Nov. 212011
 

Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen und Rheinland-Pfalz sind die Bildungssieger, wie der aktuelle SPIEGEL auf S. 71 berichtet. „Bayern und Baden-Württemberg, die Seriensieger in Bildungsvergleichen, schneiden insgesamt hervorragend ab“ (SPIEGEL Nr. 47, 21.11.2011, S. 72).

Woran mag das liegen? Sicher nicht am Geld, auch nicht an der Bildungsinfrastruktur, denn auch mit mehr Geld und besserer Bildungsinfrastruktur schaffen es andere Bundesländer nicht, die beiden Südstaaten einzuholen. Liegt es an der jahrzehntelangen CDU/CSU-Herrschaft in den vier genannten Südstaaten? Oder wählen erfolgreiche Bundesländer CDU/CSU?

Nein, das wäre zu grob vereinfachend. Daran mag aber soviel richtig sein, dass Bildungslandschaften Jahrzehnte und Jahrhunderte brauchen, um einen hohen Stand zu erreichen. Die historisch-geographische Lage ist sicherlich ein Schlüssel für das Verständnis der Süd-Nord-Spaltung der Bildungsrepublik Deutschland.

Denn die genannten vier Bundesländer verbindet, wie ein Blick in jeden Geschichtsatlas lehrt, eines: Sie haben eine jahrhundertelange Tradition der kleinräumigen Eigenständigkeit, sie sind gekennzeichnet durch ein dichtes Netz an konfessionell, kommunal und regional getragenen „Pflanzstätten der Bildung“. Ein typisches Beispiel dafür ist das berühmte Tübinger Stift, aus dem Schelling, Hölderlin und Hegel hervorgingen. Die zahlreichen städtischen Volksschulen Bayerns mit ihrem täglichen gemeinsamen Singen von Schülern und Lehrern sind ebenfalls ein Faktor, der den überragenden Erfolg des bayerischen Schulwesens zu erklären vermag.

Die vier Bildungssieger widersetzten sich stets dem Gedanken eines starken deutschen Zentralstaates. Sie sind die „Abweichler“ vom starken Zentralstaat, die sich übrigens auch dadurch auszeichneten, dass in ihnen vor 1933 die extrem zentralistische NSDAP nie so stark war wie in den nördlichen und östlichen Teilen des Deutschen Reiches.

Die südlichen Königreiche Bayern (mit Rheinkreis) und Württemberg, das Großherzogtum Baden, das Königreich Sachsen bildeten mehr oder minder vollständig jenes eine Drittel des Deutschen Reiches, das vor 1871 nicht zum Königreich Preußen gehört hatte! Die nördlichen Bundesländer hingegen, die zum stark zentralisierten Preußen gehörten, bilden ausweislich des aktuellen SPIEGEL die untere Häfte des Bertelsmann-Bildungsatlanten. Die stark regional, kommunal und kirchlich geprägten südlichen Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg, in geringerem Umfang auch Sachsen segeln seit Jahrzehnten mit vollen Segeln den anderen Bundesländern voran.

Die Verantwortung weg vom Zentralstaat auf die jeweils niedrigste Ebene zu verlagern oder auf ihr zu halten, das ist der Kerngedanke der Subsidiarität.

Der druckfrische SPIEGEL feiert einen großartigen Sieg für die Subsidiarität, er liefert ein klares Votum gegen den Zentralismus in der Bildungspolitik.

SPIEGEL ONLINE Forum – Braucht der Bund mehr Kompetenz in der Bildungspolitik?

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Sind die Grünen konservativ oder reaktionär? Ist die SPD konservativ oder reaktionär?

 Etatismus, Grünes Gedankengut, Konservativ, Sozialismus, Systemfrage, Überversorgung  Kommentare deaktiviert für Sind die Grünen konservativ oder reaktionär? Ist die SPD konservativ oder reaktionär?
Apr. 142011
 

Der Regierende im Interview: Klaus Wowereit: Die Grünen agieren reaktionär – Berlin – Tagesspiegel
Sie sagten, die Grünen seien „im Prinzip eine konservative Partei“.Sie zitieren aus einer nichtöffentlichen Sitzung. Dieses Zitat ist aus dem Zusammenhang gerissen und pauschalisiert worden. Bei bestimmten Themen wie den Vorbehalten gegen Touristen in Kreuzberg agieren die Grünen konservativ bis teilweise reaktionär.

Ein klares Bekenntnis zum Anstieg der Staatsquote legt Klaus Wowereit ab. Wenn  die städtischen Wohnungsunternehmen noch zusätzlich bauen oder zukaufen sollen, wird dies die Staatsquote von jetzt ca. 60% weiter nach oben treiben – mit all den bekannten (verheerenden?) Folgen an Ineffizienz, die man aus einigen Jahrzehnten West-Berliner Vetternwirtschaft kennt. Dabei sind Sozialwohnungen jetzt im Durchschnitt sogar teurer als frei finanzierte Wohnungen. Das sagt doch alles! Der Staat kann es nicht besser als die Privaten.

Der Vorwurf Wowereits an die Grünen, sie seien reaktionär oder auch konservativ, fällt letzlich auf ihn selber zurück: Wer weiterhin auf die Lenkungs- und Heilungskräfte der staatlich gelenkten Wirtschaft setzt, sehnt sich zurück in alte Zeiten des Fürsorge- und Vorsorgestaates.

Ich meine: Das ist vorbei. Weg mit der Verschwendung! Es gilt nach vorne zu schauen. Neue Wohnungen sollen die Privaten bauen, finanzieren und bewirtschaften.

 Posted by at 23:42
Feb. 072011
 
Der arme Kreuzberger Blogger spricht sich hiermit gegen eine übertriebene Personalisierung politischer Systemfragen (etwa: „System L.“) aus. Ich meine: Das Hauptproblem in Berlin mit seiner Staatsquote von 60% (!) war und ist, dass zu viel staatliches erborgtes Geld ohne echte parlamentarische Kontrolle im Umlauf ist und dass der Staat weiterhin viel zu stark als Akteur auf dem Immobilienmarkt und im Bankwesen auftritt. Hau weg!

Ansonsten aber: gutes Interview mit Jochen Esser.

