Schimmelkiez oder Zauberflöte? Was ist unser Leitbild?

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Dez. 152009
 

Eine recht besinnliche Weihnachtsfeier besuchte ich gestern bei der CDU Kreuzberg-West im Lokal Diomira in der Stresemannstraße. Allerlei Märchen und Lieder schossen mir auf dem Hinweg durch den Kopf – von reichen Königen und armen Schneidern etwa. Aber dann ließ ich mich einfach ein in den Strom an Gedanken und Gesprächen. Gleich zu Beginn machte ich mich für eine neue innerparteiliche Vielfaltskultur stark: „Abweichende Meinungen müssen nicht nur toleriert werden, sondern jedes neue Mitglied, das klare, eigenständige Ideen vorträgt, muss ausdrücklich begrüßt werden.“ Nur so kann der dringend benötigte politische Nachwuchs entstehen. Ich saß genau diametral dem Abgeordneten Kurt Wansner gegenüber. Zwei Männer an den Ecken, die einander bei allen unterschiedlichen Meinungen respektieren und ausreden lassen. Schön!

Thema der Reden von BVV-Fraktionschef Müller und Kurt Wansner waren verschimmelte Wohnungen im sogenannten Schimmelkiez, brennende Autos, linksradikale Gewalt, nächtliche Ruhestörungen durch loses Volk, drogenbesteckverseuchte Spielplätze. Nachdem einige derartige Reden verklungen waren, ergriff ich selbst das Wort.

„Es reicht nicht aus, immer nur den Finger auf wunde Punkte zu legen! Wir müssen ein positives Leitbild aufzeigen. Bei allen Problemen gilt es Lösungen vorzuschlagen. Probleme, für die es keine Lösungen gibt, sollte man nicht zu Tode reiten. Mir fällt auf, dass in Friedrichshain-Kreuzberg so viele Gruppen nebeneinander herleben. Es herrscht ein beziehungsloses Nebeneinander: Türken, Deutsche, Araber, Familien, Alte, Studenten, Ossis und Wessis, Friedrichshainer, Kreuzberger, türkische Urberliner und deutsche Zugewanderte,  … alle diese Gruppen gilt es zusammenzuführen.

Wir brauchen (ich hielt bedeutungsschwer inne) ein Leitbild. Ich nenne es:

Der zusammenwachsende Bezirk 

Alle werden dieses Leitbild freudig begrüßen. Statt Autos anzuzünden, werden die Menschen lieber bei uns mitmachen. Keiner wird sich der Anziehungskraft dieser guten Idee entziehen. Statt immer nur mehr für sich zu verlangen, werden die Menschen sagen: Da will ich mitmachen!“

„Wie stellen Sie sich das vor?!“ ward ich gefragt.

Ich sagte: „Kommen Sie am Freitag zur Zauberflöte in die Fanny-Hensel-Grundschule, dann werden Sie es sehen!“

Ich meine, dass Kultur einen Kristallisationspunkt dieses neuen Miteinander ausmachen muss: Mozart, Goethe, Chamisso, Homer, der Koran, die christliche Bibel, türkische und deutsche Klassiker, arabische Bildkunst aus dem 13. Jahrhundert, Immanuel Kant, die amerikanische Unabhängigkeitserklärung … das Feld ist weit! Nur darf man sich nicht immer mit kurzlebigen Popsongs oder gar mit der heutigen kulturellen präsentischen Wüste der Werte begnügen.Wir müssen unbedingt zu den Quellen zurück – und zwar zunächst einmal in deutscher Sprache, später dann auch in den Originalsprachen.

Zufällig kommen die Kinder, mit denen und für die wir am Freitag die Zauberflöte aufführen, aus genau diesem „Schimmelkiez“. Na, überlegen Sie mal, wie Sie sich fühlen würden, wenn Sie hörten: „Sie kommen aus dem Schimmelkiez? Wie schön!“

Diese Gedanken vom Vorrang des Guten über das Böse fallen der Berliner CDU noch sehr schwer! Sie krallt sich immer noch in Negativpropaganda fest, entwickelt kaum Impulse für die Zukunft.

Unsere Kinder, die Berliner brauchen nicht das Gefühl, im Schimmelkiez der Nation zu wohnen. Sie brauchen das Gefühl, jederzeit Zugang zur Zauberflöte unserer Werte zu haben! Zur Zauberflöte unserer gemeinsamen Leitkultur in Deutschland, wie das Armin Laschet nennt.

„Die Aufsteigerrepublik“ Armin Laschets, „die soziale Marktwirtschaft“, „die wachsende Stadt“ eines Ole von Beust – das alles sind Beispiele für prägnante, positiv nach vorne weisende Leitbilder. Diese müssen das Fundament der Politik in Bezirk und Bundesland bilden, nicht das hämische Kritteln und Knastern, wie es sich Berlins CDU unter der jetzt noch amtierenden Führung leider immer noch nicht abgewöhnt hat.

In der zweiten Hälfte des Abends setzte ich mich auf den Platz Kurt Wansners, den dieser freigemacht hatte, und plauderte sehr nett mit einer  Delegierten ausgerechnet aus Lichtenrade, die unseren Bezirk im Kreisparteitag vertritt. Ich plauderte mit einfachen Mitgliedern, mit Funktionären. Ich nenne das gerne das „Beichtstuhlverfahren“. Aus der  Vielfalt der von mir individuell erfragten Meinungen ergibt sich nach und nach ein Gesamtbild dessen, wie Berlins CDU insgesamt und der Kreisverband Friedrichshain-Kreuzberg insbesondere funktioniert. Leitfragen sind dabei: Wer hat das Sagen? Wer hält die Fäden in der Hand? Welche Rolle ist dabei den Delegierten zugedacht? Worum geht es? Geht es eigentlich um Politik? Oder um etwas ganz anderes? Wie erklärt man sich die Wahlergebnisse? Wie redet man sich die eigene Lage schön? Wie werden eigene Machtinteressen durchgesetzt? Wie wichtig ist die Satzung?

Zu guter letzt griff ich zur Geige. Denn Weihnachten und Besinnung, Weihnachten und Musik, Weihnachten und Versöhnung, das gehört für mich unauslöschlich zusammen. Aber den Mut, ein christliches Adventslied zu spielen, den brachte ich doch nicht auf im Diomira.

Zur Bekräftigung unseres Programms vom „Zusammenwachsenden Bezirk“ spielte ich zuerst die „hebräische Melodie“ von Joseph Achron, dann die Gavotte aus der E-dur-Partita von Johann Sebastian Bach, und dann die deutsche Nationalhymne, wobei ich mich stark auf die ursprüngliche Streichquartettfassung Joseph Haydns stützte: „Gott erhalte Franz den Kaiser!“, war der erste Text, der darauf stand. Dann kam: „Einigkeit und Recht und Freiheit“. Der Satz steht in G-dur, das jedem Geiger vortrefflich in den Händen liegt.

Übrigens: „Einigkeit und Recht und Freiheit“, das ist ebenfalls ein solches Leitbild. Leitbilder müssen klar sein, müssen einfach sein, und sie müssen oft wiederholt werden. Sie sind keine Selbstverständlichkeit.

Es war für mich ein würdiger Höhepunkt und Abschluss einer denkwürdigen Weihnachtsfeier. Weitere Veranstaltungen  werden folgen.

Am Freitag, 18. Dezember 2009, morgens 8.50 Uhr:

Mozarts Zauberflöte in einer Fassung für Puppentheater und Kinder. Eingerichtet von Irina Potapenko. Mit selbstgebastelten Puppen.

Datum:

Freitag, 18. Dezember 2009

Zeit:

08:50 – 10:00 Uhr morgens

Ort:

Fanny-Hensel-Grundschule, Kreuzberg

Straße:

Schöneberger Straße 23

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Dez. 142009
 

Kürzlich traf ich im bezirklichen Fahr-Rat mit einer Vertreterin des „Mieterrates Chamissoplatz“ zusammen. Uns kaltschnäuzigen Radlern wurden die Leviten gelesen. Klar. Aber wer war Chamisso? Ich will mehr wissen und versuche heute eine Gesamtausgabe zu kaufen. Fehlanzeige! Es gibt im Handel derzeit keine Ausgabe von Adalbert von Chamisso zu kaufen – ebensowenig wie von Ludwig Erhard.

Erneut stelle ich fest: Die Deutschen verlieren in atemberaubendem Tempo ihre Vergangenheit. Ich habe dies auch bei der Podiumsdiskussion der Adenauer-Stiftung am vergangenen  Mittwoch in aller Härte gesagt: „Unsere jungen Männer wachsen in ein kulturelles Vakuum hinein.“ Geht ins Prinzenbad, geht auf die Plätze, sprecht mit den Jungs in den Kiezen! Sie haben keinen echten Bezug zu irgendwelchen kulturellen Hervorbringungen des Landes, in das sie hineingeboren werden. In das kulturelle Vakuum, das wir den Jungen anbieten, stößt sieghaft, nahezu unbezwinglich der Islam vor. Der Islam ist für die muslimischen Jugendlichen eine geistig-moralische Prägekraft allerersten Ranges, vergleichbar allenfalls der Strahlkraft, die das europäische Christentum etwa bis ins 18. Jahrhundert hinein auszuüben vermochte. Fundamentalistische Strömungen erstarken, der moderate, durch die türkische Ditib gezügelte Islam nimmt ab, der kompromisslose, herrische Islam nimmt zu.

