Und wir scheinen uns nur halb beseelet: Von der absoluten Modernität bei Paulus 1 Kor 13

 Liebe, Novum Testamentum graece, Singen, Unverhoffte Begegnung  Kommentare deaktiviert für Und wir scheinen uns nur halb beseelet: Von der absoluten Modernität bei Paulus 1 Kor 13
Feb. 052016
 

Das Liedhafte, Sangliche an dem Hohenlied der Liebe tritt bei näherem Versenken immer deutlicher hervor. Das bloße Lesen, das Vorlesen kann nicht mehr genügen. Erst im Singen reichert sich der Sinn an, wird der Sinn hineingelegt, der wohl auch hingeschrieben ist ohne sichtbar zu sein.

Nach und nach formen sich Tonfolgen. Monodisch, pentatonisch, Geröll der Jahrtausende, zurück treibt es uns hinter Gregor den Großen, ostwärts zurück hinter Ambrosius von Mailand! 1 Kor 13 ist bahnbrechend in seiner absoluten Modernität, es ist ein Lobpreis, bei dem das Mitgemeinte, der Mitgemeinte nur herauszuhören ist, aber nie genannt wird. Weder Gott wird genannt noch Jesus Christus, es werden keine Bilder der vielen Himmel ausgemalt wie etwa im oberschwäbischen Barock der Kirchen in Diessen, Weingarten, Steingaden. Es wird keine psychoanalytische Traumdeutung geboten, keine Trinitätslehre rettet das Ich.

Es fehlt in 1 Kor 13 der Tod, es fehlt hier der Teufel. Dafür finden wir jede Menge Zweifel, jede Menge Verzagtheit, Tasten durch einen Tunnel des Bewusstseins. Nihilismus, Verschwinden des Sinnhorizontes. Anonymität der Nachfolge.

„Und wir scheinen uns nur halb beseelet
Dämmernd ist um uns der hellste Tag!“

„Unsrer Liebe, unserem Erdenglücke
Wähnend selig nimmer hinzutraun!“

Ungefähr so schrieb es Goethe am 14.04.1776 in seinem Gedicht „Warum gabst du uns die Tiefen“, unlösbar änigmatisch beim rationalen Auflösen und Auflesen wie der Hymnus des Paulus unlösbar änigmatisch bleiben muss im bloßen Verharren im Nun und Itzt. Die Grundstimmung ist eine ähnliche.

Der Gesang im griechisch-orthodoxen Ritus bietet einen Abklang dieser abgründigen Suche nach Halt in der Haltlosigkeit. Anrufen, Anschreien, Hervorrufen!

Etwa ab Minute 02:40 kann man hier 1 Kor 13, den Hochgesang der Liebe des Apostels Paulus, im griechischen Text nachhören:

 Posted by at 22:31

Ungeheures Getöse: weitere Betrachtungen zu 1 Kor 13

 Faust, Griechisches, Hebraica, LXX, Novum Testamentum graece  Kommentare deaktiviert für Ungeheures Getöse: weitere Betrachtungen zu 1 Kor 13
Jan. 282016
 

„Die jüdische Übertragung der jüdischen Bibel ins Griechische wurde zur Voraussetzung der Kirche aus Juden und Heiden.“
Michael Tilly

“ Christianity is not buried in a book. It existed before the N. T. was written. It made the N. T. It is just because Christianity is of the great democracy that it is able to make universal appeal to all ages and all lands and all classes. The chief treasure of the Greek tongue is the N.T.“
A.T. Robertson

Wir spinnen den Faden fort:
Das Griechische ist immerfort die eigentliche Muttersprache, der Mutterschoß des Christentums, so wie das Hebräische die Muttersprache und Vatersprache des Judentums war, ist und immerfort bleiben wird. Wenn man wissen will, was Paulus von Tarsus, – der Hl. Paulus, der Apostel Paulus, der Heidenapostel, wie er auch genannt wird – in seinem Hohenlied der Liebe gesagt, gedacht, geglaubt, gefühlt und gesungen hat, wird man um eine nachhaltige Befassung mit den ältesten, in griechischer Sprache überlieferten Textzeugen nicht herumkommen.

Ja noch einen Schritt weiter müssen wir gehen: wenn wir wissen und erfahren wollen, was die Zuhörer Jesu, die Zuhörer Pauli, die Zuhörer des Evangelisten Johannes fühlten, glaubten, hörten, oder gar was Jesus Christus selbst wohl dachte, glaubte, lehrte, werden wir um eine eifrige Versenkung in die verschiedenen griechisch überlieferten frühesten Fassungen des Evangeliums nicht herumkommen.

Griechisch war die Muttersprache des Apostels Paulus, in der er geläufig predigte und gerne schrieb und dichtete; Hebräisch und Aramäisch sowie etwas Latein kannte und konnte er sicherlich auch; Aramäisch war eine wichtige Umgangs-, Alltags-, und auch Amtssprache im Ostteil des Imperium Romanum. Hebräisch war, ist und bleibt die Kult- und Kultursprache der Juden, von denen der Apostel einer war. Paulus hatte die Bibel sicherlich im Gottesdienst in hebräischer Sprache gehört.

Aber sein eigenes dichterisches Schaffen und griechisches Predigen beruhte – bis heute hörbar! – auf der verbreitetsten griechischen Übersetzung der Bibel, der sogenannten Septuaginta.

Das Hohelied der Liebe (1 Kor, 13) ist ein kultischer Gesang, eine Dichtung in freien Versen („vers libres“), ein Psalm, der nahtlos an den Schluß des Psalters (Ps. 150) aus der Septuaginta anschließt. Das geht bis in einzelne Wendungen hinein.

So sagt etwa Septuaginta in Ps 150,3-5:
αἰνεῖτε αὐτὸν ἐν ἤχῳ σάλπιγγος
αἰνεῖτε αὐτὸν ἐν ψαλτηρίῳ καὶ κιθάρᾳ
αἰνεῖτε αὐτὸν ἐν τυμπάνῳ καὶ χορῷ
αἰνεῖτε αὐτὸν ἐν χορδαῖς καὶ ὀργάνῳ
αἰνεῖτε αὐτὸν ἐν κυμβάλοις εὐήχοις
αἰνεῖτε αὐτὸν ἐν κυμβάλοις ἀλαλαγμοῦ

Paulus singt in 1 Ko 13,1:
Ἐὰν ταῖς γλώσσαις τῶν ἀνθρώπων λαλῶ
καὶ τῶν ἀγγέλων, ἀγάπην δὲ μὴ ἔχω
γέγονα χαλκὸς ἠχῶν ἢ κύμβαλον ἀλαλάζον

Man höre, singe und staune beide Psalmen einmal hintereinander weg! Was hört man da? Etwas Unerhörtes, nämlich die drei unterschiedlich gebeugten Wörter ἤχῳ/ἠχῶν/εὐήχοις (Hall, Schall, wohlklingendes Getöse), κύμβαλον/κυμβάλοις (Metallbecken), ἀλαλαγμοῦ/ἀλαλάζον (ängstliches oder kriegerisches Schreien).

