstand, die Freiheit von Armut und Hunger, die früher unvorstellbar hohe Lebenserwartung, die in unseren europäischen Gesellschaften alle, wirklich alle genießen, wäre überhaupt nicht denkbar. Diese Gedanken schießen mir durch den Sinn.

Vom Bahnhof Fügen-Hart, wo wir aussteigen, gehen wir durch den Ort zur Talstation der Spieljochbahn. Die Seilbahngondel teilen wir uns mit einer Berliner Familie, die uns aufklärt, dass die vor wenigen Tagen in Berlin-Zehlendorf gesichtete Löwin kein Wildschwein, sondern eben doch eine Löwin gewesen sei. Ha! Dies habe sich erst am Vortag (also am 26. Juli) endgültig bewahrheitet, doch werde diese Wahrheit bewusst in einer medialen Verschwörung von Polizei, Presse und Politik unter der Decke gehalten, um einen bekannten, in Neukölln beheimateten Clan zu decken. Da wir das Internet derzeit kaum nutzen, können wir den Wahrheitsgehalt dieser Aussage nicht überprüfen. Haben die redseligen Berliner uns etwa erneut einen Bären aufgebunden? In der Bergluft sind die Gedanken ja so frei, für einen guten Witz ist immer Zeit!

Mit dieser Seilbahn erreichen wir die Bergstation (1885 m). Im Süden weit drüben grüßen uns gut sichtbar die erhabenen Dreitausender des Alpenhauptkamms, der Hohen Tauern, darunter auch der vergletscherte Großvenediger.

Vom Spieljoch wandern wir zur Gartalm (1849 m). Dort verweilen wir nachdenklich an authentischem Ort vor dem Denkmal für Bruno, den am 30. Mai 2006 hinterhältig geschossenen, den räuberischen „Problembären der Herzen“.

„Fort, fort von hier zum Loassattel!“ Über liebreizende Almhänge, die von Kühen beweidet werden, geht es sanft bergab durch den Nadelwald, an dessen Ende eine idyllisch gelegene Bank an einem Bohlensteg und einer Viehtränke uns zur Pause verlockt.

Und tiefer, immer tiefer führt uns der Abstieg ab dem Loassattel; wir erreichen schließlich den Fahrweg, der uns in den zur Sommerzeit eher verlassenen Wintersportort Hochfügen (1480 m) führt. So rücksichtslos man auch die Skipisten rings um Hochfügen freigerodet hat, scheint der Hunger des Menschen nach immer neuen Natureingriffen, nach Kahlschlagrodungen immer noch nicht gestillt, denn geraume Zeit begleiten uns weitere, erst vor kurzem mit Stumpf und Stiel von Wald und Baum befreite Flächen. Warum ist das so, endet denn nie des Menschen Raubwerk an Wald und Forst, an Baum und Blatt?

Des Rätsels Lösung erfahre ich im Ort selbst von Bewohnern: Hier wird im Zuge eines ökologischen Vorzeigeprojektes die Wärmeversorgung dezentral von individuellem Hausbrand auf Ortswärme umgestellt. Und dazu ist eine großflächige Abholzung bestehenden Waldes, das Aufreißen kilometerlanger Straßen und Gräben, das unterirdische Verlegen von neuen Rohren unerlässlich. Ja, das weitere planvolle, gewiss auch räuberische Zerstören und Umformen, Umgestalten der Natur durch das „Problemtier der Herzen“, den Menschen, wird auch während und nach der ach so hoch gerühmten Energiewende ungemindert weitergehen! Das gilt im Kleinen wie im Großen, in Hochfügen ebenso wie jenseits der Landesgrenzen, in Deutschland. Es wäre eine gefährliche Illusion zu glauben, das Wirken des Menschen könne gegenüber der Natur oder dem Klima je neutral werden. Das war es in der Weltgeschichte nie und wird es auch nie sein – wie man an diesem ökologischen Vorzeigeprojekt in Tirol sehen kann.

Dessen ungeachtet nehmen wir ruhigen Gewissens in Dankbarkeit das vegetarische Abendessen in unserem Nachtquartier ein. Es gibt Tiroler Gröstl und Bergsteigersalat mit frischem Blattwerk und Sprossen, dazu alkoholfreies Weizen und Johannisbeerschorle. [Zusatz vom 13.08.2023: Reiseleitung korrigiert: Das Abendessen war nicht vegetarisch, da das Tiroler Gröstl mit Speck gereicht wurde!] Köstlich, unsere Energiespeicher werden aufgefüllt!