„Ein Abenteuer für sechs bis sieben Milliarden Euro“ – Berliner Zeitung

 Posted by at 12:29
Juni 062010
 

 Hilfe erzeugt Abhängigkeit. Hilfe macht unmündig. Ringsum sehe ich in Kreuzberg Gebirge der Abhängigkeit aufgetürmt! Die verheerenden Auswirkungen der bedingungslos auf Dauer gewährten Sozialhilfe sind unter den Kennern längst unbestritten: Die einzelnen lernen es nicht, für sich selbst zu sorgen. Es gibt keinen Anlass zu lernen oder einer geregelten Arbeit nachzugehen oder hinterherzuziehen. Familien zerbrechen, da im deutschen Sozialstaat der einzelne eine ganze Latte von Ansprüchen direkt gegen den Staat geltend machen kann. Der Staat wird als Gegenstand der Ausplünderung gesehen. Die Familie als primäres Netz sozialer Sicherheit wird ausgelöchert.

Dauerhafte Hilfe erzeugt Unmündigkeit. Was für den deutschen und mehr noch den ausländischen Sozialhilfeempfänger in Deutschland gilt, das stimmt auch für ganze Staaten und Kontinente.

Das deutsche Sozialhilfesystem muss dringend effizienter gestaltet werden.  Es muss darauf angelegt werden, die Menschen zu aktivieren, statt Unmündigkeit zu erzeugen.

Yinka Shonibare, der nigerianische Künstler, der derzeit in der Friedrichwerderschen Kirche in Berlin ausstellt, sieht dies in einem Interview ganz ähnlich:

Deutschlandradio Kultur – Thema – „Hilfe erzeugt Abhängigkeit“
Was nun Hilfe angeht, so halte ich die Hilfslieferungen für die schlimmste Politik überhaupt, denn Hilfe erzeugt Abhängigkeit.

Hilfe ist eigentlich das Schlimmste, was man den afrikanischen Ländern antun kann. Die Situation hat sich doch durch die Hilfsleistungen nicht wesentlich gebessert, sie hat im Gegenteil die Selbsthilfekräfte der Afrikaner gelähmt, es hat sie daran gehindert, zu Schmieden ihres eigenen Glücks zu werden.

Diese Hilfe ist im Grunde nur ein Vorwand dafür, die Länder weiter auszuplündern. Die Hilfe landet ja nur in den Händen einiger weniger Mächtiger, die die in die eigene Tasche stecken. Die Hilfe versetzt die Afrikaner auch in die Lage von unmündigen Kindern, sie ist wie ein Schnuller, den man den Säuglingen in den Mund steckt, damit sie endlich Ruhe geben. Und so hat also diese Hilfe nichts Gutes bewirkt. Man sollte sie sofort ändern.

Worum es letztlich geht, ist, Infrastruktur zu schaffen, Bildung anzubieten, damit die Afrikaner selbst ihr Schicksal meistern können. Das wäre viel besser, als Hilfe zu bieten.

 Posted by at 20:53
Nov. 222009
 

Ein echter Meister der falschen Fährten, ein brillanter Taktiker des Wahlkampfs und der Parteiarbeit war  – Konrad Adenauer. Mit der Bundesrepublik Deutschland brachte er mit anderen zusammen eins der größten Experimente auf den Weg! Die Verabschiedung des Grundgesetzes, die Saarfrage, die Wiederbewaffnung, die Westbindung – das alles waren gewaltige Vorhaben, die zum Teil gegen bestehende Mehrheiten, gegen den Rat der Fachleute, gegen Widerstände in der eigenen Partei durchgesetzt wurden! Dennoch wurde er 1957 bekannt mit dem treuherzigen Slogan: „Keine Experimente!“ Gemeint war natürlich: „Keine zusätzlichen Experimente mehr!“  Schlau, schlau!

Seine neugegründete Partei, die CDU, erreicht in den ersten Wahlen zum Deutschen Bundestag aus dem Stand heraus fast soviel Stimmen wie die Unionsparteien 2009 einsammeln konnten (1949: 31%, 2009: 33,8%). Die CDU ist DIE große Erfolgsgeschichte in der deutschen Parteienlandschaft. Dabei war sie ausdrücklich als Union gegründet worden, also als Bündnis verschiedener Kräfte, die sich zunächst von den „Altparteien“ absetzen wollten.

Ich lese immer wieder mit großem Gewinn in den Protokollen des CDU-Bundesvorstandes 1950-1953. Mann, was war die CDU doch damals für eine wagemutige, kluge, nach vorne denkende Partei! „Es musste alles neu gemacht werden“, unter dieses Motto stellen die Herausgeber die internen Besprechungsprotokolle. Die meisten wichtigen Themen, die wir heute noch besprechen, wurden dort schon erörtert: z. B. der Parteienüberdruss, die ständige Suche nach Mehrheiten, der Einfluss der neuen Medien auf den Wahlkampf (damals: der Lautsprecherwagen).

Daneben bieten diese zum großen Teil wörtlichen Protokolle eine Methodenlehre der Politik! Greifen wir aus gegebenem Anlass eine Frage heraus: Wie soll sich eine Partei „im Feindesland“ verhalten? Was kann sie tun, wenn sie erkennbar eine Mehrheit der Bevölkerung gegen sich hat? Die junge CDU stand tatsächlich mitunter in dieser Position, und zwar beispielsweise im Saarland! Das Saarland wollte unter seinem beliebten Ministerpräsidenten Johannes Hoffmann weg von Deutschland, erlangte sogar für 2 Jahre die staatliche Selbständigkeit. Die CDU blieb außen vor, trat vor 1953 gar nicht an. Adenauer sagte am 26. Januar 1953 etwa folgendes: „Die Leute an der Saar wollen uns nicht … Es ist doch tatsächlich so. Die Leute haben ein vergnügtes Leben; sie haben keine Evakuierten, sie haben keinen Lastenausgleich, und es geht ihnen gut.“ Wieso hätten die Saarländer für Deutschland stimmen sollen? „Vaterlandsverräter“ scholl ihnen entgegen!