Wir verbleibenden Deutschen leben mit unserem Interesse für Ludwig Erhard, Konrad Adenauer, Rosa Luxemburg, Goethes „West-östlichen Divan“ oder auch Adalbert von Chamisso in der extremen Diaspora. Wenn die Verlage einen nach dem anderen importierten amerikanischen Bestseller auf den Markt werfen, aber Stimmen wie etwa die eines Adalbert von Chamisso nach und nach verlöschen, dann zerfasert unser kulturelles Nervengeflecht – es löst sich auf, Präsentismus herrscht. Außer dem gerade Angesagten gibt es dann nichts mehr.

Der über 1000 Jahre alte Text des Koran wird in diese sich auflösenden Nervengeflechte hineinwachsen und tut dies im Alltag der jungen Muslime bereits jetzt. So erschienen am Bayram-Fest in der vergangenen Woche fast keine Schüler zum Unterricht in unserer Klasse. Sie blieben einfach zuhause, begingen das religiöse Fest. Die Schulpflicht ist demgegenüber absolut sekundär. Erst kommt die Religion, dann die Schule.

Gerade Adalbert von Chamisso wäre – wie Goethe – ein idealer Brückenbauer zum Islam (wie auch zum Judentum). Was für eine traurige Verlustmeldung, dass dieser Dichter heute weder gelesen noch auch nur verlegt wird!

Heute las ich das staunenswerte Gedicht „Die goldene Zeit“ von Adalbert von Chamisso. Hört doch folgende Verslein daraus:

Ungeschickt zum Löschen ist
Wer da Öl gießt, wo es brennt;
Noch ist drum kein guter Christ,
Der zu Mahom sich bekennt.
Scheut die Eule gleich das Licht,
Fährt sich’s doch vorm Winde gut,
Besser noch mit Wind und Flut
Aber gegen beide nicht.

Das ist groß, das ist verrätselt, das erregt mir Sensationen, als hätte ich ein Gedicht von Rimbaud oder Verlaine gelesen! „Wer zu Mohammed sich bekennt, ist deswegen kein schlechter Christ!“ So deute ich den Sinn der Verse 3 und 4. Es gab über das gesamte 18. Jahrhundert hin und weit drüber hinaus eine lebhafte Debatte über den Islam, an der sich Voltaire, Goethe, Chamisso und viele andere beteiligten. Nichts davon ist den Menschen heute noch gegenwärtig. DAS ist ein kulturelles Versagen allererster Größe.

In Chamissos Versen finden wir die prästabilierte Harmonie der Religionen, das ist Goethe, ist Lessing, das ist Navid Kermani, das ist der Geist, den wir heute brauchen! Gerade hier im Chamissokiez und heute in Kreuzberg!

Am kommenden Samstag,19.12.2009, findet folgende Lesung statt:

Tzveta Sofronieva und Adalbert von Chamisso.  Weilands Wellfood, Bergmannstraße 5-7, Kreuzberg-Chamissokiez,  Beginn 16.00 Uhr. Eine Veranstaltung der neugegründeten Chamisso Akademie.

Da muss ich hin – bin sehr sehr gespannt!

Wird es uns gelingen, den rapiden Gedächtnisverlust aufzuhalten?

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Dez. 062009
 

Bereits im 5. Jahrhundert vor Christus zeichnet sich ein Gegensatz zwischen orientalischer Herrschaftskultur und europäischer Freiheitskultur ab. In den Persern des Aischylos, aber auch im Buch Ester der Hebräischen Bibel wird dies exemplarisch fassbar.

Die orientalische, die östliche Herrschaftskultur beruht auf der Unterwerfung des Einzelnen unter die göttlich überhöhte Vorrangstellung der Macht. Die Macht des Selbstherrschers setzt das Recht, schützt den Einzelnen vor Anmaßungen anderer, verlangt aber bedingungslose Anerkennung und Verherrlichung. Bis zum heutigen Tage herrschen in den meisten Nachfolgestaaten der antiken Großreiche des Ostens autokratische, auf Unterwerfung beruhende Regierungen. Die einzige Ausnahme stellen Israel und – mit allerdings erheblichen Einschränkungen – die Türkei und teilweise Libanon dar. Alle anderen Staaten vom Maghreb bis nach Pakistan sind autokratische oder diktatorische Regimes, in denen sich niemals über die Jahrtausende hin eine echte Freiheitskultur entfaltet hat.  Die Bürger dieses Staaten sind an ihre Versorgungsdiktaturen gewöhnt. Die Macht setzt sich durch, gestützt auf einen willfährigen Polizei- und Beamtenapparat.

Aus diesen Ländern der Versorgungsdiktaturen kommen die „problematischen“ Migrantengruppen zu uns. Da sie in ihren Herkunftsländern niemals aktive Teilhabe am öffentlichen Leben erlangt haben, setzen sie ihre Karriere als Versorgungsempfänger in Deutschland nahtlos fort. Folge: es kommt ihnen gar nicht in den Sinn, etwa Elternabende zu besuchen. Alles, was der Staat macht, wird von den Bürgern hingenommen. Weder wird der Staat kritisiert, noch wird er aktiv verändert. Der Staat – hier also vertreten durch die Schule – soll seine Versorgungsleistungen erbringen. Zu diesen Leistungen gehört auch die Erziehung der Kinder. Man liefert Kinder ab, und die Schule soll sie erziehen. Der Islam mit seinem starken Akzent auf Endgültigkeit, mit seinem geschlossenen Weltbild, mit seiner nicht-diskursiven Ethik eignet sich ideal als Kitt solcher autokratischer Herrschaftsverbände.

Ganz anders das europäische Modell der abendländischen Leitkulturen! Europäische Leitkulturen sind dynamisch. Sie entstehen aus dem häufig streitigen Gegeneinander unterschiedlicher Machtpole und Machtinteressen. Machtverherrlichung ist nicht ihr Hauptzweck, sondern Befragung, Bekämpfung oder auch Sicherung der stets gefährdeten Macht. Europäische Leitkulturen sind nach vorne offen, sie zeichnen sich durch stetes Umdeuten der Herkünfte aus. Zu den europäischen Leitkulturen gehören deshalb untrennbar offene Kanonbildungen – ja der Kanon kultureller Werte und Werke ist selbst Gegenstand fortlaufender Neudeutung und Neuschaffung.

In der Berliner Schulpolitik herscht riesige Verwirrung über die Herkunftsländer unserer Migranten – sofern man sie überhaupt zur Kenntnis nimmt.  Unser Sozialsystem wird von den Zuwanderern aus Türkei, Libanon oder Jordanien als bruchlose Fortsetzung der orientalischen Versorgungsdiktaturen erlebt und dankbar entgegengenommen. Die orientalisch-islamische Herrschaftskultur wird meist unbefragt weitergegeben. Dies erfahre ich auf Schritt und Tritt bei der Begegnung mit jungen migrantischen Männern in Kreuzberg.

Diese jungen migrantischen Männer wachsen in ein kulturelles Vakuum hinein, da die deutsche Gesellschaft – also wir – es nicht mehr vermag, ihre eigenen Werte überzeugend zu formulieren. Vielmehr wird in der deutschen Politik der Staat zunehmend zum „Anspruchsgegner“ gemacht, der uferlos auswuchernde Versorgungs- und Glückseligkeitswünsche zu befriedigen hat. Diese Grundhaltung „Versorge uns oh Staat!“ reicht bis weit in die CDU und die FDP hinein.

Man kann dies auch an den neuesten Schulreformversuchen ablesen. So wird etwa in der Broschüre des Berliner Senats zur neuen Sekundarschule nirgendwo die Rolle der Familie oder der fundamentale Beitrag des Einzelnen erwähnt – vielmehr wird das gesamte Schulwesen als eine Art BVG-Verschiebebahnhof dargestellt. Es kommt nur darauf an, den richtigen Waggon zu erwischen, alles andere regelt der Staat für die Schüler.

Ich halte dies für gefährlich. Wir brauchen nicht den Untertan, den unmündigen Leistungsempfänger. Wir brauchen den mündigen, seiner Rechte und Freiheiten bewussten Menschen und Bürger, der seine Glückseligkeit nicht vom Staat erwartet, sondern selbst dafür arbeitet.

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Bildung vom Lernen her denken – nicht von Einrichtungen!

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Dez. 052009
 

Äußerst possierlicher Kontrast zwischen der laufenden Berichterstattung unserer Zeitungen über die Berliner Schulen einerseits – und dem neuen Buch von Armin Laschet andererseits! Hier in Berlin zanken und zauseln sie sich um eine zusätzliche Stunde für Naturwissenschaften, um berlinweit gültige Essenspläne für das Mittagessen, sie  mahnen, klagen, drohen und schimpfen.

Laschet hingegen erzählt, schafft den großen Überblick, rafft, bekennt Sünden, wirbt um Verständnis, baut Brücken in die Zukunft! Ein toller Wurf ist dieses Buch, das ich innerhalb von 2 Stunden durchgelesen habe! Ich bin begeistert.