Und mitten in der Nacht werden wir unvermutet wach, treten wir hinaus auf den Balkon und erblicken das größte Wunder des heutigen Tages: den gestirnten Himmel über den Bergen, hoch oberhalb des Lichtsmogs der räuberischen Städte im Flachland: die Milchstraße schimmert und funkelt Millionen von Lichtjahren entfernt auf uns herab.

Sind durch die Nächte die Lichter gewunden,
Reiht sich heilig Stern an Stern;
Alles ist ewig im Innern verbunden
Grüßt von nah und grüßt von fern.

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Etappe 4: Achenkirch – Mariensteig – Gaisalm – Pertisau – Seespitz – Maurach

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Aug 112023
 

Mittwoch, 26. Juli 2023. Bei starkem Regen nehmen wir für die innerörtliche Strecke von Achenkirch-Nord bis zum Achensee (927 m) den Bus. So kamen wir frisch und kraftvoll am Beginn des Mariensteigs an.

Dieser in den Fels geschlagene, ausgesetzte Höhenweg führt uns zu immer neuen, wunderbaren Aus- und Tiefblicken auf den türkisblau leuchtenden Achensee.

Nach einer Stunde Fußmarsch hört es endlich auf zu regnen. Schließlich führt uns ein spektakulärer Abstieg zur Gaisalm, wo wir uns mit einem Teller Suppe stärken.

Über wurzelige Pfade und Geröllfelder gehen wir weiter, quer durch einen Gießbach, bis wir schließlich Pertisau erreichen.

Hier locken seit seit vielen Jahrzehnten hochpreisige Hotels eine gut betuchte Gästeschar an, darunter viele Paare und Familien aus arabischen Ländern. Die letzte Stunde der heutigen Wanderung führte uns flach an einer breiten Uferpromenade entlang.

In Seespitz bei Maurach können wir das Rangiermanöver einer Lokomotive namens Georg verfolgen: eine echte Dampflok aus dem Jahr 1889, die zur Achenseebahn gehört und seit damals die Strecke zwischen Jenbach und Seespitz im Pendelverkehr bedient.

Auf der anderen Seite, dem windgeriffelten See, konnten wir die waghalsigen Wendemanöver der Kite-Surfer bewundern. Etwa 15 Minuten vor unserem Ziel holte uns der Regen – mit dunklen Winden vom Norden herfauchend – wieder ein, aber wir wurden abgelenkt von einer Familie aus Hannover, die sich sehr interessiert nach unserer Alpenüberquerung erkundigte.

Trotz oder gerade wegen des Regens war dies ein sehr nettes Geplauder, und wir konnten und können solch eine Mehrtageswanderung guten Gewissens auch einer Familie mit Kindern empfehlen, sofern man den Kindern gewisse Marscherleichterungen, etwa in Form kürzerer Tagesetappen gönnt!

Schließlich erreichen wir das Hotel in Maurach (950 m), wo wir uns eine selbstgekaufte Brotzeit auf dem Zimmer gönnen: Breze und Vollkornsemmeln, Tiroler Graukäse, Bergkäse, Schlosskäse, Tomaten, Radieschen, Buttermilch und zum Abschluss für ein jedes noch die unseres Erachtens einzigartige Mannerschnitte. (Ja woaßt, mo gfreit si hoit über kleine Belohnungen narrisch nach so einem in Nässe durchwanderten Tag!) Abends erschallt noch Blasmusik von einem Kurkonzert vom Ort herauf, das wir bei geöffnetem Fenster mitgenießen und in die Träume vom heutigen Tag mitnehmen, vom heute gewesenen Tage.

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Etappe 3: Blaubergalm – Klammbachschlucht – Achenwald – Achenkirch Nord

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Aug 102023
 

Dienstag, 25. Juli 2023 (Reisegruppe erzählt). Kurz vor dem Aufbruch spannt sich ein bezaubernder Regenbogen vor der Blaubergalm (1540 m) auf. Wolken treiben dicht geballt von unten herauf, lagern sich behäbig rings um die Gipfel. Heute steht uns ein langer Abstieg durch die Klammbergschlucht bevor. Verkündet dieser Regenbogen eine heitere, sonnige Etappe?

Nein! Nach etwa einer Stunde setzt erst tröpfelnd, dann immer stärker Regen ein.

Der Weg bleibt jedoch breit, gut begehbar, und unser Regenzeug halten wir stets griffbereit und legen es rechtzeitig an.