Was sagt Adenauer dazu? Er hielt solches Geschimpfe für einen schweren Fehler! „Ich komme zu der Auffassung, Herr Kaiser, daß es ein schwerer Fehler von uns gewesen ist – ich weiß, Herr Altmeier wird anderer Aufassung sein -, daß wir von Anfang an die Leute diffamiert haben, die sich losgetrennt und dem Saarregime zugestimmt haben.“ Adenauer fährt fort, damit habe man das Tischtuch zerschnitten. Man habe den Saarländern die Rückkehr nicht erleichtert. „Nun wollen wir nicht das Tischtuch zwischen uns zerschneiden, sondern sehen, wie wir die Sache allmählich wieder in Ordnung bringen. Das wäre höchstwahrscheinlich viel klüger gewesen, als die Leute einfach zu diffamieren, die – und das kann kein Mensch bestreiten – die Mehrheit dort sind.“

Wir halten fest: Adenauer besaß die Größe, eigene Fehler offen einzugestehen und daraus für die Zukunft zu lernen. Er erkannte, dass Mehrheiten nicht mit der Brechstange, nicht mit Schimpfen zu holen sind. Er sah ein, dass das trotzige  Beharren auf dem eigenen Standpunkt – sofern er eine Minderheitenposition darstellt – eher die Wähler noch stärker gegen die Partei aufbringt. Schließlich erkannte er den Zeitfaktor an: „Das Übrige müssen wir der Entwicklung an der Saar überlassen.“

Das genaue Lesen einiger Seiten aus den Protokollen vermag sicherlich dem einen oder anderen Politiker in der Ratlosigkeit des heutigen Politikbetriebes Anregungen zu verschaffen. Die 50er Jahre waren eine Zeit äußerster Wagnisse, nur dank der fundamental richtigen Einsichten und der überlegenen Strategien von Politikern wie etwa Adenauer oder Kurt Schumacher konnte diese großartige Aufbauleistung gelingen.

Quelle: Adenauer: „Es mußte alles neu gemacht werden.“ Die Protokolle des CDU-Bundesvorstandes 1950-1953. Bearbeitet von Günter Buchstab. Klett Cotta Verlag, Stuttgart 1986, hier: S. 412-413

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Juli 232009
 

Viel zu wenig beleuchtet im Tagesgespräch wurde leider eine große, vielsagende Studie über: Die Unzufriedenheit der Ostdeutschen mit der Bundesrepublik. Also – eine Unzufriedenheitsstudie! Na, das soll uns Deutschen erst einmal einer nachmachen! Auftraggeber: die Volkssolidarität, der führende Wohlfahrtsverband in den östlichen Bundesländern, der seit 60 Jahren dort besteht. Was soll die wichtigste Aufgabe des Staates sein? Darauf antworten die meisten unter allen Befragten, nämlich 47%: Die soziale Sicherheit ist der wichtigste Wert staatlichen Handelns!

Nicht Freiheit, nicht Gerechtigkeit, nicht Wohlstand, nicht “soziokulturelle Teilhabe”, sondern schlicht dies: soziale Sicherheit. Ach Vera, ach Halina, hättet ihr euch das gedacht bei eurer denkwürdigen Diskussion im Café Sybille im Februar 2009, an die ich noch gerne zurückdenke? Continue reading »

 Posted by at 23:36
Apr. 102009
 

Immer wieder lerne ich neue Wörter in meiner Muttersprache. So insbesondere dann, wenn ich mich, eingedenk des herannahenden Osterfestes, der religiösen Überlieferung zuwende. In der Zeitschrift FUGE. Journal für Religion & Moderne, Band 4, 2009, lese ich auf S. 28 folgende Sätze:

Die Bibel ist das meist-erforschte Buch der Welt. Vielleicht ist es auch der „überforschteste“ Gegenstand der Welt.

Gut, so sei die Bibel ein Kandidat für den Titel „Am meisten überforschter Gegenstand“. Ich schlage aber einen anderen Kandidaten vor: die Schule.  Was uns zu meinen Erlebnissen vom vergangenen Montag bringt.

Der kommunalpolitische Arbeitskreis der CDU Friedrichshain-Kreuzberg hatte ins Rathaus Kreuzberg eingeladen. Als Redner konnte gewonnen werden Oberschulrat Gerhard Schmid, der in der Schulverwaltung für unseren Bezirk zuständig ist.

Eine kleine Nachforschung im Internet ergibt: Schmid stammt aus meiner Heimatstadt Augsburg, er war damals einer der Wortführer der linken Protestbewegung, er wurde in der Augsburger Allgemeinen neulich sogar als der „Augsburger Rudi Dutschke“ bezeichnet! Er war also einer jener Aufrührer, vor denen meine Eltern mich besorgt warnten! Wir zitieren aus der Augsburger Allgemeinen vom 22.04.2008:

Im Frühjahr 1968 ist Schmid ein bekanntes Gesicht in der überschaubar kleinen linken Szene in Augsburg. Er organisiert die Ostermärsche, hält Vorträge über die Arbeiterbewegung und engagiert sich im Kritischen Seminar, einer Art Volkshochschule für Freidenker. Ein Kurs diskutiert über „Sexualökonomie und Orgasmustheorie“, ein anderer über die „sozialökonomische Struktur Südvietnams“.

Schmid ist so etwas wie der Augsburger APO-Chef. Dazu hat ihn zwar nie jemand gewählt, doch irgendwie, sagt er, habe er „das Ganze zusammengehalten“. Die Demonstrationen gegen die Notstandsgesetze und den Krieg in Vietnam, die Schulstreiks und Sitzblockaden, die quälend langen Debatten mit Jungsozialisten und Jungdemokraten. „Heuchler und kalte Krieger“ sind sie 1968 für ihn, den Unangepassten. Wenige Wochen nach dem Happening in der Sporthalle schließt die SPD Schmid wegen „groben Verstoßes gegen die Parteigrundsätze“ aus. Heute sagt er: „Wir waren völlig verblendet.“

Was ihn aber heute nicht daran hindert, in der Schulverwaltung als Vertreter der Staatsmacht zu agieren. So sieht also der Marsch durch die Institutionen aus. Die CDU lädt einen Rudi Dutschke zu sich ein – und er stößt auf waches Interesse. So muss es sein!

Was sagt nun die Forschung zum gegenwärtigen Zustand unserer Schulen? Laut Schmid besteht keinerlei Anlass zu einer Strukturdebatte. Es gebe laut neuesten Forschungsergebnissen keinen erkennbaren Zusammenhang zwischen Schulform und Lernerfolg. Ein hochgradig gegliedertes Schulsystem könne ebensowohl sehr gut als auch weit unterdurchschnittlich abschneiden, wie ein Vergleich zwischen Bayern und Berlin lehre. Die gleiche Variationsbreite herrsche bei Einheitssystemen – hier fällt mir der überlegene Stand der Schulbildung in der früheren Sowjetunion im Vergleich zu den USA ein. Entscheidend sei, fuhr Schmid fort, die Qualität des Unterrichts, nicht die Schulstruktur.

