Aus ἐν ἀνθρώποις εὐδοκία wird в человеках благоволение. Zu Lk 2,14

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Aug. 312014
 

Erlöserkirche 2014-08-10 09.17.55

слава в вышних Богу, и на земле мир, в человеках благоволение

„Ehre in den Höhen Gott, und  auf der Erde Frieden, in Menschen Wohlwollen“

So übersetzt die russisch-orthodoxe Kirche in ihren maßgeblichen Ausgaben Lukas 2,14.

Verblüffend ist, dass die östlich-orthodoxe Übersetzung von einer etwas anderen, durch die ältesten Textzeugen gut gestützten griechischen Urfassung ausgeht als die römisch-katholischen und die lutherischen Fassungen! In einer Ausgabe des Novum Testamentum Graece, ed. Nestle / Aland, 27. Aufl. 1999, lässt sich ohne Mühe aus den Varianten des  textkritischen Apparates der vollkommen hieb- und stichfeste griechische Text erstellen, von dem die Kirche des Kyrill und Method ausging:

Δόξα ἐν ὑψίστοις θεῷ, καὶ ἐπὶ γῆς εἰρήνη, ἐν ἀνθρώποις εὐδοκία

Die beiden  entscheidenden Unterschiede zu den westlichen Kirchen liegen hier darin, dass благоволение/εὐδοκία (eudokia) im Nominativ steht und dass die Präposition ἐν räumlich inklusiv als в als „in“ übersetzt ist. Nicht die Menschen des „Wohlwollens“ Gottes werden genannt; vielmehr äußern die himmlischen Heerscharen einen dreigliedrigen Wunsch, eine dreigliedrige Beschreibung:

Strahlender Glanz/Leuchten/Schein/Ehre/Ruhm [wird, ist oder sei] in den Höhen dem Gott
und auf Erde [wird, sei oder ist] Friede,
in Menschen [ist, sei oder werde] Wohlwollen/Wohlgefallen/gutes Genügen/Zufriedenheit

Hier haben wir als Notbehelf in eckigen Klammern mehrere Verben eingefügt, die in diesem verblosen Stil hinzugedacht werden können.

Die eudokia, der Zustand des innigen Behagens und Wohlgefühles, ist also nicht etwas, was von außen auf die Menschen herabregnet; vielmehr quillt sie von innen hervor; sie ist gewissermaßen ein Widerschein des Geschehens dort droben.

„In den Herzen wird’s warm
still schweigt Kummer und Harm“

– diese treuherzig-einfältigen Zeilen des Kinderliedes geben das in den Ostkirchen Gemeinte sehr gut wider. Noch weniger ist dieses innere Wohlbehagen eine Gnade, die die Menschen sich mühselig erarbeiten müssten. Die eudokia, das holde Bescheiden, wie Mörike einmal sagte, ist ein unverdientes Geschenk, das von innen in Menschen aufscheint und zum Zustand des Friedens mit den anderen und mit der Schöpfung führt.

Das Weihnachtsgeschehen kommt unvermittelt, plötzlich (exaiphnes, Lk 2,13) zugleich in der Höhe wie auch „in Menschen“ zum Vorschein. Die griechische Wortwurzel ist hier eindeutig – doxa und eudokia kommen von derselben etymologischen Wurzel doke her. Sie besagt „scheinend“, „leuchtend“.

Was folgt daraus? Viel. Bei einem meiner letzten Russland-Aufenthalte feierte ich einen strahlenden, von Klang und Gesang erfüllten Gottesdienst in der Moskauer Christus-Erlöserkirche über die volle Länge von mehr als 2 Stunden mit. Es war am 10. August 2014. Dort trat ich in eine stumme  Zwiesprache mit der ausgestellten Reliquie Johannes des Täufers. Dort vollführte ich mit anderen zusammen die rituelle Prostration des byzantinischen Ritus. Ich warf mich also zusammen mit anderen Feiernden vor dem Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, wie er sich in Jesus Christus gezeigt hat, ganzkörperlich und öffentlich auf den Boden nieder. Dort lauschte ich dem Evangelium in russischer Sprache und den Predigten des Patriarchen über die Angst als ständige Begleiterin im Schiffchen des Lebens. „Wir werden die Angst nicht los. Sie gehört dazu“, sagte er. Er sprach auch über den Wert des Betens. „Beten ist in unserer Gesellschaft aus der Mode gekommen. Wenige beten noch. Beten heißt durch Bitten etwas Herbei-Wünschen, was ohne dieses Wünschen vielleicht nicht eintreten würde.“

Mitten im August erblickte ich in dieser riesigen Hauptkathedrale der russisch-orthodoxen Kirche eine Weihnachtskrippe aufgebaut. Weihnachten wird also in der russisch-orthodoxen Kirche über das ganze Kirchenjahr hinweg in Erinnerung gehalten.

Die Christus-Erlöserkirche ist – dies sei nur nebenbei gesagt –  die Kirche, in der auch die russische Staatsmacht  neuerdings  so gern sich zum christlichen Glauben bekennt. Auch Präsident Putin lässt sich hier demonstrativ zu Weihnachten filmen, wie er in bescheidener, kindlicher Frömmigkeit ein Weihnachts-Kerzlein entzündet. Er bekennt sich damit öffentlich zum Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, wie er sich zu Weihnachten in der Person Jesu Christi ankündigt.

Der Weihnachtshymnus der himmlischen Heerscharen, wie ihn Lukas gestaltet, ist ein kraftvolles Alternativprogramm zum Einsatz der Waffen und Panzer, zur Überwachung und Beherrschung der Menschen, wie sie die Politiker, die Staatsmächte,  derzeit diskutieren und einzudämmen versuchen. Denn christlich angeleitete Politik möchte weg von dem Mehr-Haben-Wollen. Sie traut den niedrigen Menschen mehr als den Mächtigen, sie findet ihren Weg eher zu den Katen der Hirten als zu den Palästen und riesigen Datschen der Mächtigen. Die Geschichte  von Weihnachten spricht alle an – im Osten wie im Westen, die Christen wie die Nichtchristen, zu Weihnachten ebenso wie in den Hundstagen dieses Augusts, der in diesen Minuten so ungewiss zu Ende geht.

Aber sie macht auch klar, dass der Friede kein Automatismus ist. Er ist ein plötzliches Aufscheinen mehr als eine Verhandlungsmasse, er ist ein Sich-Bescheiden in das strahlend Beschiedene, in das, was da gerade in den Menschen geschieht.

via Russian Bible: Luk-2.

Bild: So bot sich uns die Christus-Erlöser-Kathedrale in Moskau dar, als wir gemeinsam zu Fuß  am 10.08.2014 zur Liturgie wanderten.

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Der überglückliche Kalkant Bachs in Eisenach

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Mai 022014
 

2014-05-01 17.26.47

Heut bin ich recht froh, sintemalen ich gestern mich in Eisenach bei unserem Martin LUTHER und unserem Johannes BACH gestärkt habe. Wer – Johannes Bach? Warum nicht Johann Sebastian Bach? Nun, ich betrachtete genau das Schülerverzeichnis der Eisenacher Lateinschule, die Johann Sebastian Bach ab dem Alter von 8 Jahren  besuchte. Der schulamtliche Name unseres Meisters aller Gattungen lautet dort – handschriftlich eingetragen-  nicht „Bach Johann Sebastian“ sondern „Bach Johannes“. 

