Nov. 242009
 

24112009.jpg Das Konzert „Fanny und Felix – das geheimnisvolle Band“ hat stattgefunden! Es war sehr sehr schön für mich! Nebenstehend seht ihr ein Foto des jungen Publikums.

Erik, Mischa, Mark, Natalia spielten, dass es eine Freude war. Ira sang Fanny Hensel, ich geigte Mendelssohn.

Zum ersten Mal unternehme ich den Versuch, die tägliche Rückschau als Video einzustellen. Klickt hier drauf!

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Nov. 202009
 

Mit größter Bewunderung besuchte ich am 17.11. die neue Ausstellung im Martin-Gropius-Bau: taswir. islamische bildwelten und moderne. Es ist eine üppig sprießende, mit Gelehrsamkeit gesättigte, künstlerisch neue Pfade beschreitende Landschaft des Denkens und Fühlens. Auffallend ist die karge Gegenständlichkeit! Das Ornamentale, Großflächige herrscht vor. Bei einem alten Kodex islamischen Rechts aus dem 13. Jahrhundert fühlte ich mich unwillkürlich an Seiten aus dem jüdischen Talmud erinnert, die ganz ähnlich aufgebaut sind: In der Mitte steht der kanonische Text, darum herum haben verschiedene „Hände“, also verschiedene Schreiber, ihre Deutungsversuche angefügt. So sieht das aus:

Man könnte auch an die „Worte in Freiheit“, die „parolibere“ der italienischen Futuristen denken – großzügig, weiträumig über das ganze Blatt ausgeteilte Worte und Fragmente, deren Gesamtsinn sich erst in der Zusammenschau dem Auge erschließt.

Die Ausstellungsmacher haben nicht versäumt, auch unseren Heros des christlich-islamischen Dialogs, den von mir so sehr verehrten Meister Goethe, mit einem Sinnspruch zu würdigen, und zwar im Saal „Picasso und Qur’an“. Qur’an kommt ja von arabisch lesen, rufen, rezitieren, so wie das Wort lehren – nach Meinung der Begleittexte aus der Ausstellung – von altdeutsch „löhren“ = „laut Krach machen“ kommt.

Zum guten Lehren gehört das Rufen, das Sprechen und Vernehmen.  Erst ganz spät wird Lehre und Lernen zur stummen, einsamen Beschäftigung. Ich selbst lese mir immer wieder Texte in allen Sprachen, die mir zu Gebote stehen, laut vor. So habe ich mir nach und nach über viele Jahre hinweg eine gewisse Kenntnis mindestens meiner deutschen Muttersprache durch Lärmen und Rufen erarbeitet.

Auch Hamed Abdel-Samad, der Sohn des ägyptischen Imams, berichtet, dass er vor allem durch das laute Hören und Rufen nach und nach den ganzen Koran auswendig lernte. Eine Schulung, die es ihm ermöglichte, nach und Englisch, Französisch, Deutsch und Japanisch bis zur Beherrschung zu „erlärmen“.

Auch Musik ist ein Lärmen und Lehren. Heute stellte ich die vier Lieder zusammen und ließ sie den Lehrern unserer Schule mit folgendem Schreiben zukommen:

 

An das Lehrerkollegium Fanny-Hensel-Grundschule 

Kreuzberg, den 20.11.2009 Lieder für das Schulkonzert am 24.11.2009 Liebe Lehrerinnen und Lehrer,
 wir freuen uns auf das Konzert am kommenden Dienstag. Zur Vorbereitung habe ich Ihnen die vier von Fanny und Felix vertonten Lieder abgedruckt, die Ira Potapenko in der Lukaskirche singen wird. Da ich selbst „in alten Zeiten“ jahrelang als Lehrer gearbeitet habe, kam ich nicht umhin, Ihnen einige Vorschläge für den Einsatz im Unterricht hinzuzufügen. Diese vier Lieder eignen sich hervorragend, um unsere Kinder mit spannenden Bildern und Rätseln zu fesseln, sie zum Erzählen, Schreiben und Malen anzuregen. Nicht zuletzt bieten sie Ansätze für das so häufig verlangte multikulturelle Arbeiten. Bitte bedenken Sie: Goethe ist wohl derjenige Autor, der am ehesten unseren muslimisch geprägten Kindern und Eltern einen Zutritt zur deutschen Literatur ermöglichen kann. Zögern Sie nicht, aus dem reichen Schatz der Goetheschen Sprüche, Kinder- und Spottgedichte weitere Beispiele für den Deutschunterricht auszuwählen. Für Fanny Hensel wiederum und ihren Bruder Felix war Goethe ein Fixstern. Ich wage zu behaupten: Wer Goethe nicht kennt, wird auch keinen Zugang zu Fanny Hensel und Felix finden. 

Mit herzlichem Gruß 

 

 

 

Pagenlied Wenn die Sonne lieblich schiene, aus: „Der wandernde Musikant. “Worte von Joseph von Eichendorff Musik von Felix Mendelssohn Bartholdy Wenn die Sonne lieblich schiene
Wie in Welschland lau und blau,
Ging‘ ich mit der Mandoline
Durch die überglänzte Au.
In der Nacht dann Liebchen lauschte
An dem Fenster süß verwacht,
Wünschte mir und ihr, uns beiden,
Heimlich eine schöne Nacht.
Wenn die Sonne lieblich schiene
Wie in Welschland lau und blau,
Ging‘ ich mit der Mandoline
Durch die überglänzte Au.
 

 

 

 

 

Aufgaben für die Kinder:  

Was ist ein wandernder Musikant? 

Was ist Welschland?  

Was ist eine Mandoline? Zeichne eine! 

Stell dir vor, Du wärest so ein wandernder Musikant! Du hättest kein Geld. Du müsstest dir dein ganzes Geld durch Musikmachen verdienen. Irgendwo im Ausland. Wie würdest du dich fühlen? Erzähle! Wohin würdest du wandern? 

