Feb 022009
 

… fragte ich ungläubig eine Russin, nachdem wir zusammen in Moskau einen sowjetischen Film aus dem Jahr 1985 betrachtet hatten. In diesem Film bricht ein georgischer Bergbauer mit seinem Enkel zusammen in die ferne Stadt auf, um eine neue Sorte Birnbaum zu beschaffen, die dann in den Obstplantagen im georgischen Bergland angepflanzt werden soll. Sie wandern frohgemut dahin und brechen immer wieder in herrliche georgische Lieder aus, die mich stark an die bairischen Jodelgesänge aus der Heimat meiner Mutter, Berchtesgaden, erinnern. Aber – so wie die Bayern ja auch weidlich Hochdeutsch sprechen – so verständigen sich die Georgier eben auch mit der Außenwelt in einem fließenden, wenn auch nicht akzentfreien Russisch.

Denn bei allem, was man gegen die Sowjetunion einwenden mag: Mindestens hatten die etwa 100 Völker eine gemeinsame Sprache – das Russische. Es war bereits vor der Revolution – auch mit Zwang, also gewaltsamer Russifizierung –  durchgesetzt worden, aber auf längere Sicht erwies sich die gemeinsame Verständigungssprache als großer Vorteil. Es gab eine große Mobilität, sowohl geographisch wie auch hierarchisch. Wer Russisch beherrschte, dem standen bei guter Leistung und bei politischer Gefügigkeit alle Positionen offen. Von daher die große Zahl an Nichtrussen, die es bis in die höchsten Ämter brachten, die in Politik, Wissenschaft und Kultur herausragende Rollen spielten. Man denke nur an den ehemaligen Außenminister Schewardnadse.

Dass man in Moskau Schilder und Hinweise in den verschiedenen 10 oder 12 Minderheitensprachen anbringen würde, würde den Bewohnern wohl eher wie ein Witz vorkommen. Wenn es im Moskauer Park etwa georgische Hinweisschilder gäbe: „Hier keine Grillfeuerchen machen!“, dann würden sie den Russen den Vogel zeigen und fragen: „Für wie dumm und unflätig haltet ihr uns eigentlich? Glaubt ihr denn, wir können kein Russisch?“

Das fiel mir wieder ein, als meine russische Frau vor wenigen Tagen Post von Katrin Lompscher bekam, der Berliner Senatorin. In deutscher und russischer Sprache. Es geht um eine Erhebung zur Lage der deutschländischen Frauen. Zwar lebt meine Frau schon 15 Jahre in Deutschland, dennoch traut es ihr Senatorin Lompscher offenbar nicht zu, dass sie jetzt bereits Deutsch kann. Ein weiterer lustiger Fall: Auch die Parkordnung am Kreuzberg, die Müllordnung in unserem Prinzenbad ist in türkischer Sprache auf den Schildern angebracht. Die Botschaft ist klar: „Der deutsche Staat erwartet nicht, dass ihr Deutsch lernt, vielmehr wendet sich der deutsche Staat in euren Herkunftssprachen an euch. Ihr seid wie Kinder.“ Dasselbe gilt auch für die Bekanntmachung zur Einschulung, die ich ebenfalls Jahr für Jahr in deutscher und türkischer Sprache an den Litfasssäulen finde.

Die Russen in Berlin, mit denen ich spreche, sind fassungslos ob dieses lächerlichen Theaters: „Wie geht ihr mit den Türken um! Ihr verwöhnt sie und — ihr entmündigt sie und uns doch, wenn ihr von denen und von uns nicht verlangt, dass sie und dass wir Deutsch erlernen!“

In dieselbe Kerbe haut auch Seyran Ateş, deren Buch Der Multikulti-Irrtum ich gerade lese. Sie schreibt auf Seite 236: „Eigentlich sollte es selbstverständlich sein, dass man die Sprache des Landes spricht, in dem man lebt.“ Wie fast alles, das diese Frau schreibt, so gefällt mir insbesondere auch ihr deutlicher Einsatz für Mehrsprachigkeit.

Schaffen wir Beispiele — in Berlin, in Deutschland — und vielleicht auch in der Türkei? Auch dort tut sich ja vieles, denn es gibt neuerdings sogar einen kurdischen offiziellen Radiosender. Das ist doch schon ein Anfang, der Vater von Frau Ateş würde sich freuen! Denn er ist Kurde, brachte seiner Tochter aber seine Muttersprache nicht bei. Denn Kurden, die gab offiziell es nicht. Das waren die Bergtürken. Von ihnen wurde Assimilation verlangt.

Das Buch gibt es mittlerweile in einer wohlfeilen Taschenbuchausgabe:

Seyran Ateş: Der Multikulti-Irrtum. Wie wir in Deutschland besser zusammenleben können. Ungekürzte Ausgabe im Ullstein Taschenbuch. Berlin 2008. Euro 8,95

 Posted by at 18:28

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