Denkt Euch nur: Ich durfte am 1. Mai 2014 nachmittags um 17 Uhr im Bachhaus am Frauenplan zu Eisenach an diesem vielleicht von Bach selbst einmal traktierten oder vielleicht inspizierten Orgelpositiv des Jahres 1650 als tüchtiger Kalkant musizieren. Der Organist vertraute mir. Er glaubte mir auf mein gutes Wort hin, dass ich ein guter Kalkant sein werde! Das ist Glauben, ist Vertrauen: „Ja, du schaffst das schon! Kalkant – das kannst du!“, sagten die Augen des Organisten. 

Damit fängt alles an.

Ich strahlte: Ich ein Kalkant im Bachhaus am Frauenplan zu Eisenach! Herrlich, überherrlich! „Empfangt den heiligen Hauch!“, sagte es in mir – und das ist akkurat, was im Evangelio des Johannes 20, 22 steht! Es ist eine der Osterbotschaften Jesu. Das lateinische Spiritus bedeutet Hauch, griechisch Pneuma, hebräisch Ruach.

Omnis spiritus laudet te!

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Εἰρήνη ὑμῖν – Мир вам! Ist es Griechisch? Ist es Ukrainisch? Ist es Russisch?

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Apr. 282014
 

Noch heute höre ich in Kreuzberg immer wieder den uralten, den ewig neuen Friedensgruß, der zugleich auch ein Alltagsgruß geworden ist: Мир вам, wie der Ukrainer sagt, oder auch Мир вам, wie der Russe sagt, oder auch  Salam aleikum, wie die Moslems im Späti am Kotti um die Ecke sagen, oder auch Scholem aleichem wie die Juden sagen, oder auch der Friede sei mit Euch, wie Jesus nach seiner Auferstehung nach dem Zeugnis des Johannes dreifach zu den Jüngern sagte.

Es ist erstaunlich, dass im Evangelium des Johannes Jesus nur an dieser Stelle die Jünger ausdrücklich mit diesem so alltäglichen, drei Mal wiederholten Friedensgruß anredet. Der Evangelist verknappt die Begrüßung Jesu an seine Jünger ins Dichteste, Alltäglichste. So wie er den Judas mit „Freund“ anredete, so redet er jetzt die Jünger mit „Der Friede sei mit euch“ an.

Im griechischen Neuen Testament lautet das bei Johannes so:

ἦλθεν ὁ Ἰησοῦς καὶ ἔστη εἰς τὸ μέσον, καὶ λέγει αὐτοῖς· Εἰρήνη ὑμῖν.

Auf Ukrainisch lautet das so:

увіходить Ісус, став посередині та й каже їм: «Мир вам!»

Auf Russisch lautet das in der eigenwilligen russisch-jüdischen Übersetzung des Neuen Testaments, die David Stern vorgelegt hat, so:

пришёл Йешуа, встал посередине и сказал: „Шалом алейхем!“

Dies zu begreifen ist gar nicht so schwer. Kann man Russisch, wird man das Neue Testament auch auf Ukrainisch lesen können. Kann man Ukrainisch, wird man das Neue Testament mit seiner Friedensbotschaft auch auf Russisch lesen und verstehen können.

 

http://kifa.kz/bible/stern/stern_yohanan_20.php

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Woher kommt das Böse in der Weltgeschichte?

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Okt. 212013
 

Der erste Weltkrieg – oder vielmehr seine nachlaufende Deutung in vulgären Mythen, etwa in der Fritz-Fischer-These von „Deutschlands Griff zur Weltmacht“ – bedeutet im nachhinein betrachtet auch die Geburt des vulgärtheologischen Mythos von den Deutschen als dem „Trägervolk des Bösen“, von Deutschland als dem „Land, von dem aus alles Europäische, alle europäischen Werte zunichte gemacht werden sollten„, wie dies noch der deutsche Bundespräsident Gauck während seiner Europa-Rede am 22.02.2013 in Berlin in unübertroffener Knappheit ausführte.

In dieser Formulierung des Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland: „von Deutschland aus sollten alle europäischen Werte zunichte gemacht werden„, findet sich eine weitverbreitete Grundoperation der heute vorherrschenden vulgärtheologischen Geschichtsdeutung: das Böse, die Vernichtung aller guten Werte entspringt einem Kollektiv, einem Land, einem Volk! In den Augen sehr vieler heutiger Deutschen und auch einiger anderer Europäer sind die Deutschen auf alle Zeiten zu dem derartigen Trägervolk des schlechthin Bösen geworden, so wie dies im 19. Jahrhundert etwa in der Sicht eines Heinrich von Treitschke die Juden gewesen sein mochten. Treitschke schrieb: „Die Juden sind unser Unglück.“

Das Böse nistet gewissermaßen fest in einem hierdurch ausgezeichneten Volk. Man lese nur etwa beispielsweise noch einmal nach, an wie vielen Stellen etwa Daniel Jonah Goldhagen bei der Beschreibung schrecklicher Massenverbrechen „The Germans“ sagt, es wieder sagt, gleichsam allen Lesern mit metaphysischer Wucht einhämmert und noch einmal einhämmert: „The Germans‘ voluntaristic cruelty … the Germans‘ symbolic cruelty … the Germans kill and torture us for their sport …“  Man könnte diese Theorie des Bösen, diese Theorie der Wertezerstörung durch ein Volk oder ein Land, wie sie Joachim Gauck, Heinrich von  Treitschke oder Daniel Noah Goldhagen vertreten, die kollektivistische Theorie des Bösen nennen. Das Böse, die Wertevernichtung kommt aus der Mitte eines Volkes oder eines Landes. Ein bestimmtes Volk oder Land bringt das Böse in die Weltgeschichte. Es ist das Trägervolk des Bösen.

In schroffem Gegensatz zu dieser kollektiven Abstempelung eines Volkes, etwa der Juden (Treitschke) oder der Deutschen (Goldhagen) steht eine Aussage wie die des polnischen Philosophen Leszek Kołakowski: „Das Böse ist in uns“. Er meint: das Böse begleitet uns. Wir werden das Böse nicht los, indem wir es einem einzelnen Volk oder Land zuschreiben.

Das Böse kommt sozusagen aus dem Inneren heraus. Es ist in jedem von uns. Es „nistet“ gewissermaßen in der Mitte der Person. Wir werden das Böse in der Weltgeschichte weder durch die Europäische Union noch durch den Euro noch durch die Abstempelung von uns Deutschen als ewigem Trägervolk des schlechthin Bösen los.

Dem einzelnen Menschen steht als Person die Wahl zu, das Böse in sich zuzulassen oder es zu verwandeln in etwas Gutes. Ein früher vielfach verehrter, heute in Europa, vor allem in Deutschland jedoch weithin vergessener Zeuge für diese personalistische Sichtweise des Bösen sagt gemäß einem Schriftsteller, den wir einfach Markus aus Jerusalem nennen wollen:

„Denn von innen, aus dem Herzen der Menschen, kommen die bösen Gedanken, Unzucht, Diebstahl, Mord, Ehebruch, Habgier, Bosheit, Hinterlist, Ausschweifung, Neid, Verleumdung, Hochmut und Unvernunft.  All dieses Böse kommt von innen und macht den Menschen gemein.“

Wer hat nun recht – der Kollektivist, der alles Böse einem Volk – ob nun den Juden oder den Deutschen – zuschreibt; oder der Vertreter einer personalistischen Sicht, der das Böse als jederzeit schlummernde Möglichkeit jedem einzelnen Menschen zuschreibt?

