Mai 142009
 

 Immer wieder bemühe ich mich, das zu verstehen, was in den Köpfen anderer Menschen vorgeht. Ich spreche mit Hinz und Kunz, lese Koran und Bibel, Grundgesetz und Rosa Luxemburg, Flugblätter der Independent-Szene und FAZ.

Ergebnis: Es ist wichtig, die Verinselung des Bewusstseins zu erkennen. Fast alle leben in ihrem hübsch zurechtgemachten, inselartigen Bewusstseins-Stübchen, pflegen ihre gut abgehangenen Vorurteile, leben so, wie sie es sich angewöhnt haben und bei anderen sehen. So sprach ich vor einer Stunde mit einem Hundehalter, der hier in der Obentrautstraße trotz gut ausgebauter Radwege mit dem Fahrrad und dem freilaufenden Hund in falscher Richtung auf dem Gehweg fuhr. „Warum machen Sie das? Es gibt hier doch Radwege“, fragte ich. Er antwortete in bestem Berliner Urdeutsch: „Das ist hier in Berlin eben so. Wir Berliner fahren überall Fahrrad und wo wir wollen.“ „Ich bin auch Berliner“, erwiderte ich unbeeindruckt und trockenen Auges.

„Sind Sie wirklich Berliner?“ frug er ungläubig zurück. Und da hatte er mich auf dem kalten Fuß erwischt! Denn da ich nahezu akzentfrei Hochdeutsch spreche, falle ich hier in Kreuzberg sofort auf. Ich bin hier nicht aufgewachsen, jeder Versuch, mich dem Kreuzbergdeutsch anzupassen, wäre zum Scheitern verurteilt. Die meisten sprechen entweder Türkdeutsch oder Berliner-Schnauzen-Deutsch oder irgend eine Mischform zwischen Szeneslang und dem, was sie für Englisch halten.

Ich versuchte auf die Unfallstatistik hinzuweisen: Falschfahrende Radfahrer werden sehr häufig in Unfälle verwickelt. Es ist eine der häufigsten Unfallursachen bei den Unfällen mit Todesfolge für den Radfahrer. Ich gab zu bedenken: „Ich kenne die Statistiken der Polizei. Demnach führt das Fahren auf nicht freigegebenen Teilen des Straßenlandes sehr häufig zu Unfällen mit Verletzten.“

Na, das sah der gute Hundehalter ein. „Dann bin ich ein potenzieller Unfallherd“, erwiderte er gutmütig. Sprach’s und fuhr weiter. In Gegenrichtung auf dem Gehweg neben dem Radweg. Mit dem guten Hunde unangeleint nebenher. Gelassen läuft’s.

Das nenne ich die Verinselung des Bewusstseins: Jeder hält das, was er gerade tut, für das Beste und das Richtige. „Bei uns ist das so. Wir sind die Berliner.“ Es herrscht der allesumschlingende Konformismus der Faktizität! Den jeweils anderen wird Ahnungslosigkeit vorgeworfen.

Ich habe wieder etwas gelernt. Allerdings werde ich weiterhin in aller Bescheidenheit dafür eintreten, dass die Radfahrer sich an die Straßenverkehrsordnung halten. Tut mir leid, Jungs! Auch wenn ich kein Berliner bin, sondern bloß ein aus Süddeutschland vor 30 Jahren zugewanderter Migrant. Und die Botschaft, die ich aus dieser Frage „Sind Sie wirklich Berliner?“ heraushöre, ist: „Sie haben keine Ahnung, was MAN in Berlin macht!“

Ganz ähnliches berichtet die Berliner Polizei laut heutiger Morgenpost:

Kult-Räder Fixies – Diese Fahrräder sind wilder, als die Polizei erlaubt – Lifestyle – Berliner Morgenpost
Rainer Paetsch, bei der Berliner Polizei für Verkehr zuständig, regt diese Einstellung auf: „Bei einigermaßen durchschnittlicher Intelligenz muss klar sein, dass ein Rad gänzlich ohne Bremsen im dichten Großstadtverkehr extrem gefährlich ist.“ Neben Sportwagen, Motorrädern und zahllosen Rollern stehen in einer riesigen Halle der Berliner Polizei deshalb inzwischen auch 17 Fixies.
Fahrradkurier Adam hält nichts von dieser Gefahrenanalyse. „Die Polizei fährt diese Räder nicht. Deswegen haben sie davon auch keine Ahnung“, meint er.

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Mai 092009
 

„Väterpartei“ gegen „Partei der Töchter und Söhne“. Mit dieser Formel versuchte ich am 19. April in einer Diskussion mit Wolfgang Schäuble und Jürgen Trittin die verschwiegene Verwandtschaft zwischen CDU/CSU und den Grünen zu fassen – mit ausdrücklicher Zustimmung von Jürgen Trittin. Die Grünen sind entsprungen aus der Unfähigkeit der Unionsparteien, einen geordneten Übergang der Macht an die nachwachsende rebellierende Generation innerhalb der Partei zu vollziehen. Nachdem die widerborstigen Töchter und Söhne nicht gewonnen worden waren, blieb der Union nur übrig, die anderen, die braven Söhne, die buchstäblich schon in Anzug und Krawatte geboren werden, still und unauffällig nachrücken zu lassen. Nur wenige Male gelang eine echte Rebellion innerhalb der Unionsparteien: als Ludwig Erhard den Bundeskanzler Adenauer verdrängte oder verdrängen ließ – und ein zweites Mal im Jahre 1999, als Generalsekretärin Merkel mit ihrem Brief an die FAZ dem Kanzler Kohl ausdrücklich die Gefolgschaft aufkündigte. Sie tat dies, indem sie ausdrücklich darauf hinwies, dass auch Parteien – wie Jugendliche in der Pubertät – sich von den großen Vaterfiguren lösen müssten, wobei sie namentlich das „Schlachtross“ Helmut Kohl anführte.

Entscheidend bleibt: Die Grünen sind eine Akademikerpartei „aus gutem Hause“. Ihr erstaunlicher Erfolg speist sich aus der zur Dauergeste erstarrten, moralisch begründeten Rebellion gegen ein Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell, deren Produkt sie sind und bleiben.

Der gegenwärtig stattfindende Parteitag der Grünen liefert reichlich Belege für diese These. Lest etwa folgenden Abschnitt aus dem Tagesspiegel:

Die Botschaft, die die Grünen von ihrem Wahlparteitag aussenden wollen, ist klar: Die krisengeschüttelte Welt spricht grün. Selbst alte Industriebranchen, wie die Auto- oder Chemieindustrie sind derzeit stark interessiert an einer energiesparenden Produktion. Grüne Themen haben Konjunktur. Oder wie es der realo-intellektuelle Fraktionschef Fritz Kuhn sagt: „Grün ist eingedrungen in den hegemonialen Diskurs der Republik“.

Man lese den letzten Satz zweimal: „Grün dringt in das Sinnen und Trachten der herrschenden Alten ein.“  So lässt sich die Wendung „hegemonialer Diskurs“ in gemeinverständliches Deutsch übersetzen. Die Rebellion wird verkleinert zur Infiltration der Diskursordnung. Man versuche einmal diesen Satz Fritz Kuhns sich auf einem Parteitag der Union vorzustellen – und man wird erkennen, welch riesige Kluft zwischen den Unionsparteien und den Grünen klafft.

Ein Unionspublikum wird den Satz Fritz Kuhns nicht verstehen. Denn in der Aufbauleistung der Nachkriegsjahre hatten die Väter keine Zeit, den italienischen Theoretiker Antonio Gramsci oder den Diskursanalytiker Michel Foucault zu lesen. Der Satz würde verpuffen. Ohne Abitur und ohne mindestens ein paar Semester Hochschulstudium wird niemand den Verhandlungen der Grünen folgen können. Dies schränkt – soll ich sagen glücklicherweise? – ihre Wählerbasis ein.

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Die Eltern müssen ran

 Familie, Integration, Sprachenvielfalt, Tugend  Kommentare deaktiviert für Die Eltern müssen ran
Apr. 222009
 

Noch einmal überlese ich das gestrige taz-gespräch zwischen Christian Füller und André Schindler. Meine Sympathien liegen in diesem Fall auf Seiten des Fragestellers. Wundert euch das? Christian Füller verlässt hier sehr mutig die Rolle des Stichwortgebers und bringt die entscheidenden Fragen aufs Tapet: Was tun die Eltern? Welchen Anteil tragen die Eltern an der Bildungsmisere? Ich bin selbst mittlerweile zur Einsicht gelangt, dass die staatlichen Institutionen, also die Schule, die Ämter und auch die Lehrer, kaum mehr tun können als sie ohnehin tun. Der Staat kann mangelnde Sprach- und Lernfähigkeit bei den hier aufgewachsenen Kindern auch mit viel Geld nicht nachholen. Der Fehler liegt wohl darin, dass man den Staat stets von neuem auffordert, noch mehr für die angeblich Benachteiligten zu tun. Die derart Entmündigten verharren in ihrer Passivität. Die deutsche Gesellschaft zerfällt, zeigt sich peilungslos. Wieso sollte irgend ein Türke, irgend ein Libanese sich bei uns integrieren? Was haben wir denn zu bieten außer erklecklichen materiellen Vergünstigungen und einer üppigen Absicherung vor Hunger, Krankheit und Elend?

