Nov 232023
 

Wie sehen uns Deutsche die anderen? Um diese Frage zu beantworten, ist es immer gut, die Auslandspresse zu lesen, so etwa heute die Neue Zürcher Zeitung! Besonders zu empfehlen ist der folgende Kommentar:

René Höltschi: Besoffen von den Staatshilfen. Milliarden für Chipfabriken und Wasserstoffprojekte, eine Ermässigung der Stromsteuer für Teile der Wirtschaft, eine Bürgschaft für Siemens Energy: Deutschland hat sich in einen Rausch der Subventionen getrunken. Nun erwacht es mit einem bösen Kater. Neue Zürcher Zeitung. Internationale Ausgabe, 23.11.2023, S. 13

Hier wird der Deutsche als glücklich schlummernder Kater dargestellt, der immer wieder einen Schluck aus der Pulle der staatlichen Subventionen nimmt. „Doch Subventionen sind wie Drogen: Sie machen süchtig.“

Zum Hintergrund:

Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil 2 BvF 1/22 vom 15. November 2023 entschieden, „dass das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 mit Art. 109 Abs. 3, Art. 110 Abs. 2 und Art. 115 Abs. 2 Grundgesetz (GG) unvereinbar und nichtig ist“.

Wesentliche Teile des staatlichen Handelns – die Hoheit über die staatlichen Haushaltsgesetze ist nun einmal die Kerndomäne der Parlamente – erweisen sich somit als grundgesetzwidrig und nichtig.

Wie kam es dazu? Der Autor der Zürcher Zeitung meint, die tieferen Ursachen dieser verfassungswidrigen Staatsverschuldung Deutschlands in allzu freigebiger Ausreichung von staatlichen Beihilfen, Zuschüssen, Vergünstigungen, Erleichterungen zu erkennen. Seien diese im Haushaltsjahr 2023 mittlerweile auf 208 Milliarden angestiegenen Finanzhilfen früher zum Teil noch durch die Ausrufung von Krisenzuständen zu rechtfertigen gewesen, so müsse spätestens jetzt eine Besinnung auf die verheerenden Auswirkungen des staatlich gelenkten, wesentlich auf Subventionen beruhenden Wirtschaftens einsetzen. Höltschi zitiert den Präsidenten des Kiel-Instituts für Weltwirtschaft, Moritz Schularick, mit folgender pointierter Aussage:

„Der Staat ist zwar nicht gut darin, die Gewinner von morgen zu finden, aber ganz sicher finden die Verlierer von gestern den Staat.“

Welchen Ausweg schlägt der Schweizer René Höltschi uns Deutschen vor? Er schreibt:

„Statt einzelne Unternehmen und Branchen zu fördern, sollte der Staat die Standortbedingungen für alle verbessern.“

Das hieße: Ordnungspolitik für alle statt Begünstigungspolitik für einige.

Das ist ein höchst bedenkenswerter Ratschlag, wie ich finde! Wir Bürger Deutschlands sollten uns – sofern ich René Höltschi richtig verstehe – weniger als am staatlichen Geld nuckelnde „Kater“, sondern mehr als „Füchse“, als gewitzte, selbständig handelnde Menschen sehen, die jederzeit bemüht sind, aus eigenen Kräften Nahrung zu finden.

(2) René Höltschi auf X: „#Deutschland hat sich in einen Rausch der #Subventionen getrunken. Nun erwacht es mit einem bösen Kater. Das Haushalts-Urteil aus #Karlsruhe böte Anlass zum Entzug. Ein Kommentar. https://t.co/fesI7hOJrX via @NZZ“ / X (twitter.com)

Bild: Ein Fuchs auf Nahrungssuche, gesehen vorgestern am S-Bahn-Gelände beim Hans-Baluschek-Park in Berlin-Schöneberg

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Vom Wagnis des Übersetzens

 Griechisches, Liebe, Philosophie, Platon, Sprachenvielfalt  Kommentare deaktiviert für Vom Wagnis des Übersetzens
Sep 302023
 

δάκρυα μὲν Ἑκάβῃ τε καὶ Ἰλιάδεσσι γυναιξὶ
Μοῖραι ἐπέκλωσαν δή ποτε γεινομέναις
σοὶ δέ Δίων ῥέξαντι καλῶν ἐπινίκον ἔργων
δαίμονες εὐρείας ἐλπίδας ἐξέχεαν
κεῖσαι δ᾽ εὐρυχόρῳ ἐν πατρίδι τίμιος ἀστοῖς
ὦ ἐμὸν ἐκμήνας θυμὸν ἔρωτι Δίων

Tränen spannen der Hekabe und den Troerinnen
Moiren schon gleich bei der Zeugung zu;
Dir aber Dion, siegreich nach all deinen herrlichen Taten,
Dämonen verwirbelten weitflatternde Hoffnungen,
Ruhest du nun, geehrt von den Bürgern der Heimat,
Hast du mich rasend gemacht vor Liebe zu dir, Dion!

(Übersetzung aus dem Griechischen: Johannes Hampel)

„Nirgends im Dialogwerk gibt es eine Stelle, an der Platon mit so viel persönlicher Wärme von Sokrates reden würde wie er an den besprochenen Stellen von Dion spricht.“ Mit diesen Worten würdigt Thomas Alexander Szlezák die große, ein halbes Leben umspannende leidenschaftliche Liebe, die – nach allem, was wir den Zeugnissen insbesondere im Siebten Brief entnehmen dürfen – ein entscheidender Antrieb für die in tiefer Enttäuschung mündenden beiden sizilianischen Fahrten des Philosophen war. „Eine Frau hat in Platons Leben nie eine Rolle gespielt“, stellt Szlezák zutreffend fest, sehr wohl aber einige Männer, und unter diesen kam die schicksalhaft, ja dämonisch entscheidende Rolle wohl jenem Dion zu.