 

 

Suleika von Johann Wolfgang von Goethe aus: West-östlicher Divan Musik von Fanny Hensel

        Ach, um deine feuchten Schwingen,
West, wie sehr ich dich beneide!
Denn du kannst ihm Kunde bringen,
Was ich in der Trennung leide.
Die Bewegung deiner Flügel
Weckt im Busen stilles Sehnen;
Blumen, Augen, Wald und Hügel
Stehn bei deinem Hauch in Tränen.
Doch dein mildes sanftes Wehen
Kühlt die wunden Augenlider;
Ach, für Leid müßt ich vergehen,
Hofft ich nicht zu sehn ihn wieder.
Eile denn zu meinem Lieben,
Spreche sanft zu seinem Herzen,
Doch vermeid, ihn zu betrüben,
Und verbirg ihm meine Schmerzen!
Sag ihm, aber sag’s bescheiden:
Seine Liebe sei mein Leben!
Freudiges Gefühl von beiden
Wird mir seine Nähe geben.

 

Aufgaben für die Kinder:

Suleika ist ein arabischer Name. Was bedeutet er? Kannst du so gut Arabisch, dass du uns den Namen übersetzen kannst? Kennst du ein Mädchen oder eine Frau, die so heißt? Erzähle uns von ihr!

Was glaubst du: Wer singt hier? Ein Mann oder eine Frau?

Stell dir vor: Du spürst den Wind wehen. Was erzählt dir der Wind? Schreibe einen kleinen Brief an den Wind!

 

Hexenlied

von Ludwig Heinrich Christoph Hölty
Musik von Felix Mendelssohn Bartholdy

Die Schwalbe fliegt,
Der Frühling siegt,
Und spendet uns Blumen zum Kranze!
Bald huschen wir
Leis‘ aus der Thür,
Und fliegen zum prächtigen Tanze!

Ein schwarzer Bock,
Ein Besenstock,
Die Ofengabel, der Wocken,
Reißt uns geschwind,
Wie Blitz und Wind,
Durch sausende Lüfte zum Brocken!

Um Belzebub
Tanzt unser Trupp,
Und küsst ihm die dampfenden Hände;
Ein Geisterschwarm
Fasst uns beim Arm,
Und schwinget im Tanzen die Brände!

Und Belzebub
Verheißt dem Trupp
Der Tanzenden Gaben auf Gaben;
Sie sollen schön
In Seide gehn,
Und Töpfe voll Goldes sich graben.

Die Schwalbe fliegt,
Der Frühling siegt,
Und Blumen entblühn um die Wette!
Bald huschen wir
Leis‘ aus der Thür,
Und lassen die Männer im Bette!

 

Aufgaben für die Kinder zum Hexenlied:

Was glaubst du: Gibt es Hexen? Wo wohnen sie? Erzähle!
Male ein Bild zu diesem Lied!
Was ist ein Wocken? Zeichne einen!
Wer ist Belzebub? Wie heißt Belzebub im Islam?

Schilflied

 

von Nikolaus Lenau 

Musik von Felix Mendelssohn Bartholdy 

Auf dem Teich, dem regungslosen,
Weilt des Mondes holder Glanz,
Flechtend seine bleichen Rosen
In des Schilfes grünen Kranz.

Hirsche wandeln dort am Hügel
Blicken in die Nacht empor;
Manchmal regt sich das Geflügel
Träumerisch im tiefen Rohr.

Weinend muss mein Blick sich senken;
Durch die tiefste Seele geht
Mir ein süßes Deingedenken,
Wie ein stilles Nachtgebet.

 

Aufgaben für die Kinder: Zeichne die Tiere aus diesem Gedicht. Zeichne alle Pflanzen aus diesem Gedicht. Wo gibt es Schilf in der Nähe unserer Schule? Zeige uns das Schilf! Stell dir vor, du sollst einem Touristen deine Schilflandschaft zeigen. Was sagst du? Wo gibt es einen Teich?

Erzähle!

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„Ich bin auch noch da!“

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Okt. 082009
 

Schaut euch noch einmal das Bild von gestern an. Ihr seht den fleißigen Blogger Johannes Hampel im Kreise der Zauberflöten-Kinder von der Fanny-Hensel-Grundschule nach der Aufführung von Mozarts Singspiel „Die Zauberflöte“.

Nun ratet mal, welcher Muttersprache diese Kinder zugehören! Seht ihr die beiden großen blonden Kinder? Deren Mütter sprechen zuhause Russisch und Polnisch. Die Mütter aller anderen Kinder sprechen zuhause teils Arabisch, teils Türkisch. Eine spricht Italienisch. So sieht es aus. Das ist die Lage an unserer Grundschule. Es sind alles gute, fröhliche, aufgeweckte Kinder. Der da so vorlaut den Finger hochreckt, der blonde Junge, das ist mein Sohn. Deutsche Kinder, überwiegend hier geboren, alle hier in Deutschland aufwachsend. Sie sind unsere Zukunft. Wir tragen alle für sie Verantwortung – ehe sie dann für uns Verantwortung übernehmen. Wie heißt es doch so schön?

Am Ende hängen wir doch ab
von denen, die wir machten.

Kennt ihr den Namen des deutschen Dichters, der solches schrieb? Sagt euch sein Name noch etwas, oh ihr guten deutschen Erwachsenen, die ihr dies lest? Er hieß Goethe. Ü-ber-ra-schung! Sagt euch der Name Mozart noch etwas? Diesen Kindern aus deutsch-türkischen und deutsch-arabischen, aus deutsch-russischen und deutsch-polnischen Familien sagt er etwas! Ich gebe euch mein Wort.

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„Wann machen wir die nächste Probe?“

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Sep. 032009
 

Manches hat sich geändert im neuen Schuljahr. Klassen wurden aufgelöst und neu zusammengelegt. Das erste Jahr mit dem Experiment „Jahrgangsübergreifendes Lernen“ läuft jetzt auch in der Fanny-Hensel-Grundschule an. „Wir sind jetzt drei Klassen in einer!“, berichtet stolz mein Sohn. Und er erzählt: „Wir sitzen jetzt alle sortiert.“ Uralte Schwarzweiß-Fotos fallen mir ein: Auf Holzbänken sitzend – die Kinder eines ganzen Dorfes nach Jahrgängen „sortiert“.

