„„Schuld kann vergeben werden“

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Aug. 092011
 

„Reicht euch doch die Hand, sprecht euch aus, arkadaşlar“, – denn Versöhnung ist möglich, auch zwischen einem deutschen Aleviten und einem strenggläubigen Currywurstverkäufer. So dachte ich gestern.

Schuld kann vergeben werden, das ist eine wichtige Erfahrung für Männer. Versöhnung – ein großes Thema! Der biblische Joseph und auch der Yussuf des Koran stehen für diesen großen, das ganze Leben umfassenden Versöhnungszusammenhang. Darauf wies gestern auch Margot Käßmann in der BZ auf S. 16 hin – in genau jener Ausgabe, die den argen Zwist zwischen Oguzhan und Özcan, den Brüdern aus türkischem Stamm, berichtet hat.

 B.Z. Gesprach: „Schuld kann vergeben werden“ – B.Z. Berlin – Kultur, Margot Käßmann, Josefsgeschichte
Das ist „Gnade“: zurückblicken, etwas sehr ungerecht finden und am Ende ist es doch gut, Teil deiner Lebensgeschichte. Und Schuld kann vergeben werden, das ist eine wichtige Erfahrung für ein Kind.

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Juli 252011
 

In einer schwierigen Lage sind weltweit alle jene muslimischen Menschen, die sich offen vom islamischen Glauben lossagen. In den arabischen Ländern ist dies ohnehin nur in ganz wenigen Ausnahmefällen zulässig. Du kannst nicht aus dem Islam austreten wie aus einer christlichen Kirche! In Deutschland wird der guten staatlichen Ordnung halber stillschweigend (jedoch zu Unrecht) angenommen, alle Menschen, die aus „islamischen Ländern“ zu uns kämen, seien Muslime. Kein türkisch- oder arabischstämmiger deutscher Politiker hat es etwa meines Wissens bisher gewagt, sich in Deutschland öffentlich vom Islam loszusagen. Er würde sich unabsehbare Schwierigkeiten einhandeln, gegen die die Pfiffe gegen den deutschen Nationalspieler Mesut Özil nur ein Kinderspiel darstellten.

Über den aus Marokko stammenden, jetzt Schweizer Islamkritiker Kacem El Ghazzali berichtet heute Rainer Wandler auf S. 18 der taz:

Bloggender Religionskritiker: Einmal Muslim, immer Muslim – taz.de
Als er zu schreiben begann, war er „eher Agnostiker als Atheist“. Er stellte philosophische Überlegungen an. Kritisierte Auswüchse der Scharia im Iran und anderen Ländern. Das reichte schon. Nach nur einem Jahr bedrohte ihn jemand auf seiner eigenen Facebookseite. „Ich weiß bis heute nicht, wie sie auf meine wahre Identität gekommen sind“, sagt er. Er trat die Flucht nach vorn an und bekannte sich mit vollem Namen zum Blog.

„Nach kurzer Zeit wusste alle über mich Bescheid. Die Lehrer auf dem Gymnasium begannen gegen mich zu hetzen.“ Sie brachten ihn mit den Mohammed-Karikaturen in Zusammenhang, nannten ihn wahlweise „Ungläubiger“, „Jude“, „Feind des Islams und von König Mohamed VI.“, der per Verfassung „Führer aller Gläubigen“ ist.

Eines Tages eskalierte die Situation. Der Direktor schlug ihn. Mitschüler bewarfen ihn mit Steinen.

Ist die taz islamfeindlich, wenn sie solche Meldungen bringt? Denn hier erscheint der arabisch geprägte Islam genau so, wie ihn die europäischen Rechtspopulisten immer wieder darstellen: als intelorant, diktatorisch, auf Unterwerfung der Einzelmenschen bedacht.

Ich glaube, der Vorwurf der Islamophobie gegen die taz wäre verfehlt. Nicht jede Befassung mit der Praxis der innigen Verquickung von Religion und politischer Macht in islamischen Ländern ist verwerflich! Und vergessen wir nicht: Im europäischen Mittelalter war es auch nur schwer möglich, den christlichen Glauben abzulegen. Also: Bei uns war es vor 600 Jahren auch nicht besser.

Das europäische Mittelalter entrichtete gewissermaßen den „Preis des Monotheismus“ für diesen Absolutheitsanspruch, mit dem die großen monotheistischen Religionen häufig aufgetreten sind. So nannte dies Jan Assmann.

Denselben Preis entrichten bis zum heutigen Tag die arabischen Länder. Und sie verknüpfen den Absolutheitsanspruch der Religion mit dem Anspruch der muslimischen Herrscher auf politische Unterwerfung der Untertanen bzw. der Bürgerinnen.

Hoffen wir, dass die arabischen Länder allmählich – in weniger als 600 Jahren – den mühseligen, schmerzhaften Weg zur Religionsfreiheit finden!

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Mai 132011
 

affe-in-waldsieversdorf-011.jpg Ein Wort, bei dem ich nur noch laut auflachen kann, ist das Wort „Kinderarmut“. Es wird so getan, als hätten die Kinder in Berlin, „der Hauptstadt der Kinderarmut“, zu wenig Kram, zu wenig Geld, zu wenig Zerstreuung, zu wenig Hab und Gut. Ein leider fest verwurzelter, wirklich nur noch lachhafter Unsinn! Eine jener grandiosen Dummheiten, die unauslöschlich die politische Debatte durchziehen! Oder sagen wir es mal so: Es gibt in der Tat eine große kulturelle Öde, eine geistige Kinderarmut, ausgelöst durch materielle Überversorgung, durch den Versorgungs- und Verschwendungsstaat, genannt Bundesrepublik Deutschland. Die armen Kinder kommen vor lauter Fernsehen, Computer, Wii und Nintendo nicht mehr in Kontakt mit dem „Reichtum“ der Kultur.