Im griechischen Original zitiert Markus den weithin vergessenen Menschen mit folgenden Worten:

21ἔσωθεν γὰρ ἐκ τῆς καρδίας τῶν ἀνθρώπων οἱ διαλογισμοὶ οἱ κακοὶ ἐκπορεύονται, πορνεῖαι, κλοπαί, φόνοι,

22μοιχεῖαι, πλεονεξίαι, πονηρίαι, δόλος, ἀσέλγεια, ὀφθαλμὸς πονηρός, βλασφημία, ὑπερηφανία, ἀφροσύνη·

23πάντα ταῦτα τὰ πονηρὰ ἔσωθεν ἐκπορεύεται καὶ κοινοῖ τὸν ἄνθρωπον

Quellen:

Joachim Gauck: Rede zu Perspektiven der europäischen Idee. Schloss Bellevue, 22.02.2013

Daniel Jonah Goldhagen: Hitler’s willing executioners. Ordinary Germans and the Holocaust. Little, Brown and Company, 1996, hier bsd. Buchumschlag und Seite 387

Leszek Kołakowski: Religia nie zginie. Dziennik, 21. März 2008

Christopher Clark: Murder in Sarajevo. In: The Sleepwalkers. How Europe went to War in 1914. Penguin Books, London 2012

Das Evangelium des Markus. Kapitel 7, Vers 21-23

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Aug. 172013
 

καὶ ἄφες ἡμῖν τὰ ὀφειλήματα ἡμῶν, ὡς καὶ ἡμεῖς ἀφήκαμεν τοῖς ὀφειλέταις ἡμῶν.

„und erlasse uns unsere Schulden, wie auch wir unseren Schuldnern [sie] erlassen haben.“

So empfiehlt es Jesus im griechisch verfassten Neuen Testament bei Matthäus 6,12! Jesus fordert: Periodischer einvernehmlicher Schuldenerlass von Schulden, die den Schuldner überfordern! So lebenspraktisch sah das Jesus im Einklang mit der Tradition des Judentums damals. Er meinte: Wenn’s gar nicht mehr anders geht, muss halt der berühmte Schuldenschnitt ran. Wer hoffnungslos überschuldet ist,  der darf wieder bei Null anfangen. Jesus meinte das nicht nur finanziell im Verhältnis zwischen Personen, sondern auch moralisch im Verhältnis zwischen dem Menschen und dem Vater der Menschen.

Adenauers CDU speiste sich damals aus der ausdrücklich formulierten Zielsetzung, dass im Verkehr zwischen den Staaten dieselben Grundsätze des Christentums Anwendung finden sollten wie im Verkehr zwischen Menschen. Dazu gehörte die Beistandspflicht zwischen Staaten in Not, die Pflicht zur Versöhnung zwischen ehemals verfeindeten Staaten, die Pflicht zur Vergebung der Schuld, also auch zum Schuldenerlass zwischen den Staaten. Lang ist’s her, wer erinnert sich heute noch an Adenauer oder an Erhard?

Europa durch Aufgabe des Euro retten, indem ein weitreichender Schuldenerlass durchgeführt und dann die Euro-Währungsgemeinschaft geordnet aufgelöst wird. Das ist es, was der wissenschaftliche Chefberater des Bundesfinanzministeriums, Kai A. Konrad nunmehr fordert. Hier ist das Interview nachzulesen:

http://www.welt.de/politik/deutschland/article119104708/Deutschland-kann-die-Euro-Zone-nicht-retten.html

 

Ärgerlich in mehrfachem Sinne an dem Interview der WELT mit Konrad ist aber die Frage:

Die Welt: Deutschland soll zum dritten Mal Europa in die Luft sprengen? Das wird keine Bundesregierung je tun.“

Diese ungeheuerliche, erpresserische Frage des Reporters  enthält wieder jene vulgärtheologische Schuldtheorie, wonach Deutschland und nur Deutschland an der Katastrophe des Jahres 1914 und an allen nachfolgenden militärischen und humanitären Katastrophen Europas schuld sein soll. Dies ist eine sehr gefährliche, obendrein dumme Schuldtheorie, die die internationalen Historiker längst nicht mehr vertreten, die aber weiterhin eine unselige Rolle in der deutschen und internationalen Politik spielt.  Denn wissenschaftlich lässt sich die These, dass das Deutsche Reich der Alleinschuldige oder Hauptschuldige am Ausbruch der zahlreichen europäischen Kriege ab 1914 sei, nicht halten. Sie ist empirisch falsch. Deutschland ist nicht der alleinige Schuldige am Ausbruch des ersten Weltkrieges. Was  den zweiten Weltkrieg angeht, so kann man durchaus die Meinung vertreten, dass die UdSSR, Japan, Spanien, Griechenland und Italien eine Mitschuld an den zahlreichen verheerenden Feldzügen und Schlachten haben, die ab 1920 bis 1945 den ganzen Kontinent verwüsteten, und von denen viele heute unter „2. Weltkrieg“ zusammengefasst werden.

Weil Deutschland an allem schuld sei, müsse es heute für alle Schulden aller Europäer gerade stehen. Das ist der unterschwellige Unsinn, der einem immer wieder aufgetischt wird. Weg damit. Mut zur Wahrheit ist gefragt.

 

Quelle:

Nestle-Aland: Novum testamentum graece, ed. vicesima septima, Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart 1999, S. 13

 

 Posted by at 14:09

„Konditionalität der Hilfe“ – das Samariterdilemma

 bitte!, Europäische Union, Novum Testamentum graece, Samariter  Kommentare deaktiviert für „Konditionalität der Hilfe“ – das Samariterdilemma
Mai 222013
 

2013-03-24 10.54.58

 

Der Wirtschafts-Nobelpreisträger James M. Buchanan prägte den Begriff „Samariter-Dilemma“. Er meinte damit, dass ein Akt selbstloser Hilfe für den Beschenkten, dem aus einer Notlage geholfen wird, langfristig eher schadet als nützen kann, da der Empfänger dazu verführt wird, sich auf gewährte Hilfen mehr und mehr auszuruhen, statt auf eigenen Beinen zu stehen.

Insbesondere die derzeit den Banken und den hochverschuldeten Staaten gewährten Finanzhilfen (ESM, EFSM, SMP, SKAS-Vertrag) werden häufig als sittlich gebotener Akt der Nächstenliebe unter befreundeten Staaten, als aus dem Gebot der Solidarität erwachsende Verpflichtung der reichen Staaten gedeutet. Wer es daran fehlen lasse, handle unsolidarisch und kaltherzig.

„Ihnen ist das Schicksal der hungernden Arbeitslosen in Griechenland EGAL!“ So sinngemäß eine empörte Katrin Göring-Eckardt gegen Bernd Lucke bei Frank Plasberg in der Kombattanten-Show Hart aber fair.

Was meint Jesus mit seinem Gleichnis vom Samariter? Lies dazu noch einmal das Lukas-Evangelium 10,25-37!

Die Erzählung ist glasklar:
1) Der Samariter folgt aus freien Stücken einer Regung des Herzens und nicht aufgrund einer vertraglichen Beziehung.
2) Der Mann, der unter die Räuber fiel, ist zufällig und ohne eigenes Verschulden in die Not geraten.
3) Die Hilfe des Samariters wird ohne Auflagen gewährt. Die Samariterhilfe ist ohne „Konditionalität“.
4) Die Hilfe des Samariters erfolgt ohne die Erwartung einer Gegenleistung.
5) Sie ist einmalig und beschränkt sich auf die besondere Notlage.
6) Sie wird nicht zum Dauerzustand.
7) Es herrschte vor der Nothilfe  keine persönliche Beziehung zwischen dem Samariter und dem Opfer.

Keines der 7 Merkmale trifft auf den Euro-Rettungsfonds zu.