Oh ihr deutschen linksalternativen und ökobewegten Miteltern! Habt ihr denn nie – wie der Verfasser dieses Blogs – in einer Elternversammlung mit türkischen und arabischen Muttis gesessen? In eurer Kita oder eurer Schule? Nicht wahr, das Gefühl kennt ihr nicht, denn ihr haltet eure Kinder ja für etwas anderes als die Kreuzberger muslimische Mehrheit!

Am 27.06.2008 berichtete dieses Blog von einer Elternversammlung in der Kreuzberger Passionskirche. Damals meldete ich mich nicht in der Versammlung zu Wort, sondern sprach nur nachher mit einigen Leuten über unsere mögliche Verantwortung für dieses Stadtviertel, und  ich notierte damals:

Es herrschte eine insgesamt zwischen Ratlosigkeit, Empörung, Zuversicht und Entschlossenheit schwankende Atmosphäre. Niemand ergriff wirklich beherzt das Wort: “Wir leben hier in diesem Bezirk, wir stehen in der Verantwortung. Gemeinsam schaffen wir es. Was können wir zusammen tun?”

Und heute – bin ich dieser Niemand!  Ich halte es für schade, dass meine Kreuzberger deutschen Miteltern jeden Trick und jede Täuschung anwenden, nur um ihre Kinder nicht in eine Klasse mit türkischer und arabischer Schülermehrheit zu stecken. Ich lehne diese Ohne-mich-Haltung ab und deshalb geht unser Sohn jetzt in eine Klasse, in der überhaupt kein Kind mehr „ohne Migrationshintergund“ sitzt – dank der herrlichen linkskonservativen Eltern in unserem fröhlich-bunten, ach so alternativen Stadtviertel. Na und? Was ist so schlimm daran? Wovor habt ihr solche Angst? Ist dies nicht ein linker Stadtteil? Wo sind all die Ideale der Solidarität und des multikulturellen Miteinanders hin verschwunden? „Solidarität“ (ich sage lieber: Verantwortung) beweist sich zuerst in der eigenen Familie, im eigenen Haus, im eigenen Wohnviertel, gegenüber all den Menschen, mit denen man nun einmal zusammenlebt. Auswahl und Ablehnung darf es dabei nicht geben.

Warum nicht mal bei Staaten wie Türkei, Saudi-Arabien, Libanon und ähnlichen nachgucken? All diese Staaten pflegen ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl, das mit massiver Propaganda durchgesetzt wird. Keiner darf sich ausschließen. Allerdings: Ich bin gegen Erziehungsdiktaturen, wie sie etwa die DDR, die Türkei oder die Sowjetunion darstellten oder darstellen. Wir leben in einem freiheitlichen Staat. Aber ich vertrete mit allem Nachdruck die Meinung, dass eine Gesellschaft von allen in ihr Lebenden die Bemühung um den eigenen Erfolg, eine gewisse Loyalität, ein Mindestmaß an Selbstverantwortung  einfordern muss – etwa in der Form, dass die Eltern die Kinder darauf vorbereiten, wie sie selbst ihr Lebensglück erarbeiten können. Und zwar hier in Deutschland, nicht im sozialstaatlichen Nirwana.

Die Äußerungen des Landeselternsprechers André Schindler geben keineswegs meine Haltung wider. Ich habe Herrn Schindler nicht gewählt und ich würde ihn auch nicht wieder wählen. Für besonders verhängnisvoll, ja fast unanständig halte ich seine Grundhaltung, mit dem Finger auf die Schulen, den Senator, die Lehrer zu zeigen, als wollte er sagen: „Nu mach mal, Staat, gib dir Mühe!“

In einer Leserzuschrift an die taz schrieb ich:

Die Hauptverantwortung für die in Teilen schwierige Lage in den Schulen liegt jetzt vor allem bei den türkischen, arabischen und deutschen Eltern und bei den Jugendlichen selbst. Nicht bei der Schule, nicht bei den Lehrern, nicht beim Staat, sondern bei uns türkischen, arabischen und deutschen Eltern als Bürgern. Die Schulen und die Lehrer sind weitaus besser, als sie meist – etwa von Herrn Schindler – dargestellt werden. Ich meine: Es ist falsch, die türkischen und arabischen Familien in ihrem Sonderbewusstsein zu bestärken, wie das heute immer noch geschieht, etwa durch amtliche türkischsprachige Elternbriefe oder durch das unselige Etikett „mit Migrationshintergrund“. Wir sollten nachdrücklich darauf hinwirken, dass alle hier aufwachsenden Kinder sich als deutsche Kinder auffassen. Dies schließt ein, dass die verpflichtende Erstsprache Deutsch von den ersten Lebenstagen jedes Kindes an gepflegt wird (gerne auch mit Türkisch und Arabisch zusätzlich).

Berliner Elternsprecher über Schulen und Eltern: „Die Grundschulen bringens nicht“ – taz.de

 Posted by at 22:13
Apr. 202009
 

Leider mal wieder völlig abwesend: Hauptschüler, türkische und arabische Schüler – die sollten mal auspacken!

André Schindler, Vorsitzender des Landeselternausschusses Berlin; Cordula Heckmann, Schulleiterin der Heinrich-Heine-Realschule und Leiterin des Jahrgangs 7 an der Gemeinschaftsschule des neues „Rütli-Campus“ in Berlin; Hamburgs Bildungssenatorin Christa Goetsch; Günter Offermann, der Rektor des Schiller-Gymnasiums in Marbach: das waren die Teilnehmer des Forums auf dem taz-Kongress, zielstrebig und klug geleitet von Tazzlerin Anna Lehmann. Ich setzte mich ins Publikum, lauschte. Christa Goetsch stellte das neue Hamburger Modell vor: Das Gymnasium bleibt erhalten, wird nach 12 Jahren zum Abitur führen. Daneben tritt die Stadtteilschule, auf der es 13 Jahre bis zum Abitur dauert. Neue Schulstruktur – neue Lernkultur: das waren auch die Zauberwörter, um die die insgesamt hochanregenden Beiträge kreisten. Lehrer, Schüler und Fachleute diskutierten, tauschten Erfahrungen aus – sehr gut!

Das Gymnasium – ein Auslaufmodell at 30 Jahre taz – tazkongress vom 17. bis 19. April 2009

Die insgesamt sehr gute Diskussion kreiste wie üblich um zwei Pole. Zum einen die Strukturdebatte: „Welche Schulformen werden benötigt?“ und Unterrichtsqualität: „Wie soll gelehrt und gelernt werden?“

In der Debatte meldete ich mich zu Wort. Ich beklagte die ethnisch-religiöse Segregation der Schülerschaft in Kreuzberg, Neukölln und Wedding. Die deutschen Eltern wollen nichts mit den mehrheitlich muslimischen Klassen zu tun haben. Diese Abschottung ist eingetreten, unabhängig von allen Diskussionen um Schulstrukturen und Unterrichtsformen.

Völlig ausgespart blieb das gesamte Leben der Schüler außerhalb der Schule, also die Familien und die Freizeit. Dabei wissen wir in Neukölln und Kreuzberg längst: An die Eltern müssen wir heran. Denn in den Familien, nicht in den Schulen werden offenbar die Weichen für Bildungskarrieren gestellt. Medienberieselung mit türkischem oder arabischem Satellitenfernsehen, Abkapselung nach außen, ein Versagen der Väter, Verhätschelung einerseits, Prügelei andererseits, kein lebbares Männlichkeitsbild, kein Kontakt zur deutschsprachigen Umgebung, eine Unfähigkeit zur sinnvollen Freizeitgestaltung: das scheinen die echten Probleme zu sein. Diese traut man sich aber nur hinter vorgehaltener Hand zu benennen. Stattdessen schüttet man weiterhin Geld in das System und in Strukturreformen, die aber an den Ursachen der Probleme vorbeigehen. Die weitgehende Segregation (Apartheid) der türkischen/arabischen Schüler einerseits, der deutschen Schüler andererseits, ist traurige Realität – unabhängig von der Schulform und der Unterrichtsqualität. Not tun die drei L des Tariq Ramadan: LANGUAGE, das heißt Aufforderung zur Erstsprache Deutsch von frühester Kindheit an auch in den Familien (nach Möglichkeit mit einer Zusatzsprache, etwa Türkisch oder Arabisch), LAW, das heißt Respektierung der freien Persönlichkeit, Einhaltung des Prügelverbotes, Durchsetzung des Verbotes der Körperverletzung, LOYALTY, das heißt: wer in Deutschland geboren wird und aufwächst, ist Deutscher; diese Kinder sollen von Anfang an wissen, dass sie sich zuallererst in diesem Land eine Zukunft erarbeiten müssen. Sie müssen hier Pflichten und Verantwortung übernehmen.