Trotz der verblassten Nostalgie-Fotos bleibe ich bei meinem Optimismus: In jeder Situation gilt es das Beste zu bewirken, egal ob man früher eher „dafür“ oder „dagegen“ war. Und ich bin sicher, dass die Lehrerinnen und die Schüler im Bunde mit uns Eltern auch in diesem Schuljahr wieder sehr viel Gutes schaffen werden. Ich setze mein Vertrauen ganz auf diese Menschen. Sehr viel weniger auf „die Schulpolitik“.

Heute lernte ich den neuen Religionslehrer kennen, der gerade die Schülerschar nach oben ins „Religionszimmer“ bringt. Da kommt ein 7-jähriges Mädchen auf mich zugestürzt: „Du, wann machen wir die nächste Probe? Bitte bitte!“ Kaum zu glauben: Die Proben für die Zauberflöte liegen doch jetzt schon viele Monate zurück. Aber immer noch sprechen mich die Mädchen und Buben darauf an, wollen wissen, wieviel so eine Geige kostet, wollen wissen, wie ich heiße, reichen mir die Hand, um Freundschaft zu schließen. Und dabei habe ich mich eigentlich nur an das Projekt meiner Frau Ira drangehängt.

Auffallend: Nicht die Aufführung des Mozartschen Singspiels bleibt offenbar als besonders glücksbringend im Gedächtnis, sondern die Arbeit vor der Aufführung, also die anstrengenden Proben.

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Juli 052009
 

Der Donnerstagabend stand im Zeichen der Diskussion  über Parallelgesellschaften und Integration. Mir war im Glashaus (die Kneipe heißt wirklich so!) die ehrenvolle Aufgabe des Moderators zugedacht. Gleich zu Beginn lobte ich die deutsche U21-Nationalmannschaft über den grünen Klee und zitierte ausführlich aus einem Interview mit dem Spielführer. Ich meine in der Tat: Wenn man gemeinsame Teams bildet, wenn alle an einem Strang ziehen, dann gelingt Integration.

Oberschulrat Schmid schlug, gestützt auf umfangreiches Wissen aus seiner Verwaltungspraxis, deutlich pessimistischere Töne an als dieser Blogger in all seiner Blauäugigkeit. Über weite Viertel Berlins bestünden bereits jetzt verfestigte Parallelgesellschaften. Sie seien gekennzeichnet durch ein archaisches Rollenverständnis und geringe Bildungsanstrengungen. Diese abgeschotteten Parallelwelten gelte es aufzubrechen: erstens durch konsequente Integration, zweitens durch das Einfordern und Durchsetzen guter deutscher Sprachkenntnisse und drittens durch einen deutlichen Mentalitätswandel bei den Eltern. Ihnen komme eine entscheidende Bedeutung zu.

Der Befund des Herrn Schmid  wie auch die Beiträge der anschließenden Diskussion lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Aufgrund jahrzehntelanger Fehler und Versäumnisse bei den Zuwanderern selbst wie bei der Politik hat sich nunmehr ein massives Integrationsdefizit bei der überwiegenden Mehrheit der Zuwanderer aus islamischen Kulturkreisen verfestigt. Es fehlt an grundlegenden Sprachkenntnissen, an Kenntnissen und Fertigkeiten bei der gesellschaftlichen Teilhabe. Die Vorstellungen, dass mehrere voneinander abgeschottete Kulturen in einem Land nebeneinander ohne einen gemeinsamen Bestand an Werten existieren könnten, hat in die Sackgasse geführt.

Nur durch massive Anstrengungen, die vor allem durch die Migranten selbst zu erbringen sind, werden die Ghettogrenzen des Migranten-Status aufzubrechen sein. Dem muss eine großangelegte Bildungsoffensive dienen.

Weitere Themen, über die gesprochen wurde, über die jedoch keine Einigkeit erzielt wurde, waren das Gottesbild im Islam, die Rolle der Religionen bei Fanatismus und Glaubenskämpfen sowie auch Wesen und Natur des Islam überhaupt. Ist der Islam eine Religion oder ein umfassendes System, das alle Lebensbereiche durchdringt? Ist der Gott des Islam ein rächender, strafender Gott oder ein barmherziger, versöhnender? Welche Vielfalt an Gottesbildern gibt es in der Tora der Juden, im Neuen Testament der Christen, im Koran der Muslime?

Mir fällt ein, dass einmal ein irakischer christlicher Asylbewerber gefragt wurde: „Erklären Sie den Unterschied zwischen dem islamischen und dem christlichen Gottesbild!“ Damit sollte er beweisen, dass er würdig und recht sei, als Asylbewerber anerkannt zu werden.

Ich meine: Wer so fragt, hat schon bewiesen, dass er wenig Ahnung hat. Im Christentum, aber auch im Judentum gibt es mehrere, einander teilweise widersprechende Gottesbilder, die sich letzlich nur als Abfolge von Offenbarungen aufeinander beziehen lassen. Es gibt schlechterdings kein einheitliches Gottesbild im Christentum – weder in der Bibel noch im nachbiblischen Christentum. Der rächende, der strafende Gott ist von den ersten Kapiteln der Genesis bis zu der Offenbarung des Johannes spürbar. Ebenso auch der liebende, verzeihende, der barmherzige Gott. Ähnliches, so vermute ich, dürfte für den Gott des Korans gelten.

Oft wird auch fälschlich behauptet, der Gott der Juden sei der strafende, eifernde Gott, der Gott der Christen der verzeihende, gütige. Nichts ist falscher als das. Derartige Behauptungen lassen sich nur mit mangelnder Kenntnis der Schriften erklären.

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Juli 012009
 

Am 4. Juni 2009 sprach Präsident Obama bei seiner großen Rede in Kairo eine Wahrheit aus, die wenigen geläufig ist:

The White House – Press Office – Remarks by the President at Cairo University, 6-04-09
The dream of opportunity for all people has not come true for everyone in America, but its promise exists for all who come to our shores — and that includes nearly 7 million American Muslims in our country today who, by the way, enjoy incomes and educational levels that are higher than the American average.