Auffällig: Gerade in Einzelfragen stimme ich mit ihm überein (S. 235 ff). Ich empfehle vor allem Kapitel 12 „Bildung, Bildung, Bildung“ und ziehe hieraus folgende Einzelaussagen:

a) Frühkindliche Bildung ist wichtiger als das Herumbosseln an der Sekundarstufe. In Kitas und Grundschulen muss Hirnschmalz und Geld fließen! Hier werden die Weichen gestellt.
b) Schulstrukturen sind nicht entscheidend. Entscheidend ist die Möglichkeit des Aufstiegs, des Umstiegs, der Teilhabe, des Lernens.
c) Bildungsverläufe sind langfristig anzulegen – über den gesamten Lebenszyklus hinweg spannen sich die Biographien des Lernens.
d) Das Elternhaus ist ebenso wichtig wie die Schule. Die Eltern müssen mitarbeiten.

Offene Fragen in Laschets Buch sind für mich:
Lebenslang lernen, das heißt auch: Sich lebenslang verändern! Was tun, wenn die Grundhaltung eines Menschen auf Bewahren des Errreichten, nicht auf Veränderung angelegt ist?

Kapitel 15: „Gemeinsame Leitkultur“ „Leitkultur in Deutschland“, oder auch „Europäische Leitkultur“, wie dies Bassam Tibi nannte. Hier bleibt Laschet eine Definition schuldig. Gehört der Koran dazu? Ich glaube: ja!
Man könnte sagen: Dieses Buch „Die Aufsteigerrepublik“ ist selbst ein ideales Beispiel für das, was „Leitkultur“ bedeutet: beständiges Nachdenken, beständiges Sich-Verändern, fortwährendes Sich-Abarbeiten an Erfahrungen, ein tastendes, nachholendes, erinnerungsgesättigtes Wirken in die Zukunft hinein – genau das ist Leitkultur. In diesem Sinne ist „Leitkultur“ äußerst dynamisch, stets unabgeschlossen, stets um Hereinholen des anderen bemüht. Leitkultur ist also das Gegenteil einer starren, auf bloßes Bewahren gerichteten Herrschaftskultur. Beispiel Christentum: Christentum ist stets nach vorne offen, ändert sich, verhallt, klingt wider, reagiert auf Sünden und Fehler und wandert weiter.

Würde gern mal den Herrn Laschet hierzu befragen!

Armin Laschet: Die Aufsteigerrepublik. Zuwanderung als Chance. Kiepenheuer  & Witsch, Köln 2009

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„Wartet’s ab, irgendwann kommt ihr noch zur Bundeskanzlerin!“

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Okt. 082009
 

So flapsig äußerte ich mich zu unserer Kindergartenleiterin Ute Kahrs, als wir den Anstoß für eine „musikbetonte Kita“ ausgeheckt hatten. Auch in dieser gutgeführten Schöneberger Einrichtung überwogen die Kinder aus türkischen und arabischen Familien. Die Deutschen schickten ihre Kinder auf die kleinen und feinen privaten und kirchlichen Kitas. Dafür zahlten sie auch gerne.

Heute, drei Jahre später, hat sich eine prachtvolle, fröhliche Kita daraus entwickelt, die deutschen Eltern setzen sich wieder auf die Warteliste. Die Berliner Zeitung hat darüber berichtet. Dieses Blog hat mehrfach darüber berichtet. Und – jawohl – die Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die Kinder und die Erzieherinnen empfangen und sich auf ein schönes Foto dazugestellt. Dies entnehme ich mit großer Freude dem neuen Programmheft des Nachbarschaftsheims Schöneberg auf S. 125.

Programmheft-2-09_01.pdf (application/pdf-Objekt)

Kristina Köhler sagte gestern in der mäßig harten und ziemlich unfairen Sendung „Hart aber fair“: „Wir müssen mehr Erfolgsgeschichten erzählen.“ Richtig! Dann schaut euch doch mal das Foto mit Bundeskanzlerin Merkel und der Kita am Kleistpark an: Alle Kinder tragen einen Pulli in den deutschen Farben, sie dokumentieren damit: Wir gehören alle dazu. Und zwar zu Deutschland. Viele Musiker stehen als stützender schützender Hintergrund dabei. Das heißt: Klassische Musik, die Musik eines Mozart, eines Bach, eines Brahms oder Dvorak oder Tschjaikowskij kann uns zusammenführen und verbinden.

Ich ergänze: Diese deutschen Kinder brauchen neben viel Musik und Malen auch viel Poesie. Sie brauchen sinnvolle Gedichte. Sie brauchen Reime, Abzählspiele, Kinderlieder. Sie brauchen Goethe, sie brauchen Friedrich Schiller. Sie brauchen von mir aus auch die türkische Nationalhymne. Und zwar in deutscher Sprache.  Und genau das – gute, einfache, farbenfrohe Bilder aus der deutschen, der europäischen, der Weltkultur – vermisse ich.

Ich blättere verzweifelt die Lesefibeln durch, mit denen unsere Kinder in der Grundschule lernen. Nichts! Keine sinnstiftenden Geschichten! Keine Märchen, keine Sagen, keine Legenden. Keine Reime. Keine Pippi Langstrumpf, kein Zundelfrieder, kein Schweik. Kein Hans im Glück! Nichts. Es ist die Selbstaufgabe der europäischen Kultur, was ich da in den Lernmitteln der Kinder sehe. Der komplette Bankrott. Nur um niemandem auf die Füße zu treten, vermitteln unsere Grundschul-Lehrmittel eine weiße Fläche. Kein Hänsel, kein Gretel, und nicht einmal ein Ali Baba oder ein kleiner Muck. Denn es könnte ja sein, das Kulturstereotypen unbewusst weitergegeben werden. Huch!

Das sollte sich ändern. Wir brauchen ein gutes Lesebuch für die Grundschule. Mit Geschichten, Märchen, Bildern, Gedichten, Liedern.

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Leipzig lockt. Eine Stadt aus dem alten Europa

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Juli 182009
 

15072009.jpg Das Wochenende werde ich privat in Leipzig verbringen. Gestern überraschte mich beim Blättern im Reiseführer von Susann Buhl und Tobias Gohlis der Name des Verlags Teubner. Teubner ist ein Leipziger Verlag. Obwohl ich selbst meist die Oxford Classical Texts bevorzuge, – etwa wenn ich Plato lese -, liegt doch immer wieder ein Band der Teubnerschen Ausgaben in meiner Hand. Blau für Latein, Rot für Griechisch. Aber welche gewaltige Entfernung liegt vor einem Kind der ersten Klasse, ehe es irgendwann diese grundlegenden Texte von Vergil und Plato, von Ovid oder Homer lesen kann! Wird es in 50 Jahren noch Menschen geben, die wissen, was eine gute Teubner-Ausgabe bedeutet? Wirklich? Ich denke mir das manchmal, wenn ich in die Fanny-Hensel-Schule gehe. Nicht nur Mendelssohn Bartholdy oder Mozart, nicht nur Goethe und Shakespeare, sondern eben auch Homer, Aischylos, Aristoteles und wie sie alle heißen – diesen Bestand von etwa 200 bis 300 Autoren, der grundlegend geworden  ist für unser Selbstverständnis, den müssen wir pflegen und weitergeben.

Ich meine: von Grundschulklasse 1 an.  Jedes Grundschulkind sollte auf altersgemäße Weise an die großen, alles überstrahlenden Werke und Namen Europas herangeführt werden. In Übersetzungen. Sie sollen imstande sein, sich zu definieren auch über das, was sie wissen. Wenn sie erst mal 15 sind, werden sie neue Herausforderungen zu bewältigen haben: das massive Angebot der Medien, Sex und nochmals Sex, eine milliardenschwere Unterhaltungsindustrie, die gerne den Jugendlichen das Geld aus der Tasche zieht. Und: Kinder von 11 bis 13 Jahren sitzen heute im Durchschnitt 100 Minuten vor dem Fernseher. Täglich! Was lernen sie da? Was sehen sie da? Womit werden ihre Köpfe angefüllt? Irgendwann definieren sich die Jugendlichen dann vorwiegend über das, was sie besitzen: das iPhone, einen iPod, die schicken Klamotten. Ich meine: bereits vorher müssen wir sie bekanntmachen mit dem, was wirklich zählt. The right stuff: Aristotle, Plato and Company.