Keines der Ls ist bis jetzt auch nur annähernd erreicht. Im Gegenteil: Man erweckt durch die angestrebten Reformen noch stärker den Eindruck, der Staat werde sich schon um alles kümmern. Das unselige Etikett „Kind mit Migrationshintergrund“ verstetigt die Probleme, statt sie zu lösen, schafft die Zwei-Klassen-Schülerschaft, an der auch die geplanten Reformen nichts ändern werden. Der Staat wird es so nicht schaffen. Die Familien müssen zur Erziehung der Kinder für dieses Land, auf diese Gesellschaft hin ermuntert und genötigt werden.

Nachher sprechen mich verschiedene Teilnehmer an: „Sie haben natürlich recht“, wird mir bedeutet. Nur sagen darf man es nicht so laut. Das stört die einträchtige Harmonie.  Es muss ja noch Stoff zum Diskutieren geben.

 Posted by at 22:59
Apr. 112009
 

Als hart arbeitender Mann versäume ich keine Gelegenheit, mit den Menschen auf der Straße, im Schwimmbad, im Supermarkt ins Gespräch zu kommen. Das erfrischt mich, gibt mir Einblick in das, was die Leute fühlen – und ich finde es spannender als die allerneueste Operninszenierung, wo ich ich mich eher fragen muss: Und was hat sich der Regisseur gedacht?

Heute sprach ich wieder einmal mit arabischen und türkischen Jugendlichen, Jungs im Alter von 12 oder 14 Jahren. Ort: das Freigelände am Hallenbad am Spreewaldplatz, Kreuzberg, Wiener Straße. Als treuer Lehrling Friedrich Jahns, der ja nahebei in der Hasenheide seine ersten Veranstaltungen abhielt,  ertüchtigte ich mich mit einigen gezielten Übungen – dem üblichen Programm.  Dabei kamen sie auf mich zu: „Was machen Sie da?“ Ich antwortete: „Ich mache Gymnastik, damit ich gesund bleibe.“ „Was denn? Können wir das auch machen?“ „Ja, zum Beispiel die Kniebeuge!“ Dann erklärte ich, wie man die Kniebeuge richtig ausführt. Darin habe ich mir durch jahrelange Besuche in Kursen solide Grundkenntnisse angeeignet: Füße etwa hüftbreit, nahezu parallel! Darauf achten, dass das Gewicht des Körpers nicht nach vorne kippt! Zur Schonung der Knie sollen die Knie etwa auf Höhe der Ferse verbleiben – nicht nach vorne kippen!“

Dies erklärte ich den Jungs und führte es vor. Sie versuchten es nachzumachen – ich merkte, noch nie hatte ihnen jemand diese simple Übung erklärt, die nun wirklich zum eisernen Bestand der Sportpädagogik und der Fitness-Studios weltweit gehört. Die Jungs waren beeindruckt!

„Und können Sie auch Kopfstand?“, fragten sie. „Ja, passt mal auf!“ Und ich machte einen Kopfstand. Sie waren begeistert, einer versuchte gleich darauf einen Handstand, es klappte nicht.

Mein Eindruck von den türkischen und arabischen männlichen Jugendlichen hier in Kreuzberg bestätigte sich: Sie haben es nicht gelernt sich zu bewegen. Die meisten haben offenbar nie an einem Sportunterricht teilgenommen. Sehr viele haben Übergewicht, neigen zur Fettleibigkeit, viele Jungs haben im Alter von 12 oder 14 Jahren nahezu weiblich wirkende Brüste entwickelt. Andere wirken abgemagert, schlaksig.

„Haben Sie eine Zigarette?“, fragen mich die Jungs. „Nein!“, sage ich. „Ach so, Sie sind Nichtraucher!“ „Ja, raucht ihr?“, frage ich die etwa 12-Jährigen. Klar, das tun sie.

Wo sind die Väter? Ich sehe diese Jugendlichen immer allein herumhängen! Aus den Gesprächen erfahre ich: Ihnen fehlt jede väterliche Instanz. In der Schule haben sie fast nur mit Frauen zu tun. Zuhause kümmern die Mütter und die Schwestern sich hingebungsvoll um ihre Paschas. Es fehlt ihnen an nichts.

Die Vorstellungswelt der pubertierenden Jungs scheint fast nur um eines zu kreisen: Sex, Ficken, und zur Abwechslung: Pornographie. „Isch fick deine Mutter …“ Wie oft habe ich das schon gehört! Heute fragte mich ein Junge im Spreewaldbad nach meinem Kopfstand: „Kannst du Fotzenarschfick?“ Er meinte offenbar: Wer so gut Kopfstand kann, der kann sicher auch Fotzenarschfick. Ich war sprachlos – konnte nicht wahrheitsgemäß mit Nein! antworten, denn der Junge war auch gleich wieder weg. Mit derartigen Kraftausdrücken beweisen die Jungs ihre Coolness. Sie beweisen, dass sie sich auskennen. Was würde der Prophet dazu sagen?

Arabisch, Türkisch, Deutsch – in diesen Sprachen spielt sich das Leben der männlichen Jugendlichen ab, sie wechseln in Minutenschnelle hin und her – ohne auch nur eine dieser Sprachen einigermaßen zu beherrschen. Auf keinen Fall ist Deutsch ihre Zweitsprache, sie sprechen akzentfreies Türkdeutsch wie alle.

Unsere türkischen und arabischen Jungs hier in Kreuzberg sind eine Generation verlorener Söhne. Die Mütter, die Schwestern, die Schule und der Staat verwöhnen sie nach Herzenslust mit Zuwendung, mit Betüttelung, mit Geld. Ihr Ziel ist es: „Ich möchte Hartz IV werden!“ Wer Hartz IV erhält, hat es geschafft. Er braucht nicht zu arbeiten. Nein, ein echter Effendi, ein echter Bey, ein echter Pascha arbeitet nicht – er lässt arbeiten. Diesen Jugendlichen wird nichts abverlangt, es werden ihnen keine Grenzen gezogen. Es wird ihnen nichts zugemutet und nichts zugetraut.

Dabei dürsten sie eigentlich nach Anleitung, sie brauchen das Väterliche, die Autorität. Beides fehlt in ihrem Leben fast völlig. Sie sind keineswegs böse, verstockt oder unwillig. Sie könnten viel aus sich machen. Aber da ist niemand, der an sie glaubt und ihnen Ziele setzt.

Die deutsche Gesellschaft schaut weg, kümmert sich nicht um die Zehntausenden von völlig peilungslosen Jugendlichen. Ab und zu gellt ein Aufschrei über die hohe Kriminalitätsrate der Jugendlichen „mit Migrationshintergund“ durch die Medien. Und dann beruhigt man sich, zieht zur Gewissensberuhigung weg aus Mitte, Kreuzberg und Neukölln. Ich sage euch: Das wird uns alles noch mal auf die Füße fallen, wenn wir nicht ab sofort gegensteuern.

Die linksautonome Szene Kreuzbergs – eine weitere Kategorie von verlorenen Söhnen – suhlt sich in „Freiräumen“ und plappert in den eigenen peilungslosen Parolen herum. Was mit den jungen Leuten ringsum geschieht, die hier aufwachsen, kümmert sie nicht. Die deutschen Eltern, die sich für besser halten, verlassen fluchtartig den Bezirk. 43% Prozent weniger Kinder im Alter von 0-6 Jahren innerhalb von drei Jahren sprechen eine deutliche Sprache!  Es sind mehrere abgeschottete Parallelwelten, die beziehungslos nebeneinander her existieren. Dank viel Staatsknete und üppiger Sozialleistungen ist uns das Ganze noch nicht um die Ohren geflogen. Zumal weder Türkei noch Libanon auch nur annähernd ein so bequemes, lockeres Leben als Sozial-Effendi oder Sozial-Bey bieten können.

