Aug 262012
 

Zło jest w nas – dies scheint mir eine sehr taugliche Friedensformel für die Aussöhnung zwischen Menschen und Völkern. Ich übernehme sie von dem Polen Leszek Kolakowski, einem marxistischen Philosophen und Professor.

Das Böse ist in uns und lauert jederzeit an der Schwelle. Ungefähr so steht es auch bereits in den alten Büchern, etwa im Buch Genesis der Bibel. Kain, der seinen Bruder aus Neid tötete, wurde zum Stammvater des Menschengeschlechts.

Warum tötete Kain? Nicht weil er verführt wurde, sondern weil das Böse in ihm hervorstieg.

Das Böse, so sagen es Kolakowski und vor ihm bereits das erste Buch der Bibel, wohnt in uns. Es gehört zum Menschen.

Einen Menschen, der das Böse in sich nicht kennt und nicht anerkennt, den würden wir wohl unvollständig nennen.

So fährt ja auch Jesus  – laut Markusevangelium Kap. 10, 17-18 – einem Mann recht unwirsch über den Mund, als dieser ihn „guter Meister“ nennt. Jesus weist es ausdrücklich zurück, gut genannt zu werden. Er weiß auch vom Bösen. Nur der Mensch, der auch von Missetaten etwas weiß, kann in vollem Sinne Mensch genannt werden.

Hier das Zitat im Original, entnommen dem Interview  „Kołakowski: Religia nie zginie“ in der Zeitung Dziennik, 21. März 2008:

Prof. Kołakowski dla DZIENNIKA:

O upadku utopii doskonałego społeczeństwa: Zło jest w nas i to jest jeden z powodów, bo nie jedyny, dlaczego świata doskonałego nie można zbudować, dlaczego te nadzieje okazały się próżne. To nie oznacza, że nie można różnych rzeczy ulepszać. Doskonałości jednak nie osiągniemy.

„Über den Zusammenbruch der Utopie/der Utopien der vollkommenen Gesellschaft: Das Böse ist in uns, und das ist einer der Gründe, wenngleich nicht der einzige, weshalb eine vollkommene Welt nicht aufgebaut werden kann, und warum sich diese Hoffnungen als vergeblich erwiesen haben. Das bedeutet nicht, dass nicht Verschiedenes verbessert werden könnte. Die Vollkommenheit werden wir jedoch nicht erreichen.“ Übersetzung aus dem Polnischen: Johannes Hampel
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Die Für-mich-Gesellschaft

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Apr 062012
 

Heute besuchte ich eine Trauerfeier. Es ging um einen vor Gericht abgeurteilten Menschen, der nicht viel hermachte. Deshalb gibt’s auch keine Fotos. Er, um den es ging, hatte keine schöne und edle Gestalt. Hatte er Freunde? Er hatte zwar einige Freunde, aber als es hart auf hart kam, als es darum gegangen wäre, sich für ihn einzusetzen, ging jeder seiner Wege.

Zitat aus der Berichterstattung: „Ich kenn doch den Menschen gar nicht!“ Ein merkwürdiger Prozess – zu urteilen nach der Berichterstattung – vor einem eigentlich gar nicht zuständigen Gericht entspann sich, geprägt von Missverständnissen und endlosem Aneinander-Vorbeireden. Der Richter zeigte sich heillos überfordert, im Gerichtssaal tobte der aufgehetzte Mob. „Ja, was soll ich denn jetzt noch für wahr halten?“ Selbstaufgabe des Richters!

Ein paar erbauliche Reden wurden gehalten. Beeindruckend fand ich die folgenden Sätze:

Jeder ging für sich seinen Weg.“ Diagnose: Die Menschen kümmerten sich nicht umeinander. Jeder lebte nach dem Motto: Für mich. Die perfekte Jeder-ging-für-sich-seinen-Weg-Gesellschaft! War das die Ursache der endlosen Missverständnisse?

Wer war gemeint? Wir doch nicht etwa? Ich doch nicht etwa?

 

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Brauchen wir mehr Meister Eckart oder mehr Hirnforschung in der Pädagogik?

 Antike, Entkernung, Homer, Jesus von Nazareth, Kanon, Kinder, Tugend, Vorbildlichkeit, Was ist europäisch?  Kommentare deaktiviert für Brauchen wir mehr Meister Eckart oder mehr Hirnforschung in der Pädagogik?
Okt 142011
 

Recht treffend fand ich die Einwände, die Bildungsministerin Schavan vor wenigen Tagen im Konrad-Adenauer-Haus gegenüber den bildungspolitischen Grundsatzdebatten in die Runde warf. Sie sagte nämlich,

– es gebe viel zu wenig Debatten über Sinn und Inhalt von Bildung

– dabei hätten wir in Deutschland seit Meister Eckart eine reiche Tradition des Bildungsdenkens

– wir müssten und sollten also auch über den Kanon und Kanonbildung nachdenken.