Ich meine im Gegensatz dazu:

Alle Berliner Kinder sollen frühzeitig mit großen Leitwerken und Leitwerten der europäischen und orientalischen Kulturen bekannt gemacht werden. An den Berliner Schulen ist leider ein äußerst zaghafter Umgang mit den großen europäischen und den orientalischen Kulturen der vergangenen Jahrhunderte zu beklagen, als hätten die Schulen Angst, den Kindern etwas anzubieten, was nicht vollständig den Wertvorstellungen und mehr oder minder erleuchteten geistigen Moden des Jahres 2011 entspricht. 

Die Kinder, aber vor allem die männlichen Jugendlichen wachsen bei uns in einer Öde, in einem kulturellen Vakuum heran, das dann von elektronischen Medien aufgefüllt wird. Die Kinder sind völlig wehrlos im Griff der kommerziellen Pop-Kultur und der glitzernden Verheißungen der Warenwelt.

Riesige Themenbereiche scheinen mittlerweile völlig ausgeklammert zu werden, so etwa die Fabeln und Märchen, die Gedichte der klassischen Autoren (soweit für Kinder fasslich), die Mythen und Sagen, die Religionen und die Motive der mündlichen Erzählung, des Singens und des Tanzens.

Die Schulen berauben die Kinder in ihrer prägbarsten Phase des Zugangs zu den reichen Quellen unserer europäischen und orientalischen Kulturen. Das muss sich ändern. Deutschland und Europa dürfen in den Berliner Schulen nicht als blinder Fleck erscheinen. Warum sollen Grundschulkinder nicht bereits erfahren, wer Odysseus oder Sindbad der Seefahrer waren? Warum sollten sie nicht wissen, dass der arabische Burâq unserem griechischen Kentauren entspricht? Warum sollten sie nicht Goethes „Ein großer Teich war zugefroren“ oder Schillers „Kraniche des Ibykus“ lesen und auswendig lernen? Warum nicht Heines „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten“ singen? Warum nicht Teile aus Mozarts Zauberflöte oder Bachs Matthäuspassion hören und mitsummen?

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Jan. 192011
 

„Ich bin christlich geprägt, obwohl Agnostiker“. Mit dieser Aussage wird in der WELT ein Zeuge zitiert, der damit sicherlich repräsentativ für die Mehrheit der Deutschen spricht. Sein Name? Spielt zunächst keine Rolle. Nennen wir ihn G.W.

„Ich bin christlich geprägt, obwohl Agnostiker“. Ein bemerkenswerter Satz. Er erinnert an die Rede des Apostels Paulus auf dem Areopag in Athen, wo er den agnostos theos, den unbekannten, den nicht zu erkennenden Gott verkündet (Apostelgeschichte 17,23).

Christlich geprägt“ und deshalb beseelt vom Glauben an die unveräußerliche Würde, die unveräußerlichen Rechte auf Leben und Freiheit jedes einzelnen Menschen. Und zugleich „Agnostiker“ – na, ich würde fast sagen, das ist eigentlich eine Art säkulares Christentum. Das WELT-Christentum. Die säkularen Christen sagen: „Wir sind christlich geprägt, aber über Gott können wir nichts Bestimmtes erkennen und nichts Bestimmtes aussagen noch können wir überhaupt mit nachprüfbarer Gewissheit sagen, ob es einen Gott gibt.“ Und genau derartige Aussagen finden sich in der Geschichte des Christentums auf Schritt und Tritt – auch bei jenen, die sich offen als Christen bekannten. Darunter der unvergleichliche Angelus Silesius oder der einzigartige Pascal.

Ein beliebiges Beispiel für dieses säkulare Christentum, für dieses Christentum der Agnostiker ist folgender Satz: „Keiner hat Gott je gesehen.“ An diesen Satz können die säkularen, christlich geprägten Nicht-Christen und Christen mit ihren schwer navigierbaren, ortlosen WELT-Raumschiffen andocken. Es ist der Kernsatz der WELT-Christen, denn er bedeutet: „Wir huldigen einem unbekannten, einem nicht zu erkennenden, einem unerforschlichen Gott, von dem wir nicht einmal sinnvollerweise sagen können, ob es ihn gibt.“

Dieser Satz findet sich im Johannesevangelium, erstes Kapitel, Vers 18.

Die Zeugenaussage des christlich geprägten Agnostikers G.W. berichtete die WELT am 10.12.2010:

G. W. über Islam, Linke und Moral – Nachrichten Print – DIE WELT – Kultur – WELT ONLINE
Die Welt: Woher kommt Ihr Idealismus?

G. W.: Ich bin christlich geprägt, obwohl Agnostiker. Es gibt gewisse humane Werte, die allen Weltreligionen und den großen Philosophien eigen sind, und an denen sich die UN-Menschenrechtscharta orientiert.

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Dez. 292010
 

28122010191.jpg La famiglia cristiana – dieses erbauliche Familienblatt der italienischen Bischöfe sah ich während meiner 3 italienischen Gastarbeiterjahre immer wieder an den Schriftenständen katholischer Kirchen stehen. Ich griff nie dazu. „Die christliche Familie“ – das klang mir etwas altbacken und muffig. Zu unrecht. Viele meiner italienischen Freunde rümpften wie ich ebenfalls die Nase bei der Wendung „La famiglia cristiana“. Zu unrecht, wie ein Blick auf den Internetauftritt des Blattes sofort belegt. Familie und Christentum scheinen unverbrüchlich zusammenzupassen wie Schloss und Riegel, wie Wald und Wiese, Kind und Kegel.

