Nov 092008
 

30082008.jpg Wie eine gut funktionierende, lernende Volkspartei geführt wird, kann man in aller Seelenruhe am Beispiel der Demokraten in den USA studieren – man kann es sogar nachahmen. Während die beiden deutschen Volksparteien CDU und SPD sich geradezu krampfgeschüttelt in einzelnen Bundesländern – Brandenburg, Hessen, Berlin, Bayern – immer wieder zerlegen und erfolgreich Geburtshilfe für die dritte deutsche Volkspartei, nämlich die Linkspartei, leisten, baute Team Obama im hellen Lichte der Öffentlichkeit mit harter Arbeit eine überwältigende Musterpartei auf. Dies erkennt heute Christoph von Marschall im Tagesspiegel:

Operation Obama
Er hat Managerqualitäten und die Fähigkeit zur Personalführung. Seine Kampagne setzte in anderthalb Jahren mehr als eine halbe Milliarde Dollar um, Hunderte arbeiteten hauptberuflich für ihn, Tausende in Teilzeit, die Zahl der freiwilligen Helfer, die es zu koordinieren galt, überstieg eine Million. Auch seine Gegner erkennen an, er habe einen nahezu fehlerfreien Wahlkampf geführt.