Am heutigen Hieronymustag, dem Internationalen Übersetzertag, versuche ich mich an einer neuen deutschen Übersetzung eines Gedichtes aus der Anthologia Graeca, das von alters her Platon zugeschrieben wird. Ich strebte danach, das Weh-Zerrissene, das Quälend-Unabgeschlossene dieser Liebesbeziehung zweier Männer schärfer, schroffer wiederzugeben als dies alle mir bekannten Übersetzungen in verschiedenen Sprachen bisher gewagt haben.

Quellen:
Anthologia Graeca VII.99, zitiert nach Codex Palatinus 23:

Epigram 7.99 — Anthologia Graeca

Thomas Alexander Szlezák: Platon und der Sturz der Tyrannis in Syrakus. In: ders., Platon. Meisterdenker der Antike. 2., durchgesehene Auflage, C.H.Beck, München 2021, S. 73-88, bsd. S. 86 und S. 84

Bild: Statue eines jungen Mannes (Kouros). Aufgefunden im Heiligtum des Apollon Ptoos, einer Orakelstätte im Nordosten Böotiens. Entstanden wohl etwa 520 v. Chr. Archäologisches Nationalmuseum Athen. Aufnahme des Verfassers vom 30.12.2019

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Deutsche Angst und deutsche Unfähigkeit zu echter Trauer. Die nüchterne Diagnose Miki Sakamotos

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Sep 272023
 

Ihr Befremden über deutsche Ängste, deutsche Tatenarmut drückt die japanisch-deutsche Autorin Miki Sakamoto in ihrem schönen Gedichtband „Lichtwechsel“ aus, der während der Alpenüberquerung in meinem Rucksack mitwanderte.

Sie führt folgende Tatsachen aus:

Etwa zwanzigtausend Japaner kamen am 11. März 2011 durch einen Tsunami ums Leben, eine jener Naturkatastrophen, jener Stürme und Erdbeben, die für die Japaner von Kindestagen an zur Lebenswirklichkeit gehören. Und eben weil dies so ist, bauen die Japaner heute ihre Häuser nach den höchsten Normen der Erdbebensicherheit, so dass gleich starke Erdbeben in anderen Ländern viel verheerendere Folgen haben als in Japan.

In Deutschland schwappte infolge der durch den Tsunami verursachten Reaktorhavarie von Fukushima, die bekanntlich keine Menschenleben forderte, eine riesige Woge der Angst vor den Atomkraftwerken hoch, und so beschloss die Bundesregierung eiligst „aus diesem Anlass“, bereits drei Tage später, am 14. März 2011 das Atommoratorium, also die Rückkehr zum 2002 erstmals beschlossenen Atomausstieg. Es kam zum Ausstieg aus dem am 5. September 2010 beschlossenen Ausstieg vom 2002 beschlossenen Atomausstieg.

Die Angst vor einer ähnlichen Havarie eines deutschen AKW überwog also bei weitem die Trauer um die japanischen 20.000 Opfer des See- und Erdbebebens, die bekanntlich nicht durch das AKW von Fukushima, sondern durch das Erd- und Seebeben ums Leben gekommen waren.

Miki Sakamoto erwähnt auch in ihren Betrachtungen die Flutkatastrophe im Ahrtal vom 14. und 15. Juli 2021, die 134 Menschen das Leben kostete. Auch dies war eine Naturkatastrophe mit Ansage, denn bereits am 21. Juli 1804, 24. Juni 1888, am 12./13. Juni 1910, am 16. Januar 1918 und am 11. Januar 1920 sowie an zahlreichen anderen Tagen der vergangenen Jahrhunderte hatten sich ähnlich heftige Überflutungen im Ahrtal ereignet.

Heute wissen wir, dass die Ahrtal-Flut des Jahres 2021 vorhersehbar war und dass die Todesopfer bei rechtzeitigen Maßnahmen des Hochwasserschutzes, bei rechtzeitiger Warnung und Evakuierung der Bevölkerung hätten vermieden werden können.

Sakamoto drückt ihr Befremden über diese vollkommen irrationalen Ängste der Deutschen bei gleichzeitiger Vernachlässigung der konkreten Gefahrenabwehr so aus: „Denn die politischen Reaktionen auf die großen Hochwasser, die hier so viele Schäden anrichteten und mehr Menschen das Leben kosteten als die Reaktorhavarie von Fukushima, fielen so schwach aus, als ob es sich doch bloß um Versicherungsfälle handelte.“

Miki Sakamoto: Lichtwechsel. Gedichte und Miniaturen. Deutsch / Japanisch. Weissbooks, Berlin 2021, S. 68-69

Liste der Hochwasserereignisse an der Ahr – Wikipedia

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Urzeugung des Lebens – Metamorphosen der Form im Strandbad Wannsee

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Sep 242023
 

Heute Vormittag besuchte ich als erster und längere Zeit all-einziger Badegast das riesige Strandbad Wannsee, ein herrliches Gefühl! Zumal ich dann auch zwei Mal in dem brackigen, von reichlich Grünalgen besiedelten See umherschwamm und anschließend auch kalt duschte. Um mich herum als Badegast die etwa zehn Bediensteten, Sicherheitsleute, Badewärter, Aufsichtspersonen! Ich plauderte ein bisschen mit dem einen oder anderen und fühlte mich rundum behütet und betreut! Ein Betreuungsschlüssel von 10 Betreuern für einen einzigen zu betreuenden Schwimmgast, davon können sie in Schönebergs oder Neuköllns Sommerbädern, in Berlins Kitas und Schulen nur träumen!

Ein wunderbarer Tag – schaut hin! Dieses Wasser der Havel lebt und wimmelt, Milliarden von grünen Zellen verknäueln sich hier ineinander; unter dem kraftvoll anregenden Sonnenlicht blühen die winzigen, gallertartig verklumpten Lebewesen schimmernd auf! Wenn man so will, – dies ist die Urzeugung des Lebens aus der unbelebten Materie – dem Wasser!

