Nov 292014
 

Metanoia20141118_125649

 

 

 

 

 

1. Metanoia – Umdenken, Umwenden, das innere Ruder herumwerfen – das mag wohl der Sinn des alten, heute außer Gebrauch gekommenen  Wortes Reue sein. Jesaja, Jeremia, aber auch Johannes der Täufer erhoben diese Haltung der Umkehr zum Grundmotiv. Griechisch lautet das Wort metanoia. Es dient als Übersetzung des hebräischen schuv oder teschuwa. Johannes erwartet von den Machthabern, dass sie mit der Reue, mit dem Um-Denken, bei sich selbst anfangen. Er misstraut der Macht, er bestreitet, dass Macht das Recht setzt, er verlangt, dass der Mächtige sich dem, was recht und billig ist, unterordnet. Kein König, kein Herr steht über dem Recht. Keiner darf sich zügellos über die Weisung hinwegsetzen.

2. Die Metanoia strafft gewissermaßen die Zügel beim Zügellosen. Schau sie dir an! Du siehst sie hier in diesem Bild der 1980 in Istanbul geborenen Künstlerin Yaşam Şaşmazer. Der Zügellose hat die Orientierung verloren. Er liegt platt auf der Erde. Hinter ihm die Metanoia. Sie versucht ihn aufzurichten. Aber er lässt sich fallen, er stellt sich tot. Wir betrachteten das ungleiche Gespann des Unbußfertigen und der Metanoia, als wir unterwegs zum Joseph Roth in der Potsdamer Straße waren .

3. Als Frucht der „metanoia tedesca“, der deutschen Umkehr, der deutschen Buß und Reu, wertet der italienische Politologe Angelo Bolaffi in seinem Buch Cuore tedesco den Erfolg der Bundesrepublik Deutschland – sie stelle das einzige erstrebenswerte Vorbild für die dringend gebotene Neuordnung der Europäischen Union dar: l’unico modello di riferimento che abbia dato buona prova di sé dal punto di vista della giustizia sociale e dell’efficienza economica.

4. Kommt Reue eigentlich im Euro-Wortschatz vor? Euro!  Reue! Beide Wörter klingen so ähnlich! Und doch sind sie unendlich weit voneinander weg. Ich schlug dazu das Euro-Wörterbuch des Langenscheidt-Verlages auf, als ich an der Ausstellung Metanoia  vorbeigelaufen war. Mich interessierte, wie man Metanoia ins Türkische übersetzt. Fehlanzeige! Gab es denn wirklich keinen Platz für das Wort Reue im Euro-Raum? Nein, in der Tat fehlt zwischen den Einträgen „Rettungsring“ und „Revanche“ das Wort „Reue“ im Euro-Wörterbuch.

5. Und doch wäre die tätige Reue der Rettungsring, der den Kreislauf aus Niederfallen und Revanche aufbrechen könnte.

6. Forse abbiamo bisogno di una metanoia europea. Wir brauchen wohl ein europäisches Umdenken.

Beweise:
Yaşam Şaşmazer: Metanoia.  Ausstellung in der Galerie Berlinartprojects, Berlin, Potsdamer Str. 61, 19.09.-31.10.2014
Langenscheidt Euro-Wörterbuch Türkisch. Langenscheidt Verlag KG, Berlin und München 1999, S. 481
Angelo Bolaffi: Cuore tedesco, Roma 2013, S. 254

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Nov 272014
 

Soeben lasen wir gemeinsam ein Kapitel aus dem schön-schaurigen Roman „Die Schwarzen Brüder“ von der großartigen Lisa Tetzner vor. Ja, Kinder, das waren noch tiefe, wühlende Sorgen, das war echte Armut  – als der Vater, um den schieren Lebensunterhalt und die ärztliche Behandlung für die Mutter zu sichern, seinen 12-jährigen Sohn Giorgio als Kaminkehrerbub nach Mailand verkaufen musste!

Giorgio fängt die jungen Käuzchen direkt aus dem Nest des Turmkauzes weg, lebt als Jäger und Sammler im Einklang mit der Natur. Er arbeitet an frischer Luft, Süßigkeiten gibt es nicht, keine Cola, keinen Hamburger. Dafür Vater und Mutter an einem Strang ziehend, mehrere Generationen hausen unter einem Dach. Man zahlt weder Renten- noch Arbeitslosen- noch Krankenversicherung. Wenn die Mutter nicht das Bein gebrochen hätte, hätte der Vater den Bub auch nicht als Kaminkehrersklaven nach Mailand verkaufen müssen.

Ansonsten führt die Bergbauernfamilie aber ein ökologisch vorbildliches Leben: es gibt keine Autos, keine Maschinen, keinen CO2-Ausstoß, keinen Klimawandel, der Bub sichelt von früh bis spat an langem Seil hängend das duftende Gras für das Vieh. Ab und zu zersichelt er eine Viper. Und dann begegnet er einem Dachs.

Naturnahe Ernährung, reichlich Bewegung – so ist es gut! Hei, davon können unsere Kreuzberger Kids und unsere bezirksoberen Politiker hier nur träumen.