Damit stellte sich Schmid sozusagen von Anfang an windschief zu den verschiedenen Konzepten der Berliner Parteien. Die Parteien bosseln eifrig an Schulreformen und  Strukturdebatten, an Test-Ergebnissen, und üben sich in Unkenrufen. Als Mitglied der Schulverwaltung sieht Schmid hingegen seine Aufgabe eher darin, Erfahrungen  aus dem Schulalltag in Empfehlungen umzumünzen. Die Fachleute aus der Bildungsverwaltung, zu denen Schmid gehört, bereiten sich jetzt bereits darauf vor, die zu erwartenden Vorgaben der Berliner Landespolitik möglichst sinnvoll umzusetzen. Ideologie und Parteienbindung spielt dabei keine Rolle mehr. Das finde ich höchst erfreulich, denn seit meiner eigenen Schulzeit sind die Bildungseinrichtungen ein hart umkämpftes Feld für Weltverbesserer und Abendlandsretter geworden. Diese Streiterei ist ihnen insgesamt nicht gut bekommen.

Ich habe nicht den Eindruck, dass der rot-rote Senat und die drei Oppositionsparteien mit ihren Gegenentwürfen tatsächlich das angesammelte Wissen aus den Schulämtern abrufen. Mein Eindruck bestätigte sich auch an diesem Abend.

Einigkeit schien zu herrschen: Alle Schulformen, alle Schüler müssen in dem gestärkt werden, worin sie gut sind – oder gut sein können. Praktische Begabungen sollen stärker zur Geltung kommen, etwa in dem neuen geplanten P-Zweig. Schmid berichtet anschaulich und überzeugend von Planungen, wonach in den P-Zweigen (den Nachfolgern der jetzigen Hauptschulen), Werkstätten eingerichtet werden sollen, in denen die jungen Leute mit ihrer eigenen Hände Arbeit Erfolg und sogar ein kleines Einkommen erzielen sollen.

Die gesamte zweite Hälfte des Abends und die Aussprache kreisten mehr um die Menschen, die in der Schule aufeinandertreffen. Welche Haltungen sind bei Schülern und Lehrern nötig, damit Schule gelingt? Welche Rolle spielen Fleiß, Konzentrationsfähigkeit, Sprachkenntnisse, Tugenden wie Verlässlichkeit, Pünktlichkeit, Pflichtgefühl, Höflichkeit?

Recht ketzerisch und spielverderberisch meldete ich mich zu Wort und wagte den Einwand: Wenn Fleiß, Konzentrationsfähigkeit, gute Sprachkenntnisse, Tugenden wie Verlässlichkeit, Pünktlichkeit, Pflichtgefühl, Höflichkeit zusammenkommen – könnten wir uns dann die gesamte Debatte über Schul- und Unterrichtsformen sparen? Brauchen wir nicht eine andere Grundhaltung? Brauchen wir nicht – mehr als alles andere – einen Mentalitätswandel? Sind die endlosen Berliner Diskussionen um die Bildungspolitik im Grunde Schaukämpfe, die vom eigentlichen Problem ablenken? Ich schlug vor, ganz massiv an die Eltern heranzutreten und sie mit gezielter Mentalitätsbeeinflussung zu einer lernfreundlichen Haltung umzuorientieren. Die Kinder brauchen eine Umgebung, die sie zum Lernen ermuntert. Dazu gehört eine Abrüstung beim exzessiven Medienkonsum, frühe und bevorzugte Befassung mit der deutschen Sprache, Aufbrechen des „Migranten-„Ghettos, Selbstbefreiung aus dem Gestrüpp der Vorurteile. Es regte sich – kein Widerspruch. Ich hege die Vermutung, dass ein Großteil der Versammlung dieser Ansicht zuneigte.

Beim Nachdenken über diesen hochgelungenen Abend fällt mir noch ein Bericht über Michelle Obama ein. Im Gespräch mit französischen und deutschen Schülern, das im ZDF wiedergegeben wurde, erklärte sie vor wenigen Tagen sinngemäß:

„Ich hab mir immer Mühe gegeben, etwas zu lernen. Viele schwarze Mitschüler  haben mich damals schief angekuckt und gesagt: Du redest ja wie eine Weiße! Das hab ich auf mich genommen. Ich war eine Streberin. Das war voll uncool. Ich wollte gut sein in der Schule.“

Und genau diese Haltung brauchen wir auch in Berlin. An der Art der Schule liegt es sicher nicht, wenn Bildungsgänge scheitern. Keiner ist Opfer seiner Herkunft – niemand ist durch seinen Migrationshintergrund daran gehindert, in der Schule und im Leben Erfolg zu haben. Jede und jeder kann es schaffen. Evet, we can.

 Posted by at 22:27
März 132009
 

Mehrfach hatten wir in diesem Blog auf Bismarck als einen wesentlichen Schöpfer unseres heutigen Sozialstaates hingewiesen, so etwa am 20. und 21.02.2009.  Und am 09.03.2009 zitierten wir einen unglücklichen Bordellbetreiber, der dem guten deutschen Sozialstaat die Schuld an seiner kriminellen Karriere gab: „Wenn es den Sozialstaat nicht gäbe, wären wir nicht hier.“ Ist der Sozialstaat an allem schuld?

Ist also Bismarck für alles in Haft zu nehmen? Der Bericht im aktuellen SPIEGEL, Nr. 11/2009 „Geschlossene Gesellschaft“ ist da recht unerbittlich. Michael Sauga analysiert das Auseinanderfallen von „ganz arm“ und „ganz reich“. Es ist eine unleugbare Tatsache, dass das reale Nettoeinkommen bei den reichsten 10% der Bevölkerung seit 1992 um 31 Prozent zugenommen, bei den ärmsten 10% dagegen um 10% abgenommen hat. Die Oberschicht reproduziert sich weitgehend selbst, unabhängig von Leistung und Verdienst. An keiner Stelle wurde versucht, die bismarckschen Grundpflöcke des obrigkeitlich verordneten Sozialstaates zu versetzen. Es hat seit 1888 nie mehr eine durchgreifende Sozialreform in Deutschland gegeben! Sauka schreibt:

„Doch wann immer im Nachkriegsdeutschland eine wichtige sozialpolitische Weichenstellung anstand, setzten sich die Bismarck-Jünger durch. Von der Rente bis zur Pflege wurden die wichtigsten Zweige des Wohlfahrtsstaates als Versicherungskasse organisiert, zum Nutzen der bessergestellten Stände und nicht zuletzt der politischen Klasse. Sie merkte bald, welch geeignetes Instrument ihnen das deutsche Sozialstaatsmodell in die Hände gab, sich als Wohltäter des kleinen Mannes zu inszenieren.“

Der Spiegel 11/2009, S. 64

Damit trifft er den Nagel auf Kopf. Kaum irgendwo wird das deutlicher als im Bundesland Berlin, wo die Parteien, allen voran die SPD und die CDU, über Jahrzehnte hinweg ein sattes Klienteldenken gepflegt und gehätschelt haben. Durch großzügig ausgereichte Wohltaten sicherten sich die Mehrheitsparteien die Zustimmung beim gemeinen Volk. Wer besser und glaubwürdiger versprach, der gewann die Wahlen.