Nach allerlei sportlichen Übungen und sorgsamem Abduschen des Körpers mit Schwällen klaren, kalten aus geometrisch geformten Duschköpfen spritzenden Wassers blieb mir Zeit, die einsam daliegende, anmutig gestaltete Landschaft zu betrachten, in die ich sozusagen als kleiner König des Augenblicks versetzt war. Und siehe, sogar an ein Kunstwerk haben die Planer gedacht, denn um ein Kunstwerk muss es sich zweifellos handeln bei diesem archaisch hingewuchteten, wie von Zyklopen aufgestellten Felsgebilde! Ein Besinnungsgeviert, eine Art Begräbnisstätte, ein Menhir für einen Abwesenden – gewidmet dem einzigen hier Anwesenden, wer vermöchte das zu entscheiden?

Und wie lieblich, wie ansprechend ist doch diese Hausfassade, der ich beim Verlassen des weitläufigen Geländes meine Aufwartung macht! Man möchte an das Gartenhaus Goethes denken, das ich vor Jahr und Tag in Weimar besuchte. Wie sorgfältig haben die Architekten und Ausführenden (Martin Wagner, Richard Ermisch) in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts hier jedes Detail entworfen und gestaltet! Jeder Fensterladen, jeder Blumenkasten, jedes Gebüsch, jedes Gitter, die Farben, die unverputzten, in Rot und Ocker spielenden Backsteine – alles tritt hier zu einem harmonischen Ganzen zusammen, das dem müßigen Wanderer Bewunderung und Entzücken abverlangt!

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Harte Fügung auf ödem Feld: Strauss und Schostakowitsch

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Sep 222023
 

Die Metamorphosen von Richard Strauss und die Kammersinfonie von Dimitri Schostakowitsch, op. 110 a, dargeboten in einem einzigen Konzert! Morgen, 23.09.2023, um 19 Uhr in der Silaskirche in Schöneberg. Ich selbst habe die Einladung erhalten mitzuspielen. Und das werde ich tun.

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Bioturbation: das immerwährende Sich-Umschaffen der Natur

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Sep 162023
 

Wasserbüffel beweiden die Pfaueninsel in der Havel im Südwesten Berlins. Aufnahme des Verfassers vom 3. Juli 2019.

Schaut hier hin: Großtiere wie diese Weidetiere schufen und schaffen durch Betreten, Äsen, Scharren, Wühlen, Absondern von Dung eine Vielzahl an kleinräumigen Habitaten für eine Unzahl an Lebewesen, von den humusbildenden Mikroben, den Asseln, Würmern, Insekten, den Kleinsäugern wie Mäusen, Hamstern bis hin zu den Beutegreifern wie Fuchs, Wolf, Habicht und Fischadler. Auch die vielgerühmte Schwarzerde der Ukraine, der Kornkammer der Welt, wie wir sie nennen dürfen, ist so entstanden!

Über diesen einst die Landschaften Europas und aller Kontinente prägenden Wirkzusammenhang schrieb Jan Haft im Jahr 2023:

„Unterirdisch lebende Tiere wie Regenwürmer, Käferlarven, Maulwürfe, Hamster, Ziesel und andere verfrachten den Humus beim Wühlen in immer tiefere Erdschichten. Dabei bringen sie Gesteinsbrocken und damit Mineralien an die Oberfläche und machen sie für die Pflanzen verfügbar. Hierfür gibt es sogar einen eigenen Fachbegriff: „Bioturbation“. Auf diese Weise sind überall auf der Welt mehrere Meter tiefe Braun- und Schwarzerdeböden entstanden, voller Humus und voller Kohlenstoff. Die Existenz dieser Böden beweist ihrerseits, dass es die offenen, von Großtieren dominierten Savannen gab. Sei es in der amerikanischen Prärie und Pampa oder den Steppen in Afrika, Asien, Australien und Europa.

Die wichtigsten Getreideanbaugebiete befinden sich heute im Bereich dieser Schwarzerden, von denen ein Drittel in der Ukraine liegt. So könnte man sagen dass die Menschheit ihre Nahrung zu einem beträchtlichen Teil den von ihr ausgerotteten Weidetieren zu verdanken hat.“

Zitatnachweis:
Jan Haft: Wildnis. Unser Traum von unberührter Natur. Penguinverlag, München 2023, Seite 66

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Noch ein Buchtipp zur Alpenüberquerung Tegernsee-Sterzing

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Aug 222023
 

Ein stilles unergründliches Mar am Wegesrand. Aufstieg zum Sidanjoch, Aufnahme vom 28. Juli 2023

Thomas Striebig: Alpenüberquerung Tegernsee-Sterzing. 9 Etappen und eine Variante, 2. Aufl., München 2021

Dieser Wanderführer verdient höchstes Lob und hat uns bei der eigenverantwortlichen Planung unserer Tour beste Dienste geleistet! Wir haben die Streckenführung leicht verändert, insbesondere nach dem Pfitscher Joch abgewandelt und uns den genussreichen Tiroler Höhenweg (bzw. Landshuter Höhenweg) statt des direkten Abstiegs ins Pfitscher Tal gegönnt sowie noch den Kraxentrager (2998 m) draufgesattelt. So dehnten wir den ausgewiesenen Tourenvorschlag um eine Etappe aus und hatten dementsprechend einen Tag länger Freude.

Für nicht ganz so erfahrene Bergsteiger ist die Alpenüberquerung Tegernsee-Sterzing als erste Fernwanderung sehr empfehlenswert! Nur Mut, ihr schafft das auch!

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Etappe 10: Kematen – Ried – Tulfer – Wiesen – Flains – Sterzing (Abschluss)

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Aug 202023
 

Dienstag, 1. August 2023. Die heutige letzte Etappe stand unter dem Vorzeichen einer 100%-Regenvorhersage für den gesamten Tag. Als Alternative hätte sich ab Kematen (1440m über NN) die Fahrt mit dem Bus nach Sterzing (945m über NN) angeboten. Aber wir wollten laufen, – laufen mit der Kraft der eigenen Beine! Das war ja schließlich der Sinn unserer kühnen Unternehmung. Wir genossen ein sehr gutes Frühstück in der Alpenrose und unterhielten uns dabei angeregt mit zwei anderen Bergsteigern, einem Südtiroler und einem Regensburger. Kurz nach neun Uhr brachen wir auf. Der 100%-Regen ließ – unhöflich wie der Regen eben ist – beharrlich auf sich warten, das Wetter hielt! So wanderten wir vorerst trockenen Fußes und Leibes auf abwechslungsreichen Wegen talauswärts.