Und dieses Buch könnt auch Ihr lesen!
Lisa Tetzner: Die Schwarzen Brüder. Erlebnisse und Abenteuer eines kleinen Tessiners. Mit Illustrationen von Emil Zbinden.  Fischer Sauerländer Verlag, Frankfurt am Main 2014, darin: Kapitel 1: Wir lernen Giorgio und seine Tessiner Bergheimat kennen, aber sofort auch den Mann mit der Narbe und seine böse Prophezeiung, S. 11-30

 

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Jul 312014
 

Hl. Mauritius 2014-01-03 10.26.59

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ich war gerade im Prinzenbad. Die güldene Sonne brachte Leben und Wonne. Ein querwachsender Ast eines Prinzenbad-Ahornbaumes, den ich vor 10 Jahren noch bequem erspringen konnte, um dann Klimmzüge daran zu machen, ist jetzt so hoch, dass  ich ihn nicht mehr erreichen kann. Bäume wachsen also schneller als wir Menschen. Heute herrscht hier nach mehreren reinigenden Güssen herrlichstes Sommerwetter.

„Wie im Kindergarten benehmen sich diese Politiker!“ war der Kommentar eines Zeitungsverkäufers zur Weltlage, dem ich trotzdem eine FAZ zum vollen Preis abkaufte. Die FAZ bringt heute auf S. 11 unter dem Titel „Auf der Abschussliste der Islamisten“ einen sehr traurigen, sehr schönen Artikel von Rainer Hermann über die ersten Jahrhunderte der Kirchengeschichte und das drohende Ende des Christentums im Morgenland. Das Christentum entsprang und fand zur ersten Blüte im Morgenland, also in den heutigen Ländern Irak, Syrien, Türkei, Ägypten. Rom und Byzanz waren zunächst einmal westliche Reiser der orientalischen Kirche, die sich erst 1054 unwiderruflich voneinander und von den östlichen Kirchen abspalteten.

Jahrhunderte später fand das Christentum oft unter erbittertem Widerstand der einheimischen Bevölkerung auch den Weg in das Europa nördlich der Alpen.

Eine Reiseerinnerung kommt mir in den Sinn: Die beiden Schutzpatrone der Stadt Magdeburg, der hl. Mauritius und die hl. Katharina von Alexandrien, entstammten beide dem vorderasiatisch-afrikanischen Kulturraum. Die Grablege Kaiser Ottos des Großen, die Mutterstadt der Ausbreitung deutschen Stadtrechts, unterstellte sich also der geistlichen Fürbitte zweier orientalisch-afrikanischer Schutzpatrone! „Wir haben in Magdeburg die älteste bildliche Darstellung eines Schwarzafrikaners nördlich der Alpen!“, vertraute mir im Januar 2014 stolz ein Magdeburger Stadtführer an.

Zitat Hermann: „Von diesen orientalischen Christen haben die frühen Muslime viele Praktiken übernommen. Etwa die Prostration, das Sich-Niederwerfen beim Gebet. Auch das Minarett als Turm, von wo zum Gebet in einem Innenhof gerufen wird, geht auf Vorbilder in alten syrischen Kirchen zurück. Außerdem hatten alte Klöster, wie etwa Mar Saba bei Bethlehem, eine Gebetsnische nach Osten; daraus wurde die Kibla der Moschee.“

Die militärische Intervention, die Ausbreitung des Bürgerkriegs auch mit westlichen Waffen, die Unterstützung islamistischer Milizen in Irak, Afghanistan, Syrien und Libyen, namentlich durch die USA, Großbritannien und Frankreich, hat das drohende Ende zweier Jahrtausende christlicher Kultur in Irak, Libyen und Syrien beschleunigt. Die frühere militärische Unterstützung der Aufständischen in Syrien, Libyen, Irak durch die starken Militärmächte des Westens halte ich für ebenso verheerend und verhängnisvoll wie die Unterstützung der Aufständischen in der Ukraine durch russische Amtsträger, russische Desperados, Banditen und Freischärler.

Der durch die USA im Jahr 2003 ohne triftige Beweise vom Zaun gebrochene Irak-Krieg war ein schwerer politischer Fehler und ein schwerer Verstoß gegen das Völkerrecht. Ich bin für den völkerrechtlichen Grundsatz der militärischen Nicht-Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten.

Unsere Aufgabe ist es stets, zum Frieden und zur Versöhnung zwischen Feinden beizutragen – aktuell gilt es, die Russen und die Ukrainer miteinander zu versöhnen. Mir wurde von Russen berichtet, dass Russen und Ukrainer im Urlaub schon aufeinander losgehen und im Hotel handgreiflich werden. Wie im Kindergarten! Der Todesstreifen des Hasses darf nicht weiter wachsen.

Bild: Der hl. Mauritius, ein General ohne Schwert, Schutzpatron der Stadt Magdeburg. Magdeburger Dom. Statue aus Sandstein, bemalt, wohl spätes 13. Jahrhundert. Aufnahme des Verfassers vom Januar 2014

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Apr 042014
 

2014-04-04 08.53.08

Spät bei meiner Rückkehr ins Hotel Wedina in Hamburg wartete gestern dort schon – verkörpert durch sein neuestes Buch – ein Mit-Schwabe auf mich, weder ein sparsamer Neckarschwabe noch ein fleißiger Lechschwabe allerdings, sondern ein tüchtiger Banater Schwabe: Richard Wagner, geboren 1952. Wir Schwaben sind oft eines Sinnes, zum Schwaben Wagner würde ich mich sofort an den Frühstückstisch setzen, selbst wenn er der einzige Hotelgast wäre. Sein schmerzhaft schürfendes Buch „Habsburg“ schlage ich an einer beliebigen Stelle auf, hier S. 158: „Heute ist der Hitler-Stalin-Pakt-Vergleich in Ostmitteleuropa fast so beliebt wie in Deutschland der Hitler-Vergleich.“ Na, das passt ja zur Seite 1 unten in der heutigen Süddeutschen!