Das ist kein Zufall! Es ist ein klarer, unüberhörbarer Anklang, ein Anknüpfen des Paulus an die ihm so vertraute, ihm so geläufige Dichtungstradition seines Herkunftskultes!

1 Ko 13, 1 ist also selbst ein lauttönender, ungeheurer Widerhall, ein Echo, eine gewaltige Überbietung, eine unerhört kühne Neuausprägung von Ps 150!

Paulus selbst nennt seinen hyperbolischen Psalm mit einem Terminus technicus der griechischen Rhetorik einen „Weg gemäß der Überbietung“ eine „καθ’ ὑπερβολὴν ὁδὸν“ (1 Ko 12, 31b).

Nur der singende Vortrag der Psalmen in Ps 150 und 1 Ko 13 wird die gesamte Bedeutungsfülle – das „ungeheure Getöse“, wie es zu Beginn des Faust II heißt – sinnlich und sinnesfroh erfahrbar machen.

Zitatnachweise:

Michael Tilly: Einführung in die Septuaginta. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Stuttgart 2005, S. 103

A. T. Robertson: GRAMMAR OF THE GREEK NEW TESTAMENT IN THE LIGHT OF HISTORICAL RESEARCH, 3. Auflage, Hodder&Stouton, London 1919, S. 1207
https://faculty.gordon.edu/hu/bi/ted_hildebrandt/new_testament_greek/text/robertson-greekgrammar.pdf, hier Seite 1207

https://www.bibelwissenschaft.de/online-bibeln/septuaginta-lxx/lesen-im-bibeltext/bibel/text/lesen/stelle/19/1500001/1509999/ch/05bb088a3c63bdd063c4c227d0c8f351/

https://www.bibelwissenschaft.de/online-bibeln/novum-testamentum-graece-na-28/lesen-im-bibeltext/bibel/text/lesen/stelle/56/120001/129999/ch/f31d4ef29b41e6c819548227babea05c/

 Posted by at 12:44

„Sind Blitze sind Donner in Wolken verschwunden!“ Zur Sprachlichkeit von 1 Kor 13

 Novum Testamentum graece  Kommentare deaktiviert für „Sind Blitze sind Donner in Wolken verschwunden!“ Zur Sprachlichkeit von 1 Kor 13
Jan. 232016
 

In den modernen Übersetzungen ist der Stil des Paulus leider allzusehr domestiziert und „in Ordnung“ gebracht, so daß in ihnen sein Donner nur noch von ferne hörbar ist und die Blitze merklich an Schein verloren haben.

Eine sehr schöne, sehr treffende Einsicht, die Marius Reiser, der zuletzt an der Universität Mainz lehrende Theologe hier niederschreibt.

Wie tönte es noch in Bachs Matthäuspassion?

Sind Blitze sind Donner
In Wolken verschwunden

Wie kann man verschwundene Blitze und verhallten Donner wieder hörbar machen?

Zunächst einmal wollen wir die griechische Dichtung ohne die späteren Hinzufügungen, also ohne die glättenden Satzzeichen anbieten.

Sinn und Zweck unserer kleinen Übung soll es nämlich sein, einen deutschen Wortlaut anzubieten, der beim Gesang, also beim Vortrag für die Gemeinde, einen ähnlichen Sinneseindruck hinterlässt, wie es mutmaßlich der in Ephesos verfasste Text des Paulus beim rezitativischen Vortrag in Korinth erzeugt haben könnte.

Dann brechen wir behelfsmäßig die einzelnen Glieder der Dichtung, die Kola, in Zeilen um.

Schließlich wird der bezeugte Text in einer möglichst genauen, insbesondere in der Syntax möglichst das Original nachhörenden deutschen Fassung wiedergegeben. Die Fügungen des Paulus sind hart, es gibt Brüche, Überraschungen, ja fast Gewaltsames!

So beginnt es also:

Ἐὰν ταῖς γλώσσαις τῶν ἀνθρώπων λαλῶ καὶ τῶν ἀγγέλων
ἀγάπην δὲ μὴ ἔχω
γέγονα χαλκὸς ἠχῶν ἢ κύμβαλον ἀλαλάζον

Wenn ich mit den Zungen der Menschen lalle und der Engel
Acht aber nicht habe
ward ich ein Donner-Erz oder ein Schlachtrufer-Becken

Zitate:
Marius Reiser: „Paulus“, in: ders., Sprache und literarische Formen des Neuen Testaments. Eine Einführung. Ferdinand Schöningh, Paderborn 2001, S. 69-77, hier bsd. S. 77

„So ist mein Jesus nun gefangen“. Aria [Duetto], in: Joh. Seb. Bach: Passionsmusik nach dem Evangelisten Matthäus. Klavierauszug. Nach dem Autograph der Partitur und der Stimmen herausgegeben von Kurt Soldan. C.F. Peters, Frankfurt, London, New York, o.J., S. 52-61 (Nr. 33), hier insbesondere S. 56

ΠΡΟΣ ΚΟΡΙΝΘΙΟΥΣ Α‘, in: Novum Testamentum Graece (Nestle-Aland), 28. Auflage, Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart 2012, hier: 13,1

 Posted by at 19:55

Νυνί δε μένει πίστις, έλπίς, αγάπη

 Novum Testamentum graece, Singen  Kommentare deaktiviert für Νυνί δε μένει πίστις, έλπίς, αγάπη
Jan. 192016
 

Gente malvagia:
Woher hast du’s genommen?
Wie konnt es zu Dir kommen?
Wie aus dem Leseplunder
erwarbst du diesen Zunder?
Plagiator, Kopist!
Das wuchs doch nicht auf eignem Mist!

Näherhin zitiertest du mehr oder minder verändert aus 1 Korinther 13! Meintest du, ich würde dir nicht auf die Schliche kommen?

Wandrer:
Ei was nicht gar! Es war mir nicht bewusst! Ich nahm es —

Aus ungemeßner Ferne
Im Ozean der Sterne,
Mich hatt ich nicht verloren,
Ich war wie neu geboren!