An einem Naturstein-Verarbeitungswerk, das wir durchquerten, bestaunten wir die herrlich bunten Gneis-Bruchsteine von der Art, wie wir sie in riesigen Blöcken auf dem Pfitscher Joch in natura gesehen hatten.

Wir kommen an der artenreichen Burgumerau, einem Altarm des Pfitscher Baches, an regentriefenden Wiesen und dem Rieder Stausee vorbei.

Später queren wir den reißenden Pfitscher Bach; hier verengt sich das Pfitscher Tal zu einer Klause, die Bergwände treten nahe aneinander heran, das Wasser stürzt rauschend zu Tale.

Nach etwa 2 Stunden Gehzeit setzt der angekündigte Regen ein, und wir legen das bereitgehaltene Regenzeug an. Eine gute Stunde marschieren wir unverdrossen in strömendem Regen weiter, bis wir schließlich die Ortschaft Wiesen erreichen. Wir suchen und finden Unterschlupf vor den Wassermassen in der Wiesener Pfarrkirche Zum heiligen Kreuz, die uns zunächst mit ihrem schlichten romanischen Äußeren beeindruckte und dann durch eine üppige Innenausstattung in bairischem Barock fesselte.

Ich las stumm und summte aus dem Gotteslob einige besonders schöne Gebete und Lieder aus dem regionalen Eigenteil der Diözese Bozen-Brixen – in der Hoffnung, dass der strömende Regen endlich aufhören möge, der uns zusehends Harm und Ungemach zuzufügen drohte … und siehe da, als wir die Kirche verließen, hatte der Regen aufgehört, die güldene Sonne brachte Leben und Wonne zurück.

Nach einigen weiteren Minuten lag plötzlich Sterzing zu unseren Füßen.

Wir hatten also fast den Endpunkt unserer Alpenüberquerung erreicht, und prompt fing es auf den letzten Metern unserer 123 km langen Route wieder zu regnen an, als wir eben ein mit 19% Gefälle steil abschüssiges Sträßchen hinabtippelten. Wir unterquerten Bahngeleise, dann standen wir auch schon vor dem berühmten Zwölferturm in der Sterzinger Altstadt.

Wir schossen stolz einige „Alpenüberquerer-Beweis-Selfies“ und checkten in unserem vorausgebuchten Hotel ein. Wir wechselten in trockene Kleidung und trockene Turnschuhe und strebten zur Belohnung gleich die Bäckerei Häusler an, wo wir uns mit Buchweizentorte und Apfelstrudel sowie einer Tasse Kaffee stärkten.

Dann gingen wir weiter ins Multscher- und Stadtmuseum, das sich in der ehemaligen Deutschordenskommende befindet. Besonders bestaunten wir die Altartafeln, die der aus Ulm stammende Hans Multscher 1457-1459 geschaffen hat. Mit tat es besonders die Darstellung des barfüßigen Josef an, der – vielleicht nach einer langen hochalpinen Wanderung – die ermüdeten Füße aus den engen Wanderstiefeln zieht und sie erst einmal pflegt und frei atmen lässt, ehe er sich dem neugeborenen Menschenkind zuwendet.

O Josef, wie gut verstehe ich dich! Unbeschuht sollst du dich dem Heiligsten nahen – das wusste Hans Multscher sehr genau; das Barfußgehen war und ist von alters her ein Zeichen höchster Achtung vor dem Wahren, dem Lebendigen, wie ein kurzer Blick in das Buch Exodus (2. Mose 3,5) lehrt.

Ein absolutes Highhlight war aber das Spielzimmer, das mit Trompe-l’œil-Wandmalereien gerahmter Kupferstiche ausgeschmückt war. Wirklich spannend und ungewöhnlich!

Nach einer angenehmen Unterhaltung an der Kasse über neue Impulse der Museumsarbeit setzten wir uns noch eine Weile in den gefälligen Innenhof vor der Stadtpfarrkirche und füllten einige Blätter in unseren Skizzenbüchern mit Architekturzeichnungen.

Den Abend ließen wir im Kolpinghaus ausklingen. Eine Pizza S’Platzl und eine Pizza Sterzing mundeten uns vortrefflich, ein Viertel Grauburgunder gönnten wir uns auch, und zum Abschluss verwöhnten wir uns mit Eis vom Laden „Il Ghiottone“, bei dem ein wahrhaft meridionaler Eiskünstler aus Lecce das Edelste, was Pistazien und weiße Schokolade darbieten können, nach geheimen Rezepten in eine phantastische, Trompe-le-palais-Eisskulptur vermischt hatte. Zum Hinschmelzen gut schmeckte das!

Und so fand unsere Alpenüberquerung 2023, bei der wir in 10 Tagen eine Strecke von 123 km durch drei europäische Staaten mit der Kraft der eigenen Beine gewandert waren, einen glücklichen, fröhlichen Abschluss. Es wird nicht unsere letzte Fernwanderung bleiben!

Dies hier unten war ein letzter Blick, ein Abschiedsblick auf Sterzing, ehe wir dann Tags darauf den Flixbus nach München bestiegen.

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Etappe 9: Landshuter Europahütte – Pfitscher Tal – Platz -Kematen

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Aug 192023
 

Unsere Rucksäcke, diese treuen Begleiter, liegen zum Aufbruch in der Europahütte bereit.