Eine wichtige Vergleichsgröße für russische Politiker sollte in unseren Augen jederzeit  der Innenminister und zeitweilige Premierminister Pjotr A. Stolypin (1862-1911) bilden. Über ihn schrieben wir am 5. Januar  2009 in diesem Blog: „Stolypin war einer jener Politiker, die in der zaristischen Spätzeit vernommen hatten, was die Uhr geschlagen hatte. Er versuchte durch einschneidende Reformen die schlimme Lage der Bauern zu verbessern, indem er ihnen neue Anrechte auf Grund und auf billiges Kapital verschaffte. Er kämpfte für eine effizientere Verwaltung, versuchte einen vernünftig geregelten Markt für die aufstrebende Industrie zu schaffen. Stolypin setzte auf grundlegende Reformen, ohne jedoch die Zarenherrschaft insgesamt in Frage zu stellen. Das Mittel der Revolution lehnte er ab, seine Agenda verlangte dem herrschenden Zaren und dem Adel weitreichende Zugeständnisse ab, ohne den Antimonarchisten Vorschub zu leisten.“

Der Totalitarismus ist tot. Russland hat sich dauerhaft und glaubwürdig – wie ich immer wieder erfahre – vom Zwangssystem der kommunistischen Diktatur losgesagt. Es sucht nun mögliche historische Vorbilder. Die Eröffnungsveranstaltung der Olympischen Spiele in Sotschi war sicherlich ein verlässlicher Hinweis auf die intensive Suche des heutigen Russland nach positiven Anknüpfungspunkten. Das Grauen der Geschichte kann niemals ausreichen, um einen Weg in die Zukunft zu bahnen. Völlig zu Recht wurden aus der Feier die üblichen heroischen Beschwörungen der sowjetischen Geschichtsklitterung verbannt.

Ein reizvolles Vorbild oder Gegenbild, an dem sich das Ausland bei mehr oder minder passenden (meist äußerst unpassenden) Vergleichen lebender russischer Politiker mit historischen Gestalten abarbeiten kann, ist neben der deutschen Zarin Katharina II. sicherlich Pjotr A. Stolypin. Wer Katharina II. und Stolypin versteht, wird auch das heutige Russland in seiner Sinnsuche, seiner Suche nach Kontinuität besser verstehen!  Vergessen wir nicht, dass Stolypin 2009 im staatlichen Fernsehen zum wichtigsten russischen Politiker der Geschichte gekürt wurde – ein Ereignis, dem ich damals staunend und mit offenem Mund in Moskau beiwohnte:

Ein Land, das dringende Reformen versäumt, wird bestraft

Zitat: Richard Wagner: Habsburg. Bibliothek einer vergangenen Welt. Hoffmann und Campe, Hamburg 2014, S. 158

Bild: Blick aus dem Fenster des Hotels Wedina, Hamburg, im Hintergrund: blühender Kirschbaum, im Vordergrund: das Buch „Habsburg“ von Richard Wagner, erschienen zu Hamburg bei Hoffmann und Campe im Jahr 2014

 

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Feb 282014
 

Kinder brauchen

– Gemeinschaften, in denen sie sich geborgen fühlen

– Aufgaben, an denen sie wachsen, und

– Vorbilder, an denen sie sich orientieren können.

So hat das Gerald Hüther formuliert; diesen Satz habe ich mehrfach schon von Sozialarbeitern und Psychologen mit einhelliger Zustimmung als Zitat vernommen. Die Psychologen und Sozialarbeiter, mit denen ich sprach, beklagen umgekehrt, dass den ihnen anvertrauten Kindern und Jugendlichen eben genau dieses schmerzhaft fehle. Ich fasse die Gespräche so zusammen:

Nicht Normensetzung als solche, nicht abstraktes Regelwissen über das Richtige und Falsche – etwa vermittelt im Ethik-Unterricht – brauchen die Kinder. Sie brauchen über einen längeren Zeitraum hin das gelebte Vorbild mindestens einer älteren Person, die verlässliches Leitbild wird. Sie brauchen über einen längeren Zeitraum die Geborgenheit: Da gehöre ich hin. Diesen Rahmen nimmt mir niemand weg. Und sie brauchen das Zutrauen durch Ältere, etwa durch die Eltern, dass die Kinder im Laufe der Jahre immer schwierigere Aufgaben bewältigen werden. Sie brauchen den Zuspruch: Du schaffst das. Ich vertraue dir.

Ich unterstütze diese Einsichten. Sie treffen den Nagel auf den Kopf.

Jetzt bleibt die große Frage: Woher kommen grundsätzlich diese hegenden, fordernden und stützenden Erfahrungen? Welche Institutionen schaffen diese Grunderfahrungen: Krabbelgruppe, Schule, Kindergarten, Sozialarbeiter, Psychologe, Vereine, Jugendzentren?

Meine persönliche Antwort: Keine dieser Institutionen kann im Regelfall genug an diesen Erfahrungen schaffen. Nein, in aller Regel und grundsätzlich soll und wird es die Familie und zunächst einmal  die Familie sein, die dem Kind diese Erfahrungen vermittelt. Und für die Familie ist grundlegend die Eltern-Kind-Beziehung. Was Vater und Mutter angeht, so dürfte die Mutter-Kind-Beziehung der Vater-Kind-Beziehung vorausliegen. Der Vater kommt als notwendiger Dritter zur Mutter-Kind-Beziehung hinzu.

Die Familie, begründet auf dem Eltern-Kind-Verhältnis, legt in aller Regel den Keim des gelingenden Lebens.

Eine Gesellschaft wie unsere hingegen, die so offenkundig das „Ich will’s-so-und-so“-Prinzip verkündet, wird sich nicht halten können.