Wir sehen auf diesem befestigten Fahrweg mehrere tiefschwarze Alpensalamander, teils lebend, teils aber leider überfahren durch die an diesem Teilstück gelegentlich durchbrausenden Wirtschafts- und Forstfahrzeuge.

Nun öffnen sich alle Schleusen des Himmels.

Um so mächtiger wirken die schroffen Felsabrisse, die munter über den Weg schießenden Wasserstürze, und vor allem bleiben wir stets bester Laune angesichts all der übersprudelnden Fülle der Wunder, all des Staunenswerten, das da vor unseren Füßen plätschert, spielt, krabbelt, spritzt und pfützt.

Diese 14 km lange Etappe 3 endet nach dreistündigem Dauerregen in Achenkirch-Nord (896 m). Dort beziehen wir, nass und müde – aber glücklich! – das Nachtquartier.

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Etappe 2: Kreuth – Goassalm – Königsalm – Blaubergalm

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Aug 092023
 

Dies war heute unser Blick von Kreuth (772 m) auf den markanten Leonhardstein (1449 m)

Montag, 24. Juli 2023 (aus den Aufzeichnungen der Reiseleitung). Der Tag begann mit einem Frühstück mit Müsli, Obst und frischgemolkener Milch auf der Terrasse des Bauernhauses. Unser lieber Verwandter, der Erfahrungen als Leistungssportler aufweisen kann, versorgte uns noch mit frischem Quellwasser und Magnesium, dann brachen wir gemeinsam auf, um den Weg zur Königsalm anzutreten. Zunächst verlief der Wanderweg weiter an der Weissach entlang bis zum Wildbad Kreuth (828 m), dann in den Wald hinein. Nach einem relativ langen steilen Anstieg legten wir eine Trinkpause auf einer schön gelegenen Bank ein und genossen den Blick auf die umliegenden Berggipfel und die Goaßalm.

An dieser Geißalm (1110 m) und ihren Bewohnerinnen (Kaibln, also Kühen, die noch nicht gekalbt hatten) vorbei ging es weiter zur Königsalm. Wir haben einiges über die Almwirtschaft erfahren. Auf der Königsalm (den Namen führt sie, weil König Maximilian I. sie 1817 auf Drängern seiner Gemahlin Caroline kaufte) gab es für alle eine Stärkung: Topfenbrot, selbstgemachte Holunderschorle, Brotzeitplatte, Buttermilch, Schinkenbrot und alkoholfreies Bier. Dazu führten wir lange gute Gespräche. Später wurden uns noch vom sehr freundlichen Wirt Andreas Kaffee und Kuchen – hausgemacht auf der Alm mit dorten gelegten Eiern im Holzbackofen gebacken – gebracht. Wir verweilten etwa 2 Stunden auf der Königsalm, bevor wir uns verabschiedeten und unsere Alpenüberquerung fortsetzten.

Diese führte uns erneut auf einem schier endlosen Anstieg immer bergauf. Eine geschlagene Stunde lang schnauften und schwitzten wir, bevor wir den Sattel der Blauberge erreichten und es wieder bergab ging. Und da geschah es auch schon: Ein kleiner Stolperer brachte eines von uns zu Fall, endete aber glimpflich: niemand wurde ernstlich verletzt. Ein paar kleinere Blessuren trug das eine von uns davon, aber alles war weniger schlimm als gedacht, so dass wir weiterwandern konnten.

Am Kamm überquerten mit raumgreifendem Schritt die Staatsgrenze zwischen Deutschland und Österreich.

Nach einer dreiviertel Stunde Auf und Ab und nochmal Auf kamen wir endlich auf der Blaubergalm (1540 m) an.

Keine Minute zu früh! Kaum waren wir da und hatten uns in unser Viererzimmer, das wir heute zu zweit bewohnen dürfen, verzogen, brach ein heftiges Gewitter mit Sturm über die Alm herein. Es dauerte zum Glück nur eine halbe Stunde, sodass wir nach einem kurzen Nickerchen die Alm erkunden konnten. Hier werden Kühe gehalten, solche mit und solche ohne Hörner, ferner abgetrennt ein Jungbulle, Schweine und Hühner. Jetzt sitzen wir auf dem Balkon der Alm, trinken alkoholfreies Weißbier, um die Elektrolyte wieder aufzufüllen, beobachten, wie die Kühe in den Stall getrieben werden und freuen uns auf unser Abendessen. Für das eine gibt es Kaiserschmarrn, für das andere Käseomelett.