Montag, 31. Juli 2023. Mitten in der Nacht versuchte sich die prachtvolle schwarze Hüttenkatze einen Platz in unserer Kammer zu erschleichen, doch im hellen Mondenschein blieb dies unseren wachsamen Augen nicht verborgen. Pünktlich um 6.30 Uhr erschienen wir zum Frühstück in der Stube, packten alles zusammen und verabschiedeten uns von unseren lieben Wirtsleuten in der Landshuter Europahütte (2693 m). Vor uns lag heute ein steiler direkter Abstieg ins Pfitscher Tal, bei dem es in einem Rutsch immerhin 1260 Höhenmeter zu bewältigen galt.

Dieser Blick bot sich uns beim Aufbruch von der Europahütte.

Aus der nur karg bewachsenen hochalpinen Zone ging es talwärts in immer üppigere Vegetation. Erst tauchten einzelne Büsche, Latschenkiefern und Zirben auf, doch bald umgab uns immer dichter werdender Fichtenwald.

Die Baumzone beginnt, einen letzten Abschiedsblick schicken wir auf die Europahütte.

Das ständige Absteigen ging in die Knie, und so legten wir nach 2 Stunden eine Erholungspause ein. Wir genossen hart neben einem Ameisenhaufen sitzend die Aussicht und verputzten eine Packung Studentenfutter. Dank unserer Teleskopstöcke und der dick besohlten schweren Bergstiefel bewältigten wir jedoch die Strecke insgesamt ohne Zwischenfall und ohne übermäßige Erschöpfung.

Einige Schilder am Wegrand wiesen nun die ganze Gegend als „Landschaftsschutzgebiet/Zona di tutela paesaggistica“ aus. Dies bedeutet, dass Totholz, entwurzelte oder vom Sturm gefällte Bäume nicht mehr entfernt werden dürfen und sogar quer über dem Weg liegenbleiben. Wir entwickelten nach mehreren gescheiterten Versuchen des Baumstamm-Unterkriechens eine geschickte Technik des Baumstamm-Übersteigens, da insbesondere unsere gut bepackten Rucksäcke oft nicht unter den Bäumen hindurchpassten.

Dann ging unser Wanderpfad in einen sehr abschüssigen, gerölligen Forstweg über, der uns zu einer großen Wiese führte. Wir wähnten uns schon am Talgrund angelangt, doch erst wurden wir noch durch ein trockenes Bachbett auf und ab geführt. Um 11 Uhr erreichten wir schließlich den Ort Platz. Nun lag nur noch der Weg nach Kematen vor uns. Zu unserem Etappenziel liefen wir auf einer kaum befahrenen Landstraße, die uns herrliche Blicke ins Pfitscher Tal bot.

Die letzten Schritte noch – dann ist Kematen erreicht!

Wir erreichten unseren Gasthof Alpenrose in Kematen (1440 m) nach einer Dreiviertelstunde, bezogen das Zimmer, stärkten uns mit Schlutzkrapfen und frischem üppigem Salat. Nach einer wohltuenden Mittagsrast erkundeten wir das Dorf Kematen, skizzierten, aquarellierten, notierten das heute Gesehene und Genossene. Das Abendessen nahmen wir im Gasthof in Gesellschaft anderer Pensionsgäste ein, mit denen wir sehr angenehme Gespräche teils auf Italienisch, teils auf Deutsch führten. So erfuhren wir auch, dass die administrative Ausweisung des Landschaftsschutzgebietes im wesentlichen den Zweck verfolgte, die Zerstörung des herrlichen Landschaftsbildes durch den angedrohten großräumigen Bau von Windkraftanlagen zu verhindern.

Ein kleiner abendlicher Gang um das Haus führte uns zu den hauseigenen Wachteln, die quirlig herumwuselten und möglicherweise etwas Angst vor uns hatten.

So endete der Tag in bestem Einvernehmen mit den Menschen, den Bäumen, den herrlichen gesehenen Bildern – und die Mühen des recht langen, steilen Abstieges waren schon fast vergessen.

 Posted by at 16:15

Etappe 8: Pfitscher Joch – Tiroler Höhenweg – Kraxentrager – Landshuter Europahütte

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Aug 182023
 

Sonntag, 30. Juli 2023. Auch heute gilt unser erster Blick nach dem Aufwachen wie stets dem Wetter. Nachdem es in der Nacht kräftig geregnet hat, überrascht uns in der Früh der Himmel mit immer neuen, spektakulären Wolkenfetzen, die über das Joch, diesen deutlich erlebbaren Kamm der gesamten Alpenkette hinweg getragen, geblasen, getrieben werden.

Nach dem Frühstück schreiten wir stracks und stark, froh und gut gestimmt auf den Landshuter Höhenweg, einen Abschnitt des Tiroler Höhenweges, der uns heute bis zur Landshuter Europahütte (2693 m) führen wird. Er führt beständig in sanftem Auf und Ab allmählich höher – das ist echtes Genusswandern!

Doch je höher wir kommen, desto unwirtlicher wird das Gelände. Das Wetter zieht sich zu, immer wieder fällt feuchtkalter Wind vom mächtigen Massiv der Urbanscharte, der Grawand, der Hohen Wand (3289 m) auf uns herab. Nicht immer ist der Weg sofort erkennbar, von der Europahütte haben wir noch keinen einzigen Dachschindel gesehen! Kein Strauch, kein Baum kann sich hier halten; nur wenige winzige Blümchen sind zu sehen. Wir sind oberhalb der üblichen Vegetation, im Hochgebirge, im Schrofengelände!

Doch nach einer weiteren Stunde erreichen wir die nebelverhangene Landshuter Europahütte, wo wir unser Nachtlager beziehen und uns Lage und Geschichte dieser wahrhaft europäischen Bergsteigerzuflucht (dieses rifugio, wie man auf Italienisch sagt) erzählen lassen.

Die Hütte liegt nämlich genau auf der heutigen Staatsgrenze zwischen Österreich und Italien und wird gemeinsam von der Sektion Landshut des DAV und der Sektion Sterzing des Italienischen Alpenvereins (CAI) betrieben.

Wir stärkten uns im Gastraum auf italienischem Territorium grenzüberschreitend bei Kaspressknödel und spaghetti al ragù bolognese, die aus dem benachbarten nordtiroler Küchenterritorium zollfrei dampfend über die Landesgrenze (die Küche und Gastraum trennt) auf den Tisch serviert wurden.