Politik, Industrie, Schule und Massenmedien lehren heute meist etwas anderes: Als vordringliches Ziel des Wirtschaftens wird größtmöglicher Erfolg des einzelnen im Berufsleben sowie  Wohlstandsmaximierung  angesehen. Als vordringliches Ziel der Politik wird die Herstellung der „idealen Gesellschaft“ angesehen. So wird es als schreiender Miss-Stand herausposaunt, dass Frauen weniger verdienen als Männer, dass Frauen weniger DAX-Führungspositionen innehaben als Männer, dass Sorge für Kinder und Haushalt immer noch meistens von den Frauen geschultert wird, dass die Einkommensunterschiede in Deutschland so groß sind usw. usw.

Aus der Sicht der Kinder ist das alles nicht so schlimm! Es ist ihnen sogar völlig schnuppe. Sie brauchen keine Mutti im DAX-Vorstand, sie brauchen die Mutter oder den Vater verlässlich zuhause. Schlimm ist es aus Sicht der kleinen Kinder, wenn ihnen Geborgenheit fehlt, wenn ihnen das gelebte Vorbild beider Eltern fehlt, wenn der tragende Rahmen der Familie nicht hält. Aus der Sicht des kleinen Kindes spielen materielles Wohlergehen, Handys, Spielkonsolen usw. keine prägende Rolle.

Viel wichtiger sind für Kinder die tagtäglich erlebte Liebe und Fürsorge durch eine bestimmte oder einige wenige bestimmte Personen.  Der Staat, die Politik, die Pädagogik sollten sich nie im mindesten erdreisten oder auch nur den Anschein zu erwecken versuchen, sie könnten den überragenden Rang der Familie für Glück und Wachstum der Kinder ersetzen.

 Posted by at 10:46
Jan 102014
 

In den letzten Wochen lernte ich von Altenpflegern die rückengerechte Pflege von Behinderten und Alten, die selbst nicht mehr aus eigener Kraft stehen, sitzen, sich hinlegen können: der Helfende muss den eigenen Rücken möglichst gerade halten – dann dem anderen Menschen möglichst nahe kommen, ihn fest mit beiden Armen ergreifen – und ihn dann anheben, aufrichten, hinsetzen, hinlegen usw. Möglichst nie den eigenen Rücken als Hebel nutzen, sondern stets mit Beinen und Armen als Hebeln arbeiten!

Altenpfleger, Erzieher, Grundschullehrer – das sind meine Stars, meine Vorbilder. Von ihnen lerne ich Tag um Tag. Altenpflege – ein wichtiger, schöner, aber auch schwerer Beruf, der viel Fachkunde, Einfühlung und nicht zuletzt auch körperliche Kraft verlangt!

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Dez 082013
 

Brandt Freiheit 2013-12-07 10.39.10

„Die Freiheit ist das Wichtigste“ – ein sehr mutiges Wort, das mich gestern ansprang, als ich die Stresemannstraße entlangschlenderte. Geprägt hat es ein Mann, dessen politisches Denken heute fast völlig vergessen ist – Willy Brandt. In der Tat – Freiheit ist ein zentraler Wertbegriff, der Europas kulturelle Vielfalt seit den Perserkriegen deutlich von benachbarten Machträumen unterscheidet, etwa von den östlichen Großreichen, ob sie nun Persisches Reich, Osmanisches Reich oder Sowjetunion hießen.

Genau genommen – ich war begeistert von Willy Brandt, und auch von der Buchhandlung im Willy-Brandt-Haus. Denn soeben hatte ich den Koalitionsvertrag der beiden Parteien CDU/SPD gelesen, in dem die Freiheit nur eine sehr untergeordnete, ja stiefmütterliche Rolle einnimmt. Die Leitwerte der heutigen bundesdeutschen Politik sind – ausweislich des CDU-SPD-Koalitionsvertrages – vor allem die Sicherung und die Mehrung des Wohlstandes, ferner Stärkung der Wirtschaft durch den Staat, bessere Betreuung von Menschen aller Altersstufen durch den Staat, Umbau der Gesellschaft durch den Staat zugunsten von stärkerer Wirtschaftsgerechtigkeit des Menschen, Abbau der traditionellen Rollenverhältnisse durch den Staat, Anpassung von Unterschieden zwischen Müttern und Vätern, zwischen Jungen und Mädchen durch die Politik. In allen Politikfeldern „weiß die Politik es besser“ als das Volk.

Was beispielsweise Kinder wollen und was Kinder brauchen, wird nicht gefragt. Was die Alten wollen und die Alten brauchen, wird nicht gefragt. Was Mütter wollen und  brauchen, wird nicht mehr gefragt. Sie sollen dem Arbeitsmarkt möglichst uneingeschränkt zur Verfügung stehen.

Der Koalitionsvertrag übernimmt das Heft des mütterlichen und väterlichen Handelns. Er legt die Geschicke der Gesellschaft erneut in die Hände einer kleinen, sich weitgehend aus sich selbst rekrutierenden Kaste an Politikerinnen und Politikern. Gegen diese große Koalition ist nicht mehr anzukommen. Jeder, der sich hauptsächlich für Freiheit, für Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, also für Selbstbeschränkung der Politik einsetzt, für eine Verschlankung der Politik einsetzt, wird abgebügelt. Er kommt gar nicht mehr in die Positionen oder in die Parlamente hinein.