Am Abend beziehen unerwartet gegen 20 Uhr noch zwei völlig durchnässte und erschöpfte Alpenüberquerer das Zimmerlager neben uns. Sie hatten zehn Stunden für diese Etappe gebraucht und waren zwei Mal in heftige Regengüsse geraten. Eines von uns gibt ihnen ungebeten einige wohlfeile Ratschläge, unter anderem: bei Bergwanderungen solle man immer möglichst früh aufbrechen, um allfälligen Nachmittagsgewittern zu entgehen.

 Posted by at 17:22

Alpenüberquerung: Tegernsee – Rottach-Egern – Kreuth

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Aug 082023
 

Alpenüberquerung Etappe 1, 23. Juli 2023 (Fortsetzung). Höher und höher steigt die Sonne, während wir immer wieder die kulissenartig sich öffnenden Ausblicke auf den prächtig schimmernden See genießen. Der Weg wird schon etwas schwieriger, ab und zu brechen knorrige Wurzeln über den Weg, wir gelangen endlich hinunter nach Tegernsee, wo bequeme Bohlenwege in den See hinein gebaut sind. Nun liegt schon das Herzoglich-Bayerische Brauhaus Tegernsee zu unserer Linken. Das lustige Volk hat sich dort versammelt und genießt weiterhin all das Bajuwarisch-Schöne. Nun kommen wir am Schloss vorbei, einem stattlichen Bau, der ursprünglich bis zur Säkularisierung 1803 ein Benediktinerkloster war

Schon lockt uns von weitem ein erster Zielpunkt an, nämlich Rottach-Egern, wo wir die bunten Sonnenschirmchen des Seebades erkennen können. Allmählich setzt uns die sich steigernde Mittagshitze doch zu, und wir sehnen uns nach einer Erfrischung. Wir werden in Rottach-Egern längs einer vielbefahrenen Straße geführt. Hier herrscht reger Ausflugsverkehr. Endlich erreichen wir das Seebad, erstehen den Eintritt und finden gerade noch im Schatten der Bäume einen letzten freien Platz. Endlich dürfen wir die schweren Rucksäcke ablegen!

Abwechselnd darf nun ein jedes ein paar Bahnen im Schwimmbad ziehen, ehe wir uns ungesäumt wieder anziehen. Ich habe reichlich Gelegenheit das Badepublikum zu betrachten; es ist bunt gemischt. Vor mir liegen zwei Männer, die keinerlei Anstalten machen, ins Wasser zu gehen. Sie liegen einfach, reden Russisch miteinander, und gut ist es. Als wir aus den Schließfächern unserer gesamte Habe wieder hervorholen, spricht uns ein Vater mit 2 Kindern an: „Ihr habt ja da so schwere Rucksäcke, was macht ihr denn damit?“ Wir antworten: „Wir gehen auf eine große mehrtägige Wanderung, eine Alpenüberquerung, und nehmen alles Nötige auf dem Buckel mit.“ Der Mann ist erstaunt. So etwas hatte er offensichtlich noch nie in diesem Bad gesehen. Seinem Aussehen und seiner Sprache nach zu urteilen, dürfte er aus einem Mittelmeerland stammen, vielleicht Tunesien, vielleicht Algerien. Ich erläutere, dass das Wandern ein richtiger Sport, eine richtige Freizeitbeschäftigung in Deutschland sei. Er wirkt sehr interessiert, – wer weiß, vielleicht bricht er auch einmal mit seinen beiden Kindern zu einer solchen Unternehmung auf? Mich sollte es freuen!

Und weiter geht es! Nun schlagen wir uns ins Tal der Weissach durch, hier ist der Weg nun wieder sehr angenehm und führt uns den munteren Bergfluss entlang. Es geht immer bergauf. Die Last auf unserem Rücken wirkt allerdings immer schwerer; schließlich gelangen wir auf einem Fußweg zu den ersten Häusern von Kreuth.

Nach wenigen hundert Metern erreichen wir auch schon unser heutiges Nachtquartier, ein prächtiges altes Bauernhaus, bewohnt von unseren lieben Verwandten, die uns heute Obdach geben werden. Nach einer stärkenden Zwischenmahlzeit mit Kaffee und Torte, selbstverständlich selbstgemacht, brechen wir erneut gemeinsam mit den Verwandten zu dem großen Waldfest von d’Leonhardstoana in Kreuth auf, zu dem wirklich die gesamte nähere Umgebung strömt oder doch zu strömen scheint.

