Aug. 282015
 

„Es zeigt sich einfach, dass der Euro nicht funktioniert, sondern immer größere wirtschaftliche Ungleichgewichte erzeugt, und am dramatischsten zeigt sich das eben in Griechenland“, wurde am Wochenende eine Bundestagsabgeordnete in der WELT und der FAZ zitiert. Krass. Eine steile, ja geradezu eine krude These! Die Bundestagsabgeordnete NN bemängelt am Euro-System, dass es die Handlungsmöglichkeiten der Regierungen zu stark einenge.

Das ganze Euro-Wesen – so dürfen wir zusammenfassen – sei also gewissermaßen das Ende der Freiheit. Ich denke, die krude These dieser Bundestagsabgeordneten NN verdient eine vorurteilslose Diskussion.  Aus diesem Grund sei ihr Name hier nicht genannt. Wie sie heißt und welcher Partei sie angehört, spielt hier keine Rolle; der Wahrheitsgehallt einer Aussage bemisst sich schließlich nicht danach, wer sie äußert. Entscheidend ist stets: Trifft diese Aussage zu? Ist sie wahr, teilweise wahr – oder ist sie falsch, teilweise falsch?

Zweifellos stützt sich die zitierte krude These nicht nur auf softe Gefühle, sondern auch auf harte Zahlen. Die Schere zwischen wohlhabenderen und ärmeren Volkswirtschaften ist seit 1996 innerhalb der Eurozone deutlicher als außerhalb der Eurozone auseinandergegangen. Das verblüfft, beruhte der Euro doch auf der Grundannahme der Konvergenz. Die Konvergenz der Euro-Volkswirtschaften hat jedoch abgenommen, die Divergenz hat hingegen dramatisch zugenommen. Und nunmehr hat ausgerechnet im Reiche des Euro sogar Frankreich den Status als wichtigster Handelspartner der Bundesrepublik Deutschland an die USA abgeben müssen; Handelspartner Nummer 1 sind jetzt die USA, nicht mehr wie jahrzehntelang Frankreich. Das heißt, das Handelsvolumen Deutschlands mit den USA hat während der Herrschaft des Euro stärker zugelegt als das mit Frankreich. Der außenwirtschaftliche Trend zeigt also abwärts für die zweitgrößte Volkswirtschaft der Euro-Zone.

Noch krasser ist aber der Befund in der drittwichtigsten Euro-Volkswirtschaft, in Italien. Hier haben wir aktuell eine Jugendarbeitslosigkeit von 43%, Italiens Volkswirtschaft  ist seit 1996 – als der Jubel über den Euro-Beitritt  unüberhörbar erscholl –  fast nicht mehr gewachsen.  Darüber hinaus hat sich sogar innerhalb Italiens die Divergenz zwischen ärmeren und reicheren Gegenden vergrößert. Der Süden Italiens – dem ich mich übrigens durch langjährige Erfahrungen mit jeder Faser meines Herzens verbunden fühle –  leidet an einem langanhaltenden wirtschaftlichen Niedergang. Quasi quasi mi si strazia il cuore! Adriano Giannola, 71, emeritierter Professor für Finanzwirtschaft, Präsident der Vereinigung für die Entwicklung des italienischen Südens (SVIMEZ) sagte es am 24.08.2015 in der Süddeutschen Zeitung (S. 18) so: „Der Euro hat die innere Spaltung des Landes in einen mangelhaft kapitalisierten Süden und in einen halbwegs leistungsfähigen Norden eher befördert als vermindert.“

Und immer wieder spreche ich persönlich auf Kreuzbergs und Schönebergs Hinterhöfen mit gut ausgebildeten Akademikerinnen und Akademikern aus Portugal und Spanien, die deutsche Plätze fegen, deutsches Unkraut jäten, deutsche Treppenhäuser putzen. Man fragt sich mit Horaz: Hoc erat in votis monetae unicae dedicatis? Ward dies dem Euro an der Wiege gesungen?

Dabei soll aber nicht alle Schuld ausschließlich dem Euro gegeben werden! Das tut ja auch niemand. Fest scheint aber zu stehen, dass der Euro nicht nur wegen politischer Versäumnisse und Fehler, sondern auch aus strukturellen, aus systemischen Gründen im vergangenen unrühmlichen Ventennio der Eurozone insgesamt mehr Schaden als Nutzen beschert hat.

Insofern ist – egal was die LINKE-Mehrheit, die CDU/CSU-Mehrheit, die SPD-Mehrheit und die FDP-Mehrheit nicht müde werden zu behaupten und endlos weiter vertreten  – der Bundestagabgeordneten Sahra Wagenknecht und dem Finanzwirtschaftler Adriano Giannola vorsichtig zuzustimmen. Beide haben eine vorurteilslose Erörterung ihrer kruden Thesen verdient.

Sahra Wagenknecht und Adriano Giannola gehören zweifellos zu den Minderheitlern, den Menschewiki im Chor der politischen Stimmen, wie sie auf Russisch zu Beginn des 20. Jahrhunderts genannt wurden.  Aber sie haben gerade deswegen eine vorurteilslose Erörterung ihrer kruden Thesen verdient. Man sollte sie nicht als Rechtspopulisten oder Europafeinde abkanzeln.

http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/montagsinterview-italien-ist-nie-eine-geeinte-nation-gewesen-1.2617855?reduced=true

http://www.welt.de/politik/deutschland/article145454656/Sahra-Wagenknecht-stellt-den-Euro-infrage.html

http://www.svimez.info/index.php?lang=en

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Misère de l’Europe sans Dieu. Michel Houellebecqs Unterwerfung

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Aug. 202015
 

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Die am letzten Samstag erfahrene Begegnung mit dem stummen geheimnisvollen Leser von Houellebecqs Soumission in der Eisenbahn nach Jacobsthal  und dann die Busfahrt nach Müllrose ermunterten mich, dieses Buch selber in 2 Tagen durchzulesen. Um es gleich zu sagen: Ich halte es für ein großes, ein geniales, ein wichtiges, dunkel strahlendes Buch. Eine blühende Rose im Müll! Eine politische Satire, bei der man häufig laut auflachen muss, ein groteskes, allzuwahres Portrait einer Gesellschaft ohne Gott, eines Europa ohne Geist.

Misère de l’homme sans Dieu, misère de l’Europe sans l’Esprit!