Auf gut Deutsch: Die Muslime der USA haben ein höheres Durchschnittseinkommen als der Durchschnitt der gesamten Bevölkerung. An der Religion kann es also nicht liegen, wenn die Einwanderer aus muslimischen Ländern in Deutschland in nahezu allen Bereichen – Einkommen, Bildungsgrad, Arbeitslosigkeit – schlechter dastehen als der Durchschnitt. Nein, es muss andere Ursachen haben.

In ihrem Buch über Die letzte Volkspartei  (S. 157)  schreibt Mariam Lau:

Die Gründe für die Gewalt junger Ausländer sind weniger geheimnisvoll, als in der Diskussion damals oft suggeriert wurde. Prügelnde Väter, ein Ausmaß an Sozialhilfe, das jede eigene Anstrengung im Kern erstickt, die Priorität der Familie gegenüber den Einzelnen, die natürlich die Ausprägung eines individuellen Gewissens und ein eigenes Verhältnis zur deutschen Gesellschaft untergraben, gehören dazu. […]

Lange schon ist Deutschland ein Einwanderungsland; die Konservativen wollten das nicht zur Kenntnis nehmen, die Linken wollten nicht über die Schattenseiten reden. In Amerika, wo der Zugang zu Sozialhilfe fast unmöglich, der auf den Arbeitsmarkt dagegen leicht ist, gibt es praktisch keine Kriminalität von Arabern oder Türken. Sie fühlen sich als Amerikaner und empfinden Terror in der U-Bahn als das, was er ist. Die Kultur kann es also nicht sein. […] Viele würden gern alles auf den Islam schieben. Nur gerät man dann in Erklärungsnot, warum die Strukturen in amerikanischen Schwarzen- oder Latino-Vierteln denen in Neukölln so ähnlich sind, während amerikanische Muslime zu den wohlhabendsten und zufriedensten Gesellschaftsmitgliedern der USA gehören.

Ich meine: Wir brauchen ein Ideal von Deutschland.  Ein Ideal, dem jeder beitreten kann, sofern er nur den Willen dazu hat und bereit ist, für sich und andere Verantwortung in diesem Land zu übernehmen. Die ethnische Herkunft ist dabei unerheblich. Entscheidend ist dieser beständige Vorgang der Selbst-Integration. Dieser Prozess hört ein Leben lang nicht auf. Er ist unabschließbar, weil unser Deutschland sich beständig ändert. Es gibt keine materiellen Gewissheiten, die die Zugehörigkeit zu diesem Deutschland sichern. Das Ideal wird nie vollkommen verwirklicht. Wir sind immer unterwegs zu ihm. Aber wir brauchen ein solches Ideal. Und man muss es benennen und erzählen können. Es ist wie ein Traum, der lebbar gemacht werden muss. Weder die Deutschen noch die Ausländer konnten mir bisher genau, mit guten, überzeugenden Bildern erzählen, was dieses Ideal ist.

Wird der Abend morgen im Glashaus mehr Aufschluss bringen?

Buchtipp:

Mariam Lau: Die letzte Volkspartei. Angela Merkel und die Modernisierung der CDU. DVA München 2009. Hier: Ein deutscher Islam? Wie die CDU das Thema Integration für sich entdeckt hat, S. 133-167

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Juni 302009
 

Gestern verfolgte ich das Endspiel der U21-Europameisterschaft am Fernsehen. Klasse herausgespielt, dieser Sieg! Die Verteidigung stand verlässlich, sie war einfach herausragend eingestellt. Sie hielt Özil den Rücken frei, er konnte so seine spielerische Klasse entfalten. Völlig richtig, dass Hrubesch ihn endlich wieder zum echten Stürmer machte und nach links vorne stellte. Das 4-1-4-1-System hat mich überrascht, wahrscheinlich ebenso sehr wie die Engländer!

Wer hätte das gedacht, dass wir Deutschen einen derart klug disponierten Gesamtansatz hinbekommen. Das muss doch auch in der A-Mannschaft möglich sein.

„Er staucht uns zusammen und holt uns gleich danach wieder aus dem Dreck.“ So rühmen die Spieler ihren Trainer. „Wir machen das, was der Trainer sagt, und deshalb haben wir Erfolg.“ Fleiß und Gehorsam in Kombination mit Selbstbewusstsein und Mannschaftsgeist – diese alten Tugenden werden durch Spieler wie Özil, Boateng, Dejagah, Khedira, Castro und Aogo nach Deutschland gebracht. Es sind importierte Werte, oder re-importierte?

Özil, Boateng, Dejagah, Khedira, Castro, Aogo sind unsere Vorzeigedeutschen – sie verkörpern den Willen zum Erfolg. Und dieser Erfolgswille bringt den Erfolg hervor.

Mesut Özil ist der Star der Deutschen. Völlig richtig, dass er zum Spieler des Tages gewählt wurde.

Mein Bruder Muck, langjähriger A-Spieler beim TSV Firnhaberau (Augsburg), kommentierte bei der Geburtstagsfeier am Sonntag, als wir über Migranten in Kreuzberg diskutierten: „Im Fußball klappt Integration schon lange.“ Er hat recht: Der Fußball ist ein Paradebeispiel, dass jeder seine Chance erhält. Fleiß, Disziplin, Einsatzfreude, Teamwork, Einordnung in eine Gruppe, Identifikation mit einem gemeinsamen Ziel: diese Tugenden kann man kaum so gut vermitteln wie im Sport.

„Wir haben Erfolg.“ So betitelte Kerstin Finkelstein ihr Buch über erfolgreiche muslimische Frauen.

Wann kommt ein solches Buch auch über Männer?