Dort genießen wir das Zusammensein mit den Feiernden, sind selber Feiernde, bestaunen und beklatschen die Jugend der Dörfer, die hier, begleitet von der unermüdlich aufspielenden Blaskapelle, die seit Generationen gepflegten Volkstänze aufführt, den Landler, den Zwiefachen, den Tiroler Dreier, den Schuhplattler, – auch das Goaßlschnalzen darf nicht fehlen!

Wir stärken uns mit Radi, mit Würstl und Kraut, mit Bier und Radler. Aber am schönsten sind die Gespräche mit den lieben Menschen hier, das frohe Beisammensein, das Grüßen und Scherzen und schließlich der beschwingte Nachhauseweg. Den Abend lassen wir dann noch mit gemeinsamen Singen, Erzählen von alten und jungen Tagen und erneut wieder gemeinsamem Singen zu Gitarrenbegleitung und dankbarem Gute-Nacht-Wünschen ausklingen.

Das war also der erste Tag, ein wunderbarer Einstieg, der uns müde schon in den Schlummer hinüber gleiten lässt. Wir sind voller Vorfreude auf den nächsten Tag!

 Posted by at 18:27

Jede Alpenüberquerung beginnt mit Etappe 1

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Aug 062023
 

Etwas Großes, für uns Besonderes haben wir uns vorgenommen: Wir wollen die Alpen zu Fuß von Gmund am Tegernsee bis nach Sterzing in Südtirol durchqueren! Die Route, die wir uns – leicht abweichend von der meist üblichen Streckenführung – nach eigenen Wünschen zurechtgelegt haben, ist in zehn Etappen unterteilt. Wir planen, diese zehn Etappen in zehn Tagen zu bewältigen.

Wird es uns gelingen?

Auf gute Ausrüstung haben wir schon in der Vorbereitung geachtet. Vor allem zu nennen: feste Bergschuhe, die auch für steiles Schrofengelände taugen, und Rucksäcke, die für jeden Wanderer die gesamte Habe von jeweils 9-10 kg fassen.

Los geht es heute, Sonntag, 23. Juli 2023, dieses Vormittags bei strahlendem Sonnenschein am Bahnhof Gmund am nördlichen Ufer des Tegernsees. Unser Ziel für diese erste Etappe: Kreuth, das bekannte Dorf im Weißachtal.

Leicht finden wir vom Bahnhof den Weg zur Seepromenade hinab, wo gepflegte Rabatten aufeinander folgen und sauber geharkte Wege in eleganter Linie sich dem Seeufer anschmiegen. Müßige Badegäste, schlendernde Flaneure aus aller Herrn Länder geben sich hier ein Stelldichein. Anstrengungsloses Wohlbefinden liegt in der Luft. Nichts deutet auf die Mühen des Weges hin, die vor uns liegen; im Gegenteil, wir befinden uns in der wohlhabendsten Gegend Deutschlands, glänzende Götterlüfte rühren uns leicht, die sanft gekräuselten Wellen des Sees verheißen Entspannung, Frieden, das schimmernde Gelächter der ewig spielenden Wasser durchwaltet uns, während wir ruhigen Gemütes auf Häuser, Wälder, Wiesen und weidende Herden zugehen.

Doch nach einem Kilometer schwenken wir vom See ab und erreichen in immer noch mäßigem Anstieg den Tegernseer Höhenweg. Hier tun sich nun Bilder von prachtvoller Tiefe in leuchtenden Farben auf, schattige Alleen empfangen uns, freundliche Wanderer begegnen uns. Und höher steigt die Sonne, immer höher!

 Posted by at 19:27

Lob der Barfüßer

 Armut, Augsburg, Barfuß, Bert Brecht, Griechisches  Kommentare deaktiviert für Lob der Barfüßer
Jul 152023
 

Hier war einmal ein Kirchenschiff der Barfüßerkirche – heute ein Innenhof, frei zugänglich auch für Tauben, unter freiem Himmel

Μὴ κτήσησθε πήραν εἰς ὁδὸν μηδὲ δύο χιτῶνας μηδὲ ὑποδήματα μηδὲ ῥάβδον – „Nehmt weder Ranzen noch zwei Obergewänder, auch weder Schuhe noch Wanderstab mit“, auf dieses Gebot Jesu (hier aus Mt 10 zitiert), leichten Sinnes und ohne jede überflüssige Last barfuß zu gehen, bezogen sich die „Barfüßer“, also Angehörige jener Ordensgemeinschaften, die auch in Augsburg ihre eigene Kirche errichteten – die „Barfüßerkirche“, an der ich nach ungezählten Schultagen auf die Straßenbahnlinie 1 wartete (statt die 6 km nachhause barfuß zurückzulegen).