Für ESM, EFSM, SMP und SKS gilt:

1) Die Geberländer zahlen aus Nützlichkeitserwägungen in die verschiedenen Fonds ein.
2) Die Empfängerbanken und -Länder sind nicht zufällig, sondern vor allem durch eigenes Verschulden in die Not geraten.
3) Die Hilfe der Euro-Rettungsfonds wird mit Auflagen gewährt. Die Euro-Hilfe wird mit „Konditionalität“ gewährt.
4) Die Hilfe der Euroretter erfolgt in Erwartung einer Gegenleistung, also einer Rückzahlung.
5) Sie ist nicht einmalig und beschränkt sich nicht auf die besondere Notlage.
6) Sie wird zum jahrelang anhaltenden Dauerzustand.
7) Es herrschte bereits vor der Nothilfe eine institutionelle Beziehung zwischen dem Helferland und dem Opferland.

Ergebnis:

Die Eurorettungspolitik, die eine Bankenrettungspolitik und eine Staatenfinanzierungspolitik ist, erfüllt kein einziges der Merkmale, die auf den barmherzigen Samariter zutreffen. Sie ist rein pragmatisch zu sehen, sie hat keinerlei tiefere sittliche Bedeutung.

Jede Bezugnahme auf sittliche oder gar religiöse Gebote bei der aktuellen Finanzmarktstabilisierungspolitik ist fehl am Platze. Die Vorwürfe der unsolidarischen Kaltherzigkeit greifen ins Leere. Es geht für alle Beteiligten ausschließlich um Nutzenmaximierung.

 

Bild:

Ev. Johannesstift, Spandau, Samariterbrunnen.

 

 

 

Samaritan’s dilemma – Wikipedia, the free encyclopedia.

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Mach das und du wirst leben

 Hebraica, Jesus Christus, Novum Testamentum graece  Kommentare deaktiviert für Mach das und du wirst leben
Apr. 062013
 

2013-03-24 11.23.59

„Mach das und du wirst leben.“ τοῦτο ποίει καὶ ζήσῃ. So steht im Lukasevangelium Kapitel 10, 28.

Wir erinnern uns: Die Anfrage des Schriftkundigen richtete sich darauf, wie er Anteil am ewigen Leben erlangen könnte.  Statt einer Auskunft fragt Jesus zurück:

Ἐν τῷ νόμῳ τί γέγραπται; πῶς ἀναγινώσκεις;

„Was steht in der Weisung geschrieben? Wie liest du?“ Gemeint ist in dieser persönlich zugespitzten Frage: „Wie liest du persönlich die Torah? Was zählt für dich persönlich?“ Der Schriftgelehrte gibt seine Antwort: das Gebot der Gottesliebe und das Gebot der Nächstenliebe stehen für ihn als direkt gefragte Person ganz oben. So steht es auch vorher bereits in der Bibel bis zum heutigen Tag, 5. Buch Mose (Deuteronomium) 6,5 mit dem Gebot der Gottesliebe und 3. Buch Mose (Levitikus) 19,18,  mit dem Gebot der Nächstenliebe.

„Du hast richtig geantwortet. Mach das und du wirst leben.“

Das kann bedeuten: Tu es einfach, tue das, was du aus deiner Wahl heraus für das Gebotene hältst. Tue das, woran du glaubst, und alles andere, wonach du strebst, wird folgen. Wieder so eine unerhört knappe, geradezu atemberaubend theoriefreie Antwort, die uns heute wohl ebenso fassungslos zurücklässt wie damals die ersten Hörer, die uns aber weiterhin beflügeln kann. Gefordert sind also nicht weitere Worte, sondern Handlungen.  Nicht Bekenntnisse, kein gescheites Reden, sondern Handeln aus der Einsicht in das, was geboten ist.

Das Gebot der Nächstenliebe wird hier in dieser Begegnung nicht vom Meister auferlegt, vielmehr soll der Fragende durch Besinnung auf das, was für ihn zählt, das Wesentliche selbst herausfinden und dann danach handeln.

Mach das und du wirst leben.

Bild: Eine Brücke über einen winterlichen Bach in Spandaus Eiskeller

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Dem inneren Kind Raum geben – sich berühren lassen

 Mutterschaft, Novum Testamentum graece  Kommentare deaktiviert für Dem inneren Kind Raum geben – sich berühren lassen
Dez. 242012
 

Dem inneren Kind Raum geben – so raten es moderne Psychotherapeuten immer wieder.

„Ab wann spürtet ihr die Schwangerschaft? Ab wann hattet ihr das Gefühl, dass da ein eigenes Wesen in euch wohnt?“

So fragen wir einige Mütter – da wir als Männer es nicht am eigenen Leibe erfahren werden, sondern es nur über das Wort mitgeteilt erhalten.

„Im Rückblick – sofort. Es war was andres in mein Leben getreten.“ „Es hat mich gestört, Tags und Nachts!“ „Er hat mich gestoßen zu den unmöglichsten Zeiten.“ „Das Kind hat mir viel abverlangt – von Anfang an. Es hat mich verändert, vom ersten Tag der Schwangerschaft an.“

Ihr seht, von süßer Romantik, von den Freuden der Mutterschaft ist hier keine Rede.  Schwangerschaft – so erzählen Frauen – ist oft mit unangenehmen Einschränkungen, mit Schmerzen und ungeahnten Zuständen teils angenehmer, häufiger auch unangenehmer Art verbunden. Sie ist eine grobe Beeinträchtigung der Selbständigkeit.

„Da meldet sich sprunghaft einer, den ich vorher nicht kannte und den ich nicht eingeladen habe. Und der bringt mein Leben durcheinander.“

ὡς ἤκουσεν τὸν ἀσπασμὸν τῆς Μαρίας Ἐλισάβετ, ἐσκίρτησεν τὸ βρέφος ἐν τῇ κοιλίᾳ αὐτῆς – so schreibt es ein damals recht bekannter griechischer Arzt in seiner vorgeburtlichen Lebensgeschichte eines Kindes. Wir übersetzen den Befund des Arztes philologisch korrekt in Mediziner-Deutsch: „Als Elisabet den Gruß Marias hörte, sprang der Embryo in ihrer Gebärmutter auf„, oder, geglättet: In dem Augenblick, als sie den Gruß hörte, hüpfte das Kind in ihrem Leib.

Der kleine unscheinbare Mensch, to brefos, das Buberl, wie wir auf Bairisch sagen dürfen, reagiert schon auf die Stimme der Frau. Der Embryo interagiert mit der Mutter und mit dem sozialen Umfeld. Er schafft sich Raum – sofern ihm dieser Raum gegeben wird. Er greift in das Geschehen ein.

Ein dürrer körperlicher Sachverhalt wird durch Stimme und Wort ausgelöst. Die Stimme des griechischen Erzählers klingt heute noch nach. Etwas durch und durch Leibliches wird für Menschen – nicht nur für Frauen, sondern auch für Männer – zugänglich im Wort. Das Wort, der Klang der Stimme der Elisabet stiftet über die Stimme des Erzählers Lukas die Gemeinschaft der Hörenden.

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Klarheit und Wahrheit über Immobilien – braucht Europa mehr Süd-Nord-Übersetzer?