Eine bohrende Frage drängt sich dennoch auf: Ist das Christentum ursprünglich wirklich die Religion der Familie?

Hans Conrad Zander stellte in einem Hörfunkgespräch am Fest der Hl. Familie zu recht heraus, dass das Christentum, im Gegensatz etwa zum Judentum oder dem Islam, gerade nicht die Familienreligion schlechthin ist.

Deutschlandradio Kultur – Thema – Jesus, der überzeugte Single
Kassel: Wie weit ist denn das gegangen? Im Untertitel nennen Sie Ihr Buch ja tatsächlich auch „Jesus, der Familienfeind“. Hatte er nur Probleme mit seiner eigenen Familie, oder war er wirklich so, wie Sie das herauslesen aus der Bibel, ein Gegner der ganzen Institution Familie?

Zander: Er hat auf die Familienbindungen seiner Jünger nicht die geringste Rücksicht genommen und das in einer Weise, die überaus schockierend war für seine Zeit. Da ist ein Jünger, der ihm nachfolgen will, der ihm aber sagt: Mein Vater ist gerade gestorben, ich möchte meinen Vater begraben. Und bedenken Sie, das ist nicht, wie wenn heute ein junger Deutscher seinen Vater rasch einäschert, das war fürs jüdische Empfinden die wichtigste Verpflichtung gegenüber den Eltern, dass er ihn begräbt. Und Jesus sagt voller Verachtung: „Lass die Toten die Toten begraben.“

Ich selbst sprach öfters mit christlichen Ordensleuten, die selbstverständlich bei jeder, auch bei wichtigen Familienfeiern zuerst die Erlaubnis der Oberen einholen mussten, ehe sie ihre Herkunftsfamilie besuchen und mit ihr feiern durften.

Zanders Belege sind mächtig – und wenn dem Christentum der Titel Familienreligion aberkannt werden muss, welcher Titel ist es dann, der ihm eher zukommt?

Ich sehe das so: Das Christentum ist wohl eher die Religion des Kindes als die der Familie, mehr die Religion des Nächsten als des Fernsten, mehr die Religion der freien Entscheidung als der Institutionen, mehr die Religion der Gemeinde als der Familie. Gemeinde ist fast noch wichtiger als Familie, die freie Entscheidung des Individuums ist wichtiger als die Institutionen. Freie Entscheidung wird geboten, nicht Unterwerfung. Das Wohlergehen des Kindes ist wichtiger als der Zusammenhalt der Familie.

Familie ist gut und gerechtfertigt, weil und solange sie auf unvergleichliche, unübertroffene Weise dem Wohl des Kindes dienen kann. Institutionen sind wichtig, weil und solange sie dem lernenden, wachsenden Individuum ermöglichen, freie Entscheidungen zu treffen – dies gilt etwa für die Schule.

Institutionen „dienen“ dem Einzelnen. Die Familie mit Vater und Mutter „dient“ dem Kinde. Die Einrichtungen der bürgerlichen Gesellschaft  haben „stützende“, nicht aber letztbegründende Aufgaben, wie dies etwa der Soziologe Arnold Gehlen sagte.

Woher kommt aber nun der überragende Siegeszug der Familie? Hierzu meine ich: Die Familie ist das stabilste Modell für das Aufwachsen von Kindern. Es gibt nur sehr wenige Gesellschaftsmodelle, die wirklich die frühe Herauslösung der Kinder aus den Familien verlangen und verkünden. Dazu gehört die staatliche Kleinkind-Erziehung im antiken Sparta und in der Utopie Platons, die osmanische Knabenlese, der Lebensborn der NS-Ordensburgen. Keines dieser Beispiel ist erstrebenswert. Im Gegenteil. Sie sind abschreckend.

Das teure gesellschaftspolitische Ziel eines möglichst flächendeckend vorgehaltenen staatlichen Kleinstkindbetreuungsangebotes für möglichst viele, möglichst immer jüngere und immer kleinere und kleinste Kinder muss hinterfragt werden. Unsere Kommunen ächzen jetzt schon unter drohender Zahlungs- und Handlungsunfähigkeit, muss ihnen dann noch die Last der Kleinstkinderziehung aufgebürdet werden?

Uneingeschränkt befürworten würde ich aber den Grundgedanken einer weitgehenden Zusammenarbeit der Familien und der staatlichen Institutionen. Die Familien und die Schulen sollten viel enger ineinandergreifen, gerade hier in Berlin. Stets unter der einen großen Leitfrage:

Was dient dem Kind? Wie werden die Kinder, unsere geliebten „Zwerge“, zu selbstbewussten, fröhlichen, klugen und glücksfähigen Erwachsenen? Die Familie hat dabei sicherlich nicht ausgedient. Sie bedarf im Gegenteil heute mehr denn früher der Stärkung und der Festigung.

So meine ich, dass die grundlegende Erziehung, das Erlernen der Landessprache, die Einübung von grundlegenden Verhaltensmustern, Erziehung zu Respekt, liebevollem Umgang, das Erlernen von Gehen, Sitzen, Laufen, Springen und Singen weiterhin im Wesentlichen eine Aufgabe der Familien ist und bleiben sollte.

Je älter das Kind wird, desto mehr treten andere, stützende Einrichtungen oder besser „Gemeinden“ hinzu. Familie ist nichts Starres, sie öffnet sich zum unmittelbaren Umfeld, tritt zu anderen Familien, zu anderen Institutionen in Kontakt.

Dazu sollte auch die Gesellschaftspolitik ihr Scherflein beisteuern. „Einbeziehen – nicht ausgliedern!“ lautet das Zauberwort.