Höre selbst:

Paulus:

Ἐὰν ταῖς γλώσσαις τῶν ἀνθρώπων λαλῶ καὶ τῶν ἀγγέλων
ἀγάπην δὲ μὴ ἔχω, γέγονα χαλκὸς ἠχῶν ἢ κύμβαλον ἀλαλάζον
καὶ ἐὰν ἔχω προφητείαν καὶ εἰδῶ τὰ μυστήρια πάντα καὶ πᾶσαν τὴν γνῶσιν
καὶ ἐὰν ἔχω πᾶσαν τὴν πίστιν ὥστε ὄρη μεθιστάναι
ἀγάπην δὲ μὴ ἔχω, οὐθέν εἰμι.

Wandrer:
Zu deuten ist 1 Kor 13,1-13 als ein in griechischer Sprache verfasstes Gedicht, ein Hymnus, der sich in eine bunte Tonfülle aus den Psalmen und Gedichten griechischer und hebräischer Sprache einreiht, die ihm vorausgehen.

Paulus:
κἂν ψωμίσω πάντα τὰ ὑπάρχοντά μου
καὶ ἐὰν παραδῶ τὸ σῶμά μου ἵνα καυχήσωμαι
ἀγάπην δὲ μὴ ἔχω οὐδὲν ὠφελοῦμαι

Wandrer:
Das heute gepflegte nüchtern-prosaische Vortragen dieser Poesie in mehr oder minder tragfähigen Verdeutschungen vermag nur einen sehr matten Eindruck von der Klang- und Tonfülle des griechischen Originals zu bieten.

1 Kor 13,1-13 ist zweifellos ein griechisch komponiertes Gedicht, das zum gesungenen, zum kantillierenden Vortrag gedacht ist. Wie darf man sich das vorstellen? Wie klingt das? Wie würde das klingen?

Paulus:
Ἡ ἀγάπη μακροθυμεῖ, χρηστεύεται ἡ ἀγάπη οὐ ζηλοῖ, οὐ περπερεύεται, οὐ φυσιοῦται,
οὐκ ἀσχημονεῖ, οὐ ζητεῖ τὰ ἑαυτῆς, οὐ παροξύνεται, οὐ λογίζεται τὸ κακόν,
οὐ χαίρει ἐπὶ τῇ ἀδικίᾳ, συγχαίρει δὲ τῇ ἀληθείᾳ·
πάντα στέγει, πάντα πιστεύει, πάντα ἐλπίζει, πάντα ὑπομένει.

Wandrer:
Das singend-sprechende, sprechend-singende Vortragen der Psalmen durch den Kantor im jüdischen Gottesdienst, das singende Vorbeten, das betende Vorsingen des Evangeliums durch den Kantor im ostkirchlichen Ritus – diese beiden Arten des Vortrags vermögen mir zumindest immer wieder eine echte Ahnung davon zu bieten, wie Paulus von Tarsos, dem ich mich tief verbunden weiß, gebetet und gesungen hat.

Ἡ ἀγάπη οὐδέποτε πίπτει· εἴτε δὲ προφητεῖαι, καταργηθήσονται· εἴτε γλῶσσαι, παύσονται· εἴτε γνῶσις, καταργηθήσεται.
ἐκ μέρους γὰρ γινώσκομεν καὶ ἐκ μέρους προφητεύομεν·
ὅταν δὲ ἔλθῃ τὸ τέλειον, τὸ ἐκ μέρους καταργηθήσεται.

Wandrer:
Die griechischen Urschriften des Neuen Testaments sind für mich fließende Quellen des Gottesdiensts auch in der lateinisch geprägten abendländischen Christenheit (also in der römisch-katholischen Teilkirche und in der lutherisch geprägten Teilkirche), sie sind die fortzeugende, leider heute durch eine bisweilen zu enge „Brunnenfassung“ teilweise verstopfte Quelle unseres Glaubens.

Paulus:
βλέπομεν γὰρ ἄρτι δι’ ἐσόπτρου ἐν αἰνίγματι
τότε δὲ πρόσωπον πρὸς πρόσωπον
ἄρτι γινώσκω ἐκ μέρους, τότε δὲ ἐπιγνώσομαι καθὼς καὶ ἐπεγνώσθην.
Νυνὶ δὲ μένει πίστις, ἐλπίς, ἀγάπη, τὰ τρία ταῦτα
μείζων δὲ τούτων ἡ ἀγάπη

 Posted by at 00:47

Giovanni Battista, il grande semaforo della modernità

 Dante, Europäisches Lesebuch, Freude, Leitkulturen, Novum Testamentum graece  Kommentare deaktiviert für Giovanni Battista, il grande semaforo della modernità
Jan. 102016
 

Johannes IMG-20160110-WA0015 (1)

Avete il novo e ‚l vecchio Testamento
e ‚l pastor de la Chiesa che vi guida
questo vi basti a vostro salvamento

Ihr habt den neuen und den alten Bund
Und auch den Hirten der Gemeinde, der euch leitet
Bescheidet euch damit, so werdet ihr gesund

Soweit die Stimme Beatrices in der Wiedergabe durch Dante (Div. Com., Par. V 76-78), durch uns übersetzt ins Deutsche. Anlaß für eine kleine abendliche Disputation!

Ego:
Aber liebe Beatrice, erlaube eine Frage: „Haben“ wir wirklich ein für allemal das Alte und das Neue Testament?

Beatrice:
Überlege selbst! Ist das so? Kann es einen endgültigen Besitz der Schriften geben? Ich bezweifle dies ebenfalls!

Ego:
Kleine, unmerkliche Rückungen, Umdeutungen, Anverwandlungen! Das ermöglicht mir das tastende Nachlesen des hebräischen und des griechischen Wortlautes der Schriften des alten und neuen Bundes!

Beatrice:
Du tust gut daran! Umdenken, Nach-Denken, Voraus-Denken, das ist der Kern der Johanneischen Botschaft, o Freund! Der Täufer ist nicht selbst das Licht, er ist nicht selbst die Bedeutung, er weist nur hin auf die Bedeutung, er ist ein Träger des Zeichens – ein Sema-Phor!

Ego:
Er ist also … ein Semaforo, wie die Italiener heutigentags sagen! Nennen wir doch deinen Johannes einfach Giovanni Semaforo!

Beatrice:
Du machst mich lachen! „Semaforo“ – das heißt doch Ampel, die „Lichtzeichen-Anlage“ der StVO in deiner geliebten deutschen Sprache?

Ego:
Richtig, Beatrice, ich sehe, du interessierst dich für unsere Lebenswirklichkeit im 21. Jahrhundert!

Beatrice:
Sehr wohl! Hast du auch der heutigen Lesung im Gottesdienst zugehört? Hier stand Johannes im Mittelpunkt, der Schutzpatron meiner geliebten Vaterstadt Florenz, die meinen Dante so schnöde zum Tode verurteilt hat und sich heute seiner rühmt, als hätte es nie ein tiefes Zerwürfnis gegeben!

