Sep 032008
 

Diesen Satz schrieb mir gestern Stefan Maria Rother als persönliche Widmung in unser Exemplar seines Buches: BERGMANNstraße. Wir besuchten die Präsentation des druckfrischen Fotobandes bei unseren Freunden im Fachwerkhof für Kunst und Handwerk in der Kreuzberger Solmsstraße 30. In diesem Hinterhof haben unsere Freunde Dietrich und Mariatta über Jahre hinweg eine Insel für Kunst und Handwerk geschaffen: Das alte Fachwerk wurde grundhaft saniert, Mauerwerk wieder aufgeführt, die alten Balken sind wieder an Ort und Stelle verlegt, die Fachwerkmauern stehen und bieten Raum für sechs kleine Läden und Galerien, ja sogar eine Sprachschule hat sich dort angesiedelt. So sah es gestern aus – im Gedränge der vielen freudigen Gäste:

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„Sie haben mit Ihren Fotos für die Bergmannstraße das gemacht gemacht, was Alfred Döblin damals, 1929, in Berlin Alexanderplatz für die Schönhauser Allee mit Worten gemacht hat: hingehen zu den Leuten, hineinschauen in ihre Köpfe und Gedanken … sie hervortreten lassen aus dem Nebel der Großstadt …“ Also redete ich bei der Vernissage den Fotografen Stefan Maria Rother an. Ihr wisst ja: Ich suche immer eine Brücke zu anderen Menschen – und aus dem Augenblick heraus fällt mir gerne auch die eine oder andere artige Nettigkeit ein.

Das Buch ist in der Tat eine Art Kettenerzählung von Menschen. Die meisten Bilder zeigen Menschen, zeigen Gesichter. Und das beste: Diese Gesichter sind nicht namenlos, sondern in kleinen Texten werden diese Menschen namentlich vorgestellt. Jede und jeder wird kurz an der Hand gefasst, für einen huschenden Augenblick ins Licht gehoben, wird gestärkt als Person und als Mensch. Mein Vater machte dies in meiner Kindheit auch mit unseren Fotoalben. Ein Textbeispiel aus dem Buch von Rother:

Cynthia Barcomis Kuchen sind einzigartig und ihr Team ist es auch: Cynthia Barcomi, Thomas Landgraf, Müzzeyen Tahtaci und Ebou Secka.

Das mag man belächeln. Ich halte es für eine große Geste der Menschlichkeit. Die Grundhaltung Rothers ist: In der Bergmannstraße tut sich viel Gutes! Handwerksbetriebe haben überlebt. Wer kennt noch einen echten Schuster? Hier gibt es ihn. Er heißt Sumer. Und noch einen, der Dietrich Specht heißt. Oder die Sängerin Snezana Nena Brzakovic , die ihre Stimmübungen weitergibt – oh Slawen, was habt Ihr doch für herrliche Organe! Ich kann ein Lied davon singen!

Vor wenigen Tagen stimmten wir ein Lied auf die alten Berliner Pflastersteine ein. Wohlan denn! Auch in diesem Buch werden sie ins Licht gerückt: Auf S. 33 erblickt man den herrlich verwitterten, körnig-aufgerauhten Straßenbelag in der Schenkendorfstraße, mit allen Schrunden und Zeit-Rissen aus der Froschperspektive aufgenommen, hinführend zur Bergmannstraße. Und gleich daneben dieselbe Ansicht, aber diesmal vom spiegelglatt polierten Dach eines Autos aufgenommen. Das Bodenhafte, Zeitzeugenhafte des Pflasters fehlt. Das Dach spiegelt sich, wird aufgespannt wie eine schimmernde Wasseroberfläche – ein großartiger Effekt! Allein deswegen lohnt sich das Betrachten dieses Buches schon!

Blättert man das Buch von vorne bis hinten durch, so vernimmt man geradezu hörbar eine Art psalmodierenden Lobgesang auf das Widerständig-Wurzelhafte im menschlichen Dasein. Die vielen Existenzen, die sich sozusagen in den Nischen der Moderne einen Platz geschaffen haben, eine Bucht zum Ankern, wo sie für einen bestimmten Zeitraum festgemacht sind – ehe sie, wer weiß, irgendwann weitertreiben werden. Geht man durch die Bergmannstraße heute, oder blättert man durch dieses Buch, wird man Zeuge dieses Innehaltens und Weitertreibens, dieser Aufstauung der Zeit – denn Fotos sind gebannte Augenblicke. Sie sind Kieselsteine, aus denen dich Augen ansehen – so wie diese Steingesichter Matthias Maßwigs , die ich gestern im Fachwerkhof entdeckte:

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Im Blog des Verlages Berlinstory ist unter dem 2. September 2008 sogar der hier Schreibende zu sehen – zusammen mit Weib und Kind.

Hier noch die Angaben zu dem gestern aus der Taufe gehobenen Buch:

Stefan Maria Rother: Bergmannstraße. 1. Auflage – Berlin: Berlin Story Verlag 2008

 Posted by at 21:39

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