Das ging gut, solange die Wirtschaft insgesamt sowohl nominal als auch real wuchs. Und jetzt geht es eben nicht mehr gut. Wir haben es nicht nur mit schrumpfenden Städten, sondern auch mit schrumpfenden Wirtschaften zu tun. Die eherne Voraussetzung, auf die Ludwig Erhard sein Modell der sozialen Marktwirtschaft gegründet hatte, nämlich das beständig steigende Einkommen in allen Schichten des Volkes, bricht unter den Füßen weg.

Das Umdenken fällt sehr, sehr schwer! Finanzsenator Sarrazin, ein aufrechter Einzelkämpfer, konnte sich zeit seines Amtes nicht an die Berliner Denke anpassen und machte seinem Ingrimm durch allerlei spöttisch-kantige Sprüche Luft. Er wusste sich keinen anderen Ausweg mehr. Doch Berlin hat ihn nicht so recht verstanden. Sarrazin erkaufte sich keine breite Zustimmung durch die Massen, er wurde zum Risiko für seine Partei und deren Regierungsmacht.

Dabei böte die Krise die Chance zu echten Reformen. Allerdings müsste der Staat sich dazu auf seine Kernaufgaben besinnen: Herstellung der Chancengleichheit für alle, Verhinderung von ungehemmter Ausbeutung der Machtpositionen durch die „Geschlossene Gesellschaft“ der Mächtigen, Schutz aller vor Hunger, Obdachlosigkeit und schwerer Verelendung, Durchsetzung des Gewaltmonopols, Durchsetzung des Rechtsstaates. Von der Vorstellung, dass jeder und jede möglichst viel vom großen Kuchen heraushacken soll, gilt es sich zu verabschieden.

Dieses Ausbeutungsdenken gegenüber dem von vielen erwirtschafteten Reichtum zeigt sich erneut in den üppig ausgezahlten Boni und Abfindungen der Banken und Versicherungen: Trotz Verlusten in Rekordhöhe zahlen Banken und Versicherungen ihren Führungskräften Boni in Millionenhöhe aus. Ein Beispiel von vielen, das die Berliner Zeitung heute berichtet:

Die Gesamtbezüge der Allianz-Vorstände gaben im Jahresvergleich um fast ein Drittel auf 26,3 Millionen Euro nach. Top-Verdiener war Allianz-Chef Michael Diekmann, der allerdings mit 3,8 Millionen Euro rund 27 Prozent weniger erhielt als vor einem Jahr. Der Anfang des Jahres aus dem Vorstand ausgeschiedene frühere Dresdner-Bank-Chef Herbert Walter blieb 2008 mit 1,06 Millionen Euro und fast um zwei Drittel unter dem Vorjahresbezügen. Er erhält allerdings – wie bereits bekannt – zudem für die vorzeitige Auflösung seines Arbeitsvertrags eine Abfindung von knapp 3,6 Millionen Euro. Die Dresdner Bank war tief in den Strudel der Finanzkrise geraten und hatte ihre einstige Konzernmutter Allianz im vergangenen Jahr mit einem Minus von 6,4 Milliarden Euro schwer belastet.

Die athenische Demokratie, häufig genug als Modell der Demokratie schlechthin gepriesen, hatte ein sehr ausgeprägtes System der Verhinderung von Übermacht: wer zu reich oder zu mächtig wurde, dessen Einfluss wurde per Volksentscheid eingedämmt, bis hin zur Verbannung. Ein drastisches Mittel, das heute mit dem Rechtsstaaat kollidieren würde!  Aber Machtbegrenzungsmechanismen braucht jede funktionierende Demokratie. Die unsrigen sind nicht zielgenau genug. Das ganze System lädt zur fröhlichen Selbstbedienung auf Kosten des Gemeinwohls ein, und zwar quer durch alle Einkommensklassen.

Nachdenken tut not. Der Fall Opel zeigt uns noch einmal eine hypertrophe Blüte des obrigkeitlichen Denkens: der Staat soll Retter spielen, er soll sich das Wohlwollen der Untertanen erkaufen, indem er ihnen den Arbeitsplatz rettet.  Die Dankbarkeit der Untertanen gegenüber dem Retter wird grenzenlos sein – mindestens bis zur nächsten Bundestagswahl.

Und Bismarck? Der kann doch nichts dafür! Er tat das, was er damals für das Richtige hielt. Dass seine Nachfahren so mutlos sein würden, konnte er nicht ahnen. Dafür ist ihm kein Vorwurf zu machen.

 Posted by at 20:34

Was ist euch lieber: Staatssozialismus oder Staatskapitalismus?

 Opel, Soziale Marktwirtschaft, Sozialismus, Staatssozialismus, Systemfrage  Kommentare deaktiviert für Was ist euch lieber: Staatssozialismus oder Staatskapitalismus?
Feb. 232009
 

Auf unsere Deutschen ist Verlass! Man hängt an Hergebrachtem, wie schön! Der Bismarcksche Staatssozialismus, der feste Glaube an den Obrigkeitsstaat wird in Krisenzeiten als einigendes Band gerne wieder aus dem Regal geholt: Der eine weiß, dass ihm laut Sozialgesetzbuch ein Auto von 7500.- ohne jede Gegenleistung als „angemessen“ zugesichert wird – das ist besser als in der DDR!  Die andere stimmt für den „VEB Opel“, denn jetzt müssen alle zusammenhalten! So jedenfalls der Befund gestern bei Anne Will, wo kein einziger der Teilnehmer sich dafür aussprach, den Autoriesen in Freiheit und Würde ohne staatliche Bevormundung so handeln zu lassen, wie das für ihn das beste ist. Das ist entwürdigend.

Man tut so, als wäre Insolvenz schlimmer als Pest, Krieg und Cholera zusammen. „Und was ist mit den 25.000 Arbeitsplätzen? Wollen Sie Hunderttausende Menschen ins Unglück stürzen, Herr Hampel?“ Das ist erneut – ein entwürdigendes Argument. Der Staat kann diese Arbeitsplätze ohnehin nicht sichern – und durch eine Insolvenz, klug begleitet, werden nicht notwendig alle Arbeitsplätze gefährdet. Ein paar Tausend Arbeitsplätze werden in jedem Fall bei Opel wegfallen müssen, denn es gibt Überkapazitäten in der Autoproduktion. Und darüber hinaus sage ich: Arbeitslosigkeit ist der Übel größtes nicht! Schlimm ist Hunger, Krieg, schwere Krankheit, Obdachlosigkeit, Terror und Herrschaft des Unrechts. Hartz-IV ist nichts Böses.