Ego:
Wenn’s dem eigenen Heil und dem Stadtsäckel dient … O ja, ich hörte sehr genau hin, Beatrice! Und ich staunte lange über die Zusendung einer Darstellung aus dem Metropolitan Museum of Art in New York, die mich heute ebenfalls erreichte! Sie zeigt Johannes, wie er das lebendige Zeichen der Gnade Gottes auf den Schultern trägt!

Beatrice:
Er ist – der Hinweisgeber, der Zeichenträger… er ist nicht selbst das Licht …

 Posted by at 23:33
Nov. 122015
 

Πᾶσα ψυχὴ ἐξουσίαις ὑπερεχούσαις ὑποτασσέσθω. „Jede Seele soll sich den herrschenden Institutionen einordnen“, so (in eigener Übersetzung) der bekannte Briefeschreiber Paulus von Tarsos im Römerbrief, Kapitel 13. Eine unendlich oft – auch von Luther selbst – kommentierte Stelle! Für die Entstehung der lutherischen Kirchen ab 1517 und vor allem für das Verhältnis zwischen irdischen Gewalten und Christengemeinden bereits ab dem ersten Jahrhundert nach Christus von überragender Bedeutung.

Das gilt auch heute noch, wie ein Blick die WELT vom heutigen Tage lehrt (S.6)!

Humanität und Menschenwürde kennen keine Grenzen„, so Heinrich Bedford-Strohm, der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland. Nun? Was folgt daraus? Hat denn irgendjemand behauptet, dass Humanität und Menschenwürde nur in Deutschland zu finden seien, und außerhalb Deutschlands (also z.B. in Luxemburg) keine Humanität und Menschenwürde zu leben seien?

„Wir brauchen keine Grenzen“, „No borders!“, „keine Nationalstaaten mehr!“, „wir brauchen mehr Europa“, „wir brauchen mehr WELT, wir leben in EINER Welt, weg mit den Grenzen, weg mit dem Staatsrecht, weg mit dem Rechtsstaat, weg mit den Institutionen!“

Fast schon verzweifelt lehnen sich noch vereinzelte Stimmen wie etwa der ehemalige deutsche Verfassungsrichter Udo di Fabio, der ehemalige Verfassungsrichter Roman Herzog gegen die Begeisterung für grenzenlose Barmherzigkeit, gegen die kühne, handstreichartige Außerkraftsetzung des institutionell verankerten Rechtsrahmens auf.

„Der Nationalstaat liegt als Projekt hinter uns! Wir brauchen mehr Europa!“

„Das neue Deutschland nach 1949 und 1989 hat seine großen Erfolge in der Wirtschaft-, Sozial- und Außenpolitik nicht als klassischer Nationalstaat, sondern als ein demokratisches, weltoffenes und in Europa integriertes Land erzielt.“

So zuletzt – nur als ein Beispiel von vielen – Heiner Geißler von der CDU. Nun, dem vermag ich in aller Bescheidenheit nicht so schnell zu folgen.

Ich selbst meine, dass der auf Recht gestützte Staat, also der „klassische Verfassungsstaat“ noch nicht ganz ausgedient hat. Der klassische Verfassungsstaat (etwa Frankreich, Deutschland, Polen, Ungarn…) hätte erst dann ausgedient, wenn die Souveräne dieser Staaten, also die Völker, sich dazu verständigt hätten, sich als „postklassischer übernationaler Verfassungsstaat“ zusammenzuschließen. Und das haben sie noch nicht getan. Einige Völker der EU, z.B. die Franzosen, haben dies sogar ausdrücklich per Volksabstimmung abgelehnt.

Ich bekenne mich als ein Anhänger des klassischen parlamentarischen Verfassungsstaates mit seiner klassischen Gewaltenteilung; ich bin ein (übrigens auch durch öffentlichen Eid) eingeschworener Anhänger der derzeit bestehenden Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland.

Selbstverständlich bin ich für die Einhaltung aller internationalen Verpflichtungen, die Deutschland eingegangen ist.

Selbstverständlich soll man Menschen vor Not, Elend und Hunger bewahren; aber eine komplette – auch nur vorübergehende – Außerkraftsetzung des geltenden Rechts wäre das berühmt-berüchtigte „Paradies auf Erden“. Ein Schritt ins Verderben.

Die Genfer Flüchtlingskonvention, das Völkerrecht, das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, die vertraglichen Verpflichtungen aus den EU-Verträgen, der methodische und rechtliche Vorrang des Bundestages vor der Bundesregierung, das sind die Grenzen, an denen wir nicht rütteln sollten, an denen aber derzeit tatsächlich heftig gerüttelt wird.

Wir brauchen nicht einmal Paulus Rö 13, um an die Einhaltung der geltenden Rechtsordnung zu erinnern.

Nachweise:
Antieuropäische Ressentiments: Nationales Gedankengut wird hoffähig | Geißlers Nachschlag – Berliner Kurier – Lesen Sie mehr auf:
http://www.berliner-kurier.de/geisslers-nachschlag/antieuropaeische-ressentiments-nationales-gedankengut-wird-hoffaehig,11561998,25797542.html#plx1435918713

http://www.welt.de/print/die_welt/politik/article148748357/Fluechtlingskrise-reisst-eine-Wunde-in-deutsches-Recht.html

Bild:
Ein Blick in Dantes Inferno, vom Rande des Europa-Rechts her gesehen. In: Ausstellungskatalog:
Der Botticelli-Coup. Schätze der Sammlung Hamilton im Kupferstichkabinett. Kupferstichkabinett. Ausstellung. Staatliche Museen zu Berlin, Kulturforum, Matthäikirchplatz, 16.10.2015 bis 24.01.2016, Di-Fr 10-18 Uhr, Sa-So 11-18 Uhr

20151112_111433[1]

 Posted by at 14:38

Was hat der Mutmacher gesagt: „In verità“, oder „wahrhaftig“ oder „for truly“? Zu Mt. 18,3

 Griechisches, Hebraica, Jesus von Nazareth, Mündlichkeit, Novum Testamentum graece  Kommentare deaktiviert für Was hat der Mutmacher gesagt: „In verità“, oder „wahrhaftig“ oder „for truly“? Zu Mt. 18,3
Okt. 312015
 

Martin Walser schreibt heute in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung auf S. 18: „Nur Jesus beginnt seine Sätze mit Wahrlich.