Lest hier einiges über unsere bunt zusammengewürfelte Multi-Kulti-Truppe aus der Süddeutschen Zeitung:

U-21-Nationalelf – Multi-Kulti ist normal – Sport – sueddeutsche.de
Andreas Beck wurde in Sibirien geboren, Sebastian Boenisch in Polen, Ashkan Dejagah in Teheran und Marko Marin in Bosnien, Jerome Boateng hat einen ghanaischen Vater, Sami Khedira einen tunesischen und Dennis Aogo einen nigerianischen, Mesut Özil hat türkische Eltern und Gonzalo Castro spanische. Die deutsche Nachwuchsmannschaft ist so international wie noch nie, aber das ist intern nicht mal ein großes Thema. „Wir kennen es aus unseren Klubs nicht anders“, sagt Dennis Aogo.

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Apr. 202009
 

Leider mal wieder völlig abwesend: Hauptschüler, türkische und arabische Schüler – die sollten mal auspacken!

André Schindler, Vorsitzender des Landeselternausschusses Berlin; Cordula Heckmann, Schulleiterin der Heinrich-Heine-Realschule und Leiterin des Jahrgangs 7 an der Gemeinschaftsschule des neues „Rütli-Campus“ in Berlin; Hamburgs Bildungssenatorin Christa Goetsch; Günter Offermann, der Rektor des Schiller-Gymnasiums in Marbach: das waren die Teilnehmer des Forums auf dem taz-Kongress, zielstrebig und klug geleitet von Tazzlerin Anna Lehmann. Ich setzte mich ins Publikum, lauschte. Christa Goetsch stellte das neue Hamburger Modell vor: Das Gymnasium bleibt erhalten, wird nach 12 Jahren zum Abitur führen. Daneben tritt die Stadtteilschule, auf der es 13 Jahre bis zum Abitur dauert. Neue Schulstruktur – neue Lernkultur: das waren auch die Zauberwörter, um die die insgesamt hochanregenden Beiträge kreisten. Lehrer, Schüler und Fachleute diskutierten, tauschten Erfahrungen aus – sehr gut!

Das Gymnasium – ein Auslaufmodell at 30 Jahre taz – tazkongress vom 17. bis 19. April 2009

Die insgesamt sehr gute Diskussion kreiste wie üblich um zwei Pole. Zum einen die Strukturdebatte: „Welche Schulformen werden benötigt?“ und Unterrichtsqualität: „Wie soll gelehrt und gelernt werden?“

In der Debatte meldete ich mich zu Wort. Ich beklagte die ethnisch-religiöse Segregation der Schülerschaft in Kreuzberg, Neukölln und Wedding. Die deutschen Eltern wollen nichts mit den mehrheitlich muslimischen Klassen zu tun haben. Diese Abschottung ist eingetreten, unabhängig von allen Diskussionen um Schulstrukturen und Unterrichtsformen.

Völlig ausgespart blieb das gesamte Leben der Schüler außerhalb der Schule, also die Familien und die Freizeit. Dabei wissen wir in Neukölln und Kreuzberg längst: An die Eltern müssen wir heran. Denn in den Familien, nicht in den Schulen werden offenbar die Weichen für Bildungskarrieren gestellt. Medienberieselung mit türkischem oder arabischem Satellitenfernsehen, Abkapselung nach außen, ein Versagen der Väter, Verhätschelung einerseits, Prügelei andererseits, kein lebbares Männlichkeitsbild, kein Kontakt zur deutschsprachigen Umgebung, eine Unfähigkeit zur sinnvollen Freizeitgestaltung: das scheinen die echten Probleme zu sein. Diese traut man sich aber nur hinter vorgehaltener Hand zu benennen. Stattdessen schüttet man weiterhin Geld in das System und in Strukturreformen, die aber an den Ursachen der Probleme vorbeigehen. Die weitgehende Segregation (Apartheid) der türkischen/arabischen Schüler einerseits, der deutschen Schüler andererseits, ist traurige Realität – unabhängig von der Schulform und der Unterrichtsqualität. Not tun die drei L des Tariq Ramadan: LANGUAGE, das heißt Aufforderung zur Erstsprache Deutsch von frühester Kindheit an auch in den Familien (nach Möglichkeit mit einer Zusatzsprache, etwa Türkisch oder Arabisch), LAW, das heißt Respektierung der freien Persönlichkeit, Einhaltung des Prügelverbotes, Durchsetzung des Verbotes der Körperverletzung, LOYALTY, das heißt: wer in Deutschland geboren wird und aufwächst, ist Deutscher; diese Kinder sollen von Anfang an wissen, dass sie sich zuallererst in diesem Land eine Zukunft erarbeiten müssen. Sie müssen hier Pflichten und Verantwortung übernehmen.

Keines der Ls ist bis jetzt auch nur annähernd erreicht. Im Gegenteil: Man erweckt durch die angestrebten Reformen noch stärker den Eindruck, der Staat werde sich schon um alles kümmern. Das unselige Etikett „Kind mit Migrationshintergrund“ verstetigt die Probleme, statt sie zu lösen, schafft die Zwei-Klassen-Schülerschaft, an der auch die geplanten Reformen nichts ändern werden. Der Staat wird es so nicht schaffen. Die Familien müssen zur Erziehung der Kinder für dieses Land, auf diese Gesellschaft hin ermuntert und genötigt werden.

Nachher sprechen mich verschiedene Teilnehmer an: „Sie haben natürlich recht“, wird mir bedeutet. Nur sagen darf man es nicht so laut. Das stört die einträchtige Harmonie.  Es muss ja noch Stoff zum Diskutieren geben.