Gespannt bin ich auf das Konzept der autoarmen Innenstadt. Mit dem ICE dauert es nur 1 Stunde von Berlin nach Leipzig!  Und das erwartet uns:

Autoarme Innenstadt in Leipzig: Informationsaktion mit Hinweisen für Rad- und Autofahrer startet
# Die City soll zum Flanieren einladen, aber auch von Radfahrern durchquert werden können – einige Hauptfußgängerbereiche sowie das Barfußgäßchen, die Klostergasse und die östliche Kleine Fleischergasse ausgenommen.
# Autos dürfen nur fahren, wo dies nicht durch Beschilderung untersagt ist. Parken können sie ausschließlich auf eigens gekennzeichneten Flächen.
# Andererseits muss die Innenstadt auch für Anlieferfahrzeuge erreichbar sein, Feuerwehr- und Rettungsfahrzeuge müssen sich ungehindert bewegen können.
# In der gesamten Innenstadt gelten Tempo 20 und eingeschränktes Halteverbot – für den Kfz- ebenso wie für den Radverkehr.
# In den Fußgängerzonen, in denen das Anliefern und Radfahren erlaubt ist, gilt Schrittgeschwindigkeit.
# Für Fahrräder stehen in der Leipziger Innenstadt derzeit rund 730 Anlehnbügel zur Verfügung. Die Stadt plant, weitere solcher Bügel aufzustellen. Insgesamt soll es davon künftig mehr als tausend in der City geben. Zur Gewährleistung der Verkehrssicherheit sollten Räder nur an Anlehnbügeln abgestellt werden.
# Rettungswege und Blindenleitstreifen müssen unbedingt freigehalten werden.

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Juli 012009
 

Am 4. Juni 2009 sprach Präsident Obama bei seiner großen Rede in Kairo eine Wahrheit aus, die wenigen geläufig ist:

The White House – Press Office – Remarks by the President at Cairo University, 6-04-09
The dream of opportunity for all people has not come true for everyone in America, but its promise exists for all who come to our shores — and that includes nearly 7 million American Muslims in our country today who, by the way, enjoy incomes and educational levels that are higher than the American average.

Auf gut Deutsch: Die Muslime der USA haben ein höheres Durchschnittseinkommen als der Durchschnitt der gesamten Bevölkerung. An der Religion kann es also nicht liegen, wenn die Einwanderer aus muslimischen Ländern in Deutschland in nahezu allen Bereichen – Einkommen, Bildungsgrad, Arbeitslosigkeit – schlechter dastehen als der Durchschnitt. Nein, es muss andere Ursachen haben.

In ihrem Buch über Die letzte Volkspartei  (S. 157)  schreibt Mariam Lau:

Die Gründe für die Gewalt junger Ausländer sind weniger geheimnisvoll, als in der Diskussion damals oft suggeriert wurde. Prügelnde Väter, ein Ausmaß an Sozialhilfe, das jede eigene Anstrengung im Kern erstickt, die Priorität der Familie gegenüber den Einzelnen, die natürlich die Ausprägung eines individuellen Gewissens und ein eigenes Verhältnis zur deutschen Gesellschaft untergraben, gehören dazu. […]

Lange schon ist Deutschland ein Einwanderungsland; die Konservativen wollten das nicht zur Kenntnis nehmen, die Linken wollten nicht über die Schattenseiten reden. In Amerika, wo der Zugang zu Sozialhilfe fast unmöglich, der auf den Arbeitsmarkt dagegen leicht ist, gibt es praktisch keine Kriminalität von Arabern oder Türken. Sie fühlen sich als Amerikaner und empfinden Terror in der U-Bahn als das, was er ist. Die Kultur kann es also nicht sein. […] Viele würden gern alles auf den Islam schieben. Nur gerät man dann in Erklärungsnot, warum die Strukturen in amerikanischen Schwarzen- oder Latino-Vierteln denen in Neukölln so ähnlich sind, während amerikanische Muslime zu den wohlhabendsten und zufriedensten Gesellschaftsmitgliedern der USA gehören.

Ich meine: Wir brauchen ein Ideal von Deutschland.  Ein Ideal, dem jeder beitreten kann, sofern er nur den Willen dazu hat und bereit ist, für sich und andere Verantwortung in diesem Land zu übernehmen. Die ethnische Herkunft ist dabei unerheblich. Entscheidend ist dieser beständige Vorgang der Selbst-Integration. Dieser Prozess hört ein Leben lang nicht auf. Er ist unabschließbar, weil unser Deutschland sich beständig ändert. Es gibt keine materiellen Gewissheiten, die die Zugehörigkeit zu diesem Deutschland sichern. Das Ideal wird nie vollkommen verwirklicht. Wir sind immer unterwegs zu ihm. Aber wir brauchen ein solches Ideal. Und man muss es benennen und erzählen können. Es ist wie ein Traum, der lebbar gemacht werden muss. Weder die Deutschen noch die Ausländer konnten mir bisher genau, mit guten, überzeugenden Bildern erzählen, was dieses Ideal ist.

Wird der Abend morgen im Glashaus mehr Aufschluss bringen?

Buchtipp:

Mariam Lau: Die letzte Volkspartei. Angela Merkel und die Modernisierung der CDU. DVA München 2009. Hier: Ein deutscher Islam? Wie die CDU das Thema Integration für sich entdeckt hat, S. 133-167

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Mai 182009
 

 Yussuf – so heißt ein Mitschüler meines Sohnes. In Yussuf benannte sich auch Cat Stevens nach seinem Übertritt zum Islam um. Würdet ihr glauben, dass dieser Yussuf kein anderer ist als der Joseph aus dem 1. Buch Mose, das Juden wie Christen gemein ist?

Diesem Joseph oder Yussuf begegnete ich gestern beim Spazierengehen in Würzburg. Ihr seht ihn dort oben. Es war ein herrlich leichter, hingezauberter Abend. Die alte Mainbrücke zu überschreiten, den Blick der ruhig vertäuten Kähne zu genießen und ein paar Worte unter Freunden zu wechseln, das war für mich gestern ein schöner Augenblick.

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So wie Navid Kermani oder Necla Kelek uns einen neuen Blick auf das Kreuz lehren können, so vermag es Goethe, die Eigenart des Islam genauso hervortreten zu lassen wie auch sein Strenges und Hartes. Ähnlich wie Kermani gelingt es ihm, in Anziehung und Abstoßung des Eigene und das Fremde geradezu sinnlich spürbar werden zulassen.

Goethe schreibt in seinen Noten und Abhandlungen zu besserem Verständnis des West-östlichen Divans in dem Mahomet benannten Kapitel:

Nähere Bestimmung des Gebotenen und Verbotenen, fabelhafte Geschichten jüdischer und christlicher Religion, Amplificationen aller Art, gränzenlose Tautologien und Wiederholungen  bilden den Körper dieses heiligen Buches, das uns, so oft wir auch daran gehen, immer von Neuem anwidert, dann aber anzieht, in Erstaunen setzt und am Ende Verehrung abnöthigt.

Eine der wenigen im echten Sinne erzählenden Suren ist die Sure 12. Sie ist ganz dem Josef (ungarisch: Joschka, arabisch: Yusuf, bairisch: Sepp) gewidmet. Goethe rühmt an der koranischen Umarbeitung der biblischen Josefsgeschichte, sie sei bewundernswürdig.  Die Überlieferungen des Alten Testaments beruhen – so Goethe – „auf einem unbedingten Glauben an Gott, einem unwandelbaren Gehorsam und also gleichfalls auf einem Islam“.

So wie Kermanis Bildmeditationen das beste sind, was ich seit einigen Monaten über das Christentum gelesen habe, so stellen Goethes Meditationen über Mahomet das beste dar, was ich seit vielen Wochen aus der Feder eines Nicht-Muslims über den Islam gelesen habe. Ohne flache Multi-Kulti-Versöhnlichkeit gelingt es Goethe, sich in Lebenswelt und Schriftsinn des Koran hineinzuversetzen, sich in ihn einzufühlen, ohne die eigene, abendländische Denkart preiszugeben.

Der Goethe des West-östlichen Divans ist DER große Anreger für uns in der Bundesrepublik Deutschland am Beginn des 21. Jahrhunderts. Er muss gleichberechtigt an die Seite des bekannteren Goethe gestellt werden, der den Faust geschrieben hat!

Schließen wir diese kurze Abendandacht mit einem Zitat aus der 12. Sure, Vers 92-93. Sie kann uns zeigen, wie innig verschwistert Judentum, Christentum und Islam sind und bleiben. Denn alle drei Religionen erzählen in immer neuen Abwandlungen das spannungsreiche Thema der Entfremdung zwischen Vätern und Söhnen, zwischen Bruder und Bruder. Ob Cat „Yussuf“ Stevens, ob Josef „Joschka“ Fischer sich immer bewusst waren, welche Kraft in ihrem Namen lag? Ihrem hebräischen Namen, der bedeutet: ER fügt hinzu? Denn nachdem Josef von seinen Brüdern verraten und verkauft worden war und der Vater aus Gram und Kummer das Augenlicht verloren hat, führt er zuletzt die große Versöhnung herbei, indem er sein Hemd weggibt und hinzufügt und dabei seinen Brüdern sagt:

„Keine Schelte soll heute über euch kommen. Gott vergibt euch, Er ist ja der Barmherzigste der Barmherzigen. Nehmt dieses mein Hemd mit und legt es auf das Gesicht meines Vaters, dann wird er wieder sehen können.“

Das heißt: Die Versöhnung geht vom Sohn aus, nicht vom Vater. Heißt sie deshalb Ver-söhnung, also Wiederherstellung des Sohn-Seins? Etymologisch nicht, denn das Wort stammt von Sühne ab. Aber in einem tieferen Sinne stimmt dieses Brückenbild. Joseph oder Yussuf – sie stehen im Bilde gesprochen „auf der Brücke“, sie sind die großen Hinzufüger, die großen Schenkenden.