Nächstes Jahr wird dies so leicht nicht mehr möglich sein, denn die Hütte wird zu Sanierungsarbeiten vorübergehend ganz geschlossen: der Boden auf Südtiroler Seite senkt sich ab, wohl wegen des auftauenden Permafrostbodens – aber sicher auch deshalb, weil die gesamte Europahütte nicht auf einer tragenden Fundamentplatte errichtet worden ist.

Nun sind wir satt vom Essen, aber noch sind wir nicht satt vom Bergsteigen! Wir beschließen, ohne Rucksack den etwa 1-stündigen Aufstieg zum Kraxentrager, dem „Hausberg“ der Europahütte in Angriff zu nehmen. Mit 2998 m ist er fast ein Dreitausender. Den lassen wir uns nicht entgehen! Nach einiger Kraxelei und Emporklimmen an mit Stahlseilen gesicherten ausgesetzten Quergängen erreichen wir den Gipfel.

Vom Gipfel des Kraxentragers bietet sich ein wunderbarer Rundblick in die majestätisch-abweisende Hochgebirgswelt. Hier hält sich der Schnee an einigen Stellen über das ganze Jahr.

Mit fast 3000m über dem Meeresspiegel haben wir hier die höchste Stelle unserer gesamten Alpenüberquerung erreicht! Doch für ausgiebiges Feiern und Schulterklopfen bleibt keine Zeit, denn der Himmel bewölkt sich stärker und stärker.

Wir steigen zur Europahütte ab und erreichen bei nun wieder klarem Himmel unsere Zuflucht, dankbar und zufrieden. Rechts unten im Bild, das ist sie, die Landshuter Hütte!

Das Zimmer in der Europahütte bietet alles, was Bergsteiger brauchen, um tiefen, erquickenden Schlaf zu finden – nur die Hüttenschlafsäcke muss man wie überall selber mitbringen.

Mitten in der Nacht jagen die Winde den Himmel wieder frei, der Mond schaut in unendlicher Gelassenheit über die düstere Bergwelt – er lächelt strahlend und milde. Doch könnte es sich hier auch um eine Einbildung handeln, – in der dünnen Hochgebirgsluft laufen die Gedanken, wohin sie wollen.

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Etappe 7: Schlegeisspeicher – Zamser Grund – Lavitzalm – Pfitscherjochhaus

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Aug 172023
 

Samstag, 29. Juli 2023. Wir verlassen in froher Stimmung die Dominikushütte. In der Morgenfrühe treten gleich beim Aufbruch die Farben und Konturen des Schlegeisspeichers mit metallischer Deutlichkeit hervor.

Auf guten breiten Wegen durchwandern wir den Zamser Grund; immer wieder hören wir die gellenden Pfiffe von Murmeltieren und sehen jenseits des Baches die putzigen Kerlchen, die buchstäblich „wie aus dem Häuschen“ wirken.

Vom Unterschrammachkar stürzt mit lautem Getöse in kräftigem Schwall ein Wasserfall herab. Aus mehreren solchen Zuflüssen speist sich der hinter uns liegende Schlegeisspeicher.

Auf der Lavitzalm besuchen wir die feine kleine Ausstellung, „Pfitscher Joch grenzenlos“. Thema: Die Welt der Arbeit, seit 10.000 Jahren eingeritzt in diese Berge hier am Hauptkamm der Alpen!

In zwölf Schaukästen werden zehn Jahrtausende Geschichte des Arbeitens eingefangen; zum Beispiel sehen wir Klingen und Pfeilspitzen aus der Steinzeit.

Wir lernen, wie im frühen Mittelalter auf der Lavitzalm Töpfe aus Speckstein, auch Lavez genannt, gedreht wurden.

Ein besonders düsteres Kapitel der Heimatkunde: Zwangsarbeit unter dem Kommando der deutschen Wehrmacht. Von Sommer 1941 bis März 1945 wurden im nahegelegenen Valsertal erst Kriegsgefangene aus Serbien und Frankreich, dann italienische Zivilarbeiter und ab Frühjahr 1942 Zwangsarbeiter aus der Sowjetunion beim Bau umfangreicher, nie in Betrieb genommener Bergwerksanlagen eingesetzt. Abgebaut werden sollte dort das kriegswichtige Element Molybdän, ein Metall, das zur Härtung von Stahl verwendet wird.

Viele der jeweils bis zu 300 eingesetzten Arbeiter erlagen den harten Strapazen oder starben aus bis heute nicht geklärten Ursachen, so etwa der am 15.10.1911 geborene Franzose Robert Leroy, zu Tode gekommen am 15.08.1944 an der Bergstation Alpeinerscharte.

Bis zuletzt wurde übrigens an diesem Ort der Vernichtung menschlicher Arbeitskraft kein Molybdän gefördert.

Hier zwei nützliche Links:

Das Molybdän-Bergwerk im Valsertal

Viehauftrieb in der warmen Jahreszeit/Transumanza del bestiame durante l’estate! Seit Jahrtausenden und bis zum heutigen Tage werden die Alpen hier als Weiden genutzt.

Nach weiterem Anstieg von etwa einer Stunde Dauer erreichen wir unseren Zielpunkt der Etappe 7, das Pfitscher Joch mit dem Pfitscherjochhaus (2276 m). Wir haben somit Südtirol erreicht und überschreiten zugleich die Linie, an der die heutige Staatsgrenze zwischen Italien und Österreich verläuft. Wir beziehen Quartier in einem sehr ansprechenden Zimmer und fertigen draußen noch einige Skizzen an.

Beim Abendessen beobachten wir zwei noch recht junge, unerfahrene Kühe, die von ihrer Herde losgewandert sind und offenbar rings um das Pfitscherjochhaus besonders saftiges Gras vermuten.