Wie ist darauf zu reagieren?  Ich schlage folgendes vor:

1) Sofortige Abschaffung des Begriffes „mit Migrationshintergrund“. Diese türkischen und arabischen Jugendlichen sind hier geboren, sind hier aufgewachsen. Sie gehören zu uns. Es sind deutsche Jugendliche. Es sind keine Migranten. Es sind deutsche Bürger mit Pflichten und Rechten. Ihnen dürfen keine Privilegien geschenkt werden.

2) Gezielte, harte, propagandistische, massierte Mentalitätsbeeinflussung der Eltern und der Kinder. So wie es in den arabischen Ländern und der Türkei längst üblich ist. „Die Türkei – ist unser großes Vaterland!“ So heißt es dort. „Deutschland – ist deine Heimat“, so muss es bei uns heißen.

Mit einfachen Botschaften, wie etwa:

„Lasst eure Kinder vom ersten Tag an Deutsch lernen! Deutsch ist die Erstsprache. Ihr lebt in Deutschland. Wenn ihr es schafft, bringt ihnen auch noch eine Zweitsprache bei.“

„Väter – kümmert euch um eure Söhne! Abis – kümmert euch um eure jüngeren Brüder! Überlasst sie nicht sich selbst! Sprecht über Sex mit ihnen. Sprecht über Pornographie mit ihnen. Eure Söhne denken viel daran!“

„Auch DU hältst die Küche sauber, Memet!“

„Macht Sinnvolles, erzählt, lest deutsche Bücher, singt deutsche Lieder, lernt etwas, treibt regelmäßig Sport, fahrt Fahrrad statt tiefergelegten BMW. Schaut euch die deutsche Sendung mit der Maus an!“

„Ihr seid verantwortlich für euer Leben. Macht was draus. Arbeitet dran!“

„Schaltet das türkische und das arabische Fernsehen für 23 Stunden am Tag völlig aus.“

3) Streichung des arabischen und türkischen Satellitenfernsehens von der Liste der erstattungsfähigen Aufwendungen der Sozialhilfe.

Die deutschen Behörden, die Deutschen überhaupt scheinen noch nicht ganz mitzukriegen, was eigentlich abgeht. In unserer Schule wird tatsächlich „Deutsch als Zweitsprache“ offiziell in der Stundentafel geführt!

Deutlicher kann man nicht kapitulieren – so bringt man den armen „Migranten“ eines bei: „Eure Erstsprache ist Türkisch, ist Arabisch – um Deutsch kümmert sich der Staat.“

Und die gestern aufgenommene Hinweistafeln im Kreuzberger Spreewaldbad zeigen es ebenfalls deutlich: Erstsprache im Bad ist Türkisch, Zweitsprache ist Deutsch. Und was ist mit den Arabern? Haben die nicht auch ein Recht auf Erstsprache Arabisch?

Ferner: Ist es nicht eine strafbare Beleidigung des Türkentums, wenn man den Kreuzberger Türken nach 40 Jahren immer noch nicht zutraut, dass sie einfache deutsche Sätze lesen können? Ämter, Behörden, Schwimmbäder – für wie dumm haltet ihr meine Türken eigentlich? Muss ich euch drohen mit einer Anzeige wegen „Beleidigung des Türkentums“?

Bisher haben wir bei der Integration der Türken und Araber versagt. Dieses Versagen werden wir uns nicht mehr lange leisten können. Denn:

Jedes Jahr wandern etwa 200.000 bis etwa 250.000 Menschen nach Deutschland zu. Sie – und nur sie – sind unsere Migranten. Ihnen muss für etwa 1 Jahr Hilfe zur Integration gewährt werden.

Alle anderen, also die, die schon seit 30 oder 40 Jahren hier leben, die müssen endlich aus dem Nest gestoßen werden, müssen rauskrabbeln aus der verwöhnenden Hülle von familiärer Bemutterung und sozialstaatlich-erstickender Fürsorge. Ihnen gegenüber ist Strenge und Härte angesagt. Das sind keine Migranten mehr, das sind Bürger wie wir alle.

 Posted by at 19:22

Kızım, şu oyuncaklarını bir aufräumen yapsana, oder: Ran an die Eltern!

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Apr. 092009
 

Wir bekommen regelmäßig die Elternbriefe des Arbeitskreises Neue Erziehung e.V. (ANE) zugeschickt. Ich lese sie alle, diese vierseitig eng bedruckten klugen Anleitungen und Handreichungen. Die meisten Ratschläge sind nicht falsch, sie spiegeln den Konsens der Fachwelt wider.

Die Briefe erscheinen nicht nur in Deutsch, sondern auch in Türkisch. Denn obwohl die allermeisten Türken schon seit drei oder vier Generationen in Berlin leben, kommt man in der Landessprache Deutsch einfach nicht richtig an sie heran. So meinen es offenbar viele im Amt. So verhalten sich meine türkischen Miteltern. So sehen es viele in den Fachkreisen und verschicken die Briefe lieber gleich in Türkisch.

Den Türken wird es also nicht zugetraut und nicht zugemutet, innerhalb von 30 oder 40 Jahren die deutsche Sprache zu erlernen. Deshalb auch die Elternbriefe auf Türkisch. Die Bosnier, Russen, Vietnamesen, die erst seit kurzem in Berlin leben, werden offenbar nicht der Aufmerksamkeit wert erachtet. Die müssen schon selber schauen, wie sie zurechtkommen.

Was sagen die Elternbiefe zum Thema Zweisprachigkeit? Wir lesen:

Canan’ın iki dilli yetişeceği, hem Türkçe, hem Almanca öğreneceği konusunda Oktay’la baştan beri görüş birliği içindeydik. Evde yalnız Türkçe konuşarak önce doğru dürüst anadilini, sonra yuvada ve okulda Almanca öğrenmesine karar vermiştik.

Diese beiden vorbildlichen türkischen Eltern unterhalten sich also darüber, dass es zunächst einmal darauf ankomme, Canan (die beiden haben nur ein einziges Kind!) die türkische Muttersprache ordentlich beizubringen, in Kindergarten und Schule werde dann rechtzeitig noch Deutsch hinzukommen. Sogar der Vater kümmert sich um die Erziehung, toll, toll, toll! Im gesamten weiteren Brief wird vorgeschwärmt, wie toll es läuft, wie einfach und bereichernd es ist, zwei verschiedene Sprachen zu lernen. Aber bitte das Türkische pflegen, denn Deutsch kommt ja später von allein! Das besorgen Kindergarten und Schule wie von Zauberhand.

Erst einmal Türkisch, später dann irgendwie Deutsch!

Ich halte das für einen aberwitzigen Irrweg. Einen Irrweg, der, unterstützt von Ministerien, Ämtern und Wissenschaftlern, weiterhin kostenlos frei Haus geliefert wird – jährlich in Millionen Exemplaren.

Die Pädagogen unterstützen die Türken in ihrem Sonderstatus, indem sie sie nachdrücklich zur Zweitrangigkeit des Deutschen ermuntern.

Leute, Freunde, Fachleute, hört mich als alten Kreuzberger Vater und Schrumpfgermanen an: Es klappt einfach nicht. So geht das nicht. Durch den absoluten Vorrang des Türkischen als der eigentlichen Muttersprache zementiert ihr eure Kinder hier in Deutschland in einem Sonderstatus ein, der sie chancenlos macht.

Ich bin im Gegenteil der Meinung: Man muss die türkischen Eltern ermuntern, dass ihre Kinder vom ersten Lebenstag an gutes, sinnvolles Deutsch erlernen. Eine zweite Sprache – etwa die Muttersprache der Eltern – ist höchst wünschenswert, denn jede Sprache bereichert uns. Wie heißt es doch so schön auf Kreuzbergisch? Bir lisan, bir insan!

Jede und jeder kann es schaffen! Auch wenn es schwerfällt. Jeder kann es schaffen, um 7.30 Uhr aufzustehen. Jede und jeder, der seit der Geburt 6 Jahre in Deutschland lebt, kann so gut Deutsch lernen, dass es für einen sinnvollen Grundschulunterricht reicht. Das können wir erwarten, das müssen wir einfordern.

Wir brauchen klare, einfache Botschaften. Botschaften, die wiederholt werden müssen. Beispiel Fernsehen:  In vielen türkischen und arabischen Familien läuft ständig das türkische oder arabische Fernsehen. Wie sollen die Kinder da Ruhe finden, um ihre Spiele zu spielen? Um Hausaufgaben zu machen? Wie sollen die Kinder so hineinwachsen in ihr deutsches Sprachgefühl, wenn sie Tag und Nacht nur von vorgefertigten kommerziellen Programmen aus der alten „Heimat“ umspült werden? Die Fernsehberieselung führt auch zu Aufmerksamkeitsstörungen.