In seinem Sog erlebte ich Neugier, Erwartung, Trauer, Schmerz. Im Zentrum steht die Suche eines nur in sich selbst verstrickten Menschen nach dem Du, die Verzweiflung eines im Ich gefangenen Menschen ohne Gott, der die Annäherung Gottes verzweifelt sucht und der den sich annähernden Gott dann ausschlägt. Er – und mit ihm die ganze Gesellschaft – unterwirft sich ersatzweise einer trügerischen Gewissheit in der Unterwerfung unter eine halbverstandene bequeme Religion, die ihm Macht, Wohlstand, Frauen, Reichtum und Ewigkeit verheißt.

Zentral für diese Deutung ist also nicht die Politik, sondern die Religion, genauer: das in der Mitte des Buches stehende Erlebnis  einer versuchten Begegnung mit Maria. Houellebecq schreibt: „La Vierge attendait dans l’ombre, calme et immarcescible. Elle possédait la suzeraineté, elle possédait la puissance, mais peu à peu je sentais que je perdai le contact…“ – „Die Jungfrau wartete im Schatten, ruhig und unverwüstlich. Sie strahlte eine gesammelte Hoheit aus, eine bannende Macht, aber nach und nach spürte ich, dass ich den Kontakt verlor.“

Der Betrachtende kommt in Rocamadour jedoch nicht aus seinem reichen kulturellen Wissen über das „Christentum“ heraus. Er weiß zu viel über das Christentum. Ständig schiebt sich das Christentum vor Jesus Christus. Das ganze europäische Christentum versperrt ihm die Begegnung mit dem nächsten Menschen und folglich auch mit Jesus. Er ist nicht bereit, sich auf Maria und Jesus einzulassen. Ihm schwirren beständig Nietzsche, Péguy, Huysmans, Huizinga, das „christliche Mittelalter“, sein gesamtes historisches und politisches Wissen und Herr weißt-du-denn nicht und Frau hast-du-nicht-gelesen durch den Kopf. Sein Kopf ist voll, sein Herz ist leer. Er WUSSTE ZUVIEL. Sein Wissen trennt ihn von sich selbst und von den anderen Menschen, insbesondere von seiner Freundin Myriam, die ihn verlässt und nach Israel übersiedelt. Myriam? Das wäre ja seine Maria für ihn gewesen. Maria ist ja in Myriam. Gespenstisch!

Beklemmend ist auch das völlige Fehlen von Kindern im gesamten Buch. Der unfertige Mensch, der kleine Mensch, das ungeborene Buberl, das sich in der Begegnung zwischen der Base Elisabeth und Maria durch ein Hüpfen bemerkbar macht – das KIND interessiert dieses ICH nicht. Selbst in Jesus vermag er nur den erwachsenen Mann zu sehen. Er sieht nicht das Kind.

Das ICH verweigert sich dem DU. Der Erwachsene verweigert sich dem Kind. Der Mann verweigert sich der Frau. Der Sohn verweigert sich dem Vater.  Der Vater verweigert sich dem Sohn und stirbt, ohne dass die beiden sich vor dem Tod je wiedergesehen hätten. Der Mensch verweigert sich dem Menschen. Darin sehe ich die Tragik in diesem von der ersten bis zur letzten Seite inspirierten, genialen, komischen, satirischen, zum Totlachen lustigen und lächerlich traurigen Buch.  Eine glasklare, messerscharfe Analyse unserer EU-Gesellschaften. Unbedingt empfehlenswert!

Aus der Verweigerung des Du entspringt sekundär der Impuls zur Unterwerfung unter ein fix und fertiges Lehrgebäude, wie es der Islam dem Frankreich des Jahres 2022 zu bieten scheint. Ist also alles zu spät? Ist der Zug auf der Müllhalde der europäischen Geschichte abgefahren?  Die Europäische Union scheint ja mittlerweile ihre Ersatzgewissheit nicht in der Unterwerfung unter den Islam, sondern in der Monetären Union, im verehrten Euro gefunden zu haben. Und was gibt es sonst noch?

Bei einer Wanderung in Südtirol bestieg ich vor wenigen Wochen von Vahrn im Eisacktal hochwandernd die Karspitze. Nach drei Viertel des Wegs machte ich Rast auf der Ziermait-Alm. Dort sah ich eine kleine Marienstatue. Kunstgeschichtlich sicherlich unbeachtlich. Sie steht in keinem Reiseführer. Und doch – wie schön!

La Vierge attendait dans l’ombre, calme et immarcescible. Elle attendait, et elle attend toujours.

Nachweis:
Michel Houellebecq: Soumission. Paris, Flammarion 2015, hier bsd. S. 164-170
Bild: Maria auf der Ziermait-Alm

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Extra euro nulla salus? Gehören die Schweiz, die Ukraine, Großbritannien, Polen und Norwegen zu Europa?

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Aug. 192015
 

„Griechenland gehört zum Euro, weil Griechenland zu Europa gehört.“

Sven Christian Kindler, Bundestagsabgeordneter, hat es soeben wieder einmal in der gerade laufenden Bundestagsdebatte unter großem Beifall des Hohen Hauses gesagt.

Warum sollen wir das glauben?

Europa hat 47 Staaten. Davon gehören 19, also etwa ein gutes Drittel, weniger als die Hälfte aller europäischen Staaten, der Eurozone an.  Woher nehmen die Eurozonenländer das Recht, alle Länder, die nicht der Eurozone angehören oder den Euro nicht wollen, wie etwa Polen, die Slowakei, die Schweiz, Schweden, die Ukraine, Großbritannien, Norwegen,  die Tschechische Republik als nicht zu Europa gehörend zu bezeichnen?

Sind die Polen, die Ukrainer, die Tschechen, die Schweizer und Norweger etwa keine richtigen oder minderwertige Europäer, weil sie den Euro nicht haben?

Die Eurozone, ein Verbund von 19 Staaten beansprucht auf mittlerweile unerträgliche Art die Deutungshoheit darüber, was Europa ist und was nicht.

Extra euro nulla salus? Gibt es kein Heil außerhalb des Euros?  Euro, Euro über alles? Extra monetam unicam nulla Europa? Soll wirklich der Euro das alleinige Kriterium der Zugehörigkeit zu Europa sein?

 

 

 

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„Powers divided mutually destroy each other“ – Hobbes‘ Urteil über die Gewaltentrennung

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Aug. 162015
 

Wir sind für Machtverteilung.“  So Konrad Adenauer vor der Interparlamentarischen Union 1949 in Bern. Er legte damit ein klares Bekenntnis gegen die Machtballung, die zentralistische Machthäufung und Machtkonzentration ab, wie sie die zahlreichen zentralistischen Führerstaaten Europas, darunter Deutsches Reich (1933-1945), Königreich Italien (1921-1943) und Sowjetunion  (ab 1919) kennzeichnete.