Alle drei Einwände treffen meines Erachtens noch weit stärker zu, als eine aktive Politikerin dies aussprechen darf. In dem ganzen Gerede und Gestreite über Strukturen, Curricula, Quantensprünge der Didaktik, „gehirngerechtes Lernen“ ist in der Tat fast völlig aus dem Blick geraten, wohin wir die Kinder „ziehen“ oder erziehen wollen.

Es fehlt ein Leitbild der Erziehung. Es ist durch normgerechte „Kompetenzen“ ersetzt.

Es fehlt in Deutschland ein Kanon. Deshalb wachsen viele Kinder in der kulturellen Steppe auf. Gerade bei uns in Kreuzberg ist dieses kulturelle Niemandsland mit Händen greifbar.

Die reiche, prägende, vorbildhaft weisende Tradition des europäischen Bildungsdenkens seit den Tagen eines homerischen Achilles, eines Odysseus, eines platonischen Sokrates, eines Jesus Christus, eines Cicero droht verlorenzugehen. Diese kulturellen Tragwerke Europas drohen vergessen zu werden. Die Wüste wächst!

Armes Kreuzberger Blog » Blog Archive » Stop the war!

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Gefangenenbefreiung: Barrabas und Andreas Baader

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Mai 032011
 

boltraffio-auferste24042011522.jpg„Er wollte ein Buch über bessere Erziehung schreiben.“ So wird es über Andreas Baader berichtet. Nochmal kam mir kürzlich dieser  Mann in den Sinn in der Osterpredigt des Kreuzberger Pfarrers: Aus dem neuen Buch meines römischen compatriota bavarese gab der Pfarrer einige Erläuterungen zu einem politischen Gefangenen, zu Barrabas. Barrabas war – so dämmerte mir – im Grunde der Andreas Baader zu Zeiten des Pilatus. Ein politisch motivierter „Aufrührer“, „Mörder“ und „Räuber“, ein Revoluzzer. Merkwürdig ist schon der Gleichklang der Namen: Andreas – Barrabas! Die Herzen des Volkes flogen beiden zu. Beide wurden aus der Gefangenschaft befreit. Beide waren Revoluzzer.

Nach der Ostermette, nachdem ich die Osterglocken hatte läuten hören, las ich doch mitten in der Nacht tatsächlich die vier Barrabas-Geschichten der Evangelisten in meinem schon zerlesenen Nestle-Aland und übersetzte mir den einen oder anderen Satz in mein geliebtes Deutsch. Noch etwa überraschte mich: Bei Matthäus wird von einigen Codices  – tatsächlich der Personenname des Barrabas überliefert: Jesus. Es schien ein verschwiegenes Einverständnis zwischen den beiden zu herrschen.

Bild: Giovanni Antonio Boltraffio, Auferstehung, Gemäldegalerie, Kulturforum Berlin-Tiergarten

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Feb 122011
 

Etwa 2000 Jahre gelebte Multikulturalität birgt das Christentum mit sich. Das Neue Testament ist durchtränkt mit Erfahrungen der Fremdheit zwischen Sprachen, Kulturen, ethnischen Gruppen, religiösen Fundamentalismen. Es gibt Hinweise darauf, dass etwa der Prozess gegen Jesus vor Pilatus eine Kette interkultureller Missverständnisse war.

Jesus selbst, dieser alle überragende Mensch, war allerdings stets bereit, diese kulturbedingten Barrieren zu überwinden, und er verlangte dies auch von anderen.

Für ihn stand letztlich der einzelne Mensch, der ihm begegnete, im Mittelpunkt seiner Fürsorge und Zuwendung. Diesen Menschen, der ihm begegnete, nannte er „den Nächsten“. „Wer ist denn mein Nächster?“, wurde er gefragt.  „Jeder Beliebige!“ Ausdrücklich verstand er unter „dem Nächsten“ nicht den Angehörigen der jeweiligen Sippe oder Nation, sondern den räumlich oder emotional Begegnenden. So mag Jesus und die auf ihn sich berufende Religion, das Christentum, als fundamentaler Zeuge gegen jede Art der ethnischen oder kulturellen Verhärtung gelten.