Bild: Schlosspark Sanssouci, Potsdam, Blick auf das Chinesische Haus, heute

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Dez. 252010
 

25122010151.jpg Isâ ben Butrus, so hieß in arabischer Sprache der Stifter und Besitzer des glanzvollen „Aleppo-Zimmers“, das ich heute am Weihnachtstag im Pergamon-Museum bestaunte, nachdem ich den Weihnachtsgottesdienst in St. Bonifatius besucht hatte. Fünf Mal entdecke ich Maria mit Jesus, zwei Mal den heiligen Georg. Das Opfer Abrahams, oder Ibrahims, wie er auf arabisch heißt, wird ebenso dargestellt wie das letzte Abendmahl Jesu. Isâ ben Butrus war Christ, er gehörte zur blühenden Gemeinde im damals osmanisch beherrschten, heute syrischen Aleppo. Das Zimmer ist eindeutig auf 1009-1012 islamischer Zeitrechnung datiert, also auf 1600-1603 nach Chr.

Aleppo! Haleb! Chalybon!

Eine der ältesten Städte der Menschheit, tausendfach besungen und erwähnt, deren Geschichte sich anhand all der Stücke im Pergamonmuseum als ununterbrochener Faden nacherzähen lässt.

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Sep. 232010
 

Vor zwei Tagen blieb ich spätabends im Hotelzimmer bei Markus Lanz im ZDF hängen. Und siehe da – es war eine Sendung, die erstaunlich wenig auf Effekt und Polemik setzte. Zwischentöne herrschten vor. Diese Gesprächsrunde hat mir sehr gut gefallen!

Mit Rita Schlegel, der Schulleiterin aus Neukölln, kam eine Frau zu Wort, die vieles aussprach, was meine oder unsere eigenen Kreuzberger Grundschulerfahrungen widergab.

Wie funktioniert Integration? Hier empfehle ich, besonders auf die Erzählungen von Melda Akbas, Özlem Nas und Cem Özdemir zu lauschen. Wie haben sie es geschafft, sich in diesem ihrem Heimatland Deutschland umfassend zu „beheimaten“? Ihre Antworten kommen in einem überein: es waren die helfenden Hände der anderen, der Nachbarn, der Eltern, es war die Sorge anderer Menschen – und es war die eigene Anstrengung: die eigene Freude am Lernen, am Lesen und Entdecken. Es war in keinem Fall irgendeine professionelle Integrationshilfe oder eine staatliche geförderte Integrationsmaßnahme.

Diese drei fabelhaften Integrationsgeschichten von Özlem Nas, Melda Akbas und Cem Özdemir bestätigen mich in meinem Skeptizismus gegenüber staatlich finanzierten Integrationsprogrammen und professionellen Helfersystemen.  Diese drei Geschichten spiegeln letztlich das sanfte Gesetz Adalbert Stifters wider, aus dem ich vor wenigen Tagen zitierte: die Fürsorge der Menschen füreinander, die kleinen und großen helfenden Gesten sind es, das Vertrauen der Menschen zueinander, das wechselseitige Sich-Öffnen – dies sind die Kräfte, die Integration ermöglichen.

Integration ist ähnlich wie die Betreuung und Erziehung des Kleinkindes eine Leistung der einzelnen Menschen  – nicht eine Leistung des Staates. Integration steht und fällt ebenso wie die Erziehung des Kleinkindes mit einer bestimmten Qualität der Beziehung zwischen den Menschen.

Selbst die Rede von der „Integration als gesamtgesellschaftlicher Aufgabe“ ist mir zu vage, zu unvollständig. Nicht „die Gesellschaft“ ist es, sondern es sind „die Menschen“ im Für- und im Miteinander, im oftmals harten Ringen um Kenntnisse, um Fähigkeiten, ja auch um den Broterwerb, die einen Weg in eine neue Gesellschaft ebnen.

Das größte Hindernis für Integration der Ausländer ist das Sich-Abschließen der Neusiedler und der Altsiedler, die Hartherzigkeit der Eingesessenen, die Gleichgültigkeit und Verstocktheit beider Gruppen gegenüber dem Nächsten, das stoische Nebeneinanderherleben. Es ist nicht das, was man fälschlich „strukturelle Diskriminierung“ oder „Alltagsrassismus“ nennt.

Eins der größten Hindernisse der Integration ist auch das Vertrauen in die Allheilkräfte des Staates, das blinde Vertrauen in die Sozialhilfe und das Sozialsystem, in Systeme überhaupt. In Wien wird jetzt wieder einmal das „Umkrempeln des Bildungssystems“ als Remedur gefordert. Siehe das Plakat mit der Kandidatin Maria Vassilakou. Maria, hilf durch Systemwandel!

Das heutige Sozialsystem der Bundesrepublik Deutschland ist – ebenso übrigens wie eine besonders strenge Form des Islam – eher geeignet, echte Integration zu verhindern. Es verwöhnt, passiviert und lähmt die Eigenverantwortung. Es fordert zum Missbrauch auf.

Die große Kraft der Herkunftsreligionen Judentum, Christentum und Islam mag diese freudigen Geschichten, wie sie Melda Akbas, Özlem Nas und Cem Özdemir erzählten, im Einzelfall zusätzlich stützen und fördern.

Diese drei Religionen predigen die tätige Zuwendung zum Nächsten, sie fordern stets erneut, das enge Herkunftsdenken aufzugeben und sein Vertrauen in den anderen zu setzen.

Sie fordern das weiche Herz, das hörende Herz.