Arbeitslosigkeit ist ein wichtiger Hinweis darauf, dass eine bestimmte Art Arbeit an einem bestimmten Ort zur Zeit nicht nachgefragt wird – ein normaler Vorgang. So ist der Markt. Arbeitslosigkeit ist weder das Böse an sich, noch ist sie entwürdigend.

Dieser Wunsch nach noch stärkerer Beteiligung des Staates ist ein Schritt noch tiefer in den Staatskapitalismus. Der Staat – so wünschen viele – soll in Krisenzeiten als spendabler Onkel einspringen und die gefährdeten Firmen übernehmen. Das kann nicht gutgehen.

Was sagt Ludwig Erhard, nachdem er sich erneut im Grabe umgedreht hat, dazu? Lesen wir seinen Spruch des Tages:

„Mit der Abhängigkeit vom Kollektiv und vom Staat gewinnt der einzelne Mensch nicht Sicherheit, sondern er geht umgekehrt ihrer verlustig. Der zur Vermassung hindrängende Wohlfahrtsstaat bringt den Menschen nicht Wohlfahrt, sondern zuletzt immer nur Armut, Unordnung und sklavische Abhängigkeit. Staatskapitalismus und Staatssozialismus sind gleich fluchwürdige Formen des menschlichen Zusammenlebens und müssen in ihren Wurzeln ausgerottet werden. Freiheit und Sicherheit werden wir nur dann zurückerlangen, wenn auch der letzte Ruf nach materieller Hilfe des Staates einmal verhallt sein wird, denn solche Hilfe kann immer nur auf Kosten zusätzlicher Belastung des Staatsbürgers erfolgen.“

 Posted by at 12:25
Feb. 212009
 

Mehr zufällig war ich gestern im Zusammenhang mit der Bismarckschen Sozialversicherung auf sein Wort „Staatssozialismus“ gestoßen. Das gestern angeführte Zitat fand ich in der vortrefflichen Gesamtdarstellung „Der lange Weg nach Westen. Deutsche Geschichte 1806-1933“, S. 250. Verfasser Heinrich August Winkler gelingt es in diesem meisterhaft komponierten Werk, alle gängigen Vorurteile und fromme Wahnvorstellungen, von denen unser gemeinhistorisches Bewusstsein lebt, sachte zu entstauben und eben auch die eine oder andere Tretmine sorgsam verpackt einzubauen.

Bismarck eignet sich hervorragend dazu, unsere Vorurteilsverhaftung anschaulich zu machen. Mein grob geschnitztes Bild von Bismarck war eigentlich: Eiserner Kanzler, genialer Diplomat, Machtpolitiker, schuf durch Kriege den deutschen Nationalstaat, Vertreter des Obrigkeitsstaates, alles andere als ein Demokrat, schuf sein bleibendes Verdienst mit dem System der Sozialversicherung, Unterdrücker der Sozialisten und der katholischen Zentrumspartei, wurde leider von dem törichten Kaiser Wilhelm II. ausgebootet.

Heute las ich in der Bismarck-Biographie von Lothar Gall und in Bismarcks eigenen „Gedanken und Erinnerungen“. Ergebnis: Die oben angeführten Urteile sind nicht völlig falsch, aber sie greifen zu kurz.

Gall vertritt die Ansicht, dass Bismarck aus machtpolitischem Kalkül heraus in Beratungen mit Vertretern der Industrie die Idee einer allgemeinen Versicherung unter staatlicher Obhut und staatlicher Beteiligung ersann. Ziel war, in Bismarcks Worten: „in der großen Masse der Besitzlosen die konservative Gesinnung zu erzeugen, welche das Gefühl der Pensionsberechtigung mit sich bringt.“ Denn: „Wer eine Pension hat für sein Alter, der ist viel zufriedener und viel leichter zu behandeln, als wer darauf keine Aussicht hat“ (Gall, a.a.O. S. 605).

Bismarcks Konzept stieß auf heftigsten Widerstand bei den Linskliberalen, dem Zentrum und der Sozialdemokratie. Sie fürchteten „einen auf staatssozialistische und pseudeoplebiszitäre Elemente gestützten Neoabsolutismus“ (Gall, a.a.O. S. 606).

Und was erwiderte Bismarck auf solche Anfeindungen? Er zeigte sich erneut als der geniale Politiker, der er war – er verbat sich solche Unterstellungen nicht, sondern unterlief sie durch Zustimmung. Bismarck führte aus: „Die sozial-politische Bedeutung einer allgemeinen Versicherung der Besitzlosen wäre unermeßlich.“ Erneut verwendet er den Begriff Staatssozialismus, der ihn in der Tat zu einem Ideengeber der heutigen Linken (etwa in den Personen eines Björn Böhning oder einer Halina Wawzyniak) werden lässt.

Bismarck sagt über seine Sozialversicherung:

„Ein staatssozialistischer Gedanke! Die Gesamtheit muß die Unterstützung der Besitzlosen unternehmen und sich Deckung durch Besteuerung des Auslandes und des Luxus zu verschaffen suchen.“

Das ist die Reichensteuer, das ist der Protektionismus durch Handelshemmnisse, wie sie gerade jetzt wieder als Gedanken im Schwange sind!

Wie bewertet Gall Bismarcks Leistung beim Aufbau des Sozialstaates? Niederschmetternd! Er deutet sie nicht als bleibendes Verdienst oder systematisches Aufbauwerk, sondern als einen politischen Verzweiflungskampf, der das Wesen der Politik dauerhaft entstellt habe. Letztlich habe Bismarcks Kampf um die eigene Machtposition dazu geführt, dass man sich nur noch am Machbaren orientiere und Perspektivlosigkeit zum Prinzip erhoben habe (Gall, a.a.O. S. 607). Das herrliche Wort Perspektivlosigkeit – ich glaube, etwa ab den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts hat es eine steile Karriere hingelegt, die bis zum heutigen Tage anhält! Es gibt heute kaum ein schlimmeres Urteil als eben dies: Perspektivlosigkeit.