Soeben lese ich im Corriere della sera von gestern auf S. 11 einen Reflex eben dieses beständigen Grenzen-Überschreitens. Kardinal Gianfranco Ravasi spricht sich für einen Übergang vom Multikulturalismus zur Interkulturalität aus: „Ciò che dobbiamo fare è passare dalla multiculturalità alla interculturalità, von der bloßen Koexistenz von Kulturen, die nicht miteinander reden, müssen wir zur Erfahrung des Dialogs übergehen. Wir brauchen eine Art kulturelle convivenza, ein Zusammenleben, das freilich schwer und kompliziert ist.“

Ravasi verlangt nicht das Aufgeben der eigenen Kultur, sondern das Wahrnehmen der Andersartigkeit. Als Ursache für das Scheitern des Multikulturalismus sieht er eine Verleugnung der eigenen kulturellen Herkunft Europas, eine tiefe Selbst-Unsicherheit auf Seiten der Europäer, die neben anderen kulturellen Errungenschaften vor allem das Christentum buchstäblich verlernt hätten.

Es sei so, als wollte man ein Duett singen, und einer der Partner wüßte nicht, was seine Melodie ist.

Den Betrachtungen Gianfranco Ravasis kann ich meine lebhafteste Zustimmung nicht verweigern.
Multiculturalismo.pdf (application/pdf-Objekt)

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Jan 192011
 

„Ich bin christlich geprägt, obwohl Agnostiker“. Mit dieser Aussage wird in der WELT ein Zeuge zitiert, der damit sicherlich repräsentativ für die Mehrheit der Deutschen spricht. Sein Name? Spielt zunächst keine Rolle. Nennen wir ihn G.W.

„Ich bin christlich geprägt, obwohl Agnostiker“. Ein bemerkenswerter Satz. Er erinnert an die Rede des Apostels Paulus auf dem Areopag in Athen, wo er den agnostos theos, den unbekannten, den nicht zu erkennenden Gott verkündet (Apostelgeschichte 17,23).

Christlich geprägt“ und deshalb beseelt vom Glauben an die unveräußerliche Würde, die unveräußerlichen Rechte auf Leben und Freiheit jedes einzelnen Menschen. Und zugleich „Agnostiker“ – na, ich würde fast sagen, das ist eigentlich eine Art säkulares Christentum. Das WELT-Christentum. Die säkularen Christen sagen: „Wir sind christlich geprägt, aber über Gott können wir nichts Bestimmtes erkennen und nichts Bestimmtes aussagen noch können wir überhaupt mit nachprüfbarer Gewissheit sagen, ob es einen Gott gibt.“ Und genau derartige Aussagen finden sich in der Geschichte des Christentums auf Schritt und Tritt – auch bei jenen, die sich offen als Christen bekannten. Darunter der unvergleichliche Angelus Silesius oder der einzigartige Pascal.

Ein beliebiges Beispiel für dieses säkulare Christentum, für dieses Christentum der Agnostiker ist folgender Satz: „Keiner hat Gott je gesehen.“ An diesen Satz können die säkularen, christlich geprägten Nicht-Christen und Christen mit ihren schwer navigierbaren, ortlosen WELT-Raumschiffen andocken. Es ist der Kernsatz der WELT-Christen, denn er bedeutet: „Wir huldigen einem unbekannten, einem nicht zu erkennenden, einem unerforschlichen Gott, von dem wir nicht einmal sinnvollerweise sagen können, ob es ihn gibt.“

Dieser Satz findet sich im Johannesevangelium, erstes Kapitel, Vers 18.

Die Zeugenaussage des christlich geprägten Agnostikers G.W. berichtete die WELT am 10.12.2010:

G. W. über Islam, Linke und Moral – Nachrichten Print – DIE WELT – Kultur – WELT ONLINE
Die Welt: Woher kommt Ihr Idealismus?

G. W.: Ich bin christlich geprägt, obwohl Agnostiker. Es gibt gewisse humane Werte, die allen Weltreligionen und den großen Philosophien eigen sind, und an denen sich die UN-Menschenrechtscharta orientiert.

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Dez 292010
 

28122010191.jpg La famiglia cristiana – dieses erbauliche Familienblatt der italienischen Bischöfe sah ich während meiner 3 italienischen Gastarbeiterjahre immer wieder an den Schriftenständen katholischer Kirchen stehen. Ich griff nie dazu. „Die christliche Familie“ – das klang mir etwas altbacken und muffig. Zu unrecht. Viele meiner italienischen Freunde rümpften wie ich ebenfalls die Nase bei der Wendung „La famiglia cristiana“. Zu unrecht, wie ein Blick auf den Internetauftritt des Blattes sofort belegt. Familie und Christentum scheinen unverbrüchlich zusammenzupassen wie Schloss und Riegel, wie Wald und Wiese, Kind und Kegel.

Eine bohrende Frage drängt sich dennoch auf: Ist das Christentum ursprünglich wirklich die Religion der Familie?

Hans Conrad Zander stellte in einem Hörfunkgespräch am Fest der Hl. Familie zu recht heraus, dass das Christentum, im Gegensatz etwa zum Judentum oder dem Islam, gerade nicht die Familienreligion schlechthin ist.

Deutschlandradio Kultur – Thema – Jesus, der überzeugte Single
Kassel: Wie weit ist denn das gegangen? Im Untertitel nennen Sie Ihr Buch ja tatsächlich auch „Jesus, der Familienfeind“. Hatte er nur Probleme mit seiner eigenen Familie, oder war er wirklich so, wie Sie das herauslesen aus der Bibel, ein Gegner der ganzen Institution Familie?

Zander: Er hat auf die Familienbindungen seiner Jünger nicht die geringste Rücksicht genommen und das in einer Weise, die überaus schockierend war für seine Zeit. Da ist ein Jünger, der ihm nachfolgen will, der ihm aber sagt: Mein Vater ist gerade gestorben, ich möchte meinen Vater begraben. Und bedenken Sie, das ist nicht, wie wenn heute ein junger Deutscher seinen Vater rasch einäschert, das war fürs jüdische Empfinden die wichtigste Verpflichtung gegenüber den Eltern, dass er ihn begräbt. Und Jesus sagt voller Verachtung: „Lass die Toten die Toten begraben.“

Ich selbst sprach öfters mit christlichen Ordensleuten, die selbstverständlich bei jeder, auch bei wichtigen Familienfeiern zuerst die Erlaubnis der Oberen einholen mussten, ehe sie ihre Herkunftsfamilie besuchen und mit ihr feiern durften.

Zanders Belege sind mächtig – und wenn dem Christentum der Titel Familienreligion aberkannt werden muss, welcher Titel ist es dann, der ihm eher zukommt?

Ich sehe das so: Das Christentum ist wohl eher die Religion des Kindes als die der Familie, mehr die Religion des Nächsten als des Fernsten, mehr die Religion der freien Entscheidung als der Institutionen, mehr die Religion der Gemeinde als der Familie. Gemeinde ist fast noch wichtiger als Familie, die freie Entscheidung des Individuums ist wichtiger als die Institutionen. Freie Entscheidung wird geboten, nicht Unterwerfung. Das Wohlergehen des Kindes ist wichtiger als der Zusammenhalt der Familie.

Familie ist gut und gerechtfertigt, weil und solange sie auf unvergleichliche, unübertroffene Weise dem Wohl des Kindes dienen kann. Institutionen sind wichtig, weil und solange sie dem lernenden, wachsenden Individuum ermöglichen, freie Entscheidungen zu treffen – dies gilt etwa für die Schule.

Institutionen „dienen“ dem Einzelnen. Die Familie mit Vater und Mutter „dient“ dem Kinde. Die Einrichtungen der bürgerlichen Gesellschaft  haben „stützende“, nicht aber letztbegründende Aufgaben, wie dies etwa der Soziologe Arnold Gehlen sagte.

Woher kommt aber nun der überragende Siegeszug der Familie? Hierzu meine ich: Die Familie ist das stabilste Modell für das Aufwachsen von Kindern. Es gibt nur sehr wenige Gesellschaftsmodelle, die wirklich die frühe Herauslösung der Kinder aus den Familien verlangen und verkünden. Dazu gehört die staatliche Kleinkind-Erziehung im antiken Sparta und in der Utopie Platons, die osmanische Knabenlese, der Lebensborn der NS-Ordensburgen. Keines dieser Beispiel ist erstrebenswert. Im Gegenteil. Sie sind abschreckend.

Das teure gesellschaftspolitische Ziel eines möglichst flächendeckend vorgehaltenen staatlichen Kleinstkindbetreuungsangebotes für möglichst viele, möglichst immer jüngere und immer kleinere und kleinste Kinder muss hinterfragt werden. Unsere Kommunen ächzen jetzt schon unter drohender Zahlungs- und Handlungsunfähigkeit, muss ihnen dann noch die Last der Kleinstkinderziehung aufgebürdet werden?

Uneingeschränkt befürworten würde ich aber den Grundgedanken einer weitgehenden Zusammenarbeit der Familien und der staatlichen Institutionen. Die Familien und die Schulen sollten viel enger ineinandergreifen, gerade hier in Berlin. Stets unter der einen großen Leitfrage:

Was dient dem Kind? Wie werden die Kinder, unsere geliebten „Zwerge“, zu selbstbewussten, fröhlichen, klugen und glücksfähigen Erwachsenen? Die Familie hat dabei sicherlich nicht ausgedient. Sie bedarf im Gegenteil heute mehr denn früher der Stärkung und der Festigung.

So meine ich, dass die grundlegende Erziehung, das Erlernen der Landessprache, die Einübung von grundlegenden Verhaltensmustern, Erziehung zu Respekt, liebevollem Umgang, das Erlernen von Gehen, Sitzen, Laufen, Springen und Singen weiterhin im Wesentlichen eine Aufgabe der Familien ist und bleiben sollte.

Je älter das Kind wird, desto mehr treten andere, stützende Einrichtungen oder besser „Gemeinden“ hinzu. Familie ist nichts Starres, sie öffnet sich zum unmittelbaren Umfeld, tritt zu anderen Familien, zu anderen Institutionen in Kontakt.

Dazu sollte auch die Gesellschaftspolitik ihr Scherflein beisteuern. „Einbeziehen – nicht ausgliedern!“ lautet das Zauberwort.

Bild: Schlosspark Sanssouci, Potsdam, Blick auf das Chinesische Haus, heute

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Dez 232010
 

Ein aus Ägypten stammender Freund sagt es mir schroff und klar ins Gesicht: „Zu diesem Weihnachten bleiben zwei Zimmer dunkel: meins und das von Jesus.“ Ein großartiges, ein geradezu herzbezwingendes Wort: es führt die Nähe zu Jesus vor Augen und zugleich die absolute Ferne, die schlichte Wahrheit: „Ich kann nichts mit eurem Jesus-Gebimmel anfangen.“

Ein Besuch führte uns heute wieder ins Neue Museum Berlins. Wieder setze ich mich dem bezwingend-versonnenen Lächeln Nofretetes aus, wieder durchmaß ich die ganze offene lange Achse hin zum römischen Standbild des gewaltigen Sonnengottes Helios. Und wieder las ich – in einer recht gewaltsam-zwingenden Übersetzung – jene Verse aus dem Ödipus des Sophokles, die der Baumeister Stüler übermannshoch in ein Fries setzen wollte:

Erstaunlich ist der Mensch Erstaunlicheres
waltet nichts als der Mensch

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Ein ägyptisches Kalksteinrelief aus dem 3. Jahrhtausend vor Christus, im Untergeschoss,  zeigt die Flotte des Pharaos heimrudernd „mit gefangenen Asiaten“. Es könnten Syrer sein! Es könnten Parther sein. Es könnten Palästinenser sein:

23122010128.jpg

Ein anderes zeigt einen Wüstenlöwen übermenschlich groß dahinschreitend, wie er die Feinde des Pharaos unter seinen Pranken zertrampelt.

Die ägyptische und die griechisch-römische Antike feiern zuerst und zumeist den großen, den gewaltigen, aber auch den gewaltsamen Menschen. Sie zeigen ihn ihn seiner Größe, in seinem Schmerz, in seinem Irren und Scheitern, aber sie wollen ihn groß, hochfahrend, kraftvoll und selbstbewusst. Helios, der Sonnengott, ist kraftvoll, überlebensgroß, allem Sterblichen enthoben. Er bedarf des Blickes derer nicht, die ihn anbeten! In diesen vielleicht 100 Metern im Neuen Museum, ausgespannt zwischen ägyptischer Nofrete und spätrömischem Helios, durchmaßen wir heute die Landschaft des antiken Denkens von der Größe des vorbildlichen Menschen, von der übermenschlichen Größe des Gottes.

Um wieviel anders erscheint demgegenüber die Botschaft jenes göttlichen Kindes, die Botschaft jenes menschgewordenen Gottes, der ausdrücklich dazu auffordert, wie die Kinder zu werden. Dieser Mensch stellt das Kind in den Mittelpunkt seiner Botschaft. Er tritt selbst als Kind auf die Bühne.

Wieder zuhause angelangt, öffne ich ein Päckchen mit einem Buch, das mich als Weihnachtspost eines Nahestehenden erreicht. Ich schlage das Buch, alter Sitte folgend, an einer beliebigen Stelle auf. Ich lese darauf die folgenden Worte:

… und umhüllt, uns liebenswert und schroff-unzugänglich macht, zu Menschen mit offener Flanke, stets auf der Suche nach einem Antlitz, einem Wort, einem Licht, die uns endlich die Wahrheit all dessen begreifen ließen, was die Landschaft unseres Lebens ausmacht.

Der Mensch tritt also hier ganz unscheinbar hervor – kein gewaltiges Wesen, sondern ein bedürftiges, stets auf der Suche, auf der Suche … nach einem Antlitz, einem Wort, einem Licht …

Ich halte inne – die Stimme dieses Kreuzberger Bloggers ist unversehens mit der Stimme des Verfassers jener Zeilen verschmolzen. Es ist, als hätte dieser armselige Kreuzberger Blogger seine Stimme in die des Buch-Autors einfließen lassen.

Dieser Einklang der Stimmen führt auch zurück zu meinem ägyptischen Freund:

Die dunklen Zimmer – sind OK. Es ist doch total OK, wenn man mit dem Gebimmel nichts anfangen kann! Wenn eine das Kreuz mit dem Kreuz hat und Kreuzberg gleich in Klecksberg umbenennen möchte, nur um nicht immer von diesem Kreuz zu hören.

ICH HABE NICHTS DAGEGEN, wenn jemand etwas gegen Weihnachten hat und nichts mit Weihnachten anfangen kann. Wenn er lieber in dunklen Zimmern hockt. Ja warum denn auch nicht.

Im Gegenteil! Ich mag sogar die Menschen besonders, die so ehrlich sind und zur Dunkelheit stehen.

Genau diese absolute Dunkelheit – das ist der Kern und der Anfang der Botschaft, an die manche – nicht alle – sich morgen zu erinnern versuchen. Mit offener Flanke, stets auf der Suche  …

Zitat: Elmar Salmann: Spuren. Geistesgegenwart. Figuren und Formen des Lebens. EOS Verlag, St. Ottilien 2010, hier S. 36

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Jul 202010
 

Ein harter Brocken, was hier in der Überschrift steht! Dennoch gefällt mir dieser philosophisch-theologische Brocken. Immer wenn ich, der sehr schwach praktizierende, der sehr schlechte Knecht des Christentums mit Muslimen spreche oder mit ihnen bildhaft gesprochen zusammenrumple, wird mir das sofort klar, ebenso auch beim Studium der Hadithe, des Talmud oder der paulinischen Briefe.

Mehr oder minder zufällig finde ich daneben immer wieder Bundesgenossen in dieser Sicht, so etwa seit Jahren in Jacques Attali, oder neuerdings (?) auch in Angelika Neuwirth.

Angelika Neuwirth (FU Berlin) hat sich nämlich aufsehenerregend bei der Tagung „Beyond tradition“ in Münster hervorgetan.  Thema „Aufgeklärte islamische Theologie möglich in Deutschland?“ (FAZ, 16.07.2010, S. 34). Sie sagt,

der Koran sei sowohl in seiner überlieferten Textform als auch in seiner mündlichen Vorform vor allem als „europäisches Vermächtnis, als Auslegung und Neuformulierung bereits bekannter biblischer und nachbiblischer Traditionen zu betrachten. Inhaltlich handle es sich um eine ergebnisoffene Mitschrift von Diskussionen zwischen dem Propheten Mohammed und seinen Hörern. Es gelte demnach, den Koran als europäischen Grundtext in die (westliche) Spätantike-Vorstellung aufzunehmen.

Wow! Das entspricht genau meinem Empfinden, das entspricht genau meinem bildungspolitischen Programm für Berlins Grundschüler. Koran ist also Bestandteil der europäischen Überlieferung ebenso wie frühchristliche Literatur, da sowohl Christentum wie später Islam aus der
Verschmelzung von „Jerusalem“ und „Athen“ hervorgehen.

Welch ungeheure Chance böte sich den Berliner Grundschulen, wenn sie altgriechische, jüdische, islamische und christliche Geschichten in ihren Lesestoff aufnähmen! Ulysses meets Mohammed. THAT is IT. Sie, die Berliner Stadtgesellschaft, erwürbe sich nahezu ewigen Ruhm, wenn sie die unselige Spaltung zwischen muslimischen und nichtmuslimischen („christlichen“) Kindern überwände.

Aber sie tut es nicht. Sie scheut die Grundtexte der europäischen Überlieferung wie der Teufel das Weihwasser.

Koran kann gelesen werden wie die Vorlesungsmitschriften etwa des Aristoteles. Und in der Tat gab es im 11. bis 12. Jahrhundert eine Hochblüte arabischer Gelehrsamkeit, die genau das versuchte – die Synthese koranischen und aristotelischen Wissens.

Spannend, spannend … aber noch nicht Allgemeingut.

Bild: Sowjetisches Ehrenmal für den „Ewigen Ruhm“ in russischer Sprache, Ort: Erkner, Neu-Zittauer Straße.

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Ist „das Christliche“ zugleich „das Konservative?“

 Jesus von Nazareth, Konservativ  Kommentare deaktiviert für Ist „das Christliche“ zugleich „das Konservative?“
Feb 232010
 

Größer als die Institution Kirche, größer als „das Christliche“, bedeutsamer als alles Reden und Streiten über die konfessionellen Auffaltungen des Christentums scheint mir der Bezug auf den anleitenden Menschen Jesus. Und doch droht, je mehr Auslegung und Wissen über „das Christliche“ angehäuft wird, dieser innere Bezug auf Jesus – mit einer glücklichen Formulierung Joseph Ratzingers – „ins Leere zu greifen“. Der eigentliche Bezugspunkt des Glaubens verschwimmt. Er wird übermalt durch die Fülle dessen, was man „nicht sicher wissen“ kann.

Was wissen wir sicher? Die Leitgestalt des Christentums, Jesus von Nazaret, wurde als Jude geboren, lebte als Jude, starb als Jude. War er innerhalb der Religion Israels, seiner Gesellschaftsordnung, ein Konservativer? Wie ging Jesus mit seinen Eltern und Geschwistern um? Was war sein Verhältnis zur Autorität schlechthin, zur staatlichen Gewalt, also zu den Römern insbesondere?  Ist das Christliche stets ineins zu setzen mit dem Bewahrenden, dem Festhalten an gewordenen Sozialstrukturen und Traditionen?

Oftmals wird im Tagesgespräch dieser Eindruck erweckt, etwa dann wenn der CDU vorgeworfen wird, sie verlöre mit dem Verlust des Konservativen ihre Seele.  Zu diesen Fragen erwarte ich eine gelingende Auseinandersetzung mit Annette Schavan am kommenden Donnerstag um 19 Uhr in der Katholischen Akademie Berlin, zu der ich mich bereits angemeldet habe.

Katholische Akademie in Berlin e.V. | Wie die CDU die Mitte gewinnt, aber vielleicht ihre Seele verliert

Ersten Aufschluss über das Verhältnis zwischen Sozialstruktur und „größerer Gerechtigkeit“ mag Matthäus 5,20 bieten: „Wenn eure Gerechtigkeit nicht weit größer ist als die der Schriftgelehrten und Pharisäer, werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen.“

Es gibt eine Fülle von Aussagen Jesu über diesen Vorrang des Größeren vor dem Kleineren, des „oberen Waltenden“ vor dem explizit Niedergelegten. Das „Niedergelegte“, das „Hergebrachte“, die Institutionen, all das, woran landläufig „das Konservative“ festgemacht wird, erscheinen  in den Reden Jesu überwölbt und verflüssigt durch einen Prozess ständiger Dynamisierung. Diese Einsicht vermittelt überzeugend der bereits oben zitierte Autor Joseph Ratzinger:

„Die Dynamisierung der konkreten Rechts- und Sozialordnungen, die Jesus damit vollzieht, ihr Herausnehmen aus dem direkten Gottesbereich und das Übertragen der Verantwortung an eine sehend gewordene Vernunft, entspricht der Tora selbst“.

Ich meine: Die Ineinssetzung des Christlichen und des schlechterdings Konservativen kann nicht gelingen, da sie diese ständige Unruhe aus der Gestalt Jesu verfehlt. Nicht umsonst wird Jesus in seinen entscheidenden letzten Jahren als Wandernder ohne feste Bleibe dargestellt. Der Bezug Jesu auf die grundlegende Norm der stets neu auslegungsbedürftigen Tora führt ganz im Gegenteil zum ständigen Befragen, zum dauernden Nachjustieren jeder politischen Ordnung. So ergibt sich: Das im falschen, im starren Sinn gefasste Konservative ist geradezu das Gegenteil des Christlichen.

Nie zu vergessen ist auch, dass das Christentum bereits in seinem Namen ein Anders-Werden, eine  fundamentale „Veranderung“ trägt. Denn der große Mittler, der dieser Religion den Namen verleiht, gehörte ihr selbst nicht an! Er wollte alles andere als eine neue Religion zu begründen. Er gehörte der Religion an, von der sich das Christentum erst Jahre nach seinem Tod am Kreuz abgespalten hat, dem alten Israel.

So wohnte ich einmal einer Erörterung bei, wer „ein guter Katholik“ sei. Wie auch immer die Antwort ausfallen mag: Jesus war kein Christ, kein Katholik, und schon gar nicht ein guter Katholik. Er war ein Jude, der sich mit den religiösen – weniger jedoch mit den weltlichen – Autoritäten seiner Zeit grundlegend überwarf!

Das Christentum ist also die Gestaltung des Werdens vielmehr als die des Seins. Es hat sich von einem Ursprung entfernt, den es doch immer wieder einholen muss: Die Gleichung des Christlichen mit dem Konservativen kann nicht aufgehen.

Vollends abzulehnen ist die Gleichsetzung des „Bürgerlichen“ mit dem „Christlichen“.  Ich meine: Eine christliche Partei, die sich im Wesentlichen als „bürgerliche“ Partei, etwa als Gegensatz zur „Arbeiterpartei“ oder zu „linken Parteien“ versteht, kann mit Fug keinen Anspruch auf das C erheben. Sie zieht sich den Boden unter den Füßen weg.

Lesehinweis:
Joseph Ratzinger: Jesus von Nazareth. Erster Teil. Von der Taufe im Jordan bis zur Verklärung. Herder Verlag, Freiburg 2007, hier besonders: S. 11, S. 159-160

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Sep 282009
 

Einer der unerschöpflichsten Lehrer in dem, was wir hier in diesem Blog „Positive Kommunikation“ nennen, ist Jesus von Nazaret. Bei jeder neuen Lesung enthüllt sich etwas Neues, ein neuer hervorblitzender Bedeutungsschimmer. Genau dies berichten mir auch Muslime über ihre Neulesungen des Korans. Genau so öffnete ich heute wieder Ohren und Herz bei der Lesung in der Kreuzberger Gemeinde Sankt Bonifatius. Was würde der Priester bei der Lesung aus dem Markus-Evangelium hervorheben?  Diesen Satz hob er durch Blick und Stimme heraus: „Wer nicht gegen uns ist, der ist für uns“. In diesem Herrenwort, überliefert bei Mk 9,40,  drückt sich ein unbefragtes Grundvertrauen Jesu in sein Volk aus. Da er die Zugehörigkeit seiner Gemeinde zur Schicksalsgemeinschaft Israels, also des Judentums, nie in Frage stellt, geht er davon aus, dass er im Hauptstrom der Überlieferung – also im tora-geleiteten Judentum mitgetragen wird. Ein grandioses Wort! Zu recht hob der Prediger den Unterschied zur geläufigeren Fassung bei Matthäus 12,30 hervor. Ich ziehe die Fassung des Markus derjenigen des Matthäus bei weitem vor.

Der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz Erzbischof Robert Zollitsch beklagte jüngst 120.000 Kirchenaustritte pro Jahr.  Worin liegt die Ursache? Vielleicht darin, dass den Austretenden ein glaubwürdiges, also vertrauenswürdiges Beispiel an derartigem Grundvertrauen fehlt, wie es im Jesus-Wort aufscheint: „Wer nicht gegen uns ist, der ist für uns!“ Das muss ja auch heißen: Wer uns nicht von vorneherein ablehnt, den können wir „für uns“ gewinnen. Man übertrage dies auf das Zusammenleben zwischen den unterschiedlichsten Menschen!

Großartig der Gedankengang des heutigen Predigers, auch ein Mensch, der aus der Kirche ausgetreten sei, könne etwas für die Kirche tun. Ich würde sogar noch einen Schritt weiter gehen: Ein Mensch, der  aus der Kirche ausgetreten ist, der kann sehr wohl die Nachfolge Jesu anstreben, sofern er nicht von vornherein „dagegen“ ist. Er kann sozusagen im Namen Jesu leben, ohne dies zu verlautbaren. Er kann die Werke ohne den nach außen zur Schau getragenen Glauben tun. Er kann „dafür“ sein, obwohl er vor den Augen der Welt „dagegen“ ist. Werke ohne Glauben!

Der Biograph der Mutter Teresa von Kalkutta, Brian Kolodjechuk,  berichtet, dass Mutter Teresa mehrere Jahrzehnte hinweg von heftigsten Glaubenszweifeln heimgesucht wurde. Sie hatte das Vertrauen in diesen Gott fast völlig verloren. Also tat sie die Werke, ohne im Glauben sicher zu sein. Werke ohne Glauben!

 Posted by at 00:04