Hier sind wir wirklich am Hauptkamm der Alpen angelangt. Die Felsen bestehen am Ort überwiegend aus Gneisen, also erdgeschichtlich sehr altem metamorphem Gestein. Sehr ins Auge fallen mir bei den überall umherliegenden riesigen Felsblöcken die mächtigen Parallelstrukturen, in denen noch das schiefrige Schichtgefüge erscheint, zu denen der unter sehr hohem Druck umgeformte Gneis gepresst wurde.

Und überall sprießt Leben, selbst hier, auf über 2200 m Seehöhe, finden sich am Gneis wurzelnde Blümchen in erstaunlicher Üppigkeit und Farbenpracht!

Ein herrlicher Lohn sind diese Blicke rings um das Pfitscherjochhaus für einen insgesamt unschweren Anstieg!

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Etappe 6: Hochfügen – Sidanjoch – Melchboden – Schlegeisspeicher

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Aug 132023
 

Freitag, 28. Juli 2023

Unsere Wanderung führte uns zunächst an den ausgestorbenen Wintersport- oder besser Skizirkus-Einrichtungen Hochfügens vorbei taleinwärts. Nach einer guten halben Stunde schweißtreibenden Anstiegs hatten wir bereits ein Almdorf, den Pfundsalm-Niederleger, erreicht. Es ging weiter bergan und taleinwärts. Ehe wir auf schmale Bergwege wechselten, gönnten wir uns noch eine kurze Trinkpause. Dann ging es steil bergaufwärts. Immer wieder hielten wir inne, um die wunderschönen Almlandschaften, Ausblicke, Gipfel und das Licht- und Schattenspiel der Wolken und Sonne im Wechsel der Landschaft zu betrachten.

So erreichten wir das Sidanjoch und blickten auf die schneebedeckten Gipfel der Dreitausender im Süden. Auf dem Kamm wanderten wir weiter und wurden nicht müde, uns an der hochalpinen Landschaft zu erfreuen. Die Rastkogelhütte ließen wir rechts liegen, um Energie zu sparen, und „zogen durch“. Auf dem Weg begegnete uns eine große Kuhherde mit einheimischen Bauersleit. Diese Kühe wurden gerade auf eine neue Weide getrieben. Auf die Tatsache, dass einige Viecher keine Hörner hatten, angesprochen, gab uns der Bauer in schönstem Tirolerisch ein Plädoyer für Vielfalt mit auf den Weg. „Ja, man versucht jetzt diese neuen hornlosen Typ Kuh durchzusetzen. Heutzutag reden alle von Vielfalt, und dann sollen doch alle Kühe gleich aussehen.“

Auf einem schönen Steig in sanftem Auf und Ab zwischen Alpenrosen, Zirben, Lärchen und Fichten liefen wir zu unserem Etappenziel, der Jausenstation Melchboden. Dort kamen wir um 12:00 Uhr an. Da der Bus laut Fahrplan erst um 14:30 Uhr abfahren würde, hatten wir Zeit für eine ausgiebige Pause. Wir tranken gespritzten Johannisbeersaft und aßen jeder einen Melchbodensalat mit Kaspressknödel. Um unsere Energiespeicher endgültig wieder aufzufüllen, gab es noch Kaffee und Kuchen (Mohnkuchen, Apfelstrudel). Anschließend setzten wir uns auf die Wiesen in der Nähe der Bushaltestelle und genossen einfach das großartige Bergpanorama beziehungsweise nutzten die Zeit, um ein wenig in unseren Zeichenbüchern zu skizzieren.

Um 14:30 Uhr nahmen wir den Bus zum Bahnhof Hippach. Entgegen unserer Befürchtung bekamen wir einen guten Sitzplatz und konnten die abenteuerliche Fahrt auf engen, oft steil abschüssigen Straßen mit Gegenverkehr sogar genießen. Von Hippach fuhren wir 2 Stationen mit dem Zug nach Mayrhofen, dort nahmen wir einen weiteren Bus, der uns zum Schlegeisspeicher brachte (zirka eine Stunde Fahrzeit). Ein fast unwirkliches Hochgebirgspanorama erwartete uns: der türkisblaue Schlegeis-Speichersee, die übermenschliche monumentale Staumauer, über allem thronend ewige Gipfel und Gletscher!

Wir bezogen unser gemütliches Zimmerchen in der Dominikushütte und wurden von der Hüttenwirtin, einer netten patenten Niederländerin, in alles eingewiesen und zum zeitnahen Einnehmen eines Abendessens angehalten. Dem kamen wir gern nach und genoss außen auf der Terrasse den Blick auf das Panorama sowie einen Veggie-Teller mit Kas- und Spinatknödel und einen Fitness-Salat.

Die 131 m hohe Staumauer erstreckt sich über 725 m Länge. Bauzeit: 1965 bis 1971. Hinten knapp oberhalb der Mauer: die Dominikushütte.

Danach machten wir einen Spaziergang auf der Staumauer und hinunter an den See. Bei der Rückkehr nahmen wir ohne Bedauern zur Kenntnis, dass eine Gruppe junger Österreicher, die zuvor laut lärmend im Gastraum einen Junggesellenabschied gefeiert hatten, mit aufheulenden Motoren wieder abzog.

Den Abend verbrachten wir damit, den schönen Bergtag Revue passieren zu lassen und immer wieder aus dem Fenster auf die großartige Aussicht zu schauen.

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Etappe 5: Fügen – Spieljoch – Gartalm – Loassattel – Hochfügen

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Aug 122023
 

Donnerstag, 27. Juli 2023. Der Morgen ruft uns beiden in einer Unterführung ein herzliches „Griaß enk!“ entgegen, „[Ich entbiete meinen] Gruß euch beiden“, denn dieses „enk“ entstammt bekanntlich im Bairischen dem alten Pronomen personale dualis, also dem altehrwürdigen Dativ-Dual der frühen germanischen Sprachen, der im heutigen Hochdeutschen völlig verloren gegangen ist (vgl. gotisch „igquis“ = euch beiden).