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Dez. 062012
 

2012-08-02-160847.jpg

Bei allen meinen Gesprächen mit Menschen, die in der Türkei, in Griechenland, in Italien, in Spanien oder in Portugal  aufgewachsen sind, läuft in meinem Kopf ein „Süd-Nord-Dolmetscher-Programm“ mit. Es geht mir dabei darum, die Geschichte und Geschichten besser zu verstehen, die auf jene Menschen eine prägende Kraft ausgeübt haben. Jenseits der Landessprachen Türkisch, Griechisch, Italienisch, Spanisch und Portugiesisch, die man ruhig auch erlernen könnte und sollte, ist die Kenntnis der kulturell tief verankerten Grundwerte fast noch wichtiger, um Europa in all seiner großartigen Vielfalt zu verstehen und zu erzählen.

Für die Griechen gilt, dass man sie nur verstehen kann, wenn man noch ein klein bisschen Rest-Ahnung vom Christentum  und vom Neuen Testament hat. Hä, Christentum? Was war das noch einmal? Nun, Deutschland hat zwei staatliche Ordnungen erlitten, die sich klar als Überwindung, als Gegenentwurf zum Christentum positionierten, als säkulare Ersatzreligionen, die nach und nach oder auch mit einem revolutionären Schlag das Christentum aus Deutschland hinausfegen wollten: der Nationalsozialismus in ganz Deutschland (1933-1945), der eine extreme, mörderische Feindschaft gegenüber dem Judentum und eine moderatere, kompromissbereite Feindschaft gegenüber dem Christentum verkündete,  und der Kommunismus in der DDR (1949-1989). In keinem anderen Land der Europäischen Union ist deshalb die Ablehnung des Christentums oder mindestens die Ertaubung  gegenüber dem Christentum und überhaupt gegenüber den alten Religionen in weiten Kreisen der Bevölkerung so ausgeprägt  wie in der Bundesrepublik Deutschland. Das spürt man als vielsprachiger Europäer subkutan, und das lässt sich auch empirisch belegen.

Anders Griechenland! Die heutige modische Christentumsfeindschaft Deutschlands und der westlichen europäischen Länder findet man in Griechenland eben nicht. Zwar gibt es auch in Griechenland heftige Kirchenkritik, aber die Kritik an der griechisch-orthodoxen Kirche spart stets das Christentum als solches aus. Das Christentum als solches lebt in Griechenland weiter wie eh und je.  Denn das Land ist nicht nur christlich geprägt, sondern erkennt das Christentum als offizielle Staatsreligion an – so wie Norwegen und das Vereinigte Königreich (UK) ja auch.

Nie hat in Griechenland eine rabiate Form der Kirchenfeindschaft, wie sie etwa der Kommunismus und der Nationalsozialismus in West-Europa predigten, um sich gegriffen! Selbst die griechischen Kommunisten waren und sind keine Christentumsfeinde, wie das etwa die russischen Bolschewisten und die europäischen Nationalsozialisten verschiedenster Länder waren und sind.

Viele heutige Griechen stammen ethnisch gesehen von Türken ab – sie sind die Nachfahren getaufter Türken. Für Griechen ist das Bekenntnis zum Christentum deshalb oftmals identitätsstiftend, so wie auch die etwa 2 Millionen in Deutschland lebenden türkischen Staatsbürger und auch die deutschen Staatsbürger kurdischer, tscherkessischer oder türkischer Abstammung automatisch als Muslime geführt werden, weil viele heutige Türken die Nachfahren von islamisierten Griechen sind. Kein Wunder, dass man etwa in einer griechisch geführten  Kneipe Schönebergs durchaus noch das orthodoxe Kreuz mit dem Doppelbalken über dem Zapfhahn findet – ein christliches Kreuz in einer säkularen Spelunke, das wäre im westlichen Europa sicher höchst ungewöhnlich!

Genug des allgemeinen Blabla!

Hier kommt eine kleine griechisch-deutsche Übersetzungsübung samt angefügter Interpretation!

Ἀνὴρ δέ τις Ἁνανίας ὀνόματι σὺν Σαπφίρῃ τῇ γυναικὶ αὐτοῦ ἐπώλησεν κτῆμα

„Ein Mann namens Hananias verkaufte zusammen mit seiner Frau Sapphira eine Immobilie …“

Mit diesen Worten beginnt ein griechischer, heute weithin vergessener Schriftsteller seine kleine Erzählung über einen Streit über die Pflicht, die Wahrheit zu sagen. Hananias und Sapphira lauten die schönklingenden Namen des Ehepaares, das sich der Gemeinschaft erkenntlich zeigt und einen Teil des Erlöses aus dem Verkauf einer eigenen Immobilie der Gemeinschaft zur Verfügung stellt. Nicolas Poussin hat die Szene sehr schön gemalt, man findet sein Bild im Louvre. Allerdings unterschlagen Hananias und Sapphira der Gemeinschaft einen Teil der Wahrheit, indem sie – unabhängig voneinander – einen falschen Preis nennen und die verschwiegene Differenz einbehalten. Sie täuschen also die Gemeinschaft über ihre wahren Vermögensverhältnisse.

Diese Täuschung, diese Lüge wird offenbar, und der Gemeindevorsteher – nennen wir ihn einmal auf gut Deutsch Peter – tadelt die Eheleute Hananias und danach auch Sapphira individuell aufs heftigste: „Wie konntest du uns das antun? Du hättest deinen Besitz für dich behalten können. Wir wären auch ohne deinen Immobilienverkauf einigermaßen über die Runden gekommen. Aber dass du uns belogen hast, ist unter aller Kanone! Damit zerstörst du die Gemeinschaft im Wort. Wer lügt, untergräbt sinnvolles Zusammenleben. Es wäre besser gewesen, ihr hättet eure Immobilie für euch behalten, statt uns zu belügen!“

Wie ist die Geschichte von Hananias und Saphira aus der Feder des griechischen Schriftstellers Lukas zu deuten? Vermutlich so: Wichtiger als Hab und Gut, wichtiger als Verteilungsgerechtigkeit, wichtiger als die Aufgabe des individuellen Reichtums zugunsten der Gemeinschaft ist die Gemeinschaft im Wort. Nur wer frei entscheidet, seine Entscheidung dann redlich und ehrlich verkündet, dient der Gemeinschaft. Die Gemeinschaft des Wortes ist entscheidend, ist der Dreh- und Angelpunkt der Europäischen Union.

Wahrheit und Freiheit sind wichtiger als Wohlstand. Ehrlichkeit ist wichtiger als Pseudo-Sozialismus. Wichtiger als die Vergemeinschaftung der Immobilienverhältnisse ist die Redlichkeit des Wortes.

Diese zutiefst griechische, diese urgriechische Einsicht gilt auch im Verhältnis zwischen Staaten und Völkern.

Die Europäische Union steht und fällt mit der Gemeinschaft im Wort. Das hat Europa von den Griechen gelernt. Griechenland hat Europa diese in griechischer Sprache verfassten Urtexte des europäischen Selbstbewusstseins geschenkt. Dafür sollten wir anderen Europäaer wir kulturellen Graeculi dem Mutterland der europäischen Kultur HELLAS zutiefst dankbar sein!

Not tun mehr Nord-Süd-Übersetzer, die sich mutig und unerschrocken ins Gebrüll und Gewühl stellen!

Quellenangabe zur Geschichte von Hananias, Sapphira und Peter:
Apostelgeschichte, Kapitel 5, Vers 1-11, hier zitiert nach der griechischen Urfassung Novum testamentum graece, ed. Nestle-Aland, Deutsche Bibelgesellschaft Stuttgart, 1993, S. 332-333

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Willkommen ihr Völker der Welt am Fuße des Kreuzbergs!