Markus Lanz vom 21. September 2010 – Markus Lanz – ZDFmediathek – ZDF Mediathek

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Tag der Ruhe, Tag der Sammlung

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Aug. 222010
 

13082010007.jpg Passend zum gestrigen 10-km-Lauf  heißt es heute in der Lesung aus dem Hebräer-Brief: „Macht die erschlafften Hände wieder stark und die wankenden Knie wieder fest, damit die lahmen Gelenke nicht ausgerenkt, sondern geheilt werden“ (Hebräer 12,12). Eine gute Ermahnung!  Hierin steckt ein echtes Jesaias-Zitat – und es PASST. Die Bibel spricht in Bildern, die uns heute noch ansprechen. Den gestrigen 4. AirportRun 2010 konnte Jesaias nicht voraussehen. Aber lange Läufe von 20 bis 40 km gab es in biblischen Zeiten alle Nase lang, denn fast alle Menschen legten alle Strecken zu Fuß zurück. Wer konnte sich schon Sänfte oder Tragtier leisten? Doch nur die Oberschicht!

Also war das Ruhebedürfnis nach langen Wegstrecken offenkundig. Auch die neuesten Fitness-Ratgeber empfehlen stets ausgiebige Ruhezeiten nach Langstreckenläufen.

Ich nutze den willkommenen Ruhetag, um zwei besinnliche Bildberichte über das russische Kloster Swenigorod auf Youtube zu veröffentlichen:

YouTube – Swenigorod: Wo Hitlers Generäle urlauben wollten 13082010002

Strelitzenaufstand und revolutionäre Leichenfledderei in Swenigorod

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Bitte Streitigkeiten um das Kreuz tiefer hängen …

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Apr. 262010
 

Wie so oft oder eigentlich fast immer, hege ich auch bei dem Aufruhr  um die Kreuze in öffentlichen Gebäuden des Landes Niedersachsen eine „vermittelnde“ Position. Die „Vermittlung“, das ist ja der eigentlich Kernbestand christlicher Botschaft. In vielen Quellen wird Jesus ausdrücklich „der Mittler“ genannt. Und immer wieder versucht die CDU mit mehr oder minder Geschick für sich in Anspruch zu nehmen, die „Partei der Mitte“ zu sein – wobei diese Mitte meist fälschlich als mathematische Mitte gemeint wird. „Übernehmen wir einfach das, was die meisten Menschen denken und wollen, und nennen es Mitte – das passt dann schon!“ Das ist natürlich Unsinn. Das kann nicht der Sinn des Ausdrucks „Mitte“ sein. Es wird vielleicht ausreichen, um die eine oder andere W(Qu)ahl zu gewinnen, kann aber niemals das Wesen der Christdemokratie erklären.

Einen „Kruzifix-Streit“ vermag ich in diesen Tagen nicht zu erkennen. Das Kruzifix, also die Darstellung des gekreuzigten Jesus von Nazaret, findet man eigentlich nirgendwo mehr in öffentlichen Gebäuden in Deutschland – außer vielleicht im Eichsfeld …

Anders sieht es mit dem Kreuz aus.

=> Özkan will Kruzifixe doch nicht mehr entfernen lassen <=
Die designierte niedersächsische Sozialministerin Aygül Özkan hat sich vor der CDU-Landtagsfraktion für ihre in einem Interview geäußerte Forderung, Kruzifixe aus den Klassenräumen öffentlicher Schulen zu entfernen, entschuldigt.

Allein schon die Tatsache, dass viele Kommentatoren die fundamentalen Unterschiede zwischen Kruzifix und Kreuz nicht mehr zu kennen scheinen, ist ein Beleg dafür, dass das Kreuz als Zeichen oft nicht mehr verstanden wird.

Aygül Özkans Forderung nach Entfernung der Kreuze aus öffentlichen Gebäuden bewerte ich persönlich als eher ungeschickt, als einen Patzer, wie sie jede und jeder, der nur wenige Jahre in der Politik unterwegs ist, nahezu unvermeidlich machen wird (mich selbst eingeschlossen). Aber man wird keine Neulinge, keine Quereinsteiger für die Politik gewinnen können, wenn man ihnen nicht reichlich Gelegenheit gibt, in das eine oder andere Fettnäpfchen zu treten.

Den besten Kommentar zu den Kommentaren zu Aygüls Forderungen hat Wulf Schönbohm geliefert. Er sagte sinngemäß: „Lasst euch doch endlich auf die bei uns lebenden Türken ein. Wenn ihr sie kennenlernt, werdet ihr vieles von euren negativen Reflexen abbauen.“ Hier ein Zitat aus dem Tagesspiegel:

Er selbst sei gegen Kreuzverbote per Gesetz oder Gericht, sagte er dem Tagesspiegel. Aber auch dies sei „zunächst eine Sachfrage“. Das harte Nein seiner Partei zu einem EU-Mitglied Türkei hält er allerdings seit langem für „absolut lächerlich“. Die Türkei sei in zehn Jahren AKP-Regierung ein völlig anderes Land geworden, aber die Union wolle dies nicht zur Kenntnis nehmen. „Das ist dieselbe Haltung wie ,Wir sind kein Einwanderungsland‘. Und ich nehme an, sie wird sich beim Thema Türkei ähnlich erledigen.“ Die Union müsse jetzt endlich Türkischstämmige in die Landtage und den Bundestag schicken. „Die könnten zum großen Teil unsere Wähler sein und wir verprellen sie durch unsere Vorbehalte und die Ablehnung des EU-Beitritts.“ Die Parteiführung müsse sich da engagieren: „All diese grässlichen Vorurteile würden abgebaut, wenn das einfache Parteimitglied die Leute mal aus nächster Nähe erleben würde.“

Und ich füge hinzu: Die Türken, die ich kenne, sind ausnahmslos warmherzige, freundliche, leicht zugängliche Menschen, denen wir natürlich oft in der Seele wehtun, wenn wir die ganze Batterie an Vorurteilen auf sie niederprasseln lassen.