Freiheit als zentraler Leitwert politischen Handelns ist in Deutschland nicht mehr gefragt. Es gibt nur wenige, die dies erkannt habe, etwa ein Kreuzberger Bundespolitiker, wenn er fordert, seine Partei müsse wieder eine „Partei der Freiheit“ werden. Er scheint erkannt zu haben, dass zentrale zeitüberdauernde, also „wertkonservative“ europäische  Werte – eben Vorrang der Freiheit vor der Versorgung durch den Staat, Vorrang der Familie vor der Politik, Vorrang der persönlichen vor der staatlichen Verantwortung – angesichts der überschäumenden Phantasien der neuen Biopolitik zu unterliegen drohen.

Die Freiheit von staatlicher Umgestaltung der Gesellschaft durch die Politik ist kein Wert mehr.  Nein, die Politik dringt in immer mehr Bereiche der Lebensgestaltung ein.

Für einen Willy Brandt, einen Theodor Heuß oder einen Konrad Adenauer hingegen stand die Freiheit ganz oben. Freiheit von staatlichem Zwang und staatlicher Betreuung. Und für den staatlichen Zwang standen eben nicht nur Hitler und seine Kumpane, sondern auch Wilhelm Pieck und seine Kumpane, Klement Gottwald und seine Kumpane, Stalin und seine Kumpane, Walter Ulbricht, Mátyás Rákosi und alle die anderen Machthaber, die auf Geheiß der Sowjetunion den Bereich staatlichen Bestimmens  tief bis in die Familien und die private Lebensführung hinein erstreckten.

Der Buchhandlung im Willy-Brandt-Haus gebührt Dank und Respekt, dass sie ein so unzeitgemäßes Freiheits-Wort wie das Willy Brandts offen auszustellen wagt. Sie setzt sich dadurch dem Vorwurf des Rechtspopulismus aus. Egal. Dann sei es so. Ich werde meine nächsten Bücher bei der Willy-Brandt-Buchhandlung bestellen.

 Posted by at 22:50
Nov 212013
 

Ich hatte soeben ein Erlebnis mit einem wartenden Berliner Taxifahrer: Er hatte aus Versehen mein armes Fahrrad total zugeparkt, das ich vor einem Hotel abgestellt hatte. Ich kam, er sah, er sagte durch das eilig geöffnete Beifahrerfenster: „Es tut mir leid, ich habe Sie zugeparkt. Ich fahre gleich ein Stückchen zur Seite.“ Und so geschah’s. Ich dankte ihm, wir grüßten einander durch Handzeichen, er fuhr seine Scheibe wieder hoch.

Danke, lieber Berliner Taxifahrer. Wäre ich doch stets rücksichtsvoll und höflich wie Du!

 Posted by at 23:26
Nov 122013
 

Hinter mir liegt ein schwieriger 9. November. Irgendwie empfand ich lebhaftes Unbehagen. Von der riesigen Steinwüste der „Topographie des Terrors“ führt mein Weg seit Jahr und Tag nahezu täglich auch an der gewaltigen Trauerwüste des „Denkmals für die ermordeten Juden Europas“ vorbei. „Topographie des Terrors“ und „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ – das sind die räumlich größten, die am allermeisten Platz beanspruchenden, die stadtbildprägenden Denkmäler im unmittelbaren Berliner Wohnumfeld. Sehr weit, sehr gut versteckt gibt es in Berlin auch kleine Denkmäler für Rudolf Virchow, für Beethoven, Hadyn, Mozart. Aber Virchow, Beethoven, Immanuel Kant und all die anderen „großen Deutschen“ spielen ansonsten kaum eine Rolle in der Gedächtniskultur.

Die Dimension der Verbrechen ist in der Tat so ungeheuerlich, und wir werden durch die bewusste Inszenierung, durch das geschickte „Re-Enactment“ auf Schritt und Tritt daran erinnert, so als wären sie gestern geschehen, als würden sie heute geschehen, als könnten sie jederzeit wieder geschehen. Es fehlt sozusagen eine rituelle Distanzierung davon, wir müssen jeden Tag wieder daran vorbei. Der Besucher erhält hier in Berlin das Gefühl, unrettbar und hoffnungslos und auf alle Zeiten in diese zeitenthobene, metaphysische Geschichte der schrecklichsten Verbrechen verstrickt zu sein. Ein offener Friedhof, ein jederzeit begehbares Schlachtfeld – soll das, soll die Erinnerung nur und ausgerechnet an die Massenverbrechen der Kern der Erinnerung in der deutschen Hauptstadt sein? Ist das und nur das der tragende Sinn der europäischen Gedächtniskultur? Interessanterweise – ja! Denn nennt man heute die Worte „Erinnerungskultur“, „Gedächtnisarbeit“, „Gedenkstätte“, dann werden alle sofort an Massengräber, an Leichenberge, an den Tod denken.

Wann begann die Erinnerungskultur? Wann begann diese europäische Gedächtniskultur? Ich würde in diesem Zusammenhang des 9. Novembers 2013 sagen, ungefähr im 17. Jahrhundert v.d.Z., etwa mit dem sogenannten „Jakobssegen“ im ersten Buch Mose (Buch Genesis des Alten Testaments), 49,1-28. Erinnern wir uns an Jakob: Für Jakob gehört des vernichtende Gemetzel, das seine Söhne Simeon und Levi in Sichem anrichteten (Gen 34), untrennbar zu seiner eigenen Geschichte, zur Geschichte Israels. Er leugnet nicht, dass er der Vater der Verbrecher ist, aber er „verflucht ihren Zorn“, er verflucht ihre Taten.