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Mai 272012
 

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Πάρθοι καὶ Μῆδοι καὶ Ἐλαμῖται καὶ οἱ κατοικοῦντες τὴν Μεσοποταμίαν, Ἰουδαίαν τε καὶ Καππαδοκίαν, Πόντον καὶ τὴν Ἀσίαν, 10 Φρυγίαν τε καὶ Παμφυλίαν, Αἴγυπτον καὶ τὰ μέρη τῆς Λιβύης τῆς κατὰ Κυρήνην, καὶ οἱ ἐπιδημοῦντες Ῥωμαῖοι, 11 Ἰουδαῖοί τε καὶ προσήλυτοι, Κρῆτες καὶ Ἄραβες, ἀκούομεν λαλούντων αὐτῶν ταῖς ἡμετέραις γλώσσαις τὰ μεγαλεῖα τοῦ θεοῦ.

Soweit in der griechischen Urschrift das veranlassende Ereignis des lieblichen Fests, wie es Goethe nannte, also des Karnevals der Kulturen, der sich in all dem bunten Treiben und nicht ohne den einen oder anderen widerrechtlich geparkten schwäbischen PKW auf dem Radweg derzeit vor meinem Kreuzberger Fenster abspielt. Es ist ein beeindruckender Katalog, den die Apostelgeschichte Kap. 2 aufzählt, und es lohnt sich, die einzelnen Namen nach ihrer genauen Lokalisation zu entziffern. Spannend! Heute fand ich besonders beeindruckend die Erwähnung der  ἐπιδημοῦντες Ῥωμαῖοι, also der Römer mit Migrationshintergrund, die sich damals in Jerusalem aufhielten. Die Römer waren also auch schon unter den Zuhörern in Jerusalem vertreten, von den Germanen und den Schwaben und auch den Türken keine Spur. Ansonsten aber herrschten die Orientalen vor: der Mittlere Orient, also der heutige Irak und Iran, Saudi-Arabien, Kleinasien, die spätere Türkei, die Inselwelt des östlichen Mittelmeers. „Ägypten“, „Libyen“, die „Araber“, „Kappadokien“, „Asien“, die „Kreter“ – das sind die Namen, die wir heute noch verwenden. Die mediterran-orientalische Welt der Diadochenreiche, das waren die ersten Adressaten der Frohen Botschaft außerhalb des Judentums.

Der entscheidende Impuls zur Entstehung des Christentums kam von Joshua ben Josef bzw. von Jeshu ha-nosri, wie er auf Hebräisch und in seiner Muttersprache Aramäisch hieß, oder auch von Jesus Christos, wie er in der damaligen  lingua franca  Griechisch genannt wurde. War Jesus Moslem, wie es kürzlich ein namhafter islamischer Gelehrter im deutschen Fernsehen bei Sandra Maischberger unwidersprochen behauptete? Nein. Jesus aus Nazareth, der als Jude geboren wurde, als Jude lebte, als Jude starb, war kein Moslem. Muslime gab es damals noch nicht, sehr wohl aber die Araber.

Aber gleich die erste Generation der Christen richtet ihr Wort an ein buntes Multi-Kulti-Gewühl. Die Botschaft, die vom alten Israel ausgeht, wird über die Person Jesus Christus vielsprachig, polyphon, polyglott. Die Kerngebote Jesu sind einfach, sind unmissverständlich, sind für alle leicht zu verstehen: die Gebote der Gottes- und Nächstenliebe, der unbedingte Verzicht auf Gewalt, das bedingungslose Vertrauen in den nächsten Menschen, der als Abbild Gottes gesehen wird, die Fürsorge für Schwache und Kranke, die Absage an Kollektiv-Egoismus, an Rassismus, Menschenfeindlickeit und Intoleranz, wie es die Berliner Verwaltung noch heute auf Amtspost stempelt, das Misstrauen gegenüber der Übermacht des Staates.

Das Christentum ist somit die Multi-Kulti-Religion par excellence, es ist das beste Gegenmittel gegen Rassismus, Intoleranz und Ausgrenzung. Durch das universell gewordene Judentum und nur durch dieses über Christus an alle Welt sprechende umgeformte Judentum kam erstmals die befreiende Botschaft von der Freiheit und Gleichheit jedes einzelnen Menschen vor Gott in die Alte Welt, aus der wenige Jahrhunderte später dann auch unser Europa hervorging.

In diesem Sinne: Willkommen, ihr Völker der Welt am Fuße des Kreuzbergs!

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Wo war eigentlich das Wort am Anfang?

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Jan. 032012
 

In the beginning were the words … so leitet der aktuelle Economist seine sehr kluge, sehr bedachte Umschau über die kritische Erforschung des Korans ein (S. 42-43). Lesenswert!

Also: Am Anfang waren die Worte. In der Tat, ausgerechnet am 27. Dezember kamen wir wieder jene vielzitierten Einleitungssätze des Johannes-Evangeliums in den Sinn, an denen sich der arme Faust schon abmühte:

Geschrieben steht: >>im Anfang war das W o r t!<<
Hier stock‘ ich schon! Wer hilft mir weiter fort!
Ich kann das W o r t so hoch unmöglich schätzen,
Ich muß es anders übersetzen, […]

Eine kleine Übersicht in  wichtigen europäischen Sprachen der Jetztzeit ergab, dass alle das griechische Logos mit Wort (verbum, parola, слово, …) übersetzen. Es ist eine ur-europäische Tradition: das schaffende, das gesprochene, das zeugende Wort rückt im Johannes-Prolog in die höchste Wertigkeit auf.

Wie geht der Text weiter? „Sie können doch Griechisch – zitieren Sie doch mal bitte!“ So fragte mich kürzlich eine Runde an Fragenden. Ich ließ mich nicht bitten und antwortete:

καὶ ὁ λόγος ἦν πρὸς τὸν θεόν

… und merkwürdig, da fiel mir zum ersten Mal auf, wie seltsam dieses pros ton theon klingt. Ja, wer da mit den Augen hören, mit den Ohren denken möchte! Wer griechische Texte nicht nur stumm liest, sondern sie gelegentlich auch laut rezitiert, dem muss dieses πρὸς τὸν θεόν hart aufstoßen. Es klingt irgendwie falsch. Denn diese Präposition pros drückt zusammen mit dem Akkusativ  stets eine Richtung, eine Bewegung aus, fast niemals aber einen ruhenden Ort – pros mit Akkusativ bedeutet motus ad locum, nicht situs in loco. Dies gilt unverrückbar für die gesamte griechische Sprache bis weit über die Zeitwende hinaus – es gilt ohne Ausnahme auch für den Sprachgebrauch des Evangelisten Johannes.

Ich meine aus diesem Grund, dass die übliche vulgärsprachliche Übersetzung  nach der Vulgata „et verbum erat apud deum“ – „und das Wort war bei Gott“ den Sinn des zweifelsfrei überlieferten originalen griechischen Wortlautes nicht treffend wiedergibt.

Denn die Präpositionen bei oder auch lateinisch apud drücken keine Bewegung, sondern einen festen Ort aus. Ihr seht: Wie der arme Faust bin ich unzufrieden mit den jahrtausendealten verehrten Übersetzungen. Sie sind mir zu statisch, nicht dynamisch genug!

Es gibt jedoch eine Übersetzungsmöglichkeit, die das im griechischen Text Angelegte besser verstehbar macht, nämlich das lateinische „ad“ bzw. das deutsche „zu“.

Ich meine somit, als Übersetzung des griechischen

καὶ ὁ Λόγος ἦν πρὸς τὸν Θεόν

folgende Möglichkeiten vorschlagen zu dürfen:

lateinisch: et verbum erat ad deum

deutsch: und das Wort war zu Gott

Dieser deutsche Satz klingt ungewöhnlich, klingt gewagt – und genau so klingt auch das griechische Original, wie jeder gute Kenner des Griechischen bestätigen wird.