Hier in der Barfüßerkirche wurde übrigens Bert Brecht getauft, hier besuchte er den Religionsunterricht, hier wurde er konfirmiert. Eine Erklärtafel brachte bei unserem Besuch dieser Kirche am vergangenen Sonntag die Einzelheiten und zeigte uns den jungen Brecht mit Ranzen und gepflegtem Schuhwerk:

Die Kirche wurde im Februar 1944 durch verheerende Bombardierungen völlig zerstört, heute ist sie mit ergreifender Dürftigkeit, fast ohne Schmuck, beraubt, ein Denkmal der Obdachlosigkeit, mit offenem Gewölbe als eine Kirche der Armut wieder hergerichtet; von der ursprünglichen Ausstattung ist alles verloren gegangen. Im Altarraum sahen wir zwei Mal Jesus, beide Male unbeschuht, ohne Obergewand, ohne Ranzen, ohne Wanderstab, beraubt und schmucklos – und in hebräischen goldenen Lettern das Tetragramm. Das heute zu sehende „Christkind“ schuf übrigens Georg Petel.

So wenig braucht es, um so viel zu sagen.

 Posted by at 22:35

Lob des Barfußgehens

 Barfuß, Freude, Natur-Park Schöneberger Südgelände, Orthopädie  Kommentare deaktiviert für Lob des Barfußgehens
Jul 152023
 

Nach einer kleineren Nachmittagsrast unternahm ich am heutigen Sonnabend noch einen längeren Streifzug durch den Naturpark Schöneberger Südgelände – natürlich teils ganz barfuß, teils mit meinen minimalistischen neuartigen Sockenschuhen. Es tut mir einfach gut, mit den Füßen die Unebenheiten eines natürlichen Boden zu ertasten, die Weichheit des Grases zu genießen, die kleinen Piekser von Kies und Steinen wegzustecken. Alle Nervenpunkte werden dadurch belebt, die trägen Muskeln in Füßen und Beinen werden umfassender gekräftigt, die Heilung nach kleineren Verletzungen wird beschleunigt. Erworbene Fehlstellungen der Füße und der Beine werden durch reichliches Barfußgehen sachte korrigiert. 

Vor einigen Wochen erzählte mir ein Bekannter, er habe nach jahrelang erduldeten Beschwerden, unzähligen Therapieversuchen durch Medikamente, nach teuren orthopädischen Maßnahmen seine chronischen Schmerzen an den Knieen im wesentlichen nur durch das häufige und lang ausgedehnte Barfußgehen beseitigt, zum Teil unterstützt durch „Barfußschuhe“, die er insbesondere zur Wahrung des „anständigen Auftretens“ im Berufsleben sowie bei schmutzigem Untergrund verwende.

Bild: „Der Mensch geht – das Rad rollt“ – ein neues Wandgemälde, erstmals gesehen heute in der Feiluftgalerie Tälchenweg im Natur-Park Schöneberger Südgelände

 Posted by at 21:44

An der Floßlände des Erinnerns

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Jul 092023
 

Ewig sich verjüngender, ewig neu schimmernder, üppig wallender Fluss, du treibst von weither, seit jeher die Geschicke dieser Stadt, und hier, wo unser Blick hinunter schweift auf die buchtartig sich erweiternden Kiesbänke, über denen Erlen, Weiden und Pappeln ihre gewaltigen Kronen wiegen, hat man die Reste eines Flößereihafens gefunden, „zu dem ein Seitenarm des Lechs oder ein von dort abgeleiteter Kanal geführt haben dürfte“.

Floßlände nennen es heute die Einheimischen hier, sie haben den Ort zu einem behaglichen Stelldichein ausgebaut. Weit hinaus ragt eine bühnenartig vorkragende Konstruktion über den Fluss, auf Betonquadern saßen gestern abend die Leute Trepp an Trepp bis zum Fluss hinab. Hier ließen wir den ersten Tag unseres Augsburg-Aufenthaltes ausklingen, schwelgten in Erinnerungen an Kindheit und Jugend, woben des Netz der Erzählungen über das wunderliche Bergwerk des Lebens und des Sterbens.