Nun könnte man fragen: Sollen wir in unserem multiethnischen Deutschland dem Modell der Vielvölkerstaaten Sowjetunion oder Türkei nacheifern? In der Republik Türkei wurde gleich nach der Gründung dieses multiethnischen Staates das Türkische mit brachialer Gewalt durchgesetzt, der öffentliche Gebrauch der Minderheitensprachen – etwa Kurdisch oder Armenisch –  wurde verboten und unter Strafe gestellt. Ähnlich verfuhr man in der UDSSR. Der weise und gute Staatsgründer, der verehrte Vater der Türken, Atatürk erkannte, dass eine gemeinsame Sprache und eine gemeinsame Schrift für den Zusammenhalt der Gesellschaft unerlässlich sind. Atatürk kümmerte sich höchstpersönlich um eine normierte, im ganzen Land verbindlich vorgeschriebene Einheitssprache und setzte diese mit allen juristischen und polizeilichen Mitteln durch.

Und ich hatte selbst vor wenigen Monaten Gelegenheit, den Aufsatz Stalins über die russische Grammatik aus dem Jahr 1940  in Händen zu halten. In der Türkei und in der UDSSR ist es gelungen, eine Landessprache überall gewaltsam, mit diktatorischen Mitteln durchzusetzen, sodass Benachteiligungen aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse nach kurzer Zeit verschwunden waren.

Anders bei uns in Deutschland. Der deutsche Staat bestärkt die türkischen und arabischen Eltern immer noch in ihrem Sonderstatus als „Migranten.“ Ein grotesker, teurer, folgenschwerer Irrtum. So steigt die Zahl der Migrantenkinder trotz sehr geringer Zuwanderung ins Unermessliche, während meine deutschen Miteltern sich völlig verängstigt und hilflos in die Büsche schlagen. Das migrantenarme Pankow leidet an zu vielen deutschen Kindern der zuströmenden deutschen Migranten, so kann man heute in der Zeitung lesen. Unser kulturell so reiches Kreuzberg sucht sie mit der Lupe! Ich bin somit der letzte Teutone, der letzte Schrumpfgermane in der Kreuzberger Regelschule geworden.

Eine solche brutale Sprachdiktatur wie in der Türkei oder der früheren Sowjetunion hielte ich jedoch für grundfalsch. Im Gegenteil: Der deutsche Staat sollte alle Bürger weiterhin wie bisher ermuntern, neben dem Deutschen nach Möglichkeit noch eine oder mehrere andere Sprachen zu pflegen. Aber noch wichtiger ist es, die Eltern von Anfang dazu anzuhalten, den Kindern zuerst und mit Vorrang die Landessprache beizubringen. In Deutschland ist dies Deutsch, auch in den geschlossen sorbischen und den geschlossen türkisch-arabischen Siedlungsgebieten. In der Türkei ist es Türkisch – auch in den geschlossen kurdischen Gebieten.

Dabei sollte man ruhig zu plakativen Mitteln greifen. Ich erinnere mich an ein Plakat aus der DDR: Auch DU hältst die Küche sauber, Genosse!

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Hätte ich das doch damals in meiner Kindheit öfter gehört und gesehen – ich wäre ein ordentlicherer Mensch in der Küche geworden und meine Frau brauchte nicht so viel auf mich zu schimpfen. Dabei gebe ich niemandem die Schuld. Ich habe mich bisher nicht zu einem erzogen, der jederzeit die Küche sauber hält. Mein Bruder hat es geschafft, ich nicht. Aber ich arbeite daran.

Und so muss man den Türken Plakate vor die Nase setzen: „Auch dein Kind muss Deutsch lernen.“ So oder so ähnlich muss es klingen und singen.

Einfache Anweisungen sind nötig. Nicht lange Abhandlungen, sondern Propaganda, Plakate, Handzettel, oder auch Kartenspiele mit einprägsamen, einfachen Botschaften. Wie etwa:

„Erst Hausaufgaben – dann spielen!“

„Jeden Abend ein deutsches Buch vorlesen – und dein Kind kommt mit!“

„Lernt deutsche Kindergedichte, singt deutsche Kinderlieder!“

„Nicht mehr als 1 Stunde Fernsehen am Tag!“

„Gutes Deutsch ist der Schatz, den du deinem Kind schenken kannst.“

 Posted by at 14:35
Feb. 022009
 

… fragte ich ungläubig eine Russin, nachdem wir zusammen in Moskau einen sowjetischen Film aus dem Jahr 1985 betrachtet hatten. In diesem Film bricht ein georgischer Bergbauer mit seinem Enkel zusammen in die ferne Stadt auf, um eine neue Sorte Birnbaum zu beschaffen, die dann in den Obstplantagen im georgischen Bergland angepflanzt werden soll. Sie wandern frohgemut dahin und brechen immer wieder in herrliche georgische Lieder aus, die mich stark an die bairischen Jodelgesänge aus der Heimat meiner Mutter, Berchtesgaden, erinnern. Aber – so wie die Bayern ja auch weidlich Hochdeutsch sprechen – so verständigen sich die Georgier eben auch mit der Außenwelt in einem fließenden, wenn auch nicht akzentfreien Russisch.

Denn bei allem, was man gegen die Sowjetunion einwenden mag: Mindestens hatten die etwa 100 Völker eine gemeinsame Sprache – das Russische. Es war bereits vor der Revolution – auch mit Zwang, also gewaltsamer Russifizierung –  durchgesetzt worden, aber auf längere Sicht erwies sich die gemeinsame Verständigungssprache als großer Vorteil. Es gab eine große Mobilität, sowohl geographisch wie auch hierarchisch. Wer Russisch beherrschte, dem standen bei guter Leistung und bei politischer Gefügigkeit alle Positionen offen. Von daher die große Zahl an Nichtrussen, die es bis in die höchsten Ämter brachten, die in Politik, Wissenschaft und Kultur herausragende Rollen spielten. Man denke nur an den ehemaligen Außenminister Schewardnadse.

Dass man in Moskau Schilder und Hinweise in den verschiedenen 10 oder 12 Minderheitensprachen anbringen würde, würde den Bewohnern wohl eher wie ein Witz vorkommen. Wenn es im Moskauer Park etwa georgische Hinweisschilder gäbe: „Hier keine Grillfeuerchen machen!“, dann würden sie den Russen den Vogel zeigen und fragen: „Für wie dumm und unflätig haltet ihr uns eigentlich? Glaubt ihr denn, wir können kein Russisch?“

Das fiel mir wieder ein, als meine russische Frau vor wenigen Tagen Post von Katrin Lompscher bekam, der Berliner Senatorin. In deutscher und russischer Sprache. Es geht um eine Erhebung zur Lage der deutschländischen Frauen. Zwar lebt meine Frau schon 15 Jahre in Deutschland, dennoch traut es ihr Senatorin Lompscher offenbar nicht zu, dass sie jetzt bereits Deutsch kann. Ein weiterer lustiger Fall: Auch die Parkordnung am Kreuzberg, die Müllordnung in unserem Prinzenbad ist in türkischer Sprache auf den Schildern angebracht. Die Botschaft ist klar: „Der deutsche Staat erwartet nicht, dass ihr Deutsch lernt, vielmehr wendet sich der deutsche Staat in euren Herkunftssprachen an euch. Ihr seid wie Kinder.“ Dasselbe gilt auch für die Bekanntmachung zur Einschulung, die ich ebenfalls Jahr für Jahr in deutscher und türkischer Sprache an den Litfasssäulen finde.

Die Russen in Berlin, mit denen ich spreche, sind fassungslos ob dieses lächerlichen Theaters: „Wie geht ihr mit den Türken um! Ihr verwöhnt sie und — ihr entmündigt sie und uns doch, wenn ihr von denen und von uns nicht verlangt, dass sie und dass wir Deutsch erlernen!“

In dieselbe Kerbe haut auch Seyran Ateş, deren Buch Der Multikulti-Irrtum ich gerade lese. Sie schreibt auf Seite 236: „Eigentlich sollte es selbstverständlich sein, dass man die Sprache des Landes spricht, in dem man lebt.“ Wie fast alles, das diese Frau schreibt, so gefällt mir insbesondere auch ihr deutlicher Einsatz für Mehrsprachigkeit.

Schaffen wir Beispiele — in Berlin, in Deutschland — und vielleicht auch in der Türkei? Auch dort tut sich ja vieles, denn es gibt neuerdings sogar einen kurdischen offiziellen Radiosender. Das ist doch schon ein Anfang, der Vater von Frau Ateş würde sich freuen! Denn er ist Kurde, brachte seiner Tochter aber seine Muttersprache nicht bei. Denn Kurden, die gab offiziell es nicht. Das waren die Bergtürken. Von ihnen wurde Assimilation verlangt.

