Konrad-Adenauer-Stiftung und CDU-Kreisverband Pankow luden heute nachmittag ein. Meine russische Frau Ira und ich, wir lernten im gepflasterten Hof der „Kulturbrauerei“ eine wie wir den Weg suchende, sehr sympathische junge Tschechin aus Prag kennen – ein gutes Zeichen dafür, dass wir Deutschen nicht allein feiern sollten. Auf der Festveranstaltung zum Tag der deutschen Einheit in Prenzlauer Berg schlugen Günter Nooke und Thomas de Maizière nachdenkliche Töne an. „Man erbt die Geschichte und die Geschichten“, so Nooke. Die deutsche Wiedervereinigung sei damals im Westen Deutschlands auf gewisse Vorbehalte gestoßen, da dort Fremdheit, ja Misstrauen gegenüber Deutschland um sich gegriffen habe. Anders die Bürger der DDR, die sich immer eindeutig als DDR-Bürger oder als Deutsche empfunden hätten. Der wahre „deutsche Herbst“ habe sich nicht 1977 mit seinem dreifach unverständlichen RAF-Terror, sondern 1989 ereignet. – Thomas de Maizière entwarf danach ein äußerst differenziertes, mit Daten und Fakten angereichertes Gesamtbild der Lage Deutschlands nach der Wiedervereinigung. „Kein Schwarz-Weiß-Bild“, wie er zwei Mal hervorhob. Zwischentöne in mannigfachen Schattierungen herrschten somit vor. Er plädierte für die Beibehaltung des Solidaritätszuschlags, dessen heute in Erwägung gezogene Abschaffung er als „zu früh“ bezeichnete. Er rief dazu auf, eingeschliffene Denkgewohnheiten aufzugeben – Menschen und Dinge „nicht zu verschubladen“. Diesen Teil seiner Rede fand ich am beachtlichsten, zumal er an Begriffen wie „Ostdeutscher“ bemängelte, sie könnten keine Grundlage für zukünftige Identität abgeben.
Und genau über diese spannenden Prozesse der Bildung neuer deutscher Identität (oder gar deutsch-europäischer Identitäten?) hätte ich gerne mehr erfahren. „Kerzen der Zuversicht“ – diese schöne Formulierung de Maizières musste heute Wunsch bleiben.
Nicht unpassend wäre es gewesen, wenn man zum Abschluss noch einen stärkeren Ausdruck für Gefühle gefunden hätte, etwa durch Singen. Warum denn nicht unsere deutsche Nationalhymne singen? Mir gefällt die G-dur-Melodie, die der Österreicher Joseph Haydn, in ungarischen Diensten stehend, einer alten kroatischen Volksweise entlehnt hat, und der amtliche Text enthält ein starkes Plädoyer, glücklich zu sein oder glücklich zu werden. Aber Glück lässt sich nicht amtlich verordnen. Man muss es spüren.
2 Responses to “Nachdenkliche Töne zur deutschen Einheit”
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Herr Wehrl, spannend zu sehen, wie verschiedene Menschen, die dieselbe Veranstaltung besucht haben, verschiedene Teilansichten beisteuern. Die Wahrheit liegt dann im Gesamtbild. Danke für Ihren Kommentar! Ich stimme Ihnen völlig zu, wir brauchen mehr solche nachdenklichen Momente. Heute steht übrigens im Tagesspiegel ein Bericht zu dieser Feier, von Matthias Schlegel. Aber wir im Blog waren schneller.
Es waren in der Tat nachdenkliche und nachdenkenswerte Worte über das Wagnis der Einheit von einem Mann, der den Einigungsprozess erlebte und aktiv mitgestaltete. Beachtenswert fand ich zudem die Ausführungen über Ursachen und Folgen der Migrationsströme (z.B. Verbesserung im Verhältnis Lehrer-Schüler in Sachsen) unter der Maxime einer differenzierten Betrachtungweise (ohne das verbreitete „Schön- bzw. Schlechtreden“).
Die Probleme pragmatisch angehen und nicht auf der Suche nach dem Königsweg jeden Vorschlag und jede Maßnahme der politischen Mitbewerber zu zerreden, daran fehlt es noch sehr in diesem Land…!