Zitat: Martin Kluger: Wasserbau und Wasserkraft, Trinkwasser und Brunnenkunst in Augsburg. Die historische Augsburger Wasserwirtschaft und ihre Denkmäler im europaweiten Vergleich. context Verlag, Augsburg 2013, S. 12

 Posted by at 17:02

Überwachsener Weg

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Jul 022023
 

Der Weg in unsrem Park ist überwachsen
von frischem Grün und krautig wucherndem
Gebüsch, so daß wir tastend gingen, das eine
an des andern Hand, und dankbar dafür
daß wir dies erleben durften, trotz allem
was da draußen tobt und brandet,
schritten wir hinein in eines weißen Hauses
Frieden, das auf uns wartete und uns empfing
mit Zeilen, die auf Birkenrinde rot geschrieben
waren, und die wir einst als Kinder hörten,
und die wir doch erst jetzt verstanden,
als wir erahnten, dass es so nicht wieder sein würde,
nie wieder …:

[…] Die So-geliebte, daß aus einer Leier
mehr Klage kam als je aus Klagefrauen;
daß eine Welt aus Klage ward, in der
alles noch einmal da war: Wald und Tal
und Weg und Ortschaft, Feld und Fluß und Tier;
und daß um diese Klage-Welt, ganz so
wie um die andre Erde, eine Sonne
und ein gestirnter stiller Himmel ging,
ein Klage-Himmel mit entstellten Sternen -:
Diese So-geliebte. […]

Zitat aus: Der ewige Brunnen. Gesammelt und herausgegeben von Dirk von Petersdorff. C.H. Beck, München 2023, S. 451

Foto: Natur-Park Schöneberger Südgelände, 30. Juli 2023




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„Derrière chaque mère…“

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Jul 012023
 

Derrière chaque mère, aussi dévouée et heureuse soit-elle, il y une femme avec ses sentiments, ses désirs, ses rêves, ses frustrations, ses inquiétudes et ses peurs.“ Die seit 2006 in Berlin lebende Fotografin Séverine Lenglet hat recht, – und dennoch ist es gut, dass sie auf etwas häufig Verkanntes hinweist: „Hinter jeder Mutter, so hingebungsvoll und glücklich sie auch sein mag, steht eine Frau mit ihren Gefühlen, Wünschen, Träumen, Frustrationen, Sorgen und Ängsten.“

Am 29. Juni verbrachte ich einige gute, inspirierende Stunden im Centre Marc Bloch, und ich nutzte meinen Besuch dort, um auch die schöne Ausstellung mit 10 sehr unterschiedlichen Bildern von Berliner Müttern zu beschauen – und folglich auch 10 unterschiedlichen kulturellen Mutterbildern.

Aber ist das nicht etwas Selbstverständliches, was Lenglet mit ihren einfühlsamen Bildern und den erläuternden Sätzen umreißt? Ich meine – nein! Man braucht diesen oben angeführten Satz nur einmal über die Väter zu sagen: „Derrière chaque père, aussi dévoué et heureux soit-il, il y a un homme avec ses sentiments, ses désirs, ses rêves, ses frustrations, ses inquiétudes et ses peurs„, um sofort zu erkennen, wie unterschiedlich das Gewicht der Mutterrolle und das der Vaterrolle auf Frauen und Männer einwirkt: „Hinter jedem Vater, so hingebungsvoll und glücklich er auch sein mag, steht ein Mann mit seinen Gefühlen, Wünschen, Träumen, Frustrationen, Sorgen und Ängsten.“

So einen Satz würde man über die Väter nicht sagen. Oder irre ich mich?

Wir Männer stehen nämlich in aller Regel nicht hinter der Vaterrolle zurück, wir stecken nicht zurück, wir sind nicht hinter der Vaterrolle versteckt, wie allzu häufig die Frauen hinter ihrer Mutterrolle versteckt oder verdeckt sind. Das Vaterwerden hat ganz selten jene tief ins Leben eingreifende Verwandlungskraft, entfaltet nicht jene Wucht, wie es das Mutterwerden in den allermeisten Fällen für die Frauen tut.