Versöhnung geht in der Josefsgeschichte von dem aus, dem Unrecht angetan wurde, nicht von den Tätern des Unrechts. Und die Versöhnung macht im vollen Umfang „sehend“.

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Quellen:

Goethes Sämmtliche Werke. Vollständige Ausgabe in zehn Bänden. Mit Einleitungen von Karl Goedeke. Erster Band. Stuttgart. Verlag der J. G. Cotta’schen Buchhandlung. 1885,  S. 555-557

Der Koran. Übersetzung von Adel Theodor Khoury. Unter Mitwirkung von Muhammad Salim Abdullah. Mit einem Geleitwort von Inamullah Khan. Gütersloher Verlagshaus, 4. Auflage, Gütersloh 2007, S. 185

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Apr. 212009
 

Den obigen Ausruf mögen die älteren unter den Leserinnen noch kennen. Ich hörte ihn in höchster Erregung vorgetragen als Sechstklässler, als wir bildungsfernen Rabauken mal wieder Rabatz schlugen, ehe der erwartete Lehrer endlich erschien, um mit dem Lateinunterricht zu beginnen. Er schalt uns tüchtig: „IST hier jetzt gleich Ruhe, hier geht’s ja zu wie in der JUDENSCHUL!“

Was steckt hinter dieser Redewendung? „Schul“, das ist im Jiddischen der Ausdruck für Synagoge, also für das Versammlungshaus der jüdischen Gemeinde. Das jiddische Wort kommt aus dem deutschen Wort „Schule“, weil die Synagoge selbstverständlich nicht nur Versammlungshaus, sondern auch auch Lernort, eine Stätte der Wissensweitergabe war. Die Judenschul, das war die Synagoge. Unser deutsches Wort Schule wiederum stammt von lateinisch schola, die Schule, ab, welches seinerseits wiederum aus dem griechischen σχολή, die Muße, die freie Zeit stammt.

Die Juden lehren und lernen ihre grundlegenden Schriften bis zum heutigen Tage durch individuelles, halblautes Lesen, durch ständiges wechselseitiges Befragen, es wird häufig in einem vielstimmigen Stimmengewirr rezitiert, geredet,  gestritten. In Rede und Gegenrede wird um die rechte Auslegung gerungen. Der Lehrer schreitet durch die Lernenden hindurch, wird selbst zum beständig Lernenden. Für den draußen Vorbeigehenden ergab sich ein unerträgliches, chaotisches Durcheinander – die Judenschul ist ein vielstimmiges Klanggebilde, aus dem allerlei Unverständliches herausdringt.

Was ist das Ergebnis der Judenschul, dieser Art des vielstimmigen Lernens in einem gemeinsamen Lernort? Man werfe einen Blick auf die Statistik der Nobelpreisträger, der Schriftsteller, Musiker und Wissenschaftler, und man wird erkennen: In allen Bereichen, wo es besonders stark auf die Weitergabe, Vermittlung und produktive Anwendung von Wissen und Erkenntnis geht, sind Juden seit Jahrhunderten weit überdurchschnittlich vertreten.  Ich führe das vor allem darauf zurück, dass bei den Juden seit der Antike höchst effiziente, selbstgesteuerte Formen des gemeinschaftlichen Lernens und Lehrens gehegt werden. Ein besonders beeindruckendes Monument dieses Lernens-Lehrens ist übrigens der Talmud. Und Talmud heißt auf hebräisch nichts anderes als Lernend-Lehren oder auch Lehrend-Lernen.

Neben der Akademie Platons halte ich die Judenschul für eines der großen wegweisenden Modelle des selbstgesteuerten, in Rede und Gegenrede sich entfaltenden Lernens, wie es neuerdings seit einigen Jahrzehnten wieder vermehrt gefordert wird. Zwischenfrage: Wieso sagt das Blog hier „neuerdings, seit einigen Jahrzehnten“? Antwort: Wir denken hier selbstverständlich in Jahrtausenden, nicht in Legislaturperioden. Selbst 30 Jahre taz sind noch nicht so arg viel. Wodurch wir zum gestern erwähnten taz-Forum über das heilige deutsche Gymnasium zurückkommen. Immer wieder wurde dort verlangt, die Schülerinnen sollten einander lehren, die Stärkeren sollten die Schwächeren mitnehmen und ähnliches mehr.

Mehrere Lernvorgänge sollen gleichzeitig ablaufen: Binnendifferenzierter Unterricht, so lautet das Gebot der Stunde. Der binnendifferenzierte, auf den indivduellen Lernfortschritt abgestimmte Unterricht wird unabweisbar, wenn Kinder aus verschiedenen Milieus aufeinandertreffen: der Schüler, der stundenlang an der Video-Konsole Ego-Shooter spielt, der deutsche Jugendliche mit seinen statistisch nachgewiesenen 213 Minuten täglichem Fernsehkonsum trifft auf die Schülerin, die mit 7 Jahren selbständig ganze Bücher in den beiden Erstsprachen Polnisch und Deutsch flüssig vorlesen kann.

Genau das scheint auch der Autor und Journalist Christian Füller, der sich gestern zu meiner großen Freude in diesem Blog zu Wort meldete, mit seinem Buch Die Gute Schule im Sinn zu haben. Denn es gibt gute Schulen! Füller schreibt:

Leseprobe Die Gute Schule
Die guten Schulen haben ihr Kerngeschäft reformiert: das Lernen der Schüler. Ihr großes Ziel ist es, die Machtverhältnisse des Lernens zu verändern. Sie versuchen, ihre Schüler aus der Rolle von Objekten der Beschulung zu befreien – und zu Subjekten ihres Lernens werden zu lassen. Schüler werden dort als kleine Forscher gesehen, die ihren Wissenserwerb, ihre Kompetenzfortschritte und ihre Lernprojekte selbst mitsteuern sollen. Dieser neue Lernstil hat einen Namen, er heißt individuelles und selbständiges Lernen. …

Da haben wir’s! Unabhängig davon, ob wir diesen Lernstil neu oder uralt nennen, ob wir ihn binnendifferenzierten Unterricht nennen oder in die alte Spruchweisheit Docendo discimusDurch Lehren lernen wir – kleiden: Immer geht es darum, dass die Lernenden in die Freiheit des selbstständigen Fragens, Redens und Widerredens hinein entlassen werden.

Letzte Frage: Was kostet das? Antwort: Diese neue, uralte Art des Lernens ist viel billiger als der einseitige Frontalunterricht, weil sie weniger Räumlichkeiten erfordert, weil die Lernenden weniger Betreuung brauchen, weil insgesamt weniger „angeboten“ und mehr „verlangt“ wird. Ein üppiges Medienangebot ist ebenfalls nicht nötig.

Die entscheidenden Arbeitsmittel sind: geschriebene Texte, also Bücher und Hefte. Ferner: der eigene Kopf. Weitere Arbeitsmittel: Schreibwerkzeuge, also Papier und Stift. Wichtigste Techniken des Arbeitens: Vorlesen, Lesen, Einprägen, Erinnern, Schreiben, Zuhören, Sprechen, Fragen, Antworten. Wichtigste Grundhaltung: Aufmerken – Mitmachen – Selbermachen. Die neue Schule ist nicht teuer. Sie ist arm und sie soll arm sein. Mindestens in den Augen der heute allesamt sehr reichen Schüler mit ihrem vielfältigen Zerstreuungsangebot: Handys, Internet, I-Pod. Die heutigen deutschen Schulen sind unvorstellbar reich und teuer im Vergleich zu den Schulen anderer Länder und anderer Zeiten, die mit wesentlich weniger Geld bessere Lern-Erfolge erzielten (etwa in der multiethnischen Sowjetunion).

Also – ja zur Judenschul, ja zur Akademie, ja zum binnendifferenzierten Unterricht! Meinem Lateinlehrer aus der sechsten Klasse, einem Benediktinerpater, danke ich noch heute. Denn er hat meine Neugierde für Latein geweckt und gepflegt – und auch für die Judenschul. Er hätte nicht in Zorn geraten müssen ob unseres Rabaukentums. Denn es steht geschrieben in Psalm 112: Wenn Schlimmes gehört wird, so braucht er sich nicht davor zu fürchten. 

 Posted by at 12:44
Apr. 202009
 

Leider mal wieder völlig abwesend: Hauptschüler, türkische und arabische Schüler – die sollten mal auspacken!

André Schindler, Vorsitzender des Landeselternausschusses Berlin; Cordula Heckmann, Schulleiterin der Heinrich-Heine-Realschule und Leiterin des Jahrgangs 7 an der Gemeinschaftsschule des neues „Rütli-Campus“ in Berlin; Hamburgs Bildungssenatorin Christa Goetsch; Günter Offermann, der Rektor des Schiller-Gymnasiums in Marbach: das waren die Teilnehmer des Forums auf dem taz-Kongress, zielstrebig und klug geleitet von Tazzlerin Anna Lehmann. Ich setzte mich ins Publikum, lauschte. Christa Goetsch stellte das neue Hamburger Modell vor: Das Gymnasium bleibt erhalten, wird nach 12 Jahren zum Abitur führen. Daneben tritt die Stadtteilschule, auf der es 13 Jahre bis zum Abitur dauert. Neue Schulstruktur – neue Lernkultur: das waren auch die Zauberwörter, um die die insgesamt hochanregenden Beiträge kreisten. Lehrer, Schüler und Fachleute diskutierten, tauschten Erfahrungen aus – sehr gut!