 Posted by at 22:59
Apr. 112009
 

iras_mozart_28112007.jpg Eine nette Nachbarin sprach mich auf dem Hof an: „Habe soeben von euch drei in der Berliner Zeitung gelesen!“ Da hätte sich der Pappmaché-Mozart aber gefreut, dass der Name seiner Mutter heute auf S. 15 in der Berliner Zeitung steht!  Und das Beste: Der Name der Puppenmacherin ist fast richtig abgedruckt. Oben seht ihr den kleinen Mozart, als er noch bei uns wohnte. Wir versäumen nicht, diese Ergänzung zu unserem Blog-Bericht vom 02.04.2009 hier ebenfalls einzurücken, wobei wir uns gestatten, den Namen der Mutter richtigzustellen:

Der „Schlüssel“ hat einen Namen : Textarchiv : Berliner Zeitung Archiv
Die Kita-Leiterin spricht von einem „Schüsselerlebnis“, das vor drei Jahren durch „eine resolute Opernsängerin aus Moskau“ hervorgerufen wurde. Falls ihr der Name entfallen sein sollte: Es handelt sich um Irina Potapenko, deren Sohn Wanja von 2005 bis 2008 die Kita am Kleistpark besuchte. Das Konzept zur Musikerziehung stammt von ihr. Sie gab nicht nur ein, sondern fünf Konzerte mit ihrem Mann Johannes Hampel, der sie auf der Geige begleitete. Beide studierten mit den Kindern auch Puppenspiele ein. Alle Requisiten fertigte sie unentgeltlich an, auch den erwähnten Mozart aus Pappmaché vor dem Büro der Leiterin.

 Posted by at 17:48
Apr. 022009
 

mozartbild.jpg Dieses Bild zeigt die Kulissen einer Theateraufführung. Kinder aus der Kita am Kleistpark haben sie unter Anleitung von Irina Potapenko gemalt, Ira hat sie arrangiert und in unsere Mozartaufführung in der Kita eingebaut. Man muss an die Kinder glauben! Wir haben es geschafft: Die Kita am Kleistpark kommt groß raus – der Mozart, den Irina Potapenko in vielen Stunden mit eigenen Händen angefertigt hat, ziert sogar ein Foto in der Berliner Zeitung vom 31.03.2009. Meine Frau Irina und ich, wir haben unseren Sohn damals in die Kita am Kleistpark geschickt und den staunenswerten Aufschwung miterlebt.  Viele Hundert Stunden hat Irina als Mutter ehrenamtlich und ohne Bezahlung für die Kita gewerkelt, wir haben Konzerte und Puppentheateraufführungen gegeben, darunter mehrfach mit Mozart-Theaterstücken.

Sehr lesenswerter Artikel! Nur mit dem russischen Namen meiner Frau Irina Potapenko tun sich die deutschen Leute halt schwer. Den lässt man lieber ganz weg und schmückt sich mit den Früchten der geleisteten Arbeit. Die namenlose Mutti Ira Potapenko erscheint nur als „resolute Opernsängerin“. Dabei hat Irina Potapenko etwas getan, was wir öfter brauchen: Sie hat sich ehrenamtlich in die Kita eingebracht, hat mit Kindern gebastelt und gespielt, große Zauberflötenaufführungen vorbereitet und durchgeführt. Gut auch, dass es jetzt eine bezahlte und angestellte Musikerzieherin gibt, die dort gute Arbeit leistet und diese sehr gut verkauft! Ich meine: Jede Kita sollte ein solch gutes Programm für Musikerziehung haben. Lest selbst den Abschnitt aus dem unbedingt lesenswerten Artikel in der Berliner Zeitung:

 Dass sich die Kinder in der Kita am Kleistpark so viel mit Musik
beschäftigen, hat nicht etwa mit bürgerlichen Bildungsidealen zu tun.
Sondern auch mit Sprachproblemen vieler Eltern und Kinder hier, die
häufig einen Migrationshintergrund haben. Noch vor drei Jahren bangte
die Leiterin um die Zukunft der Kita. „Wir hatten das Problem, dass nur
türkische Familien ihre Kinder anmeldeten“, sagt Ute Kahrs offen.
Deutsche Eltern und Kinder blieben fern. „Mir war klar, dass
Integration nur funktioniert, wenn wir hier deutsche und ausländische
Kinder in Gruppen haben“, sagt sie.

Es gab dann dieses
Schlüsselerlebnis vor drei Jahren. Damals besuchte eine resolute
Opernsängerin die Kita. Die Frau aus Moskau sah sich skeptisch um in
den Räumen und sagte dann: „Kein Klavier? So etwas gibt es in Russland
nicht.“ Das wollte Kahrs nicht auf sich sitzen lassen. Sie besorgte ein
Klavier, und wenig später saß die Opernsängerin davor und gab ein
Klassikkonzert in der Kita. An diesem Abend beobachtete Kahrs die
Kinder, wie sie mit offenen Mündern der Musik lauschten. Das hatte sie
noch nicht erlebt: Kleinkinder, still und konzentriert.

 Posted by at 10:06
Jan. 062009
 

25122008004.jpg Was hält uns in Europa zusammen? So fragten wir in diesem Blog im vergangenen Jahr. Unsere vorläufige Antwort: Es ist nicht klar. Wir wissen es nicht so recht. Und wenn wir es wüssten, müsste es laut und deutlich gesagt werden.

Was hält politische Gemeinschaften zusammen? So fragte Aristoteles. Seine Antwort: „Freundschaft“, das Gefühl einer Zugehörigkeit zueinander. Innerhalb einer Stadtgemeinde dürfe es keine Feindschaften, aber auch keine Gleichgültigkeit  geben, sonst bräche der Zusammenhalt auseinander.

Was hält unsere deutsche Gesellschaft zusammen? So fragen heute die beiden Bürger Ursula von der Leyen und Wolfgang Schäuble in der FAZ auf S. 8. Ich nenne sie Bürger … Moment mal, sind das nicht zwei Politiker, Minister gar? Stimmt, ihr habt recht. Aber die beiden Verfasser schließen ihren Artikel höchst wirkungsvoll mit folgender Schlussformel ab: „… wir alle als Bürgerinnen und Bürger.“ Alle sind wir Bürgerinnen und Bürger, das ist doch ganz meine Rede. Einige dieser Bürger sind daneben auch Politiker, aber Politiker und Bürger sollten sich einig sein in einem gemeinsamen Ethos. So verstehe ich zumindest die beiden Autoren.

Den ganzen Artikel durchzieht die Forderung nach einem gestärkten Miteinander. Nur dann, wenn jede und jeder das Gefühl hat, dazuzugehören und gebraucht zu werden, kann sich eine Gesellschaft auf Dauer den wichtigen Einzelfragen zuwenden. Vereine, Bürgerinitiativen, Mehrgenerationenhäuser – das alles und vieles mehr sind hochwillkommene Beispiele solch tätiger Gemeinschaft, die den Staat trägt. Der Staat kann diesen Wurzelgrund nicht ersetzen, aber er kann ihn fördern.