Das Buch gibt es mittlerweile in einer wohlfeilen Taschenbuchausgabe:

Seyran Ateş: Der Multikulti-Irrtum. Wie wir in Deutschland besser zusammenleben können. Ungekürzte Ausgabe im Ullstein Taschenbuch. Berlin 2008. Euro 8,95

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„Achten Sie auf die richtige Betonung!“

 Gute Grundschulen, Kinder, Sprachenvielfalt, Vorbildlichkeit, Willkommenskultur  Kommentare deaktiviert für „Achten Sie auf die richtige Betonung!“
Jan. 232009
 

„So, jetzt weißt du endlich, wie eine türkische Mutti sich beim Elternabend in einer Berliner Grundschule fühlt!“ flüsterte ich mir zu, als ich gestern den Elternabend unserer russisch-deutschen Grundschule besuchte. Man kommt zwar mit, aber man traut sich nicht, selber was in der Fremdsprache zu sagen. So ging es mir gestern. Es war aber eher ein „Eltern-Nachmittag“. Egal, jedenfalls fand die erste Hälfte auf Deutsch, die andere auf Russisch statt. Ich war der einzige, der nicht fließend wie ein Muttersprachler Russisch spricht. Und ich fragte meinen Nachbarn: „Was heißt eigentlich  udarenie?“ – „Betonung! Haben Sie einen Stock, um die richtige Betonung zu vermitteln?“ Die Lehrerin sagt: „Die Kinder haben oft Schwierigkeiten mit der Betonung. Achten Sie auf die richtige Betonung!“ Wir Eltern sind aufgefordert, auf die sprachliche Entwicklung unserer zweisprachigen Kinder noch mehr zu achten, mit ihnen noch mehr zu üben. Fließendes Lesen in beiden Sprachen müssen die Kinder demnächst beherrschen.  Dabei sollen wir Eltern auch mitarbeiten. Elterliche Unterstützung wird erwartet und eingefordert.

Da die anderen Eltern alle aus dem russischen Schulwesen kommen, konnte ich wunderbar meine Vergleiche anstellen! Was ist anders in Berlins Grundschulen im Vergleich zu Russland, zur Sowjetunion? Durch Gespräche mit verschiedenen russischen Eltern finde ich immer wieder folgendes heraus:

Erstens: Das Leistungsniveau in den russischen bzw. sowjetischen Grundschulen ist oder war wesentlich höher als in den heutigen Berliner Grundschulen. „In Berlin lernen die Kinder fast nichts!“, so höre ich immer wieder. Das haben ja auch die internationalen Tests bestätigt. Hallo, Berliner CDU: Ehe man wieder leichtfertig auf die „sozialistische Einheitsschule“ schimpft, sollte man dies zur Kenntnis nehmen.

Zweitens: Die Eltern wurden oder werden in der russischen bzw. sowjetischen Einheitsschule weit stärker in die Pflicht genommen. Wenn die Kinder nicht mindestens den Durchschnitt der Klassenleistung erreichen, werden die Eltern aufgefordert, selber mit dem Kind zu üben. Bezahlte Nachhilfe ist unüblich. Die Eltern müssen mit dem Schüler arbeiten, wenn das Kind aus welchen Gründen auch immer den Anschluss nicht halten kann.

Drittens: Das Experiment der jahrgangsübergreifenden Eingangsstufe „SAPH“, wie es jetzt in Berlins Grundschulen ausgerollt wird, stößt bei uns Eltern auf einhellige Ablehnung. „Das haben sich irgendwelche praxisfernen Theoretiker ausgedacht, die Personal einsparen wollen! Und uns fragt keiner!“ So der Tenor der Meinungen. Wir haben bereits im vergangenen Jahr bei der Senatsverwaltung dagegen protestiert, dass SAPH ohne Rücksprache mit uns Eltern und gegen unseren einstimmig erklärten Willen in unserer Schule eingeführt wird. Übrigens: Bei diesem Brief kamen mir endlich meine leicht überdurchschnittlichen Deutsch-Kenntnisse zugute, denn ich habe ihn formuliert – und alle Eltern in der Klasse haben ihn unterschrieben.

Fazit allgemein: Wir Eltern und alle Lehrer sind bereit, alles zu tun, damit unsere Kinder was Gescheites lernen. Berlins Grundschulen haben ein niedriges Leistungsniveau. Fazit persönlich: Mit meinen jetzigen Deutsch-Kenntnissen komme ich fast überall in Berlin zurecht, an meinem Russisch werde ich weiter arbeiten. Es macht Spaß. Versprochen!

Unser heutiges Foto zeigt den Schuhschrank und die selbstgemalte Visitenkarte unserer Klasse. Wir Eltern sind stolz darauf, was unsere Kinder können!

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Dez. 042008
 

Eins meiner politischen Vorbilder ist Kaiser Karl – nicht der sogenannte Große, sondern Karl der Vierte. In seiner Goldenen Bulle von 1356 ermahnt er die Kurfürsten ausdrücklich, sich in vielerlei Sprachen unterweisen zu lassen. Er verfügt, dass die Fürsten …

… diversorum ydiomatum et lingwarum differenciis instruantur, ut plures intelligant et intelligantur a pluribus.

Er fordert, die Fürsten des Reiches sollten mehrere Sprachen verstehen – und von mehreren verstanden werden, darunter auch das theutonicum ydioma – der Vorläufer des heutigen Deutsch. Er selbst war kein Deutscher nach Muttersprache, sprach aber wohl die fünf wichtigsten Sprachen des „Römischen Reiches deutscher Zunge“ mehr oder minder geläufig, darunter offenbar auch die lingua Boemica, also Tschechisch.

Ich freue mich, dass derzeit – angeregt durch einen in frühmorgendlicher Laune gefassten Beschluss des CDU-Parteitages in Stuttgart – eine Debatte über die Pflege unserer Muttersprachen läuft! Keine andere Sprache ist für Kinder so wichtig wie die Sprache, in der sie groß werden. Für mich ist das Schwäbisch, Oberbairisch, Schlesisch und verschiedene Mischformen daraus, erst viel später das genormte Hochdeutsch. Für meinen Sohn ist es Russisch und Deutsch, für meine Frau ist das Russisch. Wir alle pflegen und lernen beständig die jeweilige Sprache des anderen. Karl der IV. wäre mit uns zufrieden. Ich hätte ihn als Kurfürst auch gewählt, weil er so viel für die Bildung getan hat.

Ich wünsche mir, dass türkische und arabische Hauptschüler Friedrich Schillers Räuber auf Deutsch aufführen, deutsche Hauptschüler Shakespeares Hamlet auf Englisch, polnische Schüler den Pan Tadeusz von Mickiewicz in einer Berliner zweisprachigen Fassung  darbieten!

Die deutsche Standardsprache, also Hochdeutsch, ist in der Bundesrepublik Deutschland das einigende Band, das wir hier in Deutschland alle – Schwaben, Polen, Anatolier, Berliner, Russen, Araber – hegen und pflegen sollten. In diesem Sinne habe ich bereits einmal – wie am 14.04.2008 in diesem Blog berichtet – an die großartige Sendung mit der Maus geschrieben, deren unerschütterlicher Unterstützer und Anhänger ich im übrigen bin und bleibe –  habe der Maus geschrieben, sie, die Mausväter und Mausmütter, sollten Hochdeutsch sprechen, nicht Kölnische Umgangslautung. Denn unsere Vorschulkinder hier in Kreuzberg haben fast keine Berührung mit der Standardlautung des Deutschen. Und sie brauchen eine Sprache, die ihnen auch den Anschluss außerhalb der Ghettos ermöglicht.

In der Pflege unserer Sprachen sollten wir uns alle mehr Mühe geben. Ich meine: Die Pflege, das Erlernen der Sprachen sollte in unserem Denken und Handeln einen ähnlich hohen Rang einnehmen wie in der Goldenen Bulle Kaiser Karls. Da sind wir alle gefordert – vor allem die Eltern und alle erzieherischen Berufe, die Medien, aber auch die Politiker. Warum nicht Redewettbewerbe für künftige Politiker veranstalten? Immmer wieder lese ich gerne die alten griechischen, lateinischen und englischen Redner – Demosthenes, Cicero, Lincoln … und neuerdings Obama. Das sind große Meister des gesprochenen Wortes, an ihnen sollten wir in Deutschland uns schulen.

Das sind die Vorbilder, deren wir so dringend bedürfen. Ich bin zutiefst überzeugt: Auch unsere schöne deutsche Sprache eignet sich dafür, gute, klar gegliederte, Herz und Kopf gleichermaßen ansprechende Reden zu halten.