An jene, die sich über Aygül Özkan aufregen statt sich über die Ernennung zu freuen, möchte ich sagen:

Wenn es euch so ernst ist mit dem Kreuz, dann legt Zeugnis ab für das Kreuz. Nicht mit öffentlichen Bekenntnissen, sondern mit Werken. Oftmals deutet das Festklammern an christlichen Symbolen im öffentlichen Raum auf eine Schwächung des Glaubens hin. Die Muslima Aygül Özkan hat es meines Erachtens in wenigen schlichten Worten vermocht, den Sinn christdemokratischer Politik besser zu erklären als ich dies seit Jahren aus der Mitte der „Partei der Mitte“ vernommen habe. Gerade mit ihren Worten über die Nächstenliebe, über den hohen Wert der Familie, über Verantwortung und Gemeinsinn hat sie mir aus der Seele gesprochen – und zwar besser, als dies die meisten Oberhirten und die berühmten Big Shots meist tun. Es wäre schön, wenn nun auch andere Christdemokraten dem Beispiel Özkans folgten und ebenfalls öffentlich bekennten, was für sie die treibenden Werte politischen Handelns sind.

Das Kreuz bezeichnet die ständige Anstrengung um das Vermitteln, um das Einholen der Gegensätze, um die Versöhnung. Für Juden, Christen, Muslime und Bekenntnislose ist das Kreuz gleichermaßen ein fruchtbarer Impulsgeber – so es denn richtig aufgefasst wird.

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Geht hinaus in die Welt

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Apr. 082010
 

Nur wer den Koran studiert, nur wer das jahrtausendealte Herrschaftsdenken der alten orientalischen Reiche vom Herrscher als dem „Völkerhirten“ kennt, wird letztlich unsere muslimischen Volksgruppen verstehen können. Wer sich nicht bemüht, die tiefen kulturellen Prägungen der Muslime ernstzunehmen, dessen sozialpolitische Anstrengungen laufen ins Leere.

Eine eingehende Befassung lohnt in jedem Fall das Internet-Portal der einflussreichen Islamischen Gemeinschaft Milli Görus. Dort kann man sich in deutscher Sprache in ein gewisses islamisches Gesellschafts- und Politikverständnis einarbeiten, dort werden Freitagspredigten abgedruckt, von denen anzunehmen ist, dass sie so oder so ähnlich überall in Deutschland vorgetragen werden. Und man kann dort erfahren, dass der Spruch „Wissen ist Pflicht“, den Yusuf Bayrak kürzlich bei uns in Kreuzberg-West vortrug, keine Neuprägung ist, sondern uraltes islamisches Gedankengut.

Was sagt der Islam zu den sozialen Problemen unserer Zeit? Was sagt er zur Armut? Die Almosengabe ist eine der 5 Grundpflichten des Moslems. Ist die staatliche Sozialfürsorge der Bundesrepublik Deutschland ein Almosen im Sinne des Islam?

Ich vermute: Nein. Denn muslimische Almosen sind freiwillig erbrachte Gaben des Begüterten an die Armen. Im Islam ist das Almosen eine Gabe von Mensch zu Mensch. Nicht vom Herrscher an den Untertan. Jeder, der hat, soll etwas abgeben, und zwar direkt von Mensch zu Mensch. Genau so galt das christliche Gebot der Barmherzigkeit stets von Mensch zu Mensch, nicht vom Staat an den Bürger.

Der Islam, wie ihn Milli Görüs offen lehrt, schöpft sich vorrangig aus dem Koran. Alle anderen Quellen sind nachrangig. So gelangt Milli Görüs in der Freitagspredigt vom 02. April 2010 etwa zu folgenden Aussagen:

Hutba – Der Koran, unsere Quelle – IGMG.de – Das islamische Portal
Verehrte Muslime,

alles, wonach wir suchen, ist im Koran. Unser familiäres Wohl und Lösungen für unsere sozialen Probleme befinden sich im Koran. Der Koran weist Wege aus den Krisen unserer Zeit. Ihr braucht euch keine Sorgen um eure Familie, Kinder und Freunde zu machen, vertraut sie dem Koran an. Eure Kinder sind es schließlich, die das Licht des Korans in eure Wohnungen tragen werden. Das größte Erbe, dass wir auf dieser Welt zurücklassen können, sind unsere Kinder.

Die Lösung für alle sozialen Probleme in einem heiligen Buch zu suchen, das ist etwas, womit die meisten Menschen in Deutschland wohl ihre Mühe haben werden.

Es fehlt mir hier das Gebot des „Hinausgehens“. Geht hinaus in die Welt! Was ist die Welt? Für den gläubigen Moslem ist sie wohl – in Goethes Worten – „ein Abglanz“ der Herrlichkeit. Die Welt ist für einen bedeutenden Teil der muslimischen Gemeinde nicht Gegenstand des aktiven Eingreifens, des verändernden, zupackenden, studierenden Umarbeitens und Gestaltens. Sie ist – was sie ist.

Für einen bedeutenden Teil der jüdisch-christlichen Überlieferung ist die Welt hingegen etwas, was bestellt und beackert werden muss. Die Weisung, die „Rechtleitung Gottes“, wie das der Koran nennt, erfolgt nicht durch die Versenkung in den unabänderlichen Schriftsinn – das wäre Mystik – sondern durch das Hinausschauen, das Aufmerken, das Hinhören – letztlich durch die Begegnung mit dem unvorgreiflichen Gegenüber, mit dem anderen Menschen.