Das Gymnasium – ein Auslaufmodell at 30 Jahre taz – tazkongress vom 17. bis 19. April 2009

Die insgesamt sehr gute Diskussion kreiste wie üblich um zwei Pole. Zum einen die Strukturdebatte: „Welche Schulformen werden benötigt?“ und Unterrichtsqualität: „Wie soll gelehrt und gelernt werden?“

In der Debatte meldete ich mich zu Wort. Ich beklagte die ethnisch-religiöse Segregation der Schülerschaft in Kreuzberg, Neukölln und Wedding. Die deutschen Eltern wollen nichts mit den mehrheitlich muslimischen Klassen zu tun haben. Diese Abschottung ist eingetreten, unabhängig von allen Diskussionen um Schulstrukturen und Unterrichtsformen.

Völlig ausgespart blieb das gesamte Leben der Schüler außerhalb der Schule, also die Familien und die Freizeit. Dabei wissen wir in Neukölln und Kreuzberg längst: An die Eltern müssen wir heran. Denn in den Familien, nicht in den Schulen werden offenbar die Weichen für Bildungskarrieren gestellt. Medienberieselung mit türkischem oder arabischem Satellitenfernsehen, Abkapselung nach außen, ein Versagen der Väter, Verhätschelung einerseits, Prügelei andererseits, kein lebbares Männlichkeitsbild, kein Kontakt zur deutschsprachigen Umgebung, eine Unfähigkeit zur sinnvollen Freizeitgestaltung: das scheinen die echten Probleme zu sein. Diese traut man sich aber nur hinter vorgehaltener Hand zu benennen. Stattdessen schüttet man weiterhin Geld in das System und in Strukturreformen, die aber an den Ursachen der Probleme vorbeigehen. Die weitgehende Segregation (Apartheid) der türkischen/arabischen Schüler einerseits, der deutschen Schüler andererseits, ist traurige Realität – unabhängig von der Schulform und der Unterrichtsqualität. Not tun die drei L des Tariq Ramadan: LANGUAGE, das heißt Aufforderung zur Erstsprache Deutsch von frühester Kindheit an auch in den Familien (nach Möglichkeit mit einer Zusatzsprache, etwa Türkisch oder Arabisch), LAW, das heißt Respektierung der freien Persönlichkeit, Einhaltung des Prügelverbotes, Durchsetzung des Verbotes der Körperverletzung, LOYALTY, das heißt: wer in Deutschland geboren wird und aufwächst, ist Deutscher; diese Kinder sollen von Anfang an wissen, dass sie sich zuallererst in diesem Land eine Zukunft erarbeiten müssen. Sie müssen hier Pflichten und Verantwortung übernehmen.

Keines der Ls ist bis jetzt auch nur annähernd erreicht. Im Gegenteil: Man erweckt durch die angestrebten Reformen noch stärker den Eindruck, der Staat werde sich schon um alles kümmern. Das unselige Etikett „Kind mit Migrationshintergrund“ verstetigt die Probleme, statt sie zu lösen, schafft die Zwei-Klassen-Schülerschaft, an der auch die geplanten Reformen nichts ändern werden. Der Staat wird es so nicht schaffen. Die Familien müssen zur Erziehung der Kinder für dieses Land, auf diese Gesellschaft hin ermuntert und genötigt werden.

Nachher sprechen mich verschiedene Teilnehmer an: „Sie haben natürlich recht“, wird mir bedeutet. Nur sagen darf man es nicht so laut. Das stört die einträchtige Harmonie.  Es muss ja noch Stoff zum Diskutieren geben.

 Posted by at 22:59
Apr. 112009
 

Als hart arbeitender Mann versäume ich keine Gelegenheit, mit den Menschen auf der Straße, im Schwimmbad, im Supermarkt ins Gespräch zu kommen. Das erfrischt mich, gibt mir Einblick in das, was die Leute fühlen – und ich finde es spannender als die allerneueste Operninszenierung, wo ich ich mich eher fragen muss: Und was hat sich der Regisseur gedacht?

Heute sprach ich wieder einmal mit arabischen und türkischen Jugendlichen, Jungs im Alter von 12 oder 14 Jahren. Ort: das Freigelände am Hallenbad am Spreewaldplatz, Kreuzberg, Wiener Straße. Als treuer Lehrling Friedrich Jahns, der ja nahebei in der Hasenheide seine ersten Veranstaltungen abhielt,  ertüchtigte ich mich mit einigen gezielten Übungen – dem üblichen Programm.  Dabei kamen sie auf mich zu: „Was machen Sie da?“ Ich antwortete: „Ich mache Gymnastik, damit ich gesund bleibe.“ „Was denn? Können wir das auch machen?“ „Ja, zum Beispiel die Kniebeuge!“ Dann erklärte ich, wie man die Kniebeuge richtig ausführt. Darin habe ich mir durch jahrelange Besuche in Kursen solide Grundkenntnisse angeeignet: Füße etwa hüftbreit, nahezu parallel! Darauf achten, dass das Gewicht des Körpers nicht nach vorne kippt! Zur Schonung der Knie sollen die Knie etwa auf Höhe der Ferse verbleiben – nicht nach vorne kippen!“

Dies erklärte ich den Jungs und führte es vor. Sie versuchten es nachzumachen – ich merkte, noch nie hatte ihnen jemand diese simple Übung erklärt, die nun wirklich zum eisernen Bestand der Sportpädagogik und der Fitness-Studios weltweit gehört. Die Jungs waren beeindruckt!

„Und können Sie auch Kopfstand?“, fragten sie. „Ja, passt mal auf!“ Und ich machte einen Kopfstand. Sie waren begeistert, einer versuchte gleich darauf einen Handstand, es klappte nicht.

Mein Eindruck von den türkischen und arabischen männlichen Jugendlichen hier in Kreuzberg bestätigte sich: Sie haben es nicht gelernt sich zu bewegen. Die meisten haben offenbar nie an einem Sportunterricht teilgenommen. Sehr viele haben Übergewicht, neigen zur Fettleibigkeit, viele Jungs haben im Alter von 12 oder 14 Jahren nahezu weiblich wirkende Brüste entwickelt. Andere wirken abgemagert, schlaksig.

„Haben Sie eine Zigarette?“, fragen mich die Jungs. „Nein!“, sage ich. „Ach so, Sie sind Nichtraucher!“ „Ja, raucht ihr?“, frage ich die etwa 12-Jährigen. Klar, das tun sie.

Wo sind die Väter? Ich sehe diese Jugendlichen immer allein herumhängen! Aus den Gesprächen erfahre ich: Ihnen fehlt jede väterliche Instanz. In der Schule haben sie fast nur mit Frauen zu tun. Zuhause kümmern die Mütter und die Schwestern sich hingebungsvoll um ihre Paschas. Es fehlt ihnen an nichts.

Die Vorstellungswelt der pubertierenden Jungs scheint fast nur um eines zu kreisen: Sex, Ficken, und zur Abwechslung: Pornographie. „Isch fick deine Mutter …“ Wie oft habe ich das schon gehört! Heute fragte mich ein Junge im Spreewaldbad nach meinem Kopfstand: „Kannst du Fotzenarschfick?“ Er meinte offenbar: Wer so gut Kopfstand kann, der kann sicher auch Fotzenarschfick. Ich war sprachlos – konnte nicht wahrheitsgemäß mit Nein! antworten, denn der Junge war auch gleich wieder weg. Mit derartigen Kraftausdrücken beweisen die Jungs ihre Coolness. Sie beweisen, dass sie sich auskennen. Was würde der Prophet dazu sagen?

Arabisch, Türkisch, Deutsch – in diesen Sprachen spielt sich das Leben der männlichen Jugendlichen ab, sie wechseln in Minutenschnelle hin und her – ohne auch nur eine dieser Sprachen einigermaßen zu beherrschen. Auf keinen Fall ist Deutsch ihre Zweitsprache, sie sprechen akzentfreies Türkdeutsch wie alle.

Unsere türkischen und arabischen Jungs hier in Kreuzberg sind eine Generation verlorener Söhne. Die Mütter, die Schwestern, die Schule und der Staat verwöhnen sie nach Herzenslust mit Zuwendung, mit Betüttelung, mit Geld. Ihr Ziel ist es: „Ich möchte Hartz IV werden!“ Wer Hartz IV erhält, hat es geschafft. Er braucht nicht zu arbeiten. Nein, ein echter Effendi, ein echter Bey, ein echter Pascha arbeitet nicht – er lässt arbeiten. Diesen Jugendlichen wird nichts abverlangt, es werden ihnen keine Grenzen gezogen. Es wird ihnen nichts zugemutet und nichts zugetraut.