Ich befürworte deshalb, dass die Pflege der Sprachen einen noch stärkeren Platz in der einschlägigen Gesetzgebung der Länder und des Bundes einnimmt. Ich finde, es wird in der Unterrichtung der Sprachen, gerade in unseren Schulen,  zu viel Theorie vermittelt – es wird zu wenig gespielt, zu wenig um die gute treffende Formulierung gerungen, zu wenig dargestellt und zu wenig geredet. Es werden zu wenige Gedichte gelesen und gelernt. Statt dessen spricht man lieber über Theorie der Kommunikation.

Sollten Demokratien sich eine Landessprache in die Verfassung schreiben? Ich meine – sie können es, sie müssen es nicht, es kann auch schaden oder überflüssig sein. Gut ist es da, wo klare Mehrsprachigkeit gewünscht wird, wie in Belgien oder der Schweiz. Die USA haben wohlweislich darauf verzichtet. Denn es war zunächst nicht klar, welche Sprache den Vorrang erhalten würde. Zu einer gewissen Zeit im 18. Jahrhundert stellten die Deutschstämmigen sogar die größte Volksgruppe in Pennsylvanien dar, und es wurde ernsthaft diskutiert, ob Deutsch in jenem Bundesstaat als Amtssprache zugelassen werden sollte. Und sogar heute bezeichnen sich die meisten US-Amerikaner ihrer entfernteren Herkunft nach als „deutschstämmig“. Ihre Vorfahren sind also irgendwann aus deutschen Ländern eingewandert, so wie beispielsweise die Türken, Araber oder Russen im vergangenen Jahrhundert in großer Zahl nach Deutschland gekommen sind, um sich hier eine neue Existenz aufzubauen.

Gibt es eine offizielle Landessprachenregelung in den USA? Nein, letztlich überwog die Weisheit der Gründerväter. Man ließ die Frage offen, schrieb bis heute nichts zur Landessprache in die Verfassung hinein. Das Englische setzte sich durch – aus Gründen, die nicht rechtlicher, sondern praktischer Art waren. Das Englische war die am meisten verwendete Sprache. Es herrschte auch bei den deutschen Einwanderern der Wille vor, sich rasch zu integrieren. Und dafür war das Englische nach und nach zur unerlässlichen Voraussetzung geworden, außer bei einigen hartnäckigen Integrationsverweigerern, die lieber in ihren geschlossenen Gemeinden verharrten, wie etwa den Amish.

Die Werte des Rechtsstaates und der Demokratie sind jedoch unabhängig von den einzelnen National- oder Landessprachen. Nicht unabhängig sind sie von Sprache überhaupt. Ein Recht, das nicht geäußert wird, das keine sprachliche Gestalt annimmt, besteht eigentlich nicht. Der mündige Bürger braucht immer die sprachlichen Mittel, um seinen An-Spruch durchzusetzen.

Nur wenn wir beständig unsere Sprachen mehren, schützen und schätzen, werden wir unser gemeinsames Ziel – den selbständigen freien Bürger im Rechtsstaat – stärken können. Aus der Vielfalt der Sprachen, der verschiedenen, sich wandelnden Sprachformen ergibt sich dann jener Sinn für das gemeinsame Wohl, in dem jede Sprache den ihr gemäßen Zu-Spruch findet.

Goldene Bulle Karls IV. 1356

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Shared Space – der Gemeinsame Raum

 ADFC, Deutschstunde, Fahrrad, Krieg und Frieden, Shared space, Sprachenvielfalt  Kommentare deaktiviert für Shared Space – der Gemeinsame Raum
Nov. 032008
 

Das Kind braucht einen deutschen Namen. Liebe Bloggerinnnen und Blogger, niemand wird mir eine Feindseligkeit gegenüber fremdem Wortgut unterstellen können. Im Gegenteil, in diesem Blog findet ihr Wörter, Wendungen, ja ganze Abschnitte in türkischer, hebräischer, griechischer, französischer, polnischer, russischer, italienischer, lateinischer und sogar englischer Sprache.

Alles gut und schön, aber um einer Sache, einem Anliegen auf „breitester Front zum Durchbruch zu verhelfen“ (wie die Militärs sagen), muss hier in Berlin das Kind einen deutschen Namen haben. Denn für all die Türken, Araber, Griechen, Italiener, Russen, Oberschwaben und Urberliner gibt es in Berlin nur eine gemeinsame Verständigungssprache. Und die heißt nun einmal deutsch. German is our shared space when we speak!

Deshalb meine ich: Wenn wir das Konzept Shared Space nach vorne bringen wollen, brauchen wir eine griffige deutsche Wendung, die im Kopf bleibt. Die Leser des Hamburger Abendblattes haben sich den Kopf zerbrochen. Sie haben „Gemeinschaftsstraße“ zum Sieger gewählt. Eine gute Wahl, wie ich finde!

Ich schlage meinerseits vor: der Gemeinsame Raum. Denn Shared Space – der „Miteinander-Raum“ – bezieht sich nicht nur auf Straßen, sondern auf öffentliche Verkehrsflächen überhaupt.

Übrigens: Der ADFC hat im Juli 2008 eine sehr kluge, gut abgewogene Stellungnahme zu Shared Space erarbeitet. Ihr findet sie auf http://www.adfc.de/1705_1.

Die Leserumfrage zeigt übrigens noch etwas: Neben Shared Space heißt es dort auf einmal „Share Space“. Das heißt: „Teile den Raum mit anderen, lebe im Miteinander statt im Gegeneinander!“

Ein gute Entscheidung. Was meint ihr? Was haltet ihr für das beste deutsche Wort?

Hier kommt eine Auswahl aus dem Hamburger Abendblatt vom 01.09.2008:

„Gemeinschaftsstraße“ mit 775 Stimmen.“Ein einfaches und treffendes Wort“, sagte Senatorin Anja Hajduk. „Wir werden den Begriff bei der weiteren Projektplanung als Anregung berücksichtigen“. „Wir“, damit meint Senatorin Hajduk ihre Behörde und die Bezirke. Sie wolle das Verkehrskonzept nicht „von oben“ anordnen, sondern viele Entscheidungsträger einbeziehen. Derzeit sind die Gremien der jeweiligen Stadtteile dazu aufgerufen, Stellen zu benennen, die zur gemeinschaftlichen Straße werden könnten. So viel sickerte schon durch: Eimsbüttel denkt über Teile der Osterstraße nach, im Bezirk Mitte ist die Lange Reihe im Gespräch. In den kommenden Monaten will der Senat von einer Arbeitsgruppe prüfen lassen, wie das bisher nur in Kleinstädten erprobte Verkehrskonzept in Hamburg umgesetzt werden kann. Eckpunkte: ausreichend Parkplätze und Umgehungsmöglichkeiten für den Verkehrsfluss. Bereits im nächsten Jahr würden dann „ausgewählte Orte“ feststehen, um das Projekt zu testen.

Sollte sich „Gemeinschaftsstraße“ nicht durchsetzen, könnte die Stadtentwicklungsbehörde weitere Anregungen der Abendblattleser umsetzen: Mit insgesamt 655 Stimmen belegt „Straße für alle“ den prominenten zweiten Platz. „Zebra-Zone“ liegt mit 270 Stimmen auf Platz drei, in Anlehnung an den Zebrastreifen, der übrigens auch eine Erfindung der Abendblattleser ist (siehe Kasten). Für „Rücksichtszone“ stimmten 260 Leser.

Auf Platz fünf steht „Toleranzverkehr“ (257 Stimmen). Auch der wohl kreativste Name fand einige Zustimmung bei den Lesern: „Efa“, für „Eine für alle“ wünschen sich 237 der teilnehmenden Leser. Kurz darauf folgt „Fairkehr“ (Fairer Verkehr) mit 219 Stimmen. „Geh-Fahr-Straße“ traf auf 101 Zustimmungen. Moralisch wünschen es sich 43 Teilnehmer: „Gutwillstraße“. Auch auf dem letzten Platz steht ein einfallsreicher Begriff: Allbahnstraße. Und diese Idee deutet an: Auf einer Straße für alle führen viele Wege ans Ziel. (Die Angaben stammen aus gerundeten Prozentwerten.)

„Gemeinschaftsstraße“ statt „Share Space“

 Posted by at 11:50
Sep. 162008
 

In der Berliner Zeitung lesen wir heute:

Berliner Zeitung – Aktuelles Wissenschaft – Deutsche finden fremdartige Raubameise
Washington/Karlsruhe – Karlsruher Forscher haben im brasilianischen Regenwald die primitivste lebende Ameise gefunden. Das Tier erschien ihnen so fremd, als stamme es von einem anderen Planeten.