Heute hatte ich eine Sitzung beim Zahnarzt. Der deutsche Zahnarzt hat ein Bild von drei Kindern aus dem Jemen in seine Praxis gehängt. Die Kinder schauten mich an. Sie waren arm. Der Berliner Zahnarzt hat einige Jahre bei ihnen gelebt und ihnen zahnärztliche Leistungen erbracht. Ich sah die offenen, die lachenden, die fragenden Gesichter dieser jemenitischen Kinder. Die Zahnheilkunde entwickelt sich ständig weiter. Würde es ausreichen zu sagen: Lies den Koran, da ist alles schon enthalten? Soll man die Zahngesundheit der jemenitischen Kinder dem Koran anvertrauen, oder soll man sich Sorgen um die Zahngesundheit machen?

Für die meisten Christen reicht es nicht aus, die Kinder der unveränderlichen Lehre der Glaubensgemeinschaft auszusetzen. Sie wollen etwas Konkretes tun. Die Welt verändert sich. Die Kindererziehung verändert sich. Was zu Goethes Zeiten richtig war, kann heute in die Sackgasse führen. Nicht DAS BUCH, sondern das lebendige, das gesprochene WORT, das verhallt und verklingt, sind für den Christen die Anrufung.

Die Welt insgesamt, aber vor allem die Kinder, brauchen unsere Sorge. Sie brauchen es, dass wir uns um sie kümmern. Hier in Kreuzberg genauso wie dort im Jemen. Wir müssen genau hinschauen und fragen: Was dient ihnen? Was brauchen diese Kinder, damit sie ein gesundes, glückliches Leben führen können? Wo finden wir die Antwort auf die Fragen der Zeit? „Denn das größte Erbe, das wir auf dieser Welt zurücklassen können, sind die Kinder.“

Die Hochschätzung des Kindes ist etwas, was Muslime und Christen eint.

Ich halte diese Gemeinsamkeiten und diese Unterschiede für wichtig. Man sollte sie zur Kenntnis nehmen und sich friedfertig darüber austauschen.

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Von Vorbildern lernen – Schulgelöbnisse einführen – Herkunftskulturen integrieren!

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Apr. 072010
 

Mittlerweile habe ich meine Anregungen für den Integrationskongress der Berliner CDU, der am 13.04.2010 stattfinden wird, schriftlich eingereicht. Zu den Vorschlägen, die ich unterbreite, gehören auch folgende:

 Zeichen der Zugehörigkeit setzen!

Jede Berliner Schule sollte allen Kindern ein äußeres Zeichen der Zugehörigkeit anbieten. Das kann ein Schulpullover sein, das kann und soll ein Schulwimpel sein, das kann und soll eine Schulhymne sein. Auch ein regelmäßiges Schulgelöbnis nach dem Vorbild des türkischen Türküm, doğruyum, çalışkanım  ist empfehlenswert.

Mit solchen Symbolen des Dazugehörens wird laut und deutlich verkündet: “Du gehörst dazu. Jede, die den Schulpullover trägt, ist eine von uns! Jeder, der den Schulwimpel trägt, ist einer von uns!”

Kulturelle Erfahrungsräume an den Schulen schaffen!

Berlins Schülerinnen und Schüler aus Zuwanderungsländern wachsen heute vielfach in einem kulturellen Vakuum auf. Die kommerziellen Medien der Unterhaltungsindustrie (arabisches und türkisches Fernsehen, Internet, Spiele) bestimmen neben oftmals überforderten oder vernachlässigenden Eltern ihre Vorstellungswelt. Da der Staat Angst davor  hat, die Lernenden durch die Zumutungen der großen Werke zu verlieren, verzichtet er – im Gegensatz zu Schulsystemen des Nahen und Mittleren Ostens – fast völlig auf die frühzeitige Vermittlung der großen, zeitüberdauernden Namen. Von herausragender Bedeutung für gelingende Integration ist jedoch die Anerkennung und Pflege des kulturprägenden  Erbes der beteiligten Kulturen. Die herausragenden Leistungen der deutschen und der europäischen Kulturen, etwa die Werke Homers, Platons, Johann Sebastian Bachs, Johann Wolfgang Goethes und Immanuel Kants sollen von der Grundschule an gezeigt, erschlossen, gepflegt  und anempfohlen werden. Dazu sollen Kenntnisse der wichtigen Werke aus den Herkunftsländern treten, etwa die Werke Mevlanas oder die Gedichte Hafis‘.

Die Texte in den Schulbüchern spielen heute vorwiegend in einem neutralen Umfeld. Sie sollten jedoch reiches, wiedererkennbares Material aus den  kulturellen Erfahrungsräumen Deutschlands und der Herkunftsländer anbieten.

Soweit meine Anregungen.

Interessant: Die taz berichtet heute über die erste afrozentrische Schule in Kanada. Selbstverständlich wird dort größter Wert auf Englisch und Französisch gelegt. Aber daneben sollen die Kinder auch ein paar Brocken Suaheli lernen. Dort, an der Kanadischen Schule, machen sie bereits jetzt genau das, was ich für Berlins Schulen vorschlage: Klarer Akzent auf das Vorbild „großer Männer und großer Frauen“, Pflege der Hochkultur der beteiligten Länder – selbstverständlich in den Landessprachen Englisch und Französisch, Schulgelöbnis, klare Selbstverpflichtung zu bestimmten Tugenden wie Fleiß, Leistung, Wettbewerb. Jeden Morgen singen die Kinder die kanadische Nationalhymne. Ich denke, es wäre wichtig, dass auch die Berliner Kinder im Einwanderungsland Deutschland recht häufig die deutsche Nationalhymne sängen. Nicht auf Suaheli, nicht auf Arabisch, sondern auf Deutsch. Es muss nicht jeden Morgen sein wie im vorbildlichen Einwanderungsland Kanada. Und daneben sollten alle Kinder im Unterricht auch etwas über arabische, über armenische, über türkische Kultur erfahren. Bitte kein kulturelles Niemandsland aufkommen lassen – wie es heute besteht.