An der Bushaltestelle besteigen wir um 08.18 Uhr den Bus, der uns auf langen gewundenen Serpentinen hinunter nach Jenbach bringt. Dort besteigen wir die Zillertalbahn nach Mayerhofen, die schon wartend am Bahnsteig steht. Ich nutze die Wartezeit um zu bestaunen, wie am Nebengleis die Dampflokomotive der Zillertalbahn befeuert wird. Zentnerweise lädt ein Heizer Kohle in die Ladeluke des Dampfrosses.

Bräunlich-rußige Schwaden dringen aus dem vorderen Schlot. Hinten steigt weißer Dampf aus den erhitzten Wasserkesseln. Diese Männer verrichten die gleichen Arbeiten, wie sie schon vor 130 Jahren verrichtet wurden! Was wäre unsere Welt ohne den tiefgreifenden, flächendeckenden Einsatz der fossilen Brennstoffe Kohle, Erdöl, Erdgas – und des Stickstoffdüngers! Der heutige Wohlstand, die Freiheit von Armut und Hunger, die früher unvorstellbar hohe Lebenserwartung, die in unseren europäischen Gesellschaften alle, wirklich alle genießen, wäre überhaupt nicht denkbar. Diese Gedanken schießen mir durch den Sinn.

Vom Bahnhof Fügen-Hart, wo wir aussteigen, gehen wir durch den Ort zur Talstation der Spieljochbahn. Die Seilbahngondel teilen wir uns mit einer Berliner Familie, die uns aufklärt, dass die vor wenigen Tagen in Berlin-Zehlendorf gesichtete Löwin kein Wildschwein, sondern eben doch eine Löwin gewesen sei. Ha! Dies habe sich erst am Vortag (also am 26. Juli) endgültig bewahrheitet, doch werde diese Wahrheit bewusst in einer medialen Verschwörung von Polizei, Presse und Politik unter der Decke gehalten, um einen bekannten, in Neukölln beheimateten Clan zu decken. Da wir das Internet derzeit kaum nutzen, können wir den Wahrheitsgehalt dieser Aussage nicht überprüfen. Haben die redseligen Berliner uns etwa erneut einen Bären aufgebunden? In der Bergluft sind die Gedanken ja so frei, für einen guten Witz ist immer Zeit!

Mit dieser Seilbahn erreichen wir die Bergstation (1885 m). Im Süden weit drüben grüßen uns gut sichtbar die erhabenen Dreitausender des Alpenhauptkamms, der Hohen Tauern, darunter auch der vergletscherte Großvenediger.

Vom Spieljoch wandern wir zur Gartalm (1849 m). Dort verweilen wir nachdenklich an authentischem Ort vor dem Denkmal für Bruno, den am 30. Mai 2006 hinterhältig geschossenen, den räuberischen „Problembären der Herzen“.

„Fort, fort von hier zum Loassattel!“ Über liebreizende Almhänge, die von Kühen beweidet werden, geht es sanft bergab durch den Nadelwald, an dessen Ende eine idyllisch gelegene Bank an einem Bohlensteg und einer Viehtränke uns zur Pause verlockt.

Und tiefer, immer tiefer führt uns der Abstieg ab dem Loassattel; wir erreichen schließlich den Fahrweg, der uns in den zur Sommerzeit eher verlassenen Wintersportort Hochfügen (1480 m) führt. So rücksichtslos man auch die Skipisten rings um Hochfügen freigerodet hat, scheint der Hunger des Menschen nach immer neuen Natureingriffen, nach Kahlschlagrodungen immer noch nicht gestillt, denn geraume Zeit begleiten uns weitere, erst vor kurzem mit Stumpf und Stiel von Wald und Baum befreite Flächen. Warum ist das so, endet denn nie des Menschen Raubwerk an Wald und Forst, an Baum und Blatt?

Des Rätsels Lösung erfahre ich im Ort selbst von Bewohnern: Hier wird im Zuge eines ökologischen Vorzeigeprojektes die Wärmeversorgung dezentral von individuellem Hausbrand auf Ortswärme umgestellt. Und dazu ist eine großflächige Abholzung bestehenden Waldes, das Aufreißen kilometerlanger Straßen und Gräben, das unterirdische Verlegen von neuen Rohren unerlässlich. Ja, das weitere planvolle, gewiss auch räuberische Zerstören und Umformen, Umgestalten der Natur durch das „Problemtier der Herzen“, den Menschen, wird auch während und nach der ach so hoch gerühmten Energiewende ungemindert weitergehen! Das gilt im Kleinen wie im Großen, in Hochfügen ebenso wie jenseits der Landesgrenzen, in Deutschland. Es wäre eine gefährliche Illusion zu glauben, das Wirken des Menschen könne gegenüber der Natur oder dem Klima je neutral werden. Das war es in der Weltgeschichte nie und wird es auch nie sein – wie man an diesem ökologischen Vorzeigeprojekt in Tirol sehen kann.

Dessen ungeachtet nehmen wir ruhigen Gewissens in Dankbarkeit das vegetarische Abendessen in unserem Nachtquartier ein. Es gibt Tiroler Gröstl und Bergsteigersalat mit frischem Blattwerk und Sprossen, dazu alkoholfreies Weizen und Johannisbeerschorle. [Zusatz vom 13.08.2023: Reiseleitung korrigiert: Das Abendessen war nicht vegetarisch, da das Tiroler Gröstl mit Speck gereicht wurde!] Köstlich, unsere Energiespeicher werden aufgefüllt!

Und mitten in der Nacht werden wir unvermutet wach, treten wir hinaus auf den Balkon und erblicken das größte Wunder des heutigen Tages: den gestirnten Himmel über den Bergen, hoch oberhalb des Lichtsmogs der räuberischen Städte im Flachland: die Milchstraße schimmert und funkelt Millionen von Lichtjahren entfernt auf uns herab.

Sind durch die Nächte die Lichter gewunden,
Reiht sich heilig Stern an Stern;
Alles ist ewig im Innern verbunden
Grüßt von nah und grüßt von fern.

 Posted by at 15:48