Dabei dürsten sie eigentlich nach Anleitung, sie brauchen das Väterliche, die Autorität. Beides fehlt in ihrem Leben fast völlig. Sie sind keineswegs böse, verstockt oder unwillig. Sie könnten viel aus sich machen. Aber da ist niemand, der an sie glaubt und ihnen Ziele setzt.

Die deutsche Gesellschaft schaut weg, kümmert sich nicht um die Zehntausenden von völlig peilungslosen Jugendlichen. Ab und zu gellt ein Aufschrei über die hohe Kriminalitätsrate der Jugendlichen „mit Migrationshintergund“ durch die Medien. Und dann beruhigt man sich, zieht zur Gewissensberuhigung weg aus Mitte, Kreuzberg und Neukölln. Ich sage euch: Das wird uns alles noch mal auf die Füße fallen, wenn wir nicht ab sofort gegensteuern.

Die linksautonome Szene Kreuzbergs – eine weitere Kategorie von verlorenen Söhnen – suhlt sich in „Freiräumen“ und plappert in den eigenen peilungslosen Parolen herum. Was mit den jungen Leuten ringsum geschieht, die hier aufwachsen, kümmert sie nicht. Die deutschen Eltern, die sich für besser halten, verlassen fluchtartig den Bezirk. 43% Prozent weniger Kinder im Alter von 0-6 Jahren innerhalb von drei Jahren sprechen eine deutliche Sprache!  Es sind mehrere abgeschottete Parallelwelten, die beziehungslos nebeneinander her existieren. Dank viel Staatsknete und üppiger Sozialleistungen ist uns das Ganze noch nicht um die Ohren geflogen. Zumal weder Türkei noch Libanon auch nur annähernd ein so bequemes, lockeres Leben als Sozial-Effendi oder Sozial-Bey bieten können.

Wie ist darauf zu reagieren?  Ich schlage folgendes vor:

1) Sofortige Abschaffung des Begriffes „mit Migrationshintergrund“. Diese türkischen und arabischen Jugendlichen sind hier geboren, sind hier aufgewachsen. Sie gehören zu uns. Es sind deutsche Jugendliche. Es sind keine Migranten. Es sind deutsche Bürger mit Pflichten und Rechten. Ihnen dürfen keine Privilegien geschenkt werden.

2) Gezielte, harte, propagandistische, massierte Mentalitätsbeeinflussung der Eltern und der Kinder. So wie es in den arabischen Ländern und der Türkei längst üblich ist. „Die Türkei – ist unser großes Vaterland!“ So heißt es dort. „Deutschland – ist deine Heimat“, so muss es bei uns heißen.

Mit einfachen Botschaften, wie etwa:

„Lasst eure Kinder vom ersten Tag an Deutsch lernen! Deutsch ist die Erstsprache. Ihr lebt in Deutschland. Wenn ihr es schafft, bringt ihnen auch noch eine Zweitsprache bei.“

„Väter – kümmert euch um eure Söhne! Abis – kümmert euch um eure jüngeren Brüder! Überlasst sie nicht sich selbst! Sprecht über Sex mit ihnen. Sprecht über Pornographie mit ihnen. Eure Söhne denken viel daran!“

„Auch DU hältst die Küche sauber, Memet!“

„Macht Sinnvolles, erzählt, lest deutsche Bücher, singt deutsche Lieder, lernt etwas, treibt regelmäßig Sport, fahrt Fahrrad statt tiefergelegten BMW. Schaut euch die deutsche Sendung mit der Maus an!“

„Ihr seid verantwortlich für euer Leben. Macht was draus. Arbeitet dran!“

„Schaltet das türkische und das arabische Fernsehen für 23 Stunden am Tag völlig aus.“

3) Streichung des arabischen und türkischen Satellitenfernsehens von der Liste der erstattungsfähigen Aufwendungen der Sozialhilfe.

Die deutschen Behörden, die Deutschen überhaupt scheinen noch nicht ganz mitzukriegen, was eigentlich abgeht. In unserer Schule wird tatsächlich „Deutsch als Zweitsprache“ offiziell in der Stundentafel geführt!

Deutlicher kann man nicht kapitulieren – so bringt man den armen „Migranten“ eines bei: „Eure Erstsprache ist Türkisch, ist Arabisch – um Deutsch kümmert sich der Staat.“

Und die gestern aufgenommene Hinweistafeln im Kreuzberger Spreewaldbad zeigen es ebenfalls deutlich: Erstsprache im Bad ist Türkisch, Zweitsprache ist Deutsch. Und was ist mit den Arabern? Haben die nicht auch ein Recht auf Erstsprache Arabisch?

Ferner: Ist es nicht eine strafbare Beleidigung des Türkentums, wenn man den Kreuzberger Türken nach 40 Jahren immer noch nicht zutraut, dass sie einfache deutsche Sätze lesen können? Ämter, Behörden, Schwimmbäder – für wie dumm haltet ihr meine Türken eigentlich? Muss ich euch drohen mit einer Anzeige wegen „Beleidigung des Türkentums“?

Bisher haben wir bei der Integration der Türken und Araber versagt. Dieses Versagen werden wir uns nicht mehr lange leisten können. Denn:

Jedes Jahr wandern etwa 200.000 bis etwa 250.000 Menschen nach Deutschland zu. Sie – und nur sie – sind unsere Migranten. Ihnen muss für etwa 1 Jahr Hilfe zur Integration gewährt werden.

Alle anderen, also die, die schon seit 30 oder 40 Jahren hier leben, die müssen endlich aus dem Nest gestoßen werden, müssen rauskrabbeln aus der verwöhnenden Hülle von familiärer Bemutterung und sozialstaatlich-erstickender Fürsorge. Ihnen gegenüber ist Strenge und Härte angesagt. Das sind keine Migranten mehr, das sind Bürger wie wir alle.

 Posted by at 19:22
Apr. 102009
 

Immer wieder lerne ich neue Wörter in meiner Muttersprache. So insbesondere dann, wenn ich mich, eingedenk des herannahenden Osterfestes, der religiösen Überlieferung zuwende. In der Zeitschrift FUGE. Journal für Religion & Moderne, Band 4, 2009, lese ich auf S. 28 folgende Sätze:

Die Bibel ist das meist-erforschte Buch der Welt. Vielleicht ist es auch der „überforschteste“ Gegenstand der Welt.

Gut, so sei die Bibel ein Kandidat für den Titel „Am meisten überforschter Gegenstand“. Ich schlage aber einen anderen Kandidaten vor: die Schule.  Was uns zu meinen Erlebnissen vom vergangenen Montag bringt.

Der kommunalpolitische Arbeitskreis der CDU Friedrichshain-Kreuzberg hatte ins Rathaus Kreuzberg eingeladen. Als Redner konnte gewonnen werden Oberschulrat Gerhard Schmid, der in der Schulverwaltung für unseren Bezirk zuständig ist.

Eine kleine Nachforschung im Internet ergibt: Schmid stammt aus meiner Heimatstadt Augsburg, er war damals einer der Wortführer der linken Protestbewegung, er wurde in der Augsburger Allgemeinen neulich sogar als der „Augsburger Rudi Dutschke“ bezeichnet! Er war also einer jener Aufrührer, vor denen meine Eltern mich besorgt warnten! Wir zitieren aus der Augsburger Allgemeinen vom 22.04.2008:

Im Frühjahr 1968 ist Schmid ein bekanntes Gesicht in der überschaubar kleinen linken Szene in Augsburg. Er organisiert die Ostermärsche, hält Vorträge über die Arbeiterbewegung und engagiert sich im Kritischen Seminar, einer Art Volkshochschule für Freidenker. Ein Kurs diskutiert über „Sexualökonomie und Orgasmustheorie“, ein anderer über die „sozialökonomische Struktur Südvietnams“.

Schmid ist so etwas wie der Augsburger APO-Chef. Dazu hat ihn zwar nie jemand gewählt, doch irgendwie, sagt er, habe er „das Ganze zusammengehalten“. Die Demonstrationen gegen die Notstandsgesetze und den Krieg in Vietnam, die Schulstreiks und Sitzblockaden, die quälend langen Debatten mit Jungsozialisten und Jungdemokraten. „Heuchler und kalte Krieger“ sind sie 1968 für ihn, den Unangepassten. Wenige Wochen nach dem Happening in der Sporthalle schließt die SPD Schmid wegen „groben Verstoßes gegen die Parteigrundsätze“ aus. Heute sagt er: „Wir waren völlig verblendet.“

Was ihn aber heute nicht daran hindert, in der Schulverwaltung als Vertreter der Staatsmacht zu agieren. So sieht also der Marsch durch die Institutionen aus. Die CDU lädt einen Rudi Dutschke zu sich ein – und er stößt auf waches Interesse. So muss es sein!

Was sagt nun die Forschung zum gegenwärtigen Zustand unserer Schulen? Laut Schmid besteht keinerlei Anlass zu einer Strukturdebatte. Es gebe laut neuesten Forschungsergebnissen keinen erkennbaren Zusammenhang zwischen Schulform und Lernerfolg. Ein hochgradig gegliedertes Schulsystem könne ebensowohl sehr gut als auch weit unterdurchschnittlich abschneiden, wie ein Vergleich zwischen Bayern und Berlin lehre. Die gleiche Variationsbreite herrsche bei Einheitssystemen – hier fällt mir der überlegene Stand der Schulbildung in der früheren Sowjetunion im Vergleich zu den USA ein. Entscheidend sei, fuhr Schmid fort, die Qualität des Unterrichts, nicht die Schulstruktur.