Weitgehende Machtballung, Machtkonzentration und Einheitlichkeit in der Machtausübung seien hier als Merkmale des monistischen Politikverständnisses angesehen.

Als wesentliches Merkmal der Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland muss dagegen in der Tat eine weitgehende Machtverteilung, Machtstreuung und Gewaltenteilung gelten.

Von besonderem Interesse ist heute, dass die Währung des Staates (also die D-Mark) streng unabhängig von der Politik gehalten wurde. Die Bundesbank war bis zur Errichtung der EZB weisungsunabhängig; die Währung bzw. die sie steuernde Zentralbank  war in der alten Bundesrepublik Deutschland kein Teil des politischen Systems, wie sie es hingegen seit jeher in Frankreich, Italien oder den USA ist.

Als Beleg für die These, dass die Währung kein Teil und kein Gegenstand  der Politik war, mag gelten, dass es durchaus brauchbare Darstellungen des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland gibt, die der Währung bzw. der Zentralbank keinerlei Aufmerksamkeit widmen, so etwa das Buch „Das politische System Deutschlands“ von Stefan Marschall, erschienen bei der Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2015.

Allerdings wurde genau deswegen die DM nie in Frage gestellt; sie stand abseits des Parteienstreits; alle Parteien, alle Bürger wollten die DM nach wenigen Jahren des Zweifelns; nicht zuletzt deshalb war die DM und die soziale Marktwirtschaft der alten Bundesrepublik bis 1996 so erfolgreich. Umgekehrt war und ist der Euro vor, während und nach seiner Einführung in dem meisten EU-Ländern umstritten gewesen, heute sogar mehr denn früher. Er ist in schroffem Gegensatz zur früheren DM durch und durch politisiert.

So ist denn der EZB der Eurozone mittlerweile eine ungeheuerliche Machtfülle zugewachsen; ihre geldpolitischen Maßnahmen können der Eurozone den Garaus machen oder auch neues Leben einhauchen! Diese überragende Machtfülle der EZB manifestiert sich im offensiv eingeforderten Glaubenskenntnis des EZB-Chefs Mario Draghi: „Believe me … believe me … it will be enough.“ Der geforderte Glaube richtet sich bezeichnenderweise nicht auf das politische System des Euro, sondern auf eine und nur eine Person – den redenden EZB-Direktor selbst. Das ist politischer Monismus in Reinstform!

Zurück zur Bundesrepublik! Vertikal haben wir die Machtverteilung und Machtstreuung im dreistufigen Aufbau der Gebietskörperschaften nach Gemeinden, Bundesländern und der Bundesrepublik, horizontal haben wir die Machtverteilung in der systematischen Trennung von gesetzgebender, ausführender und rechtsprechender Gewalt, wobei im parlamentarischen System eine gewisse Überlappung zwischen Legislative und Exekutive unvermeidlich ist. Legislative und oder Exekutive sehen sich jedoch stets einer unabhängig agierenden „anderen Gewalt“ gegenüber, der Gerichtsbarkeit, die sehr oft mit größter Selbstverständlichkeit gegen die Regierung entscheidet.

Insofern kann man durchaus von einem Dualismus sprechen, der das gesamte Staatsdenken und die politische Praxis der Bundesrepublik Deutschland durchzieht. Nie kann EINER oder EINE allein ihren Willen durchsetzen, stets muss die mächtigste Figur im Spiel – also etwa der Bundeskanzler – gewärtig sein, irgendwo ausgebremst zu werden. Ein echtes „Durchregieren“ der Mehrheit kann es in der Bundesrepublik nicht geben.

Die Bundesrepublik Deutschland ist also geprägt durch einen vielfältigen Dualismus oder auch Pluralismus an Entscheidungsträgern und Machtinstanzen. Sie ist das glatte Gegenteil eines monistisch aufgebauten Staates, wie ihn beispielsweise Thomas Hobbes forderte.

Typisch für das eindeutig monistische EU-Recht ist hingegen der größtmögliche Konzentrationsgrad an Entscheidungskompetenzen bei der Zentrale.  Dies gilt insbesondere für die Kommission als zentrale Macht- und Gesetzgebungsbehörde der EU. Sie ist ganz nach dem jahrhundertealten Muster der französischen Zentralverwaltung aufgebaut. Ein Blick auf Art. 17 des EU-Vertrages lehrt dies auf frappante Art.

Der Kommission stehen demnach unter anderem zu:
Rechtsetzung einschließlich des Initiativrechtes, Beteiligung an sämtlichen Rechtsetzungsakten der EU; Erlass von zwingenden Durchsetzungsbestimmungen; Erlass von zwingend einzuhaltenden Richtlinien; Entscheidungen im Verwaltungsvollzug; Kontrollaufgaben (Vertragsverletzungsverfahren; Nichtigkeits- und Untätigkeitsklagen; Genehmigung bzw. Nichtgenehmigung der Abweichungen von unionsrechtlichen Regeln).

Als ewig strahlender Vordenker eines monistischen Staatsverständnisses muss Thomas Hobbes gelten; Machtverteilung, Gewaltentrennung, ein System an „Checks and Balances“, wie es das westliche Demokratiemodell und insbesondere die Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland auszeichnet, war ihm ein Symptom der Krankheit und des Zerfalls, ein Greuel, der letztlich zu Liederlichkeit, Staatsauflösung und verheerendem Bürgerkrieg geführt habe. Hobbes geißelt die Lehre von Gewaltentrennung sogar ganz ausdrücklich, nennt sie eine wahnhafte Ausgeburt der Gehirne  von Politlaien, von Juristen, die keine Ahnung von echter Machtausübung hätten. Es lohnt sich, seine Begründung im Original nachzulesen. Wir finden sie im Kapitel 29 des 2. Buches seines Leviathan von 1651:

There is a sixth doctrine, plainly and directly against the essence of a Commonwealth, and it is this: that the sovereign power may be divided. For what is it to divide the power of a Commonwealth, but to dissolve it; for powers divided mutually destroy each other. And for these doctrines men are chiefly beholding to some of those that, making profession of the laws, endeavour to make them depend upon their own learning, and not upon the legislative power.

 Posted by at 17:21
Aug. 162015
 

Aufschlussreiche Preisverzeichnisse aus der weitverzweigten globalen Migrationsindustrie, und zwar aus der Branche, die sich auf die Route Italien – Frankreich – Großbritannien verlegt hat, gestern in der Monde auf S. 6!