In solchen Kommentaren schlägt das Politikverständnis des Historikers Gall deutlich durch. Politik hätte demnach sich nicht am Machbaren zu orientieren, sondern den großen Wurf durchzuführen. Es ginge laut Gall dann bei guter Politik darum, Verhältnisse, Strukturen und Verhaltensweisen bewusst zu gestalten.

Und hier gewinnen seine Ausführung beklemmende Aktualität. Denn das sind heute noch die Pole, zwischen denen sich Politik bewegt: Politik entweder als Kunst des Machbaren – oder als kühner Ausgriff, als bewusst angelegte Reform.

Wenn man Bismarck studiert, wird man erkennen: Die bewusst angelegten, raumgreifenden  Reformen sind sehr, sehr selten, die meisten gut gemeinten Reformen versanden oder bleiben auf halbem Wege stecken. Oder sie werden irgendwann zu einer Erblast.

Vergleicht man aber Bismarck mit dem durchaus geistesverwandten russischen Ministerpräsidenten Stolypin, so wird man sagen müssen: Der erste deutsche Kanzler hat – im Gegensatz zu vielen anderen Reformern – einen Teil seiner Neuerungen durchaus zu einem bleibenden Reformwerk gestaltet. Dass seine Motive eigennützig waren, letzlich auch der eigenen Machtsicherung dienten, verschlägt nichts daran, dass die Sozialversicheurng Elend und Leiden minderte, Bindekräfte zwischen Staat und Bürgern entfaltete und gewaltsame Revolutionen wie etwa in Russland verhinderte.

Dass wir heute noch quer durch alle Parteien am Erbe des Bismarckschen Obrigkeitsstaates leiden, ist nicht Bismarck anzulasten – sondern uns! Man muss dies durchschauen. Wenn es etwa heißt: „Wir dürfen keine systemische Bank in den Konkurs treiben“, „Wir dürfen Opel nicht pleite gehen lassen“, dann zeigt sich genau jenes paternalistisch-obrigkeitliche Denken eines Bismarck wieder, das ich für schwer vereinbar mit einer freiheitlichen Demokratie im Sinne unseres Grundgesetzes halte.

In den Reformdebatten unserer Zeit – etwa seit den Leipziger Reformbeschlüssen der CDU von 2005 – wird dieser Zusammenhang zwischen Machterhaltung und Reform meist gegeneinander ausgespielt. Es heißt grob vereinfacht: „Wir müssen unsere Reformvorstellungen dem Machterhalt opfern. Das große Ding können wir nicht drehen. Der Zeitpunkt ist vorüber.“

Ich halte dies für einen Irrtum. Machterhalt und Reform sollten einander gegenseitig bekräftigen. Dass dies möglich ist, hat Bismarck meines Erachtens glänzend vorgeführt. Ich teile deshalb die ernüchternd-entzaubernde Ansicht Lothar Galls, wonach Bismarck lauter verzweifelte Rückzugsgefechte gekämpft habe, nicht. Solche Tretminen, die das Denkmal Bismarck beschädigen, sind keine.

Schade, dass die großen Politiker wie etwa Bismarck oder Stolypin so vernachlässigt werden und statt dessen sehr viel mehr Fleiß auf politische Propheten wie Rosa Luxemburg, Dichter wie Karl Marx, Diktatoren oder politische Verbrecher wie Stalin und Hitler verwendet wird! Schade, dass unsere Politiker quer durch die Parteien offenkundig meinen, sie stünden vor komplett neuen Herausforderungen und Problemen! Rückbesinnung tut not!

Folgende Bücher empfehle ich heute nachdrücklich als Gegengift gegen diese Extremismus-Besessenheit und diese Geschichts-Vergessenheit:

Lothar Gall: Bismarck. Der weiße Revolutionär. Ullstein Verlag,  Frankfurt am Main, 1980

Bismarck: Gedanken und Erinnerungen. Ungekürzte Ausgabe. Herbig Verlag, München, o.J.

Heinrich August Winkler: Der lange Weg nach Westen. Deutsche Geschichte 1806-1933.  Sonderausgabe der Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2002

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„Du Papa, was heißt das eigentlich: die Systemfrage stellen?“

 Friedrich Merz, Horst Köhler, Staatlichkeit, Systemfrage  Kommentare deaktiviert für „Du Papa, was heißt das eigentlich: die Systemfrage stellen?“
Mai 192008
 

Was heißt eigentlich: „Die Systemfrage stellen„? Keine leichte Frage! Doch ich hatte gestern Glück- zufällig belauschte ich auf einer Modelleisenbahnausstellung einen Vater, der mit seinem etwa zwölfjährigen Sohn das folgende Gespräch führte:

„Du Papa, was heißt das eigentlich: die Systemfrage stellen?“

„Weißt du, lieber Sohn, ein System, das ist alles zusammen – z.B. Deine Modelleisenbahn, also Gleise, Loks, Wagen und Trafo, das alles zusammen ist ein System. Eine Lok kann kaputtgehen, dann müssen wir sie reparieren oder ersetzen. Die Lok kann veralten, dann muss eben eine neuere her. Wir ersetzen oder reparieren dann einen Teil des Systems, aber wir stellen nicht die Systemfrage. Wenn wir aber sagen: unser System, so wie es da ist, passt nicht mehr richtig, wir müssen zu einem anderen System, z.B. von HO zu NO, von Roco zu Märklin, oder von analog zu digital, dann stellen wir die Systemfrage.“

„Nein, Papa, das will ich nicht, ich will nur zwei oder drei Loks mehr, aber die alten behalten.“

„Gut, lieber Sohn, du stellst also die Systemfrage nicht, sondern willst im bestehenden System bleiben und dieses System wachsen lassen.“

„Ja, Papa! Aber wer stellt in der Politik die Systemfrage?“

„Einige! In jeder der großen Parteien gibt es einige, die sagen: wenn wir so weitermachen, geht das System kaputt. Dann fliegt uns der ganze Laden um die Ohren, wie das Kanzlerin Merkel kürzlich gesagt hat, weil einige Manager zuviel Geld in ihre Taschen gestopft haben. Daraus ziehen einige den Schluss: Wir müssen das System wechseln oder ändern. Die Finanzmärkte sind so ein System. Zum Beispiel hat unser Bundespräsident gesagt: Die Finanzmärkte, so wie sie sind, haben sich zu einem Monster entwickelt. Er meint: Wir müssen das System ändern. Der Bundespräsident Horst Köhler von der CDU ist also einer, der die Systemfrage stellt. Oder nimm Dieter Althaus aus Thüringen! Er sagt: Im Alter haben wir bald nicht genug Geld. Deshalb müssen wir das gesamte Rentensystem ändern. Der Ministerpräsident Althaus aus Thüringen von der CDU verlangt mit aller Entschiedenheit den Systemwechsel. Er stellt also nicht nur die Systemfrage, sondern er geht sogar noch einen Schritt weiter: Er verlangt den Systemwechsel. Friedrich Merz von der CDU hat ebenso die Systemfrage gestellt und auf seine Art beantwortet: er hat einen radikalen Wechsel im Steuersystem gefordert.“