Anerkennung, Konfrontation mit der historischen Wahrheit, klares Ansprechen des Zivilisationsbruches aus dem eigenen Volk heraus, Eingeständnis der Verwandtschaft mit den Massenmördern, und zugleich rituelle Absage an das Verhalten der Verbrecher aus dem eigenen Volk. Damit hat Jakob einen unschätzbaren zivilisatorischen Fortschritt eingeleitet. Eine frühe, rituelle Form der Vergangenheitsbewältigung!

In Deutschland begann die Erinnerungskultur mit Bezug auf die Schoah des europäischen Judentums im 20. Jahrhundert sicherlich bereits weit vor den Frankfurter Auschwitzprozessen, sicherlich weit vor den öfters genannten Jahreszahlen, den späten 60er Jahren.  Ein lebendiger Beleg dafür ist beispielsweise die mich heute zutiefst anrührende Rede, die Bundespräsident Theodor Heuss bereits 1952 bei der Einweihung des Mahnmales im ehem. KZ Bergen-Belsen im hellsten Licht der Öffentlichkeit hielt. Da steckt eigentlich das Beste der deutschen Erinnerungskultur schon drin. Viel weiter haben wir Deutsche es seither meines Erachtens nicht gebracht.

Richtig ist aber an manchen Feststellungen, dass ab den späten 60er Jahren eine ganze Flut von Abrechnungen der deutschen Söhne und Töchter mit den eigenen Vätern und eigenen Müttern begann – eine Abrechnung, in der die nachgeborenen deutschen Söhne und die deutschen Töchter stets mit unfehlbarem Überlegenheitsgefühl sich selbst ins Recht setzten oder zu setzen glaubten. Das ist die Geburt der 68er-Studentenbewegung. Wir Söhne wollten großartig dastehen! Die Väter hatte Trauben gesessen, und uns wurden die Zähne stumpf! Wir legten und legen mit Wonne den Finger auf die faulen Zähne der Väter und Mütter und der Großväter und Großmütter! Die eigene, von uns selbst verursachte Karies sehen wir nicht. Ich spreche hier übrigens vor allem für mich selbst, im eigenen Namen.

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Aug 242013
 

2013-08-23 09.13.54

Weitgehend vergessen ist heute bei den Deutschen die Zeit von 1945-1949. Dabei liegt sie uns zeitlich und inhaltlich sogar näher als die immergleiche Erinnerungsmühlenlandschaft, die eifrig Mythen und Riten um die Jahre 1933-1945 spinnt!  Die noch heute bestehende Bundesrepublik wurde in allen wesentlichen Zügen damals, in den Jahren 1945-1949, geschaffen. Zwar wird derzeit versucht, die Bundesrepublik Deutschland in einem übergeordneten Machtverband – genannt EU – aufgehen zu lassen, aber noch gilt im wesentlichen das Grundgesetz des Jahres 1949, das freilich durch die EU-Gesetzgebung  zunehmend ausgehöhlt wird.

Man müsste heute eigentlich mehr über die großen Politiker Konrad Adenauer und Theodor Heuß, über Kurt Schumacher und Jakob Kaiser sprechen – und bitte bitte (!) ein bisschen weniger über den Verbrecher Hitler, den Verbrecher Göbbels und den Verbrecher Göring.

Denn damals, in den Jahren 1945-1949 wurde in Europa eine intensive Debatte über Themen geführt, die auch heute die europäische Agenda bestimmen:

Marktwirtschaft oder Planwirtschaft?
Sozialisierung der Schulden durch Vergemeinschaftung und Kollektivierung?
Enteignung der Bessergestellten und Umverteilung des enteigneten Hab und Guts an die ärmeren Schichten?
Zwangssparen oder freies Spiel der Kräfte?
Staatliche Preisbindung oder freier Markt?
Wohnraumbewirtschaftung oder Förderung der Schaffung neuen Wohnraums?

Es geht heute sowohl in Deutschland wie auch in der EU um Stärkung der zentralistischen Steuerung, um eine Verdrängung der Markwirtschaft. Die frischgekürte Grünen-Spitzenkandidatin Göring-Eckardt  hat dies erkannt, denn sie bezeichnete gleich nach ihrer Ausrufung als Spitzenkandidatin die von der CDU und den Grünen betriebene  Energiewende recht forsch – aber zutreffend – als Planwirtschaft, die man aus der DDR kenne. Damit trifft sie sicherlich ins Schwarze, oder besser gesagt ins Schwarzgrüne. Ist doch  ’ne super spannende Ansage, die Göring-Eckardt da gemacht hat! Das hinter den Kulissen eifrig angedachte und vorbereitete schwarz-grüne Bündnis gewinnt so bereits jetzt Konturen.

http://www.welt.de/politik/deutschland/article111222807/Goering-Eckardt-wirft-der-Union-Planwirtschaft-vor.html

Göring-Eckardt und die Grünen haben recht: Ohne ein gerüttelt Maß an zentralistischer Planwirtschaft ist die Energiewende nicht machbar, ist aber auch der Euro nicht zu retten. Die gegenwärtige Euro-Zwangsbewirtschaftung Griechenlands muss man als zentralistisches Zwangssparen bezeichnen. Nur durch Einschnitte bei den privaten Haushalten kann die griechische Volkswirtschaft vorübergehend den täuschenden Anschein erwecken, sie könnte die Sparauflagen der Geldgeber erfüllen. Nutznießer der bisher über 230 Mrd. Rettungsmilliarden sind die Banken. Denn die Griechenland-Rettungsmilliarden fließen den international agierenden Banken zu, die u.a. riesige Kredite für Rüstungsgüter ausgereicht haben.