Ist das wahr? Hat Jesus seine Sätze echt mit „Wahrlich“ begonnen? Sprach er echt so gut deutsch? Ich schlage die von Walser zitierte Stelle im Evangelium nach Matthäus 18,3 in verschiedenen Fassungen des Neuen Testaments auf und finde folgende Wörter, die Jesus in echt gesagt haben soll, wobei ich hier jeweils in Klammern Ort und Jahr der Erscheinung des Buches beifüge: „In verità“ (Roma 1974), „warlich“ (Wittenberg 1545), „Amen“ (Freiburg 1980), „Wahrhaftig“ (Gütersloh 2006), „Truly“ (Stonehill Green 1971), ἀμὴν (Stuttgart 2012).

7 unterschiedliche Worte, die Jesus gesagt haben soll! Ja was denn nun? Wer hat nun recht? Wer sagt uns denn endgültig die volle Wahrheit über Jesus Christus? Martin Walser am 31.10.2015, Martin Luther im Jahr 1517, Holger Strutwolf im Jahr 2012, die Conferenza Episcopale Italiana im Jahr 1974, die Katholische Bibelanstalt im Jahr 1980, The Bible Societies im Jahr 1971, das Projekt Bibel in gerechter Sprache im Jahre 2006?

Eine Entscheidung muss gefällt werden! Und ich entscheide … als guter Demokrat … mit der Mehrheit! Gewinner sind: Stuttgart 2012 und Freiburg 1980! Also „Amen“ bzw. „ἀμὴν“. Hurra! Diese beiden Wörter – so glaube ich – hat Jesus ausgesprochen.

Meine sachliche Begründung dafür lautet: Da Jesus (trotz rudimentärer Kenntnisse des Lateinischen und Griechischen, die wir annehmen dürfen) meist in Aramäisch gepredigt und sicher auf Hebräisch aus den Schriften zitiert hat, dürfte er wohl auch die aramäische bzw. hebräische Bekräftigungsformel Amen verwendet haben. Offen muss bleiben, wie er dieses Amen genau ausgesprochen hat; aber dass Jesus genau diese Formel „Amen“ verwendet hat, glaube ich fest.

Amen (auch „aman“, „amin“ lautend) ist eine Formel, mit der damals ein festes Vertrauen, eine persönliche Gewissheit ausgedrückt, besser „gesetzt“ oder auch „eingesetzt“ wurde. Durch Amen, eine mündliche Bestätigungsformel, wurde eine sprachliche gegebene Gewissheit bekräftigt. Jesus verwendet Amen stets, bevor er seine höchst persönliche Lehre, also die „Lehre Jesu Christi“, wie wir heute sagen dürfen, in Wahrheit in der Ich-Form verkündet. „Ich sage euch…“ folgt dann, „Ego de… “ auf griechisch, … und dann folgt stets eine ganz bestimmte, durch das Ich Jesu bekräftigte Behauptung. Jesus verkündet also die Wahrheit im Lichte des Ich.

Amen, zu deutsch also „so sei es“, „so ist es“, „so will ich es“, ist also Wahrheit im Lichte des Ich!

O ihr Lehrlinge Jesu Christi, o ihr deutschen Martins und Friedrichs, tilgt nun einige Buchstaben nach und nach weg! Schrumpft sie auf das Mindestmaß! Magert die sieben Übersetzungen des griechisch verfassten neuen Testaments auf Gerippe und Knochen ab! Entschlagt euch für einen Augenblick eurer Kenntnisse aus Theologie, Kirchen- und Literaturgeschichte! Vergesst ein winziges Nu lang die gesamte Kirchengeschichte! Seid oder werdet wie er!

Dann, Martin, Friedrich bzw. Fritz (darf ich dich so nennen?), Hans, Hermann, Hinz und Kunz, Lehrling Jesu Christi, nimm diese abgemagerte Fassung herab vom Kreuz deines philologisch-theologischen Seziertisches. Gib dem komplett abgemagerten Jesus, diesem überragenden, großartigen Muthmacher, dem Mutmacher und Bekräftiger Raum in dir. Und dann hast du auch die beste Übersetzung des hebräischen Amen, das es dich drängt – wie sagtest du doch? – „in dein geliebtes Deutsch zu übertragen“.

WAHR (heit im) L (ichte des) ICH

Amen, warlich (Martin Luther), wahrlich (Martin Walser).

Die beiden Martins haben recht. Das „Wahrlich/warlich“ der beiden Martins ist die Übersetzung, die Inhalt und Botschaft des hebräischen bzw. aramäischen oder auch jesuanischen Amen am besten wahrt und bewahrt.

Beleg:
Martin Walser: Der Muthmacher. FAZ, 31.10.2015, S. 18

Bild:
Kreuzabnahme. Ein tiefes Relief, tief tief verborgen im Teutoburger Wald, 11 km Fußmarsch vom Hermannsdenkmal bei Detmold entfernt. Eigenes Smartphone-Foto des Bloggers vom 25.10.2015
20151025_161045

 Posted by at 10:58
Okt. 132015
 

„Je weiter du weggehst, desto weiblicher wird Jesus.“ Navid Kermani, der dies schreibt, hat etwas in Worte gefasst, was mich insbesondere an den Zeichnungen Sandro Botticellis immer wieder berührt und berückt: das Weiche, das Gelinde, Fließende seiner Liniengebung, besonders gut fassbar in seinen Zeichnungen zu Dantes Göttlicher Komödie, die ja ab übermorgen wieder im Berliner Kupferstichkabinett meinen ungläubig staunenden Augen geboten werden. Ich freue mich schon darauf. Wiedersehen macht Freude.

Es ergeht mir schließlich bei Botticellis Gemälden, mehr aber noch in Botticellis Zeichnungen so, dass jeder strenge, richtende, urteilende, verurteilende Blick geschmeidiger wird, man könnte sagen: das strenge Auge löst sich, es fühlt sich mild und weich. Man glaubt an diesen affetto, an diese unwillkürlich anrührende Gefühlsregung. Ich glaube, ein Lächeln zu sehen, ein Tränen des Auges, hinter dessen Schlieren alles Grobkantige ins Schwingen gebracht wird. Dante beschreibt das hier Angedeutete so (Paradiso VI, 121-123):

Quindi addolcisce la viva giustizia
in noi l’affetto sì, che non si puote
torcer già mai ad alcuna nequizia.

Selbst noch in Botticellis Kreuztragung, in der Pinakothek von Kermani alleine vierzig, fünfzig Minuten lang ungläubig bestaunt, verliert der härteste, der letzte Gang, der Weg des Kreuzes viel von seiner Härte, von seiner eklatanten, schreienden Ungerechtigkeit, seiner krassen nequizia! Er wird zum Tanz der herannahenden Befreiung.