Folgende Preise werden derzeit durch verschiedene Schlepperorganisationen auf dieser Route von den Migranten verlangt und bezahlt:
€ 500.- für Einreise aus Eritrea ins EU-Gebiet
€ 900-1.500 zahlen Iraker für die Einreise in die EU
€ 6.000-8.000 zahlen Albaner, Inder und Syrer
€ 15.000 bis 19.000 sind zu bezahlen für die Migration mit besonderem Service: gefälschter Britischer Pass, hergestellt in Thailand, sowie das Recht, auf dem Beifahrersitz des LKW mitzufahren.

Grundsätzlich gilt, dass man mehrere Versuche frei hat, falls man ein erstes Mal beim Einreiseversuch abgewiesen wird.

Erstaunlich demgegenüber der Spottpreis, mit dem „eine Nummer“, „une passe“ von den zur Prostitution gezwungenen Frauen verkauft wird: 3-5 Euro.   Ärzte von „Médecins du monde“ berichten von einem Anstieg der Abtreibungen nach Vergewaltigungen und als Folge der Zwangsprostitution im „Dschungel“ von Calais.

Die verschärften Kontrollen der britischen und französischen Polizei wirken preistreibend im Geschäft der Schlepper mit Menschenschicksalen.

Einen guten Ruf als Ausweichland hat sich deshalb bei Migranten mittlerweile Deutschland erworben.  Es gilt – so stellt es Le Monde dar – mittlerweile als El Dorado der Migranten weltweit.

Den Anstieg der Migrantenzahlen um 108% in nur einem Jahr erklärte Le Monde gestern als Folge der vergleichsweise guten Aufnahme der Migranten und der niedrigschwelligen Zugangshürden in Deutschland.

Nach und nach spricht es sich weltweit herum, wie man nach Deutschland gelangt, was man sagen muss, um anerkannt zu werden oder doch zumindest ein vorläufiges Bleiberecht zu erhalten oder vorerst geduldet zu werden. Irgendwas geht immer, man muss es nur bezahlen können. Alle Migranten erhalten von den Organisatoren und Netzwerkern laufend über Handy und Internet genaue Handlungsanweisungen, wo sie sich zu melden haben, wo sie Kontakte finden, was sie bei den Behörden erzählen müssen, wie sie sich vernetzen können, was sie zu tun und zu lassen haben. Die Vorteile der großen Zahl werden systematisch ausgenutzt, da Deutschland im Gegensatz zu Frankreich, Italien oder Großbritannien nicht die Kontrollen verschärft, sondern die nötigen Aufnahmekapazitäten ausbaut.

Quelle:

Le Monde, 14 août 2015, Seite 6

http://www.lemonde.fr/immigration-et-diversite/article/2015/08/13/a-calais-le-tres-lucratic-trafic-de-migrants_4723718_1654200.html?xtmc=calais&xtcr=5
http://www.lemonde.fr/immigration-et-diversite/article/2015/08/13/dans-la-jungle-de-calais-l-ombre-de-la-prostitution_4723112_1654200.html?xtmc=prostitution&xtcr=2

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Woher kommt der wirtschaftliche Mindererfolg der Eurozone?

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Aug. 042015
 

Ein Blick auf die aussagefähigen Datentabellen im aktuellen Economist (August 1st 2015) bestätigt ein verblüffendes Ergebnis, das schon seit Jahren immer konsistent wieder bestätigt wird:

Die wesentlichen wirtschaftlichen Kennziffern der Eurozone, also der EU-Länder, die den Euro als amtliches Zahlungsmittel eingeführt haben, liegen deutlich hinter vergleichbar großen Wirtschaftsräumen zurück. Die Eurozone schneidet seit Jahren in Sachen Arbeitslosigkeit, BIP und Industrieproduktion schlechter als China und die USA ab. Der Abstand zwischen USA und China einerseits und der Eurozone andererseits weitet sich folglich aus.

Hier die letzten verfügbaren Zahlen:
Arbeitslosigkeit/BIP-Veränderung/Industrieproduktion der USA:
5,3%/+2,9%/+1,4%
Arbeitslosigkeit/BIP-Veränderung/Industrieproduktion Chinas:
4,0%/+7,0%/+6,8
Arbeitslosigkeit/BIP-Veränderung/Industrieproduktion der Eurozone:
11,1%/+1,0%/+1,6%

Noch erstaunlicher, geradezu krass aber finde ich:
Die Nicht-Euro-Länder der EU (etwa Großbritannien und Polen) und die europäischen Nicht-EU-Länder (etwa die Schweiz und Norwegen) schneiden in den genannten drei Kriterien ebenfalls deutlich besser ab als die Eurozone. Der Abstand der Eurozone zu den Nicht-Euro-Ländern und zu den europäischen Nicht-EU-Ländern weitet sich im Laufe der Jahre also ebenfalls zu Ungunsten der Eurozone ebenfalls aus.

Fazit:
Die Eurozone schneidet seit längerem gemessen an Arbeitslosigkeit, BIP-Wachstum und Industrieproduktion signifikant schlechter als China und USA sowie konsistent schlechter als die anderen vergleichbaren europäischen Länder sowohl innerhalb als auch außerhalb der EU ab. Die Eurozone weist schlechtere wirtschaftspolitische Kennziffern als der Rest Europas auf.

Wie ist dieser schon seit Jahren andauernde relative Mindererfolg der Eurozone gegenüber allen anderen vergleichbaren Wirtschafts- und Währungsräumen zu erklären? Woran liegt es eigentlich? Ist der Euro als solcher eine Wachstums- und Beschäftigungsbremse? Ist der Euro als solcher nachteilig für die Wirtschaft insgesamt? Oder haben die europäischen Länder Schweiz, Norwegen, Polen und Großbritannien schlechterdings fleißigere ArbeiterInnen, schlechterdings klügere Köpfe, schlechterdings bessere PolitikerInnen oder einfach besseres Wetter als wir? Steckt ein Systemfehler hinter dem Euro, oder haben die Politiker etwas falsch gemacht?

Fing uns ein Wahn? Trog uns treuer Glaube an den Euro?

Quelle:
Economic and financial indicators, The Economist, August 1st 2015, Seite 72

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… und wenn der „Euro“ stattdessen „Sterco“ hieße? Würde dies etwas ändern?

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Juli 292015
 

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Recht behaglich wars mir immer zumut, wenn ich nach durchwandertem Tag in Südtirol ein paar Verslein aus dem 4. Akt von Goethes Faust II, ein paar kluge Sentenzen aus dem Wirtschaftsblatt Sole24ore nachmurmelte oder auch ein paar der italienisch- oder deutschsprachigen Fernsehsender aufrief.