Meldung Tagesspiegel: „Von den bisher bewilligten 207 Hilfsmilliarden flossen nur 15 Milliarden in den Staatshaushalt. Doch auch von diesen Krediten kam nur ein kleiner Teil den Menschen zugute; sie ermöglichten es dem Staat, Leistungen wie die Arbeitslosenhilfe aufrechtzuerhalten. Ein Großteil des Geldes wurde benötigt, um Schulden bei Rüstungslieferanten zu begleichen.“

http://www.tagesspiegel.de/politik/griechenland-hilfe-das-falsche-wahlkampfthema/8679470.html

Und um die Schulden bei Rüstungslieferanten zu tilgen, nehmen die Griechen Einschnitte in der Daseinssicherung hin. Das ist Sparzwang oder auch Zwangssparen.

Was sagte die CDU im Jahr 1949 zu dieser Art des Zwangssparens? Lest selbst:

„Wir lehnen jede Form des Zwangssparens mit Entschiedenheit ab, da sie den Sparwillen im Keim erstickt. Das deutsche Volk hat mit dem Zwangssparen die schlechtesten Erfahrungen gemacht.  Künstliche Sparkapitalbildung durch staatliche Preisbindungen und durch Steuererhöhungen lehnen wir mit der gleichen Entschiedenheit ab, denn auf diese Weise spart der Staat zu Lasten der Allgemeinheit und die Staatsbürger kommen nicht in den Genuß des Sparens.“

Deutschland 1945-1949: Das war eine super spannende Zeit. Leider weithin vergessen.

Quelle:

Düsseldorfer Leitsätze der CDU/CSU vom 15. Juli 1949, zitiert nach:
Determinanten der westdeutschen Restauration 1945-1949. Autorenkollektiv: Ernst-Ulrich Huster, Gerhard Kraiker, Burkhard Scherer, Friedrich-Karl Schlotmann, Marianne Welteke. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1972. 7. Aufl. 1980, S. 429-450, hier S. 438
Foto: Die Türen des Bundesbundesfinanzministeriums stehen allen Bürgerinnen und Bürgern, stehen Jung und Alt  offen! Alle Bürgerinnen und Bürger sind willkommen. Keine Frage wird als nicht hilfreich abgetan. Kein Argument wird als „schädlich“ totgeschwiegen. Kommt, schaut, fragt, so wird euch geantwortet! Aufnahme von der Wilhelmstraße vom 23.08.2013

 Posted by at 22:50
Aug 122013
 

 

2013-08-11 11.53.32

„Das Kind soll mit Mutter und Vater groß werden.“ So ein altes türkisches Sprichwort, das sich der Kreuzberger Hausfreund immer wieder zu eigen macht. Der Türke und die Türkin weiß es seit Jahrtausenden, der Jude und die Jüdin weiß es seit Jahrtausenden, der Christ und die Christin weiß es seit Jahrtausenden,  und die Familienpsychologen wie etwa Horst-Eberhard Richter werden seit Jahrzehnten nicht müde es zu erzählen:  Nichts ist wichtiger für das Gedeihen und das glückliche Aufwachsen der kleinen Kinder als mit einer guten Mutter und einem guten Vater zusammen aufzuwachsen. Dies gilt sicherlich nahezu uneingeschränkt  in den ersten 6 Lebensjahren. Wie viel Geld die Eltern haben, ob sie Urlaub machen können, ob sie ein Auto haben oder nur Fahrrad fahren, ist für das Glück der Kinder unerheblich. Das Kind wünscht sich und braucht vor allem eine gute Mutter, seine leibliche Mutter, und einen guten Vater, seinen leiblichen Vater.

Der sozioökonomische Status der Familie ist als solcher für das Glück des Kindes absolut unerheblich. „Mein Vater war Schmied, wir waren 11 Kinder, wir mussten uns nach der Decke strecken, und trotzdem war es eine gute Kindheit“, erzählt Jupp Heynckes.

In der Schulzeit treten neue Anforderungen an das Kind  heran. Jetzt zählen nicht nur gute Eltern, sondern immer wichtiger werden gute Lehrer. Auch hier, auch in der schulischen Bildung ist das A und die O nicht das System, sondern die Person, die Qualität der Beziehungen zwischen den Personen. Die Ressourcenausstattung, das Geld, das ganze System hingegen ist – entgegen den meisten Äußerungen in der aktuellen Bildungsdebatte – meist zweitrangig. Das System kann suboptimal sein – und ist selbstverständlich aus Sicht der Eltern immer suboptimal. Entscheidend ist die Person des Lehrers oder der Lehrerin. Das Geld als solches, das System als solches ist zweitrangig.

Die interpersonelle Lehrer-Kind-Beziehung ist nach der Eltern-Kind-Beziehung der wichtigste Dreh- und Angelpunkt in Bildungsverläufen, das bestätigen mindestens mir persönlich die meisten Erzählungen über scheiternde Schulverläufe an Berliner oder überhaupt an deutschen Schulen. Wenn etwas gründlich schiefgeht, dann liegt der Wurm fast immer an einem bösen, kalten, entmutigenden Wort der Eltern oder der Lehrer – „Das schaffst du sowieso nicht!“ ist der Klassiker -,dann liegt der Wurm auch häufig darin, dass persönliche Vorbilder in Familie oder der Schule fehlen.  Der Wurm liegt fast nie im Schulsystem!