„Das ist ja spannend, Papa! Gibt es denn in der CDU nur Politiker, die die Systemfrage stellen?“

„Nein, lieber Sohn, viele, auch in der CDU, sagen: Ein echter Systemwechsel – auch wenn er bei einigen Systemen sinnvoll wäre – ist derzeit nicht zu stemmen. Wir können nur Auswüchse bekämpfen, sozusagen einige Schienen neu verlegen, hier ein Tröpfchen Öl, da eine kleine Gleisausbesserung, damit das insgesamt gute System bestehen bleibt und weiter wachsen kann. Nur in der neuen Partei DIE LINKE gibt es ebenso viele oder vielleicht sogar mehr Menschen als in der CDU, die die Systemfrage stellen. Diese Menschen bei DER LINKEN und bei der CDU sagen: Vieles stimmt nicht in unserem Staat. Wir wollen einiges ändern. Hört mal zu, wir haben da einige Ideen! Bitte schreit nicht so wild durcheinander! Bitte lasst uns ausreden, und vielleicht gefällt euch ja der eine oder andere von unseren Vorschlägen!“

„Dann darf also jede und jeder die Systemfrage stellen?“

„So ist es, lieber Sohn. Die einzige Voraussetzung ist: Man muss die Gesetze einhalten und man darf einige Grundsätze unserer Verfassung nicht antasten. Zum Beispiel: Nur der Staat darf körperliche Gewalt anwenden. Niemand darf einen anderen Bürger hauen oder eine Bombe schmeißen, weil er anderer Meinung ist. Aber wenn man etwas Böses macht und die Gesetze bricht, dann kann man vor Gericht kommen und kriegt dort eine Strafe. Zum Beispiel gab es früher in Deutschland Terroristen. Die haben gar nicht die Systemfrage gestellt, ja, sie haben überhaupt keine Fragen gestellt, sondern einfach Menschen gefangengenommen und getötet, sie haben Bomben geschmissen. Das war sehr böse und sie kamen ins Gefängnis.“

„Aber die Systemfrage stellen, das ist doch nicht böse, Papa, oder?“

„Nein, es ist nicht böse, solange man sich an das Grundgesetz und an die Gesetze hält, wie die CDU und die LINKE das ja allesamt tun. Der Bundespräsident Köhler, der Ministerpräsident Althaus, der frühere Steuerexperte Merz, das sind alles gute Menschen. Niemand wird sie vor Gericht bringen oder durch den Geheimdienst überwachen lassen, nur weil sie die Systemfrage stellen und weil sie grundlegende Änderungen an unserem System verlangen, ebenso wie Teile der Partei DIE LINKE.“

„Dann bin ich ja beruhigt. Kaufst du mir jetzt eine neue Lok? Das ist doch billiger als ein kompletter Systemwechsel!“

„O Sohn, Deine Logik ist mal wieder unwiderstehlich. Also gut, – aber nur weil Sonntag ist. Bitte komm mir bloß nicht mit einem Systemwechsel!“

Ich fand dieses Gespräch sehr aufschlussreich. Schade, dass ich die beiden nicht mehr ansprechen konnte, denn sie waren sehr bald im Gedränge verschwunden. Ich hätte sie gerne darauf hingewiesen, dass dieses Blog unter dem Datum vom 25.11.2007 einen Bericht über Dieter Althaus enthält, der einen radikalen Systemwechsel fordert, aber dennoch nicht vom Verfassungsschutz überwacht wird.

Lesehinwies:

CDU vergleicht Linke mit der RAF. Der Tagesspiegel, 18.05.2008

 Posted by at 12:53
Nov. 252007
 

Wolfgang Wehrl, der den Kleinen Parteitag der Berliner CDU am Samstag leitete, brachte es gleich zu Beginn auf den Punkt: Solidarisch – Bürger – Geld, das sind alles positiv besetzte Begriffe, denn Solidarität ist uns lieber als Egoismus, Bürger sind alle, Geld sehen wir lieber als Schulden. Vorsprung durch Kommunikation! Was aber ist das Solidarische Bürgergeld? Das Solidarische Bürgergeld ist ein bedingungsloses Grundeinkommen von 800 Euro pro Monat für alle Erwachsenen. Das Bürgergeld sinkt mit wachsenden eigenen Einkünften. Bis zu einem Bruttoeinkommen von 1.600 Euro im Monat fällt keine Einkommensteuer an.

Der Thüringer Ministerpräsident Dieter Althaus hatte überdies in den Medien alles bestens vorbereitet. Von seiner Homepage kann man sogar eine faktenreiche Power-Point-Präsentation herunterladen. Vorteil Althaus!

Was wollen für unsere soziale Sicherheit? Systemwechsel oder Systemumbau? Althaus warb leidenschaftlich für die erste Lösung. Im Publikum saßen Gegner und Befürworter eines solchen Befreiungsschlages und verschafften sich auch in der anschließenden Debatte Gehör. Beide Seiten brachten starke Argumente. Das Match endete unentschieden und geht in die nächste Runde.
Ich nehme für mich mit: Althaus hat sich seine Sache gut überlegt, er hat Rat von allen Seiten eingeholt, er ist mutig und lässt sich durch ein klein bisschen Gegenwind nicht umpusten. Mein Herz hat er als redlicher Anwalt seiner Sache gewonnen. Im Kopf bin ich von seinem Modell – noch? – nicht überzeugt. Ich werde vorerst weiter nach allen Richtungen zuhören. Seine Partei hat sich noch nicht abschließend festgelegt, sondern führt einen intensiven Diskussionsprozess. Gut so, ich kenne keine andere Partei, in der eine solche Bandbreite an Positionen vertreten ist wie die CDU. Es ist eben die wahrhaft bürgerliche Partei – und Bürger dieser Republik sind wir alle: Punks, Studienräte, Assis, Aktien- und Einkommensmillionäre, Hartz-IV-Empfänger, verarmte Adelige, Alkoholiker, Neureiche und Diplomaten, Skinheads und Porschefahrer.

 Posted by at 19:00