Wagnis – Ungewöhnliches – Regelverletzung!

Diese beiden Übersetzungen sind grammatisch zweifellos näher am griechischen Wort, sie eröffnen darüber hinaus ein räumlich-bildliches Verständnis des Prologs, das geeignet ist, auch die nachfolgenden Texte und Gleichnisreden besser, nämlich körperlicher zu begreifen. Man braucht dann viel weniger Theologie, viel weniger Kommentar, viel weniger Regalmeter Sekundärliteratur, wenn man mithilfe guter, freilich unerlässlicher Vertrautheit mit dem Griechischen versucht, diesen Grundtext, wie ihn der arme Faust nennt, besser zu verstehen.

Johannes sagt also:

Das Wort war zu Gott.

Es war nicht ortsfest, nicht am festen Ort angekommen, es war am Anfang nicht bei Gott, sondern es war unterwegs, es war gerichtet auf denjenigen, den keiner je gesehen hat.

Quellen:

Muslims and the Koran: In the beginning were the words | The Economist December 31st 2011-January 6th 2012, Seite 42-43

Johann Wolfgang Goethe: Faust. Texte. Herausgegeben von Albrecht Schöne. Deutscher Klassiker Verlag, Frankfurt am Main, 1999, S. 61

Nestle-Aland: Novum testamentum graece, ed. vicesima septima, Deutsche Bibelgesellschaft, Suttgart 1999, S. 247

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Dez. 242011
 

καὶ εἶπεν αὐτοῖς ὁ ἄγγελος· Μὴ φοβεῖσθε· – Und der Bote sagte ihnen: Habt keine Angst (Lukas 2,10).

Dieses gestern aufgenommene Bild zeigt ein paar elektrische Lichter in der Dunkelheit, einen Hinweis auf einen Storchenparkplatz und einen Pfeil, der den Weg zur Brandmeldezentrale weist. Wir sehen: Für Geburten gibt es heute Krankenhäuser mit gut ausgeschilderten Storchenparkplätzen, das Risiko der Feuersbrünste ist gemindert durch Warnmelder, echte Dunkelheit gibt es nicht, da Strom und Licht überall vorhanden sind. Wir dürfen sogar das allgegenwärtige Handy einmal abschalten. Wir könnten uns zu Weihnachten alle entspannen und locker chillen.

Wie haben wir es doch so herrlich weit gebracht in den letzten Jahrzehnten!

Mein aus Ägypten stammender Freund, der die Ereignisse des letzten Jahres am Tahrir-Platz miterlebt hat,  sagt es mir schroff und klar ins Gesicht: „Zu diesem Weihnachten bleiben zwei Zimmer dunkel: meins und das von Jesus.“ Ein großartiges, ein geradezu herzbezwingendes Wort: es führt die Nähe zu Jesus vor Augen. Denn wie sonst könnte Hamed etwas über Jesu dunkles Zimmer sagen?  Und zugleich zeigt diese Aussage die absolute Ferne von Jesus, die schlichte Wahrheit: „Ich kann nichts mit eurem Weihnachtsfest und eurem Jesus-Gebimmel anfangen. Bleibt mir damit vom Leibe!“ Ich muss sagen, ich mag all diese Menschen, die den Weihnachtsrummel in voller Überzeugung oder gar angewidert ablehnen.

Doch meine ich, dass man durchaus hinter die Glitzer- und Rummelfassade hineinleuchten kann. Nicht alles ist schon ein abgekartetes Spiel, nicht alles ist schön aufgeräumt und glühweinselig. Es gibt Zweifel und Unsicherheiten auch im bestausgeschilderten Parkplatz.

Liest man etwa die Beschlüsse des Europäischen Rates vom 09.12.2011 genauer durch, so wird man erkennen, dass sie von mannigfachen Ängsten getrieben sind: Angst vor dem Auseinanderbrechen der Währung, Angst vor dem Staatsbankrott, Angst vor dem Bedeutungsverlust und der Verarmung Europas. Die Staats- und Regierungschefs haben offenkundig den Überblick über das komplizierte Gefüge der Staatsfinanzen verloren. Sie weisen in ihrem Abschlussdokument ausdrücklich die zentral regulierte Währungs- und Wirtschaftspolitik als das entscheidende Fundament der europäischen Integration aus. Gedeih und Verderb der Europäischen Union hingen also am Geld. Politik bestünde also  darin, Geldwerte zu sichern, bestünde darin, den höchsten Wert für sich und seine Schäflein herauszuholen.

Nicht zufällig erschüttern immer wieder und gerade auch  in den letzten Wochen Geschichten über den falschen oder leichtfertigen Umgang mit dem Geld die Glaubwürdigkeit einzelner Politiker und auch der Politik insgesamt. Politik wird am Umgang mit Geld gemessen, das Geld und die Geld-Gerüchte liefern das Maß für den Wert der Politik.  Mit starrem Blick aufs Geld steigen und fallen die Kurse der Politiker.

Ist Geld alles?

„Fürchtet euch nicht!“ Die Geburt Jesu ereignete sich nach der ausmalenden Schilderung des Lukas  in notdürftigsten Umständen als erlebte Freude unter den Armen und Angstgeplagten des Altertums, den Hirten, die des Nachts ihre Herden hüteten. Für Jesus stand kein Storchenparkplatz bereit. Er wurde vorerst in einen Futtertrog abgelegt, und der Raum, in dem er geboren wurde, war wohl eine Ein-Raum-Wohnung, in der mehrere Menschen und allerlei Vieh den Platz teilen mussten.

Eine Brandmelde-Zentrale gab es nicht: die Hirten, die von einer Licht- und Feuererscheinung in Panik versetzt wurden, konnten keine Notruftaste drücken. Ihnen blieb nichts anderes als dem Wort des Boten zu vertrauen: „Jetzt geratet nicht in Panik. Fürchtet euch nicht.“ Und diese Botschaft wirkte. Das gesprochene Wort war für die Hirten stärker als die begreifliche Angst vor dem Unerwarteten.

In einem Kinderlied heißt es: „Die redlichen Hirten knien betend davor?“ Wieso redliche Hirten? Redlichkeit, das kommt von Rede, dem Reden vertrauen, sein Reden vertrauenswürdig machen. Redlichkeit ist das, was wir von den Hirten lernen können.

Sollen wir vertrauen? Heißt es nicht zu recht: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser? Ich erwidere: Vertrauen in das redliche Wort ist nicht alles. Aber ohne Vertrauen in die redliche Kraft des Wortes ist alles nichts. Wenn wir dem grundsätzlich nicht mehr vertrauen können, was andere uns sagen, können wir uns alle Staaten und alle Staatenbündnisse oder Bundesstaaten und alle Europäischen und sonstigen Unionen gleich abschminken. Dann nützen auch Rettungsschirme und automatische Kontrollen nichts mehr.

Hat uns materiell unvergleichlich reicheren Europäern des 21. Jahrhunderts die Angst- und Armutsgeschichte des Lukas mit den redlichen Hirten heute noch etwas zu sagen?

Ich meine: ja! Der Evangelist Lukas rahmt die Geburtsgeschichte Jesu in einen staatspolitischen Rahmen höchster Stufe. Eine steuerliche Erfassung der Vermögenswerte aller Bürger war der Anlass der Wanderung von Maria und Josef. Der regierende Kaiser hatte offenkundig – wie die Regierenden in unserer Zeit – den nötigen Überblick über Soll und Haben verloren. In diese Ausnahmesituation fällt die Geburt Jesu. Spannend! Wie verhält sich der Erzähler Lukas zu den drängenden finanzpolitischen Fragen seiner Zeit? Welches Ergebnis brachte die Steuerschätzung? Wir erfahren es nicht.