Und so fand ich soeben auch nach einigem Nachdenken (40, 50 Minuten lang) die richtige Übersetzung für Jesu Wort (Matthäus 11,30):

ὁ γὰρ ζυγός μου χρηστὸς καὶ τὸ φορτίον μου ἐλαφρόν ἐστιν

Denn mein Joch ist wohltuend und meine Last ist geschmeidig.

Hinweise:
Der Botticelli-Coup. Schätze der Sammlung Hamilton im Kupferstichkabinett. Eröffnung der Ausstellung am Donnerstag, 15.10.2015, 19 Uhr (Eintritt zur Eröffnung frei). Kupferstichkabinett. Ausstellung. Staatliche Museen zu Berlin, Kulturforum, Matthäikirchplatz, 16.10.2015 bis 24.01.2016, Di-Fr 10-18 Uhr, Sa-So 11-18 Uhr

Sandro Botticelli: Kreuztragung. Tempera auf Leinwand. Pinacothèque de Paris.

Zu diesem Bild:
Navid Kermani: „Schönheit“ in: ders., „Ungläubiges Staunen“. Über das Christentum. C.H. Beck Verlag, München 2015, S. 44-49

Botticelli_Coup_20151013_141111[1]

 Posted by at 15:58
Sep. 292015
 

Ein paar Gedanken mögen sich hier anschließen, wie sie mir im Nachklang des Abends in der Katholischen Akademie vom letzten Donnerstag einfallen:

1. Die Sprachlichkeit der Leib-Rede, die Leiblichkeit des gesprochenen Wortes wurde im Vorbeigehen belichtet. Begriffe wie Vergleich, Metapher, Symbol, Sakrament tauchten immer wieder auf.

2. Welche Bedeutung hat das Glauben für die Ein-Leib-Metapher? Die Metapher verlangt als solche keinen Glauben, sondern ein Verstehen. Metaphern sind Stilmittel der Rede, mit denen der Sprechende eine Wirkung erreichen will. „So wie der Körper viele Organe hat, so hat auch das Gemeinwesen viele Organe, deren jedes seine ihm zugewiesene Funktion hat. Der Magen kann nicht sagen: Ich mache nicht mehr mit. Er muss seinen Dienst als Magen verrichten, damit es allen Organen gut geht.“  So überzeugte, oder besser: „überredete“ Menenius Agrippa im Jahr 494 v. Chr. die unzufriedenen Plebejer.  Sie kehrten in die Stadt Rom zurück. Er verwendete die Metapher – „ein gutes Gemeinwesen ist wie ein einziger Leib“ – dieses eine Mal als Mittel im Dienste der Überzeugungsarbeit. Er setzte damit aber kein wiederholbares sinnstiftendes Zeichen, er stiftete kein Sakrament und keinen Ritus.

3. „Das ist mein Leib“ (Mt 26,26), diese Worte sind nicht als Metapher zu verstehen und auch nicht als Symbol. Sie sind vielmehr ein „Zeichen höherer Art“, das durch eine sprachlich verfasste Tathandlung „gesetzt“ wird; der übliche Ausdruck für ein derartiges gesetztes oder „eingesetztes“, „gestiftetes“ Zeichen höherer Art, das im Vollzug des Ritus wiederholbar wird, lautet Sakrament.

4. Sakramente sind im Gegensatz zu Metaphern wiederholbare, stets an den sprachlichen Vollzug gebundene Handlungen, die über die Metapher hinausweisen. Sakramente, „geheiligte Tathandlungen“ also, sind nicht bloß metaphorisch zu verstehen, sondern reichen jenseits der Metapher hinaus. Ihr Reich ist gewissermaßen „nicht nur von dieser Welt“.  Sie sind – sofern man sie glaubt und in ihnen lebt – eine Wirklichkeit jenseits der sprachlich abbildbaren Wirklichkeit, also eine „nur“ geglaubte, „nur“ gelebte Wirklichkeit.

5. Der Philosoph Ludwig Wittgenstein hat wie Pasolini diesen Schritt über die Grenzen der metaphorischen Rede hinaus versucht, aber – im Gegensatz zum Künstler – vorerst nicht vollzogen. Wenn er einerseits schreibt: „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“ und dann weiterschreitet: „Es gibt allerdings Unaussprechliches. Dies zeigt sich, es ist das Mystische„, dann entzog sich ihm, als er den Tractatus logico-philosophicus verfasste, noch der Sinn für den Vollzugscharakter des Sprachhandelns, also das „Performative“, wie man modischerweise heute sagt.

6. L’umanità di Cristo è spinta da una tale forza interiore, da una tale irriducibile sete di sapere e di verificare il sapere, senza timore per nessuno scandalo e nessuna contraddizione, che per essa la metafora «divina» è ai limiti della metaforicità, fino a essere idealmente una realtà.

Von den „Grenzen des Metaphorischen“ schreibt Pasolini am 12. Mai 1963 an Alfredo Bini.  Ein großes Zeugnis einer großen Liebe: „… amando così svisceratamente il Cristo di Matteo…“ Irgendwann wird seine Stunde kommen. Wann? Wir wissen es nicht.

Quellen:

Ludwig Wittgenstein: Tracatatus Logico-Philosophicus, o.O., o.J., Sätze 5.6, 6.522
http://tractatus-online.appspot.com/Tractatus/jonathan/D.html

Brief Pier Paolo Pasolinis an Alfredo Bini vom 12. Mai 1963, zitiert nach: Gianni Borgna u.a. (Hrsg.): Pasolini Roma. Verlag Skira, Roma 2014 [Ausstellungskatalog], Seite 167

 

 Posted by at 13:31

πολλὰ ὄντα ἕν ἐστιν σῶμα; Ein Leib aus vielen Gliedern? (1)

 Leviathan, Novum Testamentum graece  Kommentare deaktiviert für πολλὰ ὄντα ἕν ἐστιν σῶμα; Ein Leib aus vielen Gliedern? (1)
Sep. 252015
 

Leviathan 20150814_171225[1]

 

 

 

 

Gestern besuchte ich in der Katholischen Akademie in Berlin die Podiumsdiskussion:

Kirche. Leib. Körper. Organismus
Zur Kritik einer Metapher
Die Einladung sei im Wortlaut wiedergegeben: „Religiöse oder politische Körper geben Antworten auf die Frage nach Identität und Gemeinschaft. Das wird anschaulich bei Barack Obama und Johannes Paul II, beim Leviathan und bei dem Bild der Kirche als Leib Christi. Das demokratische Denken begegnet diesen kollektiven Einheitsbildungen seit jeher kritisch: sind diese körperlich vorgestellten Gemeinschaften nicht zu sakral, zu exklusiv, zu männlich und letztlich zu integralistisch? Die Sehnsucht nach leiblich imaginierten Gemeinschaften ist trotz dieser Kritik nicht verschwunden. Im Gespräch von Theologie, Kulturwissenschaft und Soziologie geht der Abend der Bedeutung der religiösen und politischen Körper nach und fragt, wie sich die Rede von der Kirche als Leib Christi heute verstehen lässt.“

Es diskutierten gestern abend Prof. Dr. Matthias Reményi, Juniorprofessor für Systematische Theologie, Prof. Dr. Heinz Bude, Makrosoziologie (Kassel), Prof. Dr. Thomas Macho, Kulturgeschichte (Berlin) und Dr. Aurica Nutt, Katholische Theologie (Köln). Es moderierte Joachim Hake.