Damit stellte sich Schmid sozusagen von Anfang an windschief zu den verschiedenen Konzepten der Berliner Parteien. Die Parteien bosseln eifrig an Schulreformen und  Strukturdebatten, an Test-Ergebnissen, und üben sich in Unkenrufen. Als Mitglied der Schulverwaltung sieht Schmid hingegen seine Aufgabe eher darin, Erfahrungen  aus dem Schulalltag in Empfehlungen umzumünzen. Die Fachleute aus der Bildungsverwaltung, zu denen Schmid gehört, bereiten sich jetzt bereits darauf vor, die zu erwartenden Vorgaben der Berliner Landespolitik möglichst sinnvoll umzusetzen. Ideologie und Parteienbindung spielt dabei keine Rolle mehr. Das finde ich höchst erfreulich, denn seit meiner eigenen Schulzeit sind die Bildungseinrichtungen ein hart umkämpftes Feld für Weltverbesserer und Abendlandsretter geworden. Diese Streiterei ist ihnen insgesamt nicht gut bekommen.

Ich habe nicht den Eindruck, dass der rot-rote Senat und die drei Oppositionsparteien mit ihren Gegenentwürfen tatsächlich das angesammelte Wissen aus den Schulämtern abrufen. Mein Eindruck bestätigte sich auch an diesem Abend.

Einigkeit schien zu herrschen: Alle Schulformen, alle Schüler müssen in dem gestärkt werden, worin sie gut sind – oder gut sein können. Praktische Begabungen sollen stärker zur Geltung kommen, etwa in dem neuen geplanten P-Zweig. Schmid berichtet anschaulich und überzeugend von Planungen, wonach in den P-Zweigen (den Nachfolgern der jetzigen Hauptschulen), Werkstätten eingerichtet werden sollen, in denen die jungen Leute mit ihrer eigenen Hände Arbeit Erfolg und sogar ein kleines Einkommen erzielen sollen.

Die gesamte zweite Hälfte des Abends und die Aussprache kreisten mehr um die Menschen, die in der Schule aufeinandertreffen. Welche Haltungen sind bei Schülern und Lehrern nötig, damit Schule gelingt? Welche Rolle spielen Fleiß, Konzentrationsfähigkeit, Sprachkenntnisse, Tugenden wie Verlässlichkeit, Pünktlichkeit, Pflichtgefühl, Höflichkeit?

Recht ketzerisch und spielverderberisch meldete ich mich zu Wort und wagte den Einwand: Wenn Fleiß, Konzentrationsfähigkeit, gute Sprachkenntnisse, Tugenden wie Verlässlichkeit, Pünktlichkeit, Pflichtgefühl, Höflichkeit zusammenkommen – könnten wir uns dann die gesamte Debatte über Schul- und Unterrichtsformen sparen? Brauchen wir nicht eine andere Grundhaltung? Brauchen wir nicht – mehr als alles andere – einen Mentalitätswandel? Sind die endlosen Berliner Diskussionen um die Bildungspolitik im Grunde Schaukämpfe, die vom eigentlichen Problem ablenken? Ich schlug vor, ganz massiv an die Eltern heranzutreten und sie mit gezielter Mentalitätsbeeinflussung zu einer lernfreundlichen Haltung umzuorientieren. Die Kinder brauchen eine Umgebung, die sie zum Lernen ermuntert. Dazu gehört eine Abrüstung beim exzessiven Medienkonsum, frühe und bevorzugte Befassung mit der deutschen Sprache, Aufbrechen des „Migranten-„Ghettos, Selbstbefreiung aus dem Gestrüpp der Vorurteile. Es regte sich – kein Widerspruch. Ich hege die Vermutung, dass ein Großteil der Versammlung dieser Ansicht zuneigte.

Beim Nachdenken über diesen hochgelungenen Abend fällt mir noch ein Bericht über Michelle Obama ein. Im Gespräch mit französischen und deutschen Schülern, das im ZDF wiedergegeben wurde, erklärte sie vor wenigen Tagen sinngemäß:

„Ich hab mir immer Mühe gegeben, etwas zu lernen. Viele schwarze Mitschüler  haben mich damals schief angekuckt und gesagt: Du redest ja wie eine Weiße! Das hab ich auf mich genommen. Ich war eine Streberin. Das war voll uncool. Ich wollte gut sein in der Schule.“

Und genau diese Haltung brauchen wir auch in Berlin. An der Art der Schule liegt es sicher nicht, wenn Bildungsgänge scheitern. Keiner ist Opfer seiner Herkunft – niemand ist durch seinen Migrationshintergrund daran gehindert, in der Schule und im Leben Erfolg zu haben. Jede und jeder kann es schaffen. Evet, we can.

 Posted by at 22:27
Jan. 062009
 

25122008004.jpg Was hält uns in Europa zusammen? So fragten wir in diesem Blog im vergangenen Jahr. Unsere vorläufige Antwort: Es ist nicht klar. Wir wissen es nicht so recht. Und wenn wir es wüssten, müsste es laut und deutlich gesagt werden.

Was hält politische Gemeinschaften zusammen? So fragte Aristoteles. Seine Antwort: „Freundschaft“, das Gefühl einer Zugehörigkeit zueinander. Innerhalb einer Stadtgemeinde dürfe es keine Feindschaften, aber auch keine Gleichgültigkeit  geben, sonst bräche der Zusammenhalt auseinander.

Was hält unsere deutsche Gesellschaft zusammen? So fragen heute die beiden Bürger Ursula von der Leyen und Wolfgang Schäuble in der FAZ auf S. 8. Ich nenne sie Bürger … Moment mal, sind das nicht zwei Politiker, Minister gar? Stimmt, ihr habt recht. Aber die beiden Verfasser schließen ihren Artikel höchst wirkungsvoll mit folgender Schlussformel ab: „… wir alle als Bürgerinnen und Bürger.“ Alle sind wir Bürgerinnen und Bürger, das ist doch ganz meine Rede. Einige dieser Bürger sind daneben auch Politiker, aber Politiker und Bürger sollten sich einig sein in einem gemeinsamen Ethos. So verstehe ich zumindest die beiden Autoren.

Den ganzen Artikel durchzieht die Forderung nach einem gestärkten Miteinander. Nur dann, wenn jede und jeder das Gefühl hat, dazuzugehören und gebraucht zu werden, kann sich eine Gesellschaft auf Dauer den wichtigen Einzelfragen zuwenden. Vereine, Bürgerinitiativen, Mehrgenerationenhäuser – das alles und vieles mehr sind hochwillkommene Beispiele solch tätiger Gemeinschaft, die den Staat trägt. Der Staat kann diesen Wurzelgrund nicht ersetzen, aber er kann ihn fördern.

Wir warfen gestern einen Blick auf das untergegangene Zarenreich. Politiker wie Stolypin kämpften unentwegt für die gemeinsame Sache. Umsonst, es war wohl schon zu spät. Die gesellschaftlich führenden Gruppen und die meisten Politiker, nicht zuletzt auch Zar Nikolaus II. höchstselbst, waren offenbar nicht bereit, eigene Besitzstände aufzugeben. Der Petersburger Blutsonntag von 1905 und viele andere Abwehrreflexe setzten Fanale der Unterdrückung gegen die berechtigten Forderungen der benachteiligten Bauern und Arbeiter.

Wie schreibt doch Vera Lengsfeld in ihrem Buch Neustart auf S. 103? „Und wenn Politiker in der Öffentlichkeit gegen jede mögliche Veränderung vor allem besitzstandswahrende Abwehrreflexe kultivieren, wirken sie lähmend auf die Veränderungsbereitschaft der Gesellschaft.“

Ich meine: Wir brauchen Veränderung, wir brauchen dafür mehr innere Bindung an ein freiheitliches Miteinander. Ich glaube darüber hinaus: Die größten Risiken liegen nicht in der Staatsverschuldung, nicht in der Arbeitslosigkeit, nicht in der Finanzkrise. Die größten Risiken für unsere Republik und auch für die EU liegen darin, dass diese innere Bindung verloren gehen könnte.

Den höchst lesenswerten Artikel aus der heutigen FAZ werde ich mir aufheben. Man könnte ihn auch in einen Artikel für die führenden Boulevardblätter Deutschlands umschreiben, mit kurzen knackigen Sätzen und auf 200 Wörter verkürzt. Die Botschaft würde gut ankommen. Ich wünsche es ihr.

Unser Foto zeigt heute einen Blick in die Neue Oper in Moskau. Dort sahen und hörten wir am 25. Dezember eine Aufführung von Tschaikowskijs Nussknacker. Nach der Erzählung Nussknacker und Mäusekönig von E.T.A. Hoffmann. Auch solche deutsch-russischen kulturellen Gemeinschaftsleistungen halten uns in Europa zusammen.

 Posted by at 16:52