Es ist enttäuschend: Die großen weltpolitischen Fragen werden ausgeblendet. Statt auf den Kaiser und seine großen Nöte richtet der Erzähler seinen Blick auf das Kleinste, Jämmerlichste, Ärmste und Unscheinbare.

Die Weihnachtsgeschichte spielt in einer Zeit größter Unsicherheit, größter finanzieller Risiken. Aber sie schlägt doch einen deutlich anderen Ton an als den Ton des großen und des kleinen Geldes, der heute unsere Medien und oft auch unser Denken beherrscht. Ich finde, die Weihnachtsgeschichte ist eine unterirdisch wühlende, wenn auch sanftmütige Kritik an der Anbetung des Geldes und der Macht.  Sie bereitet die Umwertung aller Werte vor, welche der Einbruch des Christentums für die damalige Welt und später für ganz Europa bedeutete.

Johannes, der vierte Evangelist, angeblich der Mann des Wortes, legt allergrößten Wert darauf, das Wirken Jesu in Jerusalem mit einer beispiellosen, ja gewaltsamen Tat beginnen zu lassen: mit dem Hinauswurf der Händler und Banker aus dem Tempel, der nicht nur religiöses Zentrum, sondern auch wirtschafts- und finanzpolitische Zentrale war. „Setzt euer Vertrauen nicht ins Geld, sondern in geistig-geistliche Werte!“  So deute ich diese Geschichte.

Die Geschichte von der Geburt Jesu  kann uns klarmachen, worin ein Sinn-Kern der Geschichte Europas besteht. Fürchtet euch nicht, habt keine Angst. Das sind wohltuende Worte in diesen wie wahnsinnig durcheinanderflatternden, viel zu aufgeregten Zeiten!

Wenn man sich heute, im Jahr 2011, in einen Zug setzt und von Moskau nach Lissabon fährt, wird man mehrere Zeitzonen durchmessen und Schlafwagenschaffner in 12 verschiedenen Sprachen Tee anbieten hören. Findet man Zeit auszusteigen und innezuhalten, wird man in allen Städten – ob nun in Moskau, Kiew, Warschau, Wien, Genf, Madrid oder Lissabon – chromstarrende Banken und Paläste finden, prachtvolle Schlösser und tuckernde Omnibusse. Aber man wird auch in allen diesen Städten Kirchen finden. Diese Gebäude sind gebaute Wahrzeichen,  die letztlich auf jene unscheinbare Geschichte in einer gedrängt vollen Einraumwohnung zurückgehen und auf jene Geschichten vom Vertrauen in das Wort verweisen: Fürchtet euch nicht. Diese Geschichte ist eine jener Geschichten, die Europa zusammenhalten könnten, wenn wir bereit wären, auf sie zu hören und einen Augenblick das Handy abzuschalten und innezuhalten.

Ich wünsche uns allen diese Fähigkeit, hinzuhören, Kraft zu schöpfen aus dem einigenden, dem redlichen Wort: Fürchtet euch nicht. Sicher: die weltpolitischen Fragen und Nöte sind nicht gelöst. Hunger, Tod und Krankheit, Krieg und Naturgewalten lauern.

Aber seien wir ehrlich: es geht uns in der Europäischen Union noch oder auf absehbare Zeit unvergleichlich gut. Kein neugeborenes Kind, so ersehnt wie sie alle sind, braucht heute in einem Futtertrog abgelegt zu werden. Der Storchenwagenparkplatz steht doch jederzeit bereit. Nahezu alle Menschen in der Europäischen Union sind dank Rechtsstaat, Demokratie und Marktwirtschaft von Not und Armut befreit. Wir könnten uns eigentlich freuen und versuchen, möglichst viele Menschen außerhalb unserer 27-Länder-Wohlstandsinsel zu ähnlichen demokratisch-rechtsstaatlichen Verhältnissen zu führen, wie wir sie genießen.

Warum haben wir nicht mehr Glauben, mehr Zuversicht? Ich vermute, es hat damit zu tun, dass wir der Angst noch zu viel Platz einräumen. Angst lähmt. Angst um des Geldes willen ist die lähmendste Angst. Für diese Angst besteht kein echter Grund. Denn Angst ängstet sich zuletzt um sich selbst.

Zu Weihnachten bietet sich uns nun die große Chance, diese Grundlosigkeit der Angst zu durchbrechen. Wir werden die Ängste nicht los, ebenso wenig wie wir unsere Not und unsere realen Schulden schnell loswerden. Aber wir dürfen erkennen, dass es etwas Größeres, etwa anderes als die Angst gibt: Vertrauen in das Wort, Vertrauen in den Nächsten, Hoffnung auf unsere Veränderbarkeit, Hoffnung, dass die Wanderung zu einem sinnvollen Ziel findet.

Wir setzen also der kalten Faust der Angst unser unerschütterliches Vertrauen in die Kraft des befreienden Wortes, in die Tüchtigkeit der europäischen Bürger, in den unverwüstlichen Friedenswunsch der Völker entgegen.

Das Glockengeläute, das man in Moskau, Kiew, Wien, Madrid oder Lissabon hören kann, ist nicht das lärmende Jesusgebimmel, vor dem mein ägyptischer Freund vom Tahrir-Platz sich zu recht scheut. Es ist ein Zeichen für das andere der Angst, ein Weck- und Merkzeichen der Freude. Das Glockengeläute sagt:  „Freut euch vorläufig, mindestens solange diese Glocke läutet. Lasst sie hineinläuten ins dunkle Zimmer.

Mit einer Wendung, die ich einem ergreifenden Choral im Weihnachtsoratorium Johann Sebastian Bachs entnehme, rufe ich Euch und Ihnen  zu:

„Seid froh dieweil!“

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Gefangenenbefreiung: Barrabas und Andreas Baader

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Mai 032011
 

„Er wollte ein Buch über bessere Erziehung schreiben.“ So wird es über Andreas Baader berichtet. Nochmal kam mir kürzlich dieser  Mann in den Sinn in der Osterpredigt des Kreuzberger Pfarrers: Aus dem neuen Buch meines römischen compatriota bavarese gab der Pfarrer einige Erläuterungen zu einem politischen Gefangenen, zu Barrabas. Barrabas war – so dämmerte mir – im Grunde der Andreas Baader zu Zeiten des Pilatus. Ein politisch motivierter „Aufrührer“, „Mörder“ und „Räuber“, ein Revoluzzer. Merkwürdig ist schon der Gleichklang der Namen: Andreas – Barrabas! Die Herzen des Volkes flogen beiden zu. Beide wurden aus der Gefangenschaft befreit. Beide waren Revoluzzer.

Nach der Ostermette, nachdem ich die Osterglocken hatte läuten hören, las ich doch mitten in der Nacht tatsächlich die vier Barrabas-Geschichten der Evangelisten in meinem schon zerlesenen Nestle-Aland und übersetzte mir den einen oder anderen Satz in mein geliebtes Deutsch. Noch etwa überraschte mich: Bei Matthäus wird von einigen Codices  – tatsächlich! – der Personenname des Barrabas überliefert: Jesus. Es schien ein verschwiegenes Einverständnis zwischen den beiden zu herrschen.

Bild: Giovanni Antonio Boltraffio, Auferstehung, Gemäldegalerie, Kulturforum Berlin-Tiergarten

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