Das Thema fand ich aufregend, elektrisierend im Blick auf die neuesten Entwicklungen auf der Welt und im eigenen Ich-Du-Verhältnis. Ich musste da einfach hin. Zur Vorbereitung betrachtete ich mir noch einmal zwei Stellen im Neuen Testament, meinem langjährigen, griechisch verfassten Leib-und-Magen-Buch. Ich empfinde sie als besonders sprechend, nämlich erstens die Ein-Leib-Rede im ersten Korintherbrief (12,12):

Καθάπερ γὰρ τὸ σῶμα ἕν ἐστιν καὶ μέλη πολλὰ ἔχει, πάντα δὲ τὰ μέλη τοῦ σώματος πολλὰ ὄντα ἕν ἐστιν σῶμα, οὕτως καὶ ὁ Χριστός.

Also zu Deutsch ungefähr: „So wie nämlich der Leib Einer ist und viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes – so viele sie sind – Ein Leib sind, so auch der Christus.“

Und zweitens die Abendmahlsrede, wie sie sich mit leichten Abwandlungen in den drei Evangelien von Matthäus, Markus und Lukas findet, hier sei zitiert Mt 26,26 in der Nestle-Ausgabe:

Ἐσθιόντων δὲ αὐτῶν λαβὼν ὁ Ἰησοῦς ἄρτον καὶ εὐλογήσας ἔκλασεν καὶ δοὺς τοῖς μαθηταῖς εἶπεν· λάβετε φάγετε, τοῦτό ἐστιν τὸ σῶμά μου.

Zu Deutsch ungefähr: „Während sie aßen, nahm Jesus das Brot, und nachdem er gesegnet, gebrochen und den Schülern gegeben hatte, sagte er: Langt zu, esst, das ist mein Leib.“

Ich war neugierig wie nur je ein Schüler sein kann: In welchem Verhältnis würden sich diese beiden, von mir vorab bereits als zentral, ja als Dreh- und Angelpunkt empfundenen Stellen in den Gesprächen der Gelehrten wiederfinden?

 

 Posted by at 10:15

Μὴ καὶ ὑμεῖς θέλετε ὑπάγειν; „Wollt ihr auch weggehen?“

 Johannesevangelium, Novum Testamentum graece, Was ist europäisch?  Kommentare deaktiviert für Μὴ καὶ ὑμεῖς θέλετε ὑπάγειν; „Wollt ihr auch weggehen?“
Aug. 262015
 

Dom 20150823_113201

„Wollt ihr auch weggehen“ – in Zeiten der Griechenlandkrise übersetzen wir diese Frage selbstverständlich ins Griechische!

Denn die Europäische Union gehört ja zu Europa, sie, die EU ist ein Teil Europas. Und Europa ist – sofern wir es nicht einfach als Landmasse, als mehr oder minder unerhebliches Anhängsel Asiens betrachten – zwar sehr wohl ohne die englische, russische, lettische oder deutsche Sprache, aber nicht ohne die griechische Sprache denkbar: schon die Bezeichnung Europa ist griechischen Ursprungs, es gab eine Art Europa, ehe es eine Art EU gab. Und ehe es eine Art Europa gab, gab es schon eine Art Hellas.

„Wollt ihr auch weggehen?“, das lautet auf Griechisch:

„Μὴ καὶ ὑμεῖς θέλετε ὑπάγειν;“

„Hypago“, das griechische Verbum können wir hier ohne weiteres als „zurückziehen“ übersetzen, so wie etwa ein Kartenspieler seinen Einsatz zurückzieht oder ein Feldherr seine Truppen zurückzieht. Ich schlage also heute folgende Übersetzung des griechischen überlieferten Textes vor:  „Wollt ihr etwa auch zurückziehen?“ Wer so fragt, überlässt den gefragten Menschen selbstverständlich die Wahl. Niemand ist gezwungen dabeizubleiben oder auf den Wanderungen mitzugehen.

„Wollt ihr etwa auch zurückziehen?“ Da schwingt mit: „Ihr seid frei. Ihr könnt mitkommen, ihr könnt aber auch weggehen.“ Die Gemeinschaft mit Jesus entspringt keinerlei Art von Zwangsgebot. Von einer „immer engeren Union“ kann hier in unserem Beispieltext (es handelt sich um das Johannesevangelium, Kap. 6) keine Rede sein.

Die Frage Jesu Christi eröffnet hier wie an tausend anderen Stellen diesen Raum der Freiheit. Wer nicht mitkommen will, der kann jederzeit gehen. Selbst Simon Petrus, der große Theatermensch, der ja hier nicht und auch sonst nicht um ein großartiges, großspuriges  Vertrauensbekenntnis verlegen war, wird diese Freiheit des Weggehens drei Mal in Anspruch nehmen, ehe der Hahn kräht.

Wer nicht mitkommen will, wer das Vertrauen (griechisch pistis) verloren hat, der darf und kann jederzeit gehen. Ich meine sogar: Der soll gehen. Das Ausscheiden aus der Vertrauensgemeinschaft (griechisch: ekklesia) wird durch Jesus selbst nach dem Zeugnis des Johannes ohne Nachteil für Leib und Leben, ohne jede Strafandrohung freigestellt.

In allen wesentlichen Fragen widerspricht Jesus Christus also dem Leitbild einer immer „immer engeren Union“, wie sie etwa der Lissaboner Vertrag oder  die europäische Christdemokratie für die EU gebieterisch vorschreibt, einer Euro-Zwangsgemeinschaft, die sich gewissermaßen selbstläufig in immer stärkerer Vertiefung ergeben soll.

Jesus lädt stattdessen zur Nachfolge ein. Er will keine Unterwerfung unter ein Reglement, wahrscheinlich auch keinen Gehorsam. Den Gedanken der Unterwerfung  – la SOUMISSION, wie sie z. B. Michel Houellebecq erzählt  – lehnt er hier wie an tausend anderen Stellen radikal ab.

„Wollt ihr auch weggehen?“ Ich hörte diese Frage beim Besuch der Messe im Augsburger Dom am vergangenen Sonntag (siehe Bild). Sie hat mich lange beschäftigt.