Wir warfen gestern einen Blick auf das untergegangene Zarenreich. Politiker wie Stolypin kämpften unentwegt für die gemeinsame Sache. Umsonst, es war wohl schon zu spät. Die gesellschaftlich führenden Gruppen und die meisten Politiker, nicht zuletzt auch Zar Nikolaus II. höchstselbst, waren offenbar nicht bereit, eigene Besitzstände aufzugeben. Der Petersburger Blutsonntag von 1905 und viele andere Abwehrreflexe setzten Fanale der Unterdrückung gegen die berechtigten Forderungen der benachteiligten Bauern und Arbeiter.

Wie schreibt doch Vera Lengsfeld in ihrem Buch Neustart auf S. 103? „Und wenn Politiker in der Öffentlichkeit gegen jede mögliche Veränderung vor allem besitzstandswahrende Abwehrreflexe kultivieren, wirken sie lähmend auf die Veränderungsbereitschaft der Gesellschaft.“

Ich meine: Wir brauchen Veränderung, wir brauchen dafür mehr innere Bindung an ein freiheitliches Miteinander. Ich glaube darüber hinaus: Die größten Risiken liegen nicht in der Staatsverschuldung, nicht in der Arbeitslosigkeit, nicht in der Finanzkrise. Die größten Risiken für unsere Republik und auch für die EU liegen darin, dass diese innere Bindung verloren gehen könnte.

Den höchst lesenswerten Artikel aus der heutigen FAZ werde ich mir aufheben. Man könnte ihn auch in einen Artikel für die führenden Boulevardblätter Deutschlands umschreiben, mit kurzen knackigen Sätzen und auf 200 Wörter verkürzt. Die Botschaft würde gut ankommen. Ich wünsche es ihr.

Unser Foto zeigt heute einen Blick in die Neue Oper in Moskau. Dort sahen und hörten wir am 25. Dezember eine Aufführung von Tschaikowskijs Nussknacker. Nach der Erzählung Nussknacker und Mäusekönig von E.T.A. Hoffmann. Auch solche deutsch-russischen kulturellen Gemeinschaftsleistungen halten uns in Europa zusammen.

 Posted by at 16:52

Bildungsvergleich: Ost-Schüler bringen West-Mann in Bedrängnis

 Geige, Gute Grundschulen, Integration durch Kultur?, Kinder, Leitkulturen, Musik, Pflicht, Vorbildlichkeit  Kommentare deaktiviert für Bildungsvergleich: Ost-Schüler bringen West-Mann in Bedrängnis
Nov. 242008
 

Immer wieder gerate ich als einzelner West-Mann unter Druck in den fröhlichen Versammlungen meiner durch Kommunismus und Diktatur geprägten Freunde und Verwandten. So auch wieder gestern: Gemeinsam hörten wir – eine Runde von Musikern und Sängern aus aller Herren Länder, darunter ich als einziger West-Mann – einen privaten Mitschnitt vom Wieniawski-Wettbewerb Lublin 1988. Junge Geiger mussten in drei Runden ein anspruchsvolles Programm vorführen, darunter eben auch einige der schwersten Stücke, die es überhaupt in der Violinliteratur gibt, solche Leckerbissen wie die Variationen über ein eigenes Thema von Henri Wieniawski. Die spätere Siegerin, Natalia Prischepenko aus der damaligen Sowjetunion, hatte es uns gleich von Anfang an angetan: Eine bezaubernde Erscheinung, brachte sie die Emotionen der Musik voller Lebendigkeit, mit Stolz, Selbstgewissheit und Charme über das Podium in den ganzen Saal hinein, technisch makellos, brillant, angriffslustig, aber im Tempo absolut unerschütterlich. Selbst die allerschwersten Variation mit den Pizzicati der linken Hand „stand“ sie ohne Tempoverzögerungen! Jeder einzelne Ton perlte. Hinreißend, und das alles im Alter von 15 Jahren! Ihr Lehrer Zachar Bron saß irgendwo in einer der letzten Reihen, spielte im Geiste und sogar mit Gesten alles mit, ackerte, litt mit der Schülerin … Aber der Erfolg gab den beiden recht.

Oft höre ich dann: „Solche Höchstleistungen in den Bereichen Musik, Naturwissenschaften und Sport brachte eben nur das alte System hervor! Es gab weniger Ablenkung durch Gameboys, Handys und MP3-Player. Talente wurden bis in die hintersten Winkel der Sowjetunion gezielt gefördert. Herkunft zählte nicht – nur die Begabung. Solange man politisch nicht aneckte, konnte man sicher sein, dass eigene Leistungsreserven optimal ausgeschöpft wurden. Ihr im Westen habt dem nichts entgegenzusetzen. Bei euch herscht Kuschelpädagogik. Die soziale und ethnische Herkunft entscheidet hier in Berlin im großen und ganzen über den Bildungserfolg! Ausländer schaffen es kaum nach ganz oben. Das Niveau wird nach unten angeglichen, Leistung wird kaum gefördert.“

Schluck! Ich kann dem kaum etwas entgegensetzen. Das Niveau etwa in der Musikerausbildung war in den Staaten des Ostblocks deutlich höher als in Westeuropa. Dies meine ich wirklich nach Dutzenden von direkten Begegnungen mit Musikern feststellen zu können.

Wer weiß – vielleicht hat das bessere Abschneiden der Ost-Bundesländer auch etwas mit dieser Kultur der Leistung und des Lernens zu tun? Ich vermute dies. Denn die Mehrzahl der Lehrer, die etwa in Sachsen und Thüringen unterrichten, dürften noch aus der DDR stammen. Doch halt – es gibt ja noch Bayern … und da kenn ich mich aus. Denn ich habe mein Abitur in jenem fernen Lande errungen – das allerdings weder dem Osten noch dem Westen, sondern dem stolzen Süden der Republik angehört! Vivat Bavaria.