Wenn Mütter und Väter ehrlich in ihr Herz blicken, werden sie dem zustimmen, was eine typische Berliner Mutter, Hatice Akyün, so ausdrückt:

Meine Hoffnung ist, dass die Kinder Lehrer finden, die für sie Vorbild werden, den kleinen Menschen und ihren Besonderheiten Wertschätzung entgegenbringen, damit sie sich entwickeln können.“

http://www.tagesspiegel.de/berlin/kolumne-meine-heimat-warten-auf-die-bildungsrevolution/8624790.html

Dieser Hoffnung schließt sich der Kreuzberger Hausfreund an. Die Einsicht in den fundamentalen Rang der Person und der zwischenmenschlichen Liebe ermöglicht endlich jene vielen kleinen Bildungsrevolutionen, jene vielen kleinen Weltrevolutionen, von denen die Menschheit schon seit einigen Jahrtausenden spricht und die ganz sicher nicht dadurch bewirkt werden, dass man bei Bundestagswahlen das Kreuz an der richtigen Stelle macht.

„Das Kind soll mit guten Lehrerinnen und Lehrern größer werden!“

Bild:

Großbeerenstraße Kreuzberg, gestern: So sehen idealtypisch eine gute Mutter und ein guter Vater aus der Sicht des Kindes aus:

Die gute Mutter ist warmherzig, zugewandt, unterstützend, sie lächelt.
Der gute Vater ist ehrlich, fleißig, anständig, zwar freundlich, aber auch streng und seriös.

 

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Jul 292013
 

2013-07-28 15.33.26

Wieder zurück im Lande! Erster Eindruck von Deutschland: Die Kinder und Jugendlichen und auch wir Älteren sind hierzulande anders drauf.

In der Türkei „gehen sie den Älteren und den Eltern auch mal zur Hand“, bei uns „strecken sie die Hand hin“, um immer mehr auf die Kralle zu kriegen.

In der Türkei sind Behinderte, Alte und kleine Kinder auch in Hotels selbstverständlicher Teil des Alltags, in Deutschland wird wortreich und wohlfeil und zur eigenen Entlastung in weitschweifigen Programmen mehr „Behindertengerechtigkeit“, mehr „Generationengerechtigkeit“, mehr „Familienfreundlichkeit“ von der Politik gefordert. Klingt gut, ist aber meist nur Schall und Rauch. In Deutschland, namentlich in Berlin,  wird fast alles vom Staat erwartet.

In der Türkei praktizieren die Menschen es einfach, was sie für gut und richtig halten: fleißig und redlich arbeiten, auch für ein Gehalt, das den deutschen Sozialhilfesatz nicht erreicht, nicht lügen, nicht betrügen, das gegebene Wort halten, redlich den Lebensunterhalt für Mann und Weib und Kinder verdienen, Fürsorge füreinander, Anteilnahme, Hilfe für die Fremdlinge, denen mit größter Redlichkeit begegnet wird.  Ein Beispiel von vielen: Am Ende standen wir in Istanbul am Taksim-Platz, uns fehlten 10 Lira für die Transferfahrt mit dem Bus zum Flughafen Atatürk. Innerhalb von 30 Sekunden erhielten wir 3 finanzielle Hilfsangebote – 2 von Türken, eins von einer Deutschen, wie ich fairerweise zugeben muss.

Fazit:  Die Menschen der Türkei  leben uns Deutschen vor, was wir auch – ohne jede staatliche Hilfe – haben könnten. Die heutigen Türken, gerade die Kinder und Jugendlichen,  sind im Durchschnitt  auch einfach besser erzogen als wir.

Sehr viele politische Probleme in Berlin und Deutschland sind nämlich ein Problem mangelnder Erziehung, sind überhaupt nicht politischer Art. Es ist einfach zu viel Geld des deutschen Staates im Umlauf, das Begehrlichkeiten weckt.

Mein äußerst positiver Eindruck von den Menschen in der heutigen  Türkei umfasst übrigens alle – angefangen von Zollbeamten, den Angestellten der Turkish Airlines, Busfahrern, Bauern, „Kopftuchmädchen“, „Bikinimädchen“ am Strand, Säkularen, Muslimen, Alten, Behinderten, Unbehinderten, Kindern, Jugendlichen.

„Merke dir, Fremdling, das und tue zuhause das Gleiche!“ So epigrammatisch verknappt  Goethe. Er hatte recht.

Bild: am Taksim-Platz gestern

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Jul 162013
 

2013-07-13 20.27.15

Große Freude herrscht in mir über die zahlreichen Begegnungen mit Menschen hier in der Türkei. Kaum stelle ich eine Frage oder zeige meine Ratlosigkeit, bieten mir die Umstehenden Hilfe an. So läuft es. So läuft es gut. Manches Ungewohnte muss man Kindern aus Berlin freilich erklären, so z.B. das Maß an Höflichkeit und Freundschaftlichkeit gegenüber Älteren, gegenüber Fremden und auch der Respekt der Menschen untereinander. So sehe ich immer wieder, dass in den Sammeltaxen, den berühmten dolmuşlar, älteren Menschen wie selbstverständlich Platz angeboten wird. Das kenne ich aus dem heutigen Deutschland fast nicht mehr, obgleich uns selbst noch in unserer Kindheit eingeschärft wurde, wir sollten den Älteren, den Frauen und den Behinderten stets unseren Platz anbieten. Lang ist’s her, hier ist es noch Wirklichkeit!

Am Abendhorizont hier im türkischen Turgutreis, wo der gleichnamige osmanische General herstammen soll, sind die griechischen winzigen Inseln Pserimos, Kalymnos und Leros zu sehen. Wir sind also an der jahrtausendelang hin- und herwandernden Scheidelinie zwischen Asien und Europa, zwischen dem antiken „Persien“ bzw. Kleinasien und „Hellas“ Nicht weit von hier, in Bodrum, dem alten Halikarnassos, wurde Herodot geboren.

 Posted by at 06:09