Quelle:

Novum testamentum graece, ed. Strutwolf e.al., 28. Aufl. Stuttgart 2012, hier: Joh 6,67

 

 Posted by at 18:24
Juli 112015
 

Vita enim sine verbo incerta est et obscura, so sagt es Martin Luther aus tiefer Überzeugung und völlig zu Recht (WA 18, 655, 10).

Zu deutsch: „Ein Leben ohne das Wort ist ungewiß und dunkel.“

So dürfen wir heute sagen: „Ein Europa ohne Wort ist ungewiß und dunkel.“ Europa sine verbo incerta est et obscura.

Zu griechisch: Η Eυρώπη χωρίς το λόγο είναι αβέβαιο και σκοτεινό.

Das Licht, die Wahrheit Europas kommt nicht vom mythischen Geld und nicht vom märchenhaften Gold her, sondern vom Wort, – vom „Logos“ also, vom logischen Denken, Erkennen, Fühlen und Handeln.

„Scheitert der Euro, scheitert Europa.“ Diese Festnagelung der Europäischen Union, schlimmer noch diese Festnagelung Europas auf das Geld, auf den Euro, dieses monetaristisch-kapitalistische Euro-Evangelium war eine falsche Erlösungslehre, eine Irrlehre, ein trügerischer Mythos, der zu nichts Gutem geführt hat außer zu der Erkenntnis, dass nicht der blind geglaubte Mythos vom Euro, sondern nur der vernünftige Glaube an die gute, verbindendende, versöhnende Macht des Wortes den Frieden und die Eintracht stiften kann, die wir dringend brauchen.

Luther (WA 18, 655, 10) hier zitiert nach:
Joachim Ringleben, Das philosophische Evangelium. Theologische Auslegung des Johannesevangeliums im Horizont des Sprachdenkens. Verlag Mohr Siebeck, Tübingen 2014, S. 465 (Anm. 71)

 Posted by at 12:26

The devastating effects of BIG MONEY: It’s all Greek to the Europeans

 Europäische Union, Gemeinschaft im Wort, Novum Testamentum graece  Kommentare deaktiviert für The devastating effects of BIG MONEY: It’s all Greek to the Europeans
März 102015
 

Ein heute weitgehend in Vergessenheit geratener syrischer Schriftsteller aus dem türkischen Ferienort Antakya mag wohl einen Hinweis über den richtigen Umgang mit Geld und Gut liefern. Von Beruf war er Arzt. Er schrieb nicht türkisch, sondern griechisch. Er legt im 16. Kapitel seiner früher viel gelesenen Lebensbeschreibung eine umfangreiche Abhandlung über Sinn und Unsinn des Schuldenmachens vor.

Entscheidend ist für den Verfasser – nennen wir ihn Lukas- , dass er dem Geld, also dem „Mammon“, wie er abschätzig sagt, keinen allzu hohen Rang zumisst.

Dennoch: Geld spielt eine riesige Rolle im gesamten Neuen Testament! Es ist die treibende Kraft hinter der Kreuzigung Jesu, es spaltet Gemeinschaften unheilbar.

In schroffem Gegensatz zur Europäischen Union und zu Europas Sozialdemokraten, und in denkbar schärfstem, in unüberbrückbar schroffem Gegensatz zu Europas „C“-Demokraten, die vor allem und fast ausschließlich im Geld das Bindeglied und das Unterpfand der Europäischen Gemeinschaft sehen, erblickt der mittlerweile ganz in den Hintergund gedrängte Jesus von Nazaret im großen Geld eher etwas potenziell Gemeinschaftsschädigendes. Und er hat damit recht. Der Mann hatte einen doch erstaunlich modernen Blick auf die Wirklichkeit. Ist Jesus doch irgendwie der bedeutendste Europäer? Man sollte manchmal noch an ihn denken.

Erstaunlich! Europas sogenannte „C-Demokraten“ setzen ihr ganzes Vertrauen in die einigende Kraft des Geldes; Europas C-Demokraten haben uns jahrelang eingeredet, dass wir dem Geld vertrauen sollen, dass jeder Zweifel am System Euro zu „Unfrieden“, „Krieg“ oder doch zu „Währungskrieg“ führen würde.

Was für ein abgrundtiefes Misstrauen in die menschliche Person offenbart sich in der Geldverhaftung der deutschen und der europäischen Christdemokraten! Jeder, der Zweifel am Euro-System anmeldete, wurde über Jahre hinweg verteufelt – oder als „Rechtspopulist“ stigmatisiert.

Wahnsinn des Eigendünkels, Wahnsinn der Geldgläubigkeit! Jetzt hat die EZB das Weisungsrecht gegenüber der Politik erreicht. Irre. Ein geistlicher Bankrott. Das glatte Gegenteil dessen, was das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland festgelegt hat. Und die C-Parteien haben das sehenden Auges zugelassen.

Was für ein grauenhafter Missbrauch des „C“ im Parteinamen! Jesus Christus, der einen deutlich realistischeren Blick aufs Geld als unsere führenden europäischen C-Politiker hat, erkennt den spaltenden, ja den verheerenden Einfluss von schlecht verwaltetem, von allzu sehr geliebtem Geld.

Geld, Big Money ist der Spaltpilz der Gemeinschaft, daran lässt Lukas nie einen Zweifel; man lese nur noch einmal die Geschichte von Hananias und Saphira in der Apostelgeschichte.

Und wenn einem schon das Geld ausgeht, sagt Jesus, dann sollte man es so ausgehen lassen, dass es menschliche Beziehungen nicht unrettbar zerstört.

Die vier Evangelien erzählen sehr viel vom Geld. Hergeschenktes Geld kann Gutes bewirken – zum Beispiel im Gleichnis vom Samariter. Uneinigkeit über das anvertraute Geld hingegen untergräbt zwischenmenschliche Beziehungen unrettbar, höhlt Vertrauen aus.

Zwei Einsichten treten immer wieder aus den vier Evangelien hervor: Geld ist sehr wichtig, aber nicht alles. Geld kann niemals gestörte menschliche Beziehungen kitten. Wer nicht einmal mit Geld vertrauenswürdig umgeht, dem wird auch kein Vertrauen entgegengebracht, wenn es um das Entscheidende, das „Wahre“ geht.

Lies auf Griechisch im Evangelium nach Lukas, Kapitel 16, Vers 9:

εἰ οὖν ἐν τῷ ἀδίκῳ μαμωνᾷ πιστοὶ οὐκ ἐγένεσθε, τὸ ἀληθινὸν τίς ὑμῖν πιστεύσει;

via Greek Bible.

 Posted by at 21:20