Auf RAI 3 sah ich da auch zu bester Sendestunde nach 20.15 Uhr am 25. Juli eine lange Gesprächssendung zum Thema GEIZ – AVARIZIA. Der Geizige, so fanden die kundigen Gesprächspartner mit Flavio Insinna heraus, klebt am Geld, für ihn verkörpert das Geld sein ganzes Selbst, er hält am Gelde fest, er sieht nichts außer dem Geld und verliert darüber alles andere, was werthaltig ist oder sein könnte. Der Paperon de‘ paperoni Walt Disneys, der Onkel Dagobert unserer Kindheit, der Geizige Molières, der Scrooge eines Charles Dickens … sie und viele andere haben über dem Geld den Blick auf den anderen Menschen verloren. Das Geld entzweit sie von allen anderen Menschen – und auch von sich selbst, denn ihre Seele leidet über dem ständigen Nachsinnen und Nachdenken Schaden. Das Geld, so fand man auf RAI 3 heraus, trennt die Menschen untereinander, es trennt aber auch den Menschen von sich selbst. Der pfiffige Italiener nennt deshalb spöttisch und in seinem stets wohllautenden Idiom das Geld von alters her auch „lo sterco del Diavolo“.

„Lasciatemi divertire! Ich will Spaß!“ So hieß die Sendung von RAI TRE. Freunde, amici miei, wir wollen uns mal einen Spaß machen! Zurück zur Nominalismus-Debatte, zu der uns vorgestern Nikolaus von Cusa, der Brixner Bischof einlud!

Die ehrfürchtige Scheu, mit der Europa im Euro seine tiefste Bestimmung, seine unio mystica europea zu finden glaubt – ist sie ein bloßer Flatus vocis, eine Narretei, die letztlich mit dem Namen „Euro“ steht und fällt? Könnte man den Euro nicht auch – angelehnt ans deutsche Wort „Stärke“ – auch einfach „Sterco“ nennen? Würde sich dadurch etwas ändern?

Es wäre passend, gilt der Euro in Italien doch seit längerem weithin als „moneta tedesca“, als starke deutsche Währung, mit der die Deutschen wieder einmal versuchen, ihre Herrschaft über den ganzen Kontinent auszudehnen. So schreibt es erneut Aldo Cazzullo im angesehenen Corriere della sera am 24.07.2015 ganz explizit: „Oggi l’Europa non è l’Europa; è un impero tedesco. Come Roma antica, Berlino ha creato una rete di Paesi satelliti“. Das ist zu Deutsch: „Heute ist Europa nicht Europa; es ist ein deutsches Reich. Wie das antike Rom hat Berlin ein Netz von Satellitenstaaten geschaffen.“ Als Waffe zur Errichtung des deutschen Reiches der Jetztzeit gilt für Cazzullo, aber auch in weiten Teilen der italienischen und der griechischen Öffentlichkeit – der Euro.

So spaßig oder lachhaft das auch klingen mag, es steht immer wieder so in den Gazzetten und Corrieri Italiens und Griechenlands. Gestrickt wird in Italien (und auch in Griechenland) bereits jetzt fleißig am Mythos der „moneta non voluta“, der „nicht gewollten Währung“, so als wäre Italien seinerzeit gezwungen worden, dem Euro mit seinem vertraglich sehr eindeutigen Regelwerk beizutreten.

Es erinnert auf lustige Weise an den Mythos von der „Guerra non voluta“, dem „nicht gewollten Krieg“, so als wäre Italien damals durch das deutsche Reich gezwungen worden, durch die italienische Kriegserklärung an Frankreich und Großbritannien vom 10.06.1940, durch den italienischen Überfall auf Griechenland vom 28.10.1940 in den 2. Weltkrieg einzutreten! War das so? Wurde Italien durch das Deutsche Reich gedrängt oder gezwungen, in den 2. Weltkrieg einzutreten? Nein. Dem ist entschieden zu widersprechen.

Der teilweise heute immer noch verkündete italienische Mythos von der „guerra non voluta“ hält einer historischen Überprüfung schlechterdings keine Minute lang stand. Italien hat schließlich den Krieg gegen Frankreich, gegen Großbritannien und gegen Griechenland aus eigenem freien Entschluss selbständig begonnen und zunächst auch selbständig geführt und sich auf eigenen Wunsch bereitwillig mit 400.000 Soldaten auch dem deutsch angeführten Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion, dem berüchtigten Unternehmen „Barbarossa“ angeschlossen.

Aber wozu sich aufregen? Wir erfahren es handgreiflich: Der absolutgesetzte Euro, vielmehr der absolute Glaube an den Euro entfaltet Tag um Tag seine diabolische Kraft. Das Geld, der Glaube an die Macht des Geldes spaltet europäische Staaten, spaltet europäische Völker, spaltet europäische Menschen entzwei. Das mutwillig begonnene scholastische Gedankenexperiment, den Euro einen Augenblick lang „Sterco“ zu nennen, wühlt leider die gesamten Lasten der Vergangenheit auf unschöne, betrübliche Weise wieder auf. Lo sterco del passato, der ganze Dreck der Vergangenheit kommt wieder hoch. Und das ist alles andere als lustig.

Und beim Krämer am Hafen schallte mir auch bei meinem jüngsten Italienaufenthalt des öfteren ein militärisches „Jawoll!“ entgegen, sobald man mich als Deutschen erkannt hatte. Tja, amici europei, non mi diverto. Das find ich nicht so lustig.

Zitatnachweis:
Aldo Cazzullo: La questione tedesca. Nessun paragone con il passato. Ma non aveva torto l’ambasciatore francese che disse a Ciano: „I tedeschi sono padroni duri. Ve ne accorgerete anche voi“. In: Corriere della sera, 24.07.2015, Beiheft SETTE, Seite 14

Bild:
Eine Abbildung einer Abbildung einer Abbildung des Kaisers auf einer Münze des Kaisers Konstantin (Münze datiert wohl auf 337-350 n. Chr.). Gefunden bei Tiefbauarbeiten auf dem Gebiet des späteren Prichsna, des heutigen Brixen. Fotografiert gestern auf dem archäologischen Lehrpfad in Brixen.

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Was sagt die Eule Europa?

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Juli 272015
 

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Estne una veritas an plures? Gibt es eine oder mehrere Wahrheiten? Auf 2000 Meter Meereshöhe stellte sich mir heute diese Frage. Ich entnehme sie einem Dialog des Nikolaus von Kues, der ja hier unten in Brixen wirkte. In Europa fliegen derzeit allzu viele Wahrheiten durch die Lüfte. Sie wirken eher wie Steinschleudern denn wie Argumente. Als fundamentum inconcussum Europas taugt heute mehr denn je das Geld. Über den Euro streiten sie alle. Timothy Garton Ash wirft Finanzminister Schäuble in der Repubblica von heute vor, der Vorschlag eines vorübergehenden Ausscheidens eines Landes aus dem Euro bedeute weniger Europa. Der Euro, das ist Europa. Weniger Euroländer, weniger Europa!