So läuft es. So kann es auch bei uns in Berlin laufen. Ist das denn alles so schwer?

 Positives Umfeld: Kanadas schwarze Schule – taz.de
Die Kinder sollen von Vorbildern lernen. An den Wänden hängen Bilder von berühmten Zeitgenossen afrikanischer Abstammung – Nelson Mandela etwa oder Michaëlle Jean, der in Haiti geborenen Generalgouverneurin Kanadas. Das Curriculum folgt den Richtlinien der Provinz Ontario, deren Hauptstadt Toronto ist. Doch Rektorin Hyman-Aman und das Lehrerkollegium versuchen, so viel afrikanische Elemente wie möglich in den Schulalltag zu integrieren. Die Kinder lernen afrikanische Tänze, ein paar Brocken Suaheli und können nach der Schule trommeln lernen. Sooft es geht, lesen sie Bücher schwarzer Autoren im Unterricht und studieren afrikanische Geschichte. Traditionelle afrikanische Spiele werden in den Mathematikunterricht integriert.

Nach der kanadischen Nationalhymne singen die Schüler jeden Morgen die von einem Afroamerikaner Anfang des 20. Jahrhunderts geschriebene schwarze Nationalhymne „Erhebt alle Stimmen und singt“. Jeden Tag schwören die Kinder bei der Schulversammlung, stets ihr Bestes zu geben.Wir wollen, dass die Kinder die Führer von morgen werden. Sie sollen nicht nur über ihre Herkunft lernen, sondern Wissen über die ganze Welt erlangen und lernen, wo ihr Platz darin ist, was sie tun können, um Dinge zu ändern„, sagt Hyman-Aman.

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Wie heißt Ramazan Bayrami auf Arabisch?

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März 142010
 

images.jpg Nach dem Sonntagsgottesdienst besuchte ich heute einen Bücherbasar in der Pfarrgemeinde. Wieder einmal schnupperte ich herum – und schnappte dann zu. Diesmal ein Buch über die Weltreligionen. Was wir heute über Judentum, über Islam, ja selbst über die christliche Ost- und die Westkirche lesen und erkennen können, ist doch ganz anders, als man noch vor 30 Jahren hörte!

Das Buch „Rund um die Weltreligionen“ von Manfred Mai verdient höchstes Lob. Zwar ist es eher für Kinder verfasst, doch muss ich es jedem Erwachsenen ebenso empfehlen. Wenn doch wenigstens dieses Basiswissen, das hier sehr einprägsam verbreitet wird, in den Köpfen und Herzen verankert wäre! Ich lerne, dass das, was hier in Kreuzberg als Ramazan Bayramı gefeiert wird, auf arabisch: ‚Īd al-fitr heißt – für viele Muslime der Höhepunkt des Jahres. Das Ende der Fastenzeit steht ja auch den Christen in zwei Wochen bevor. Es wäre sinnvoll, einmal über die Verwandtschaft von jüdischem Pessahfest, christlichem Osterfest und muslimischem Id al-Fitr nachzusinnen. Alle drei nehmen ja ausdrücklich oder unausdrücklich Bezug auf die Isaaks-Geschichte!

Auf der Deutschen Islam-Konferenz könnte man einmal dieses (oder ein ähnliches Buch) zur Hand nehmen und mit den Vertretern der Muslime genaustens durchsprechen: „Kann man dies an deutschen Schulen im islamischem Religionsunterricht so lehren, wie es hier steht? Haltet ihr diese Darstellung für vertretbar, angemessen, würdig? Wie kann man bei den Kindern das Wissen über die Eigenart der Religionen in Lehrpläne aufteilen, vermitteln, festigen? In welchem Alter soll was unterrichtet werden? Mit welchen Methoden?“

Ich bin überzeugt, dass auch der bekenntnisgebundene Religionsunterricht ein Wissen über die anderen wichtigen in Deutschland gelebten Religionen vermitteln muss – und zwar von Anfang an. Die muslimischen Kinder Berlins müssen von Anfang an etwas über die jüdische Religion erfahren, die christlichen Kinder sollen von Anfang etwas darüber erfahren, welche Rolle etwa der Erzengel Gabriel im Islam spielt. Der Beispiele gibt es viele!

Ich habe mir das Buch an einigen, vor allem an den kniffligen Stellen sehr genau angesehen und komme zu dem Schluss: Sowohl Juden als auch Christen als auch Muslime müssten mit nahezu allen Einzelheiten in diesem Buch höchst zufrieden sein! Das Buch stellt die Tagseite der Religionen in Schlichtheit und doch hinreichender Präzision dar. Es baut Brücken und bereichert die Einsicht in die Verwandtschaft der großen Religionen, ohne die grundlegenden Unterschiede – auch zwischen den christlichen Kirchen – zu verwischen.

Für Schüler und Lehrer in Kreuzberg, Neukölln und Wedding – höchst empfehlenswert! Nicht nur zur Fastenzeit.

Manfred Mai: Rund um die Weltreligionen. 66 Fragen und Antworten. Mit Illustrationen von Rolf Bunse. Herder Verlag, Freiburg im Breisgau 2008, 92 Seiten, € 16,95

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