Beim Betrachten der zehn, bei aller Strenge doch sehr sprechenden Mutterbilder fällt mir auf, jenseits aller Unterschiedlichkeit, wie sehr die Mütter doch in Beziehung zu ihren Kindern stehen; nie sind die Mütter von den Kindern abgewandt, die Kinder bleiben alle stets bezogen auf ihre Mutter. Es ist leibliche Nähe, Berührung, Schutz, Fürsorge, die überdeutlich aus allen diesen Mutter-Kind-Bildern hervorstrahlen. Es ist ein „inniges“ Band, das ausweislich dieser Fotos Mütter und Kinder aneinander knüpft.

Ich stelle mir gerade vor, wie anders doch eine Fotoausstellung über Berliner Väter des Jahres 2023 aussähe.

La série « Femmes » est exposée au Centre Marc Bloch (Friedrichstraße 191 – 10117 Berlin) jusqu’à l’été 2023. 

https://cmb.hu-berlin.de/zentrum/neuigkeit/photographier-les-femmes-podcast-avec-severine-lenglet

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Ist dies ein authentisches Restaurant? Eine authentische Bar? Eine authentische Coffee Lounge? Was ist überhaupt Authentizität?

 Authentizität, Pasolini, Philosophie  Kommentare deaktiviert für Ist dies ein authentisches Restaurant? Eine authentische Bar? Eine authentische Coffee Lounge? Was ist überhaupt Authentizität?
Jun 262023
 

Vor wenigen Stunden schlenderte ich ruhigen Gemütes, eine freundliche Vision von Richard Strauss summend, durch die heimatliche Akazienstraße, ganz in Gedanken, vielmehr in ein gedankenreiches Gespräch über die Frage „Was ist authentisch?“ versunken. Keine leichte Frage, wie ich innehaltend bemerkte. Vor mir lockte eine Bar, oder vielmehr eine Coffee Lounge, oder vielmehr ein Restaurant zum Niederlassen und Verweilen. Eine Buddha-Figur bezeugte gewissermaßen die Würde, die Echtheit, die Aufenthaltsqualität dieses Ortes.

Und ganz folgerichtig durfte die ausgespannte Markise den Anspruch erheben, dies alles, dieser Ort hier sei „authentisch“. Authentisch, also echt, würdig, wahrhaftig, redlich, wirklich? An dieser Bar bzw. diesem Restaurant bzw. dieser Coffee Lounge dürfte klar werden, dass Authentizität keineswegs eine Eigenschaft ist, die einem Ding an sich, einer Aussage als solcher, einem Gefühl als solchem zukommt.

Was ist ‚authentisch‘?

Mir fiel jener Aufsatz des Kunsthistorikers Hans Ulrich Reck ein, den ich am Vormittag in einem neu erschienenen, sehr ergiebigen Band über „Authentizität nach Pasolini“ gelesen hatte. Authentisch ist kein „Ausweis von selbstbezogener Einzigartigkeit“, wie es Reck nennt; Authentizität entsteht vielmehr in einem Zuschreibungsgeschehen aus der Position „kundiger Zeugenschaft“. Hier ist es also ein kundiger Buddha, der die Glaubwürdigkeit dieses Anspruchs auf Authentizität bezeugt.

Bei der Beglaubigung der Authentizität einer Dürer-Zeichnung wiederum mag nur das kundige, mehrfach überprüfte Urteil mehrerer Kunsthistoriker als Beglaubigung taugen. Eine mathematische Gewissheit darüber kann es nicht geben.

Aber müssen wir dem stummen Hinweis des Buddhas folgen, ihm vertrauen, ihm glauben? Nein! Nichts zwingt uns dazu. Authentizität ist nichts unabweisbar Logisches. Ich könnte, in tiefem Zweifel befangen, auch sagen: ein Ding, das teils Coffee Lounge, teils Restaurant, teils Bar ist, verfehlt schon allein durch diese Dreiheit, dass es eines und nur eins ist. Ich würde ihm Authentizität nicht zuschreiben.

Der Begriff der Authentizität ist also scharf abzuheben vom Begriff der Echtheit, der Wahrheit, der Einzigartigkeit.

Mit diesen vorläufigen Einsichten setzte ich meinen Gang durch die Akazienstraße fort, entschlossen, dem Problem der Authentizität nach Pasolini weiter auf den Grund zu gehen. Der eben erschienene, frisch vor mir aufgeschlagene Band mit Beiträgen namhafter Pasoliniani wird mir dabei eine große Hilfe sein.

Hans Ulrich Reck: Italien als Dystopie, eine letzte Reise – Pasolinis 12 DICEMBRE, in: Cora Rok (Hg.): Authentizität nach Pasolini, Paderborn: Brill Fink 2023, S. 113-122, hier S. 114

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