Bildungsvergleich: Ost-Erfolg bei Pisa macht Westländer neidisch – SPIEGEL ONLINE – Nachrichten – SchulSPIEGEL

Hauptschulen? Nicht in OstdeutschlandSachsen und Thüringen zählen jetzt zu den großen Gewinnern des innerdeutschen Ländervergleichs Pisa-E der 15-jährigen Schüler. Sachsen eroberte den Spitzenplatz in Mathematik und Lesekompetenz sehr knapp vor Bayern. Beim Schwerpunkt Naturwissenschaften liegt das Land international sogar auf dem zweiten Rang hinter Finnland, wenn man die deutschen Bundesländer in die weltweite Studie einsortiert.

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Soll ein Türke deutscher Bundespräsident werden? Die Presseschau

 Integration durch Kultur?, Türkisches  Kommentare deaktiviert für Soll ein Türke deutscher Bundespräsident werden? Die Presseschau
Juli 142008
 

hurriyet14072008.jpg Die Hürriyet macht heute in ihrer Kioskausgabe mit einem Wunsch auf: Ein Türke kann ruhig auch einmal deutscher Bundespräsident werden! So übersetzt mir ein Zeitungshändler die Äußerungen des deutschen Botschafters in der Türkei, Dr. Eckart Cuntz. Ich gerate unversehens in eine Diskussion zwischen deutschen und türkischen Kunden: „Das wäre nicht recht, denn dann würde eine Minderheit über die Mehrheit bestimmen!“, sagt eine Deutsche. „Aber beim Einbürgerungstest konnten viele Deutsche die Fragen nicht richtig beantworten!“, erwidert ein Türke. „Oder wissen Sie, wer die deutsche Nationalhymne gedichtet hat?“ Der Türke schaut uns triumphierend an. Vielleicht will er sagen: Beweist erst einmal, dass ihr richtige Deutsche seid! Jetzt schalte ich mich ein – ich beweise, dass es doch zu etwas gut war, dass meine Eltern mich 13 Jahre zur Schule geschickt haben: „Hoffmann von Fallersleben, 1841 auf Helgoland dichtete er Einigkeit und Recht und Freiheit!“ Meine Wort fallen glasklar – ich fahre Punkte ein, der Türke nickt anerkennend: „Sie würden wahrscheinlich den Einbürgerungstest bestehen!“

Im Ernst: Soll ein Türke Bundespräsident werden? Ich meine: Jede und jeder kann deutsche Bundespräsidentin werden. Voraussetzungen: Sie oder er müsste das Wahlrecht zum deutschen Bundestag besitzen, die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen – und mindestens 40 Jahre alt sein. So steht es im Grundgesetz. Dass sie oder er einer Minderheit angehört, dies kann kein Hinderungsgrund sein. Der sächsische Ministerpräsident etwa ist Sorbe, gehört selbst einer winzigen ethnischen Minderheit an. Die Türken sind viel mehr als die Sorben! Und gehörten bisher nicht alle Bundespräsidenten der einen oder anderen Minderheit an? Waren sie nicht alle Mitglieder einer politischen Partei? Damit gehörten sie zu einer verschwindenden Minderheit der Deutschen, nämlich zur politischen Machtelite. Wären sie ohne Parteizugehörigkeit gewählt worden? Nein. Die Zugehörigkeit zu einer Minderheit ist also kein Grund dagegen, zum Bundespräsidenten gewählt zu werden. Also: Wer mitmacht, wer sich um Chancen und Ämter bemüht und sich in Staat und Gesellschaft einbringt, dem stehen alle Ämter offen. Nur zu! Die Hürryiet hat recht!

In der heute der Süddeutschen Zeitung beigelegten New York Times beklagt Maggie Jackson auf S. 6 den Verlust an grundlegenden Fähigkeiten wie Aufmerksamkeit: „By fragmenting and diffusing our powers of attention, we are undermining our capacity to thrive in a complex, ever-shifting world.“ Sie erhebt leidenschaftlich ihre Stimme für eine neue Kultur der Achtsamkeit und des Aufmerkens: „What’s needed is a renaissance of attention – a revaluing and cultivating of the art of attention, to help us achieve depth of thought and relations in this complex, high-tech time.“ Ich stimme zu! Das Erlernen eines Musikinstruments, sportliche Betätigung, Tanzen, Wanderungen in Wald und Wiese, jedes einfache Tun, mit Hingabe ausgeführt, diese so einfachen wie erprobten Mittel scheinen mir tauglich, um Erwachsene und Kinder wieder an diese unerlässlichen Fähigkeiten heranzuführen.

In der Berliner Zeitung berichtet Christian Esch heute auf Seite 8 aus seinem Alltag als Radfahrer in Moskau:

Dass Fahrradfahrer nicht ernst genommen werden, hat Vor- und Nachteile. Die Nachteile sind offensichtlich: Eine Gesellschaft, die schon ihre Fußgänger ständig auf lange Umwege und in dunkle Unterführungen zwingt, hat für die Rechte von Fahrradfahrern auch nichts übrig. Für die rücksichtslosen Autofahrer ist ein Radfahrer so etwas wie ein verirrter Fußgänger mit Sperrgepäck zwischen den Beinen. Radwege gibt es nicht, außer in Parks, wo Räder als Spielzeug hingehören.

Auch hier kann ich nur zustimmen: Ich fahre immer wieder nach Moskau – und Radfahrer habe ich dort fast nirgends gesehen. Dennoch spreche ich immer wieder mit Russen, die schon einmal ein Fahrrad in Aktion gesehen haben, z.B. bei Auslandsbesuchen, in Bilderbüchern oder bei Besuchen in der Provinz. Bitte durchhalten, Herr Esch! In Rom, Paris oder London ist es nur um ein weniges besser als in Moskau. Und: Freuen Sie sich auf Berlin!

Damit schließen wir die heutige Presseschau – im Gefühl der Genugtuung: Wir haben nur Meinungen gelesen und aufgegriffen, denen wir zustimmen konnten.

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