Daher wählten sie den Namen Martialis heureka – etwa: «Hurra, ich habe die gefunden, die vom Mars stammt». Nach einem Gentest – die DNA dafür stammte aus dem rechten Vorderbein – wurde die neue Art in eine eigene Unterfamilie geordnet.

Wie ist dieser neue Name zu beurteilen? Er scheint dem anerkannten Gebot der internationalen zoologischen Verbände gerecht zu werden, Lateinisch zu sein oder wie Lateinisch zu klingen. Aber aufgepasst! Heureka ist griechisch. Es heißt: Ich habe gefunden – ein resultatives Perfekt. Martialis wiederum klingt nicht nur lateinisch, es ist sogar Lateinisch! Das Wort bedeutet tatsächlich „zum Mars gehörig“. Es diente auch als geläufiger römischer Vorname. Doch Vorsicht: In diesem lateinisch-griechischen Mischgebilde müsste das Adjektiv im Akkusativ stehen. Also „Martialem heureka“.  So würde es mir gefallen. Bin ich mit dieser Korrektur ein Besserwisser und Nörgler? Nein – nur ein Sprachpfleger.

Denn ich meine: Griechisch, Latein und Hebräisch – diese drei Sprachen stehen am Anfang unserer gemeinsamen europäischen Kultur. Sie bergen den Mutterboden. Es sollte zu allen Zeiten einige, oder besser viele Leute geben, die sich um sie kümmern, die sie erlernen und an die Jugend weitergeben.

Es gilt nicht nur, brasilianische Raubameisen zu benennen, sondern die Grundworte unseres Denkens weiterhin verständlich zu halten.

 Posted by at 11:29
Aug. 172008
 

Der Urlaub im türkischen Kadikalesi nahe Bodrum brachte wunderbare Begegnungen, Entspannung, Spaß, Freude mit meinen russischen Schwiegereltern, aber leider auch den furchtbaren Schatten des Kaukasuskrieges, der sich über die letzte Woche legte. Wir kennen viele Georgier, die Georgier gelten in Russland als lustiges, lebensfrohes Völkchen, über das endlose Anekdoten kursieren. Und dann das! Längere Sitzungen am Internet waren unvermeidlich. Meine Türkischkenntnisse besserten sich rapide – jede Woche ein neues Wort! Unsterbliche Dialoge entspannen sich – auf russisch und türkisch gemischt, da ich als Russe galt und am „Russentisch“ saß, wie das Gevatter Thomas Mann genannt hätte. Einen dieser Dialoge will und darf ich euch nicht vorenthalten:

Türkischer Kellner Achmed: „Mozhna?“ (Das ist russisch, zu deutsch: „Darf ich den Teller abräumen, den Sie da eben so unordentlich leergegessen haben?“) Ich: „Evet!“ (Das ist türkisch, zu deutsch: „Ja, sehr freundlich von Ihnen und nehmen Sie doch bitte auch die Gabel mit.“) So leicht ist Türkisch!

Aber insgesamt waren die Türken sehr belustigt und erfreut, dass sich jemand mit ihrer Sprache Mühe gab. Ich glaube, das hatten sie noch nicht erlebt. Mein Sohn Wanja schwamm lange Strecken, baute Muskelmasse auf, und forderte alle möglichen Jungs zum Kräftemessen heraus. Sein Spitzname: Klitschko, Liebling der Türken. Als Klitschkos Vater hatte ich ebenfalls einen Stein im Brett. Im Hotel weilten ansonsten 50% türkische Gäste, 20% Russen und 30% Litauer und Letten. Was für eine Mischung – das ist das neue Europa!

Wir gaben auch zwei Zimmerkonzerte, Wanja und ich mit meiner Frau, denn wir Männer hatten unsere Geigen mitgenommen, sie ihre Stimme sowieso. Ich wage zu behaupten, dass ich der erste Mensch war, der Bachs g-moll-Solosonate in Kadikalesi spielte, und zwar zum Rufe des Muezzin, mein Sohn spielte „Hänschen klein“, wohl auch als Erstaufführung.

Kleinasien – das ist ja auch die Geburtsstätte Europas. Wir sind alle Kultur-Schuldner Asiens. Die herrliche europäische Leitkultur ist samt und sonders in Kleinasien entsprungen: Homer stammt von hier, Herodot sowieso, ionische Naturphilosophen Kleinasiens stellten die ersten Fragen nach dem Woher und Wozu. Erst später trat Athen in diese durch Asien gebahnten Denk- und Dichtwege.

Ein Ausflug führte uns nach Ephesus, das heutige Efes. Paulus, der eigentliche Schöpfer des Christentums, hatte sich hier auf den Marktplatz gestellt und den staunenden Bewohnern verkündet: „Ich bringe euch den unbekannten Gott!“ Sie glaubten ihm nicht. Aber – ich stellte mich unter den Tausenden von Touristen ebenfalls in die Überreste des antiken Bouleuterions, des Gerichts- und Versammlungstheaters, in dem Volksversammlungen, Gerichtsverhandlungen und künstlerische Darbietungen erfolgten. Was für ein Gefühl! 1200 Menschen passten hier hinein. Ich erprobe den Ruf, ein Satz fliegt mir zu – etwa von Göttin Diana? – ich spreche ihn laut aus in die sengende Hitze, und er klingt zurück von den steinernen Rängen, klar, vernehmlich, verstärkt. Er lautet:

„Wenn wir alle zusammenstehen, dann wird es gelingen!“ Das Foto zeigt mich in Ephesus, während ich eben diesen Satz ausspreche.

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Riccardo Zipoli lehrt uns einen neuen Blick auf das Eigene

 Leitkulturen, Sprachenvielfalt  Kommentare deaktiviert für Riccardo Zipoli lehrt uns einen neuen Blick auf das Eigene
Juli 062008
 

freundschaftsinsel11062008003.jpg Riccardi Zipoli, der italienische Iranist und Photograph, hat eine neue Galerie mit Fotos aus Potsdam ins Netz gestellt:

Riccardo Zipoli Photographer

Die Fotos lösen Erinnerungen in mir aus. Ich durfte vor einigen Wochen als erster Deutscher überhaupt einige Gaselen des Dichters Bidel (Mawlānā Abul Ma’āni Abdul Qader Bedil) ins Deutsche übertragen und der deutschen Leserschaft vorstellen. Riccardo Zipoli hatte diese Verse des indischen Dichters erstmals ins Italienische übertragen, ich übertrug sie ins Deutsche. Die Übersetzung erblickte auf der Freundschaftsinsel Potsdam das Licht der Welt, bei der Eröffnung einer Fotoausstellung mit Riccardo Zipoli.

Bidel lebte von 1642-1720. Er wirkte in Indien und schrieb in Persisch, der höchst entwickelten Sprache der Poesie und der Hochkultur, die weit über die Grenzen des Irans hinaus ausstrahlte.

Zahlreiche Motive, mit denen Bidel spielt, finden sich auch in den Dichtungen der Europäer – so etwa das Motiv der Rose. Die Rose verkörpert unsäglichen Reiz, Schweigen unter so vielen Augenlidern. Eine der vielen Entlehnungen, die der Westen aus der orientalischen Poesie übernommen hat, neben zahlreichen formalen Abhängigkeiten. So entstammt etwa das Prinzip des Reims nicht der griechisch-römischen Antike, sondern den orientalischen Hochkulturen.

Hier zwei Gaselen des Bidel, durch Zipoli aus dem Persischen ins Italienische übersetzt, und von mir aus dem Italienischen ins Deutsche übersetzt:

Der sinnlose Anblick dieses Daseins verlangt keine Bekräftigung,

wenn du eine gespiegelte Rose betrachtest, rieche nicht den Spiegel.


Wie Rosenduft hat meine Welt alle Hüllen verloren,

all die Luft, die mich umgibt, ist Spiegel meinem Bilde.

Die Bilder des Ricardo Zipoli verströmen auch im Internet eine Art meditativen Sog. Ich empfehle sie – vor oder nach dem Lesen orientalischer Dichter.

Diese Fotos zeigen uns Vertrautes – etwa Berlin oder Potsdam – mit den Augen eines Fremden. Sie erheben flüchtige Augenblicke zu Spiegelungen des Statischen. Der Fremde wird zum Freund, wenn er uns erlaubt, das, was er gesehen hat, nachzuvollziehen. Dieser Blickwechsel ist es, den Bidel immer wieder vollzogen hat – seine Spiegel-Gaselen legen Zeugnis davon ab. Und so spiegelt 5 Jahrhunderte später Zipoli dann in seinen Fotos aus Venedig oder Potsdam genaus dieses Hin- und Herschwingen zwischen Eigenem und Fremdem wider.
Das Foto hier oben zeigt Rosen auf der Freundschaftsinsel Postsdam, aufgenommen von mir am 11.06.2008.

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