Was wohl der Kusaner dazu sagen würde? Nominalismus! Nominalismus des Euro, das heißt, weil der Euro Euro heißt, deswegen ist er Europa. Die Schweiz, Polen, Norwegen z. B. wären kein Europa, da sie den Euro nicht haben und nicht wollen.

Ist das logisch? Nein, der Streit um den Mythos Euro nimmt gespenstische Züge an! Ob Jürgen Habermas, der Schäuble vorwarf, er habe in einer Nacht 50 Jahre europäisches Vertrauen zerstört, oder Ash, der die rationalen Erwägungen Schäubles als europafeindlich abtat, all diese weit überschätzten Intellektuellen erliegen dem nominalistischen Trugschluss, der da lautet, der Euro, das ist Europa. Kläglich das Ganze! Der Euro hat Streit und Zwietracht gesät. Viele haben ihre Rationalität in der Anbetung des Geldes abgegeben. Ils ont perdu la raison.

Zitatnachweis:
Nikolaus von Kues: Der verborgene Gott. Ein Gespräch zwischen einem Heiden und einem Christen. Lateinisch und deutsch. Übertragung und Nachwort von Fritz Stippel. Erich Wewel Verlag, Freiburg im Breisgau, dritte verbesserte Auflage 1952, hier S. 10

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Haben uns Sophokles und die Griechen noch etwas zu sagen?

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Juli 112015
 

Immer wieder tauchen wir hinab in die alte, griechisch sprechende Welt, die Europa zu dem werden ließ, was es heute zu werden verspricht. In den attischen Tragödien des 5. und 4. Jahrhunderts vor Christus werden zahllose Fragen erörtert, die uns bis zum heutigen Tage beschäftigen. Etwa die folgende:

Was hält Europa und die Europäische Union zusammen?

“Die Wirtschaft!” werden die meisten sagen. “Der freie Austausch an Waren und Dienstleistungen sichert den Zusammenhalt!”.

“Der acquis communautaire!” schallt es aus Brüssel zurück. “Die etwa 100.000 Seiten gemeinsamer Rechtstexte über Ansprüche und Rechte der Mitgliedsstaaten sind eine unlösbare institutionelle Klammer!”

“Der Euro!”, werden wieder andere einwerfen. “Nur durch die Gemeinschaftswährung werden die Schicksale der Staaten so unlösbar verknüpft, dass Wohlstand, Wachstum und soziale Gerechtigkeit gesichert sind.”

Kaum ein Zweifel darf bestehen, dass die Europäische Union und überhaupt europäische Politik auf der Wirtschaft und auf dem Geld begründet ist. Das Geld und die Wirtschaft sind – nach der aktuellen Politik zu urteilen – die eigentlichen Fundamente und der Maßstab der Europäischen Union.

“Lernt doch erst mal griechische Texte lesen”, begehre ich auf, wenn wieder einmal derartige Reden geführt werden. “Habt ihr nicht die Antigone des Sophokles gelesen?”

Erstaunlich etwa, was König Kreon in der Antigone des Sophokles über das Geld sagt:

οὐδὲν γὰρ ἀνθρώποισιν οἷον ἄργυρος

κακὸν νόμισμ᾽ ἔβλαστε. τοῦτο καὶ πόλεις

πορθεῖ, τόδ᾽ ἄνδρας ἐξανίστησιν δόμων·

τόδ᾽ ἐκδιδάσκει καὶ παραλλάσσει φρένας

χρηστὰς πρὸς αἰσχρὰ πράγματ᾽ ἵστασθαι βροτῶν·

Meine deutende Übersetzung in modernes Deutsch lautet:

“Denn keine so schlimme Gesetzesgrundlage erwuchs für Menschen wie das Geld. Es zerstört sogar Städte, es vertreibt Männer aus den Häusern, Geld prägt Mentalitäten um, so dass die an sich richtige Gesinnung zum Niederträchtigen gewendet wird.”

In diesen Versen (295-299), die wohl um das Jahr 442 vor Christus entstanden, schreibt Kreon dem Geld eine unterminierende, gemeinschaftsszerstörende Kraft zu. Keine schlechtere Grundlage für Gesetze als das Geld gibt es. Fremdes Geld zerstört den Zusammenhalt der Polis, Geldgier führt zu Hader, Zank und Zwietracht in der Stadt, die Gier nach Silber brachte die griechischen Städte gegeneinander auf.
Ich meine: Der Ansatz, die Europäische Union vornehmlich auf dem Geld begründen zu wollen, hat uns alle in die Irre geführt.

Die Europäische Union muss stattdessen auf anderen, auf kulturellen Werten, vor allem auf dem freien Wort stets von neuem begründet werden!

Weit geschmeidiger, weit moderner als der Kreon des 5. Jahrhunderts v. Chr. drückte dies kürzlich ein Schriftsteller, der unter uns lebende Petros Markaris in folgenden Worten aus:

Wir haben mit der Einführung des Euro diese Werte vernachlässigt und Europa mit dem Euro identifiziert. Und jetzt, mit der Rettungsaktion für den Euro, werfen wir die gemeinsamen Werte, die Diversität der europäischen Geschichte, die verschiedenen Kulturen und Traditionen als Ballast über Bord. Europa hat viel in die Wirtschaft investiert, aber zu wenig in die Kultur und die gemeinsamen Werte.

Quellen:

Sophoclis fabulae. Ed. A.C. Pearson, Oxonii 1975, Ant. vv. 295-300

Süddeutsche Zeitung, 26.01.2012:

http://www.sueddeutsche.de/politik/reise-des-schriftstellers-petros-markaris-die-krise-hat-das-letzte-wort-1.1267452

The Little Sailing: Ancient Greek Texts

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Juli 112015
 

Vita enim sine verbo incerta est et obscura, so sagt es Martin Luther aus tiefer Überzeugung und völlig zu Recht (WA 18, 655, 10).

Zu deutsch: „Ein Leben ohne das Wort ist ungewiß und dunkel.“

So dürfen wir heute sagen: „Ein Europa ohne Wort ist ungewiß und dunkel.“ Europa sine verbo incerta est et obscura.

Zu griechisch: Η Eυρώπη χωρίς το λόγο είναι αβέβαιο και σκοτεινό.

Das Licht, die Wahrheit Europas kommt nicht vom mythischen Geld und nicht vom märchenhaften Gold her, sondern vom Wort, – vom „Logos“ also, vom logischen Denken, Erkennen, Fühlen und Handeln.

„Scheitert der Euro, scheitert Europa.“ Diese Festnagelung der Europäischen Union, schlimmer noch diese Festnagelung Europas auf das Geld, auf den Euro, dieses monetaristisch-kapitalistische Euro-Evangelium war eine falsche Erlösungslehre, eine Irrlehre, ein trügerischer Mythos, der zu nichts Gutem geführt hat außer zu der Erkenntnis, dass nicht der blind geglaubte Mythos vom Euro, sondern nur der vernünftige Glaube an die gute, verbindendende, versöhnende Macht des Wortes den Frieden und die Eintracht stiften kann, die wir dringend brauchen.

Luther (WA 18, 655, 10) hier zitiert nach:
Joachim Ringleben, Das philosophische Evangelium. Theologische Auslegung des Johannesevangeliums im Horizont des Sprachdenkens. Verlag Mohr Siebeck, Tübingen 2014, S. 465 (Anm. 71)

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„Pénitence éternelle – ewige Reue“? Der Ruf des Mahners Thomas Piketty

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Juni 252015
 

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Gute Einwürfe zum Thema Schuld und Schulden gestern am Johannestag, dem 24. Juni! Johannes der Täufer forderte die plötzliche, den ganzen Menschen erfassende Umkehr. Rückkehr zum Geglaubten, Erkenntnis der Fehler, öffentliches Bekenntnis, Vergebung und Verzeihung der Schuld, Erlass aller Schulden, raus aus der Schuld.

Das kann für die EU übrigens auch bedeuten: raus aus dem jetzigen Euroregime, das ähnlich dem 2. Weltkrieg einen Strudel an Staatsverschuldung ausgelöst hat.

Rückkehr zum Geglaubten, Umdenken, also metanoia, Erkenntnis der Fehler, öffentliches Bekenntnis! Das sind die Schritte, die Johannes predigt. Von ewiger Buße, „pénitence éternelle“, ist keine Rede. Schuldenschnitt, Streichung der Schuld! Johannes verlangt die Rückbesinnung auf das, was um des Geldes und der Macht willen verraten ward. Das Bußsakrament des Johannes ist gewissermaßen eine Art individuelle Schuldenkonferenz. Und danach – ist wieder gut.

Ganz ähnlich wie Johannes der Täufer kurz vor dem Auftreten Jesu äußerte sich Thomas Piketty mit klarem Rückgriff auf die katholische Theologie der „kurzen“ Buße gestern in der ZEIT. Piketty verwirft den Gedanken der ewigen Buße, der „pénitence éternelle“. Er verwirft den Gedanken der Alternativlosigkeit, wie ihn fast alle deutschen Bundestagsparteien – allen voran die CDU und die SPD – vertreten.

Piketty hat erkannt, dass die Politik der Spitzenpolitiker der EU die Länder in unhaltbare Verschuldung hineingetrieben hat. Es sei genauso schlimm wie am Ende des 2. Weltkrieges! Die Politik der EU-Staaten und der EU insgesamt hat finanztechnisch laut Piketty unter dem heillosen Euro-Regime genauso verheerend gewütet wie der 2. Weltkrieg. Eine beispiellos niederschmetternde Bilanz.

Am schlimmsten ist zweifellos der Vertrauensverlust. Vertrauen zwischen den Staaten ist zerstört worden. Vertrauen der Bürger in die Weisheit und Einsichtsfähigkeit der Politiker ist zerstört.

Martin Schulz, der Präsident des Europäischen Parlaments, hat sich ganz im Sinne des Täufers geäußert, als er zur Begrüßung des Papstes im Europäischen Parlament im November 2014 sagte: „Besonders dramatisch ist der Vertrauensverlust von Menschen ihren Institutionen gegenüber. Ob auf nationaler oder europäische Ebene: Der Vertrauensverlust ist enorm. Ohne Vertrauen aber kann keine Idee und schon gar keine Institution dauerhaft bestehen.

In einer kanadischen Zeitung fand ich folgende Bemerkung Thomas Pikettys über den raschen, den entschlossenen Wandel, die Umkehr zum Besseren, wie ihn auch Johannes der Täufer forderte, wobei ich mir erlaube, den Begriff ewige Buße – pénitence éternelle – hervorzuheben:

«Ce que nous enseigne l’histoire, c’est qu’il y a toujours des alternatives afin de réduire la dette publique. Mais l’idée que la seule possibilité, c’est la pénitence éternelle en remboursant lentement par des excédents budgétaires, cette idée est toute simplement fausse historiquement puisqu’on observe plusieurs cas de figure où les choses se sont faites beaucoup plus rapidement et cela n’a pas nui aux pays», analyse l’économiste.

Source: L’apôtre de l’anti-austérité | Le Journal de Montréal

Bild: Los desastres de la deuda pública – una pesadilla. Zeichnung von Francisco Goya. The Morgan Library Museum

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Το ευρώ είναι το σύμβολο της Ευρώπης; – Ist der Euro das Symbol Europas?

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Juni 192015
 

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– Betrachte dieses Foto! Was erkennst du?

– Ich sehe das Brandenburger Tor und das Reichstagsgebäude und darauf 2 Flaggen: die Europaflagge und die deutsche Bundesflagge.

– Sehr gut! Nenne mir die Gemeinsamkeiten zwischen diesen vier Gegenständen!

– Es sind Gegenstände mit einer besonderen Bedeutung. Brandenburger Tor, Reichstagsgebäude, Bundesflagge und Flagge der Europäischen Union stehen für etwas anderes. Sie sind mit Bedeutung aufgeladen.

– Wie nennst du solche Gegenstände, die mit Bedeutung aufgeladen sind?

– Es sind Symbole.

– Richtig. Was weißt du über Symbole?

– Symbole stehen sinnbildlich für einen Begriff, eine Überzeugung oder einen Glauben. Das Symbol, griechisch Symbolon, ist ein Erkennungszeichen. So steht etwa die Bundesflagge Schwarz-Rot-Gold als Symbol für die Bundesrepublik Deutschland. Das Brandenburger Tor steht symbolisch für Deutschlands Einheit, für den Fall der Berliner Mauer, für die Einheit Europas und für den Fall des Eisernen Vorhangs.

– Du hast gut geantwortet!

So weit ein kurzer Dialog, wie er sich gestern oder irgendwann abgespielt haben könnte.

Symbolon lautete aber auch der alte griechische Name für das Glaubensbekenntnis der frühen Christen. Manche Christen kennen wohl noch das Symbolon apostolicum, das Apostolische Glaubensbekenntnis, oder das Symbolon nikaeanum, das Nizänische Glaubenbekenntnis.

„Ist der Euro das Symbol Europas?“ „Το ευρώ είναι το σύμβολο της Ευρώπης;“ So fragen wir heute. Kein Zweifel: Die führenden Politiker, insbesondere der amtierende Präsident der EU-Kommission Juncker und die CDU haben sich festgelegt. Für sie ist der Euro in herausgehobener Weise das Symbol der Einigung Europas. Sie glauben dies fest und bekennen diesen Glauben auf Schritt und Tritt.

Sehr schön ist dieses überzeugte Glaubensbekenntnis zum Euro erst gestern wieder in der Regierungserklärung im deutschen Bundestag zu hören gewesen. Hier tritt die Doppelnatur des Symbolbegriffes – Sinnbild UND Glaubensbekenntnis – besonders schön zutage! Der Euro ist nämlich in den Augen der europäischen und deutschen Christdemokraten das Symbol Europas schlechthin, und das Bekenntnis zum Euro gilt für Europas christlich-demokratische Spitzenpolitiker eindeutig und unhintergehbar als Bekenntnis zu Europas Einheit schlechthin.

Zitat aus der Regierungserklärung im Bundestag von gestern:

Die Idee des Euros und derer, die ihn erfunden haben, war immer weit mehr als eine Währung. Der Euro stand und steht symbolisch für die europäische Einigung wie keine andere Entscheidung.“

Source: „Wo ein Wille ist, ist ein Weg“ – Nachrichten Print – DIE WELT – Wirtschaft (Print DW) – DIE WELT

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„Wir glauben!“ Glaube ersetzt Berge

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Juni 152015
 

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„Ja, wo sind denn deine gerühmten Berge?“, so fragte mich kürzlich in gespielter Empörung ein Urlaubsreisender, als er in dichtestem Nebel ins Werdenfelser Land einfuhr. „Ich sah sie gestern! Sie waren gestern noch da. Glaube nur! Der Glaube ersetzt Berge“, erwiderte ich in gespieltem Gleichmut wie aus der Pistole geschossen. Und ich sollte recht behalten.
Am nächsten Tag lichtete sich der Nebel – und die Berge waren alle wieder da: der Kramer, der Waxenstein, die Zugspitze, alle alle waren wieder da.

Dieser triviale Dialog fällt mir wieder ein, wenn ich lese, was der Blogger Olivier Blanchard, Chefvolkswirt des Internationalen Währungsfonds, gestern im IWF-Blog bekundet hat. Alles steht und fällt laut Blanchard mit dem Glauben (belief) an diese oder jene politische Maßnahme.

Über weite Strecken nimmt der Kampf um die Rettung des Euro Züge eines Mysterienspiels, eines Religionszwistes an. Die letzte Entscheidung über Wohl und Wehe der europäischen Einheitswährung hängt derzeit vom persönlichen GLAUBEN der Entscheider im IWF, in der EZB, in der EU-Kommission ab. Glauben heißt etwas oder jemanden subjektiv als gut oder erstrebenswert einzuschätzen. Unübertrefflich ist dies dokumentiert in dem Blogbeitrag des Chefvolkswirtes des IWF.

WE BELIEVE … mit dieser dreifachen Bekräftigungsformel unterstreicht der IWF-Vertreter die fundamentale Wichtigkeit des Glaubens in dieser langjährigen spektakulären Inszenierung, genannt Eurorettung. Glauben heißt persönlich Vertrauen und heißt Nicht-sicher-wissen. Der Euro ist in der Tat letztlich eine Glaubenssache. Entweder man glaubt weiterhin an den Euro, also an das Geld als letzthinniges oder einziges Fundament der Europäischen Union und nimmt dafür weiterhin Zwist, Zwang, Uneinigkeit, Rechtsbruch, Neid, Armut und Streit zwischen den Staaten in Kauf. Oder man glaubt, dass die Europäische Union ihre letzte Begründung in anderen Werten wie etwa Freiheit, Recht und Einigkeit sowie der Gewaltentrennung zwischen der Dreifalt aus Legislative, Exekutive, Judikative hat.

Man kann an den Verbleib Griechenlands im Euro glauben oder nicht glauben. Wenn an den Verbleib Griechenlands im Euro-Währungsverbund weiterhin von allen Entscheidern unerschütterlich geglaubt wird, wenn es also von allen maßgebenden Personen gewollt und ersehnt wird, dann wird Griechenland im Euro-Verbund bleiben. Wenn nicht, dann nicht.

Echter religiöser Glaube wie der Euro-Glaube verlangt jedoch auch Hingabe, verlangt Opfer sowohl von den Glaubenden, die in diesem Fall „CREDITORS“, also „GLÄUBIGER“ heißen, als auch von den „SCHULDIGEN“, die in diesem Fall „SCHULDNER“, also „DEBTORS“ heißen.

Unter dieser Perspektive empfehle ich den Blogbeitrag des IWF-Bloggers Olivier Blanchard einer vulgärtheologisch gestützten Analyse. Ich habe die religiösen Formeln und Wendungen hier durch Fettdruck hervorgehoben.

[…] On the one hand, the Greek government has to offer truly credible measures to reach the lower target budget surplus, and it has to show its commitment to the more limited set of reforms. We believe that even the lower new target cannot be credibly achieved without a comprehensive reform of the VAT – involving a widening of its base – and a further adjustment of pensions. Why insist on pensions? Pensions and wages account for about 75% of primary spending; the other 25% have already been cut to the bone. Pension expenditures account for over 16% of GDP, and transfers from the budget to the pension system are close to 10% of GDP. We believe a reduction of pension expenditures of 1% of GDP (out of 16%) is needed, and that it can be done while protecting the poorest pensioners. We are open to alternative ways for designing both the VAT and the pension reforms, but these alternatives have to add up and deliver the required fiscal adjustment. On the other hand, the European creditors would have to agree to significant additional financing, and to debt relief sufficient to maintain debt sustainability.We believe that, under the existing proposal, debt relief can be achieved through a long rescheduling of debt payments at low interest rates. […]

Source: Greece: A Credible Deal Will Require Difficult Decisions By All Sides | iMFdirect – The IMF Blog

Bild: Der Kramer, ein seit Jahrtausenden bestehender Berg in Europa. Auch das ist Europa. Aufnahme vom 12.06.2015

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