Dez. 232010
 

Ein aus Ägypten stammender Freund sagt es mir schroff und klar ins Gesicht: „Zu diesem Weihnachten bleiben zwei Zimmer dunkel: meins und das von Jesus.“ Ein großartiges, ein geradezu herzbezwingendes Wort: es führt die Nähe zu Jesus vor Augen und zugleich die absolute Ferne, die schlichte Wahrheit: „Ich kann nichts mit eurem Jesus-Gebimmel anfangen.“

Ein Besuch führte uns heute wieder ins Neue Museum Berlins. Wieder setze ich mich dem bezwingend-versonnenen Lächeln Nofretetes aus, wieder durchmaß ich die ganze offene lange Achse hin zum römischen Standbild des gewaltigen Sonnengottes Helios. Und wieder las ich – in einer recht gewaltsam-zwingenden Übersetzung – jene Verse aus dem Ödipus des Sophokles, die der Baumeister Stüler übermannshoch in ein Fries setzen wollte:

Erstaunlich ist der Mensch Erstaunlicheres
waltet nichts als der Mensch

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Ein ägyptisches Kalksteinrelief aus dem 3. Jahrhtausend vor Christus, im Untergeschoss,  zeigt die Flotte des Pharaos heimrudernd „mit gefangenen Asiaten“. Es könnten Syrer sein! Es könnten Parther sein. Es könnten Palästinenser sein:

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Ein anderes zeigt einen Wüstenlöwen übermenschlich groß dahinschreitend, wie er die Feinde des Pharaos unter seinen Pranken zertrampelt.

Die ägyptische und die griechisch-römische Antike feiern zuerst und zumeist den großen, den gewaltigen, aber auch den gewaltsamen Menschen. Sie zeigen ihn ihn seiner Größe, in seinem Schmerz, in seinem Irren und Scheitern, aber sie wollen ihn groß, hochfahrend, kraftvoll und selbstbewusst. Helios, der Sonnengott, ist kraftvoll, überlebensgroß, allem Sterblichen enthoben. Er bedarf des Blickes derer nicht, die ihn anbeten! In diesen vielleicht 100 Metern im Neuen Museum, ausgespannt zwischen ägyptischer Nofrete und spätrömischem Helios, durchmaßen wir heute die Landschaft des antiken Denkens von der Größe des vorbildlichen Menschen, von der übermenschlichen Größe des Gottes.

Um wieviel anders erscheint demgegenüber die Botschaft jenes göttlichen Kindes, die Botschaft jenes menschgewordenen Gottes, der ausdrücklich dazu auffordert, wie die Kinder zu werden. Dieser Mensch stellt das Kind in den Mittelpunkt seiner Botschaft. Er tritt selbst als Kind auf die Bühne.

Wieder zuhause angelangt, öffne ich ein Päckchen mit einem Buch, das mich als Weihnachtspost eines Nahestehenden erreicht. Ich schlage das Buch, alter Sitte folgend, an einer beliebigen Stelle auf. Ich lese darauf die folgenden Worte:

… und umhüllt, uns liebenswert und schroff-unzugänglich macht, zu Menschen mit offener Flanke, stets auf der Suche nach einem Antlitz, einem Wort, einem Licht, die uns endlich die Wahrheit all dessen begreifen ließen, was die Landschaft unseres Lebens ausmacht.

Der Mensch tritt also hier ganz unscheinbar hervor – kein gewaltiges Wesen, sondern ein bedürftiges, stets auf der Suche, auf der Suche … nach einem Antlitz, einem Wort, einem Licht …

Ich halte inne – die Stimme dieses Kreuzberger Bloggers ist unversehens mit der Stimme des Verfassers jener Zeilen verschmolzen. Es ist, als hätte dieser armselige Kreuzberger Blogger seine Stimme in die des Buch-Autors einfließen lassen.

Dieser Einklang der Stimmen führt auch zurück zu meinem ägyptischen Freund:

Die dunklen Zimmer – sind OK. Es ist doch total OK, wenn man mit dem Gebimmel nichts anfangen kann! Wenn eine das Kreuz mit dem Kreuz hat und Kreuzberg gleich in Klecksberg umbenennen möchte, nur um nicht immer von diesem Kreuz zu hören.

ICH HABE NICHTS DAGEGEN, wenn jemand etwas gegen Weihnachten hat und nichts mit Weihnachten anfangen kann. Wenn er lieber in dunklen Zimmern hockt. Ja warum denn auch nicht.

Im Gegenteil! Ich mag sogar die Menschen besonders, die so ehrlich sind und zur Dunkelheit stehen.

Genau diese absolute Dunkelheit – das ist der Kern und der Anfang der Botschaft, an die manche – nicht alle – sich morgen zu erinnern versuchen. Mit offener Flanke, stets auf der Suche  …

Zitat: Elmar Salmann: Spuren. Geistesgegenwart. Figuren und Formen des Lebens. EOS Verlag, St. Ottilien 2010, hier S. 36

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 Posted by at 20:53
Juli 202010
 

Ein harter Brocken, was hier in der Überschrift steht! Dennoch gefällt mir dieser philosophisch-theologische Brocken. Immer wenn ich, der sehr schwach praktizierende, der sehr schlechte Knecht des Christentums mit Muslimen spreche oder mit ihnen bildhaft gesprochen zusammenrumple, wird mir das sofort klar, ebenso auch beim Studium der Hadithe, des Talmud oder der paulinischen Briefe.

Mehr oder minder zufällig finde ich daneben immer wieder Bundesgenossen in dieser Sicht, so etwa seit Jahren in Jacques Attali, oder neuerdings (?) auch in Angelika Neuwirth.

Angelika Neuwirth (FU Berlin) hat sich nämlich aufsehenerregend bei der Tagung „Beyond tradition“ in Münster hervorgetan.  Thema „Aufgeklärte islamische Theologie möglich in Deutschland?“ (FAZ, 16.07.2010, S. 34). Sie sagt,

der Koran sei sowohl in seiner überlieferten Textform als auch in seiner mündlichen Vorform vor allem als „europäisches Vermächtnis, als Auslegung und Neuformulierung bereits bekannter biblischer und nachbiblischer Traditionen zu betrachten. Inhaltlich handle es sich um eine ergebnisoffene Mitschrift von Diskussionen zwischen dem Propheten Mohammed und seinen Hörern. Es gelte demnach, den Koran als europäischen Grundtext in die (westliche) Spätantike-Vorstellung aufzunehmen.

Wow! Das entspricht genau meinem Empfinden, das entspricht genau meinem bildungspolitischen Programm für Berlins Grundschüler. Koran ist also Bestandteil der europäischen Überlieferung ebenso wie frühchristliche Literatur, da sowohl Christentum wie später Islam aus der
Verschmelzung von „Jerusalem“ und „Athen“ hervorgehen.

Welch ungeheure Chance böte sich den Berliner Grundschulen, wenn sie altgriechische, jüdische, islamische und christliche Geschichten in ihren Lesestoff aufnähmen! Ulysses meets Mohammed. THAT is IT. Sie, die Berliner Stadtgesellschaft, erwürbe sich nahezu ewigen Ruhm, wenn sie die unselige Spaltung zwischen muslimischen und nichtmuslimischen („christlichen“) Kindern überwände.

Aber sie tut es nicht. Sie scheut die Grundtexte der europäischen Überlieferung wie der Teufel das Weihwasser.

Koran kann gelesen werden wie die Vorlesungsmitschriften etwa des Aristoteles. Und in der Tat gab es im 11. bis 12. Jahrhundert eine Hochblüte arabischer Gelehrsamkeit, die genau das versuchte – die Synthese koranischen und aristotelischen Wissens.

Spannend, spannend … aber noch nicht Allgemeingut.

Bild: Sowjetisches Ehrenmal für den „Ewigen Ruhm“ in russischer Sprache, Ort: Erkner, Neu-Zittauer Straße.

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Ist „das Christliche“ zugleich „das Konservative?“

 Jesus von Nazareth, Konservativ  Kommentare deaktiviert für Ist „das Christliche“ zugleich „das Konservative?“
Feb. 232010
 

Größer als die Institution Kirche, größer als „das Christliche“, bedeutsamer als alles Reden und Streiten über die konfessionellen Auffaltungen des Christentums scheint mir der Bezug auf den anleitenden Menschen Jesus. Und doch droht, je mehr Auslegung und Wissen über „das Christliche“ angehäuft wird, dieser innere Bezug auf Jesus – mit einer glücklichen Formulierung Joseph Ratzingers – „ins Leere zu greifen“. Der eigentliche Bezugspunkt des Glaubens verschwimmt. Er wird übermalt durch die Fülle dessen, was man „nicht sicher wissen“ kann.

Was wissen wir sicher? Die Leitgestalt des Christentums, Jesus von Nazaret, wurde als Jude geboren, lebte als Jude, starb als Jude. War er innerhalb der Religion Israels, seiner Gesellschaftsordnung, ein Konservativer? Wie ging Jesus mit seinen Eltern und Geschwistern um? Was war sein Verhältnis zur Autorität schlechthin, zur staatlichen Gewalt, also zu den Römern insbesondere?  Ist das Christliche stets ineins zu setzen mit dem Bewahrenden, dem Festhalten an gewordenen Sozialstrukturen und Traditionen?

Oftmals wird im Tagesgespräch dieser Eindruck erweckt, etwa dann wenn der CDU vorgeworfen wird, sie verlöre mit dem Verlust des Konservativen ihre Seele.  Zu diesen Fragen erwarte ich eine gelingende Auseinandersetzung mit Annette Schavan am kommenden Donnerstag um 19 Uhr in der Katholischen Akademie Berlin, zu der ich mich bereits angemeldet habe.

Katholische Akademie in Berlin e.V. | Wie die CDU die Mitte gewinnt, aber vielleicht ihre Seele verliert

Ersten Aufschluss über das Verhältnis zwischen Sozialstruktur und „größerer Gerechtigkeit“ mag Matthäus 5,20 bieten: „Wenn eure Gerechtigkeit nicht weit größer ist als die der Schriftgelehrten und Pharisäer, werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen.“

Es gibt eine Fülle von Aussagen Jesu über diesen Vorrang des Größeren vor dem Kleineren, des „oberen Waltenden“ vor dem explizit Niedergelegten. Das „Niedergelegte“, das „Hergebrachte“, die Institutionen, all das, woran landläufig „das Konservative“ festgemacht wird, erscheinen  in den Reden Jesu überwölbt und verflüssigt durch einen Prozess ständiger Dynamisierung. Diese Einsicht vermittelt überzeugend der bereits oben zitierte Autor Joseph Ratzinger:

„Die Dynamisierung der konkreten Rechts- und Sozialordnungen, die Jesus damit vollzieht, ihr Herausnehmen aus dem direkten Gottesbereich und das Übertragen der Verantwortung an eine sehend gewordene Vernunft, entspricht der Tora selbst“.

Ich meine: Die Ineinssetzung des Christlichen und des schlechterdings Konservativen kann nicht gelingen, da sie diese ständige Unruhe aus der Gestalt Jesu verfehlt. Nicht umsonst wird Jesus in seinen entscheidenden letzten Jahren als Wandernder ohne feste Bleibe dargestellt. Der Bezug Jesu auf die grundlegende Norm der stets neu auslegungsbedürftigen Tora führt ganz im Gegenteil zum ständigen Befragen, zum dauernden Nachjustieren jeder politischen Ordnung. So ergibt sich: Das im falschen, im starren Sinn gefasste Konservative ist geradezu das Gegenteil des Christlichen.

Nie zu vergessen ist auch, dass das Christentum bereits in seinem Namen ein Anders-Werden, eine  fundamentale „Veranderung“ trägt. Denn der große Mittler, der dieser Religion den Namen verleiht, gehörte ihr selbst nicht an! Er wollte alles andere als eine neue Religion zu begründen. Er gehörte der Religion an, von der sich das Christentum erst Jahre nach seinem Tod am Kreuz abgespalten hat, dem alten Israel.

So wohnte ich einmal einer Erörterung bei, wer „ein guter Katholik“ sei. Wie auch immer die Antwort ausfallen mag: Jesus war kein Christ, kein Katholik, und schon gar nicht ein guter Katholik. Er war ein Jude, der sich mit den religiösen – weniger jedoch mit den weltlichen – Autoritäten seiner Zeit grundlegend überwarf!

Das Christentum ist also die Gestaltung des Werdens vielmehr als die des Seins. Es hat sich von einem Ursprung entfernt, den es doch immer wieder einholen muss: Die Gleichung des Christlichen mit dem Konservativen kann nicht aufgehen.

Vollends abzulehnen ist die Gleichsetzung des „Bürgerlichen“ mit dem „Christlichen“.  Ich meine: Eine christliche Partei, die sich im Wesentlichen als „bürgerliche“ Partei, etwa als Gegensatz zur „Arbeiterpartei“ oder zu „linken Parteien“ versteht, kann mit Fug keinen Anspruch auf das C erheben. Sie zieht sich den Boden unter den Füßen weg.

Lesehinweis:
Joseph Ratzinger: Jesus von Nazareth. Erster Teil. Von der Taufe im Jordan bis zur Verklärung. Herder Verlag, Freiburg 2007, hier besonders: S. 11, S. 159-160

 Posted by at 23:38
Sep. 282009
 

Einer der unerschöpflichsten Lehrer in dem, was wir hier in diesem Blog „Positive Kommunikation“ nennen, ist Jesus von Nazaret. Bei jeder neuen Lesung enthüllt sich etwas Neues, ein neuer hervorblitzender Bedeutungsschimmer. Genau dies berichten mir auch Muslime über ihre Neulesungen des Korans. Genau so öffnete ich heute wieder Ohren und Herz bei der Lesung in der Kreuzberger Gemeinde Sankt Bonifatius. Was würde der Priester bei der Lesung aus dem Markus-Evangelium hervorheben?  Diesen Satz hob er durch Blick und Stimme heraus: „Wer nicht gegen uns ist, der ist für uns“. In diesem Herrenwort, überliefert bei Mk 9,40,  drückt sich ein unbefragtes Grundvertrauen Jesu in sein Volk aus. Da er die Zugehörigkeit seiner Gemeinde zur Schicksalsgemeinschaft Israels, also des Judentums, nie in Frage stellt, geht er davon aus, dass er im Hauptstrom der Überlieferung – also im tora-geleiteten Judentum mitgetragen wird. Ein grandioses Wort! Zu recht hob der Prediger den Unterschied zur geläufigeren Fassung bei Matthäus 12,30 hervor. Ich ziehe die Fassung des Markus derjenigen des Matthäus bei weitem vor.

Der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz Erzbischof Robert Zollitsch beklagte jüngst 120.000 Kirchenaustritte pro Jahr.  Worin liegt die Ursache? Vielleicht darin, dass den Austretenden ein glaubwürdiges, also vertrauenswürdiges Beispiel an derartigem Grundvertrauen fehlt, wie es im Jesus-Wort aufscheint: „Wer nicht gegen uns ist, der ist für uns!“ Das muss ja auch heißen: Wer uns nicht von vorneherein ablehnt, den können wir „für uns“ gewinnen. Man übertrage dies auf das Zusammenleben zwischen den unterschiedlichsten Menschen!

Großartig der Gedankengang des heutigen Predigers, auch ein Mensch, der aus der Kirche ausgetreten sei, könne etwas für die Kirche tun. Ich würde sogar noch einen Schritt weiter gehen: Ein Mensch, der  aus der Kirche ausgetreten ist, der kann sehr wohl die Nachfolge Jesu anstreben, sofern er nicht von vornherein „dagegen“ ist. Er kann sozusagen im Namen Jesu leben, ohne dies zu verlautbaren. Er kann die Werke ohne den nach außen zur Schau getragenen Glauben tun. Er kann „dafür“ sein, obwohl er vor den Augen der Welt „dagegen“ ist. Werke ohne Glauben!

Der Biograph der Mutter Teresa von Kalkutta, Brian Kolodjechuk,  berichtet, dass Mutter Teresa mehrere Jahrzehnte hinweg von heftigsten Glaubenszweifeln heimgesucht wurde. Sie hatte das Vertrauen in diesen Gott fast völlig verloren. Also tat sie die Werke, ohne im Glauben sicher zu sein. Werke ohne Glauben!

 Posted by at 00:04
Jan. 152008
 

Für den Vortrag bei Marie-Luise am Freitag habe ich nunmehr die Textauswahl getroffen. Alle Zuhörer können sich vorab, so sie denn wollen und Zeit haben, mit diesen vorgeschlagenen Texten vertraut machen. Dies ist aber keine Bedingung – ich freu mich auf euch!

Aischylos: Perser insgesamt, jedoch besonders Einzugslied des Chores V. 1-155 vom Anfang und Monolog der Atossa, V. 598-622

Aristoteles: Rhetorik, 1382a-1383b; Poetik, 1449b-1450; 1453b11

Evangelium des Johannes: insgesamt, jedoch besonders 16,33

Biblia hebraica („Altes Testament“) in der griechischen Übersetzung der Septuaginta: Psalm 56 (Zählung der Septuaginta: 55, Zählung der evangelischen und katholischen Bibelausgaben: 56), Buch Genesis/Bereschit: Kapitel 3

Für alle Texte wird der griechische Text herangezogen, jedoch werden keine griechischen Sprachkenntnisse vorausgesetzt. Alles wird ins Deutsche übersetzt werden.

Gute deutschsprachige Literatur:

Sabine Bode: Die deutsche Krankheit – German Angst. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart, 2. Auflage 2007

Borwin Bandelow: Das Angstbuch. Woher Ängste kommen und wie man sie bekämpfen kann. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek 2006

Wolfgang Schmidbauer: Lebensgefühl Angst. Jeder hat sie. Keiner will sie. Was wir gegen Angst tun können. Herder Verlag, Freiburg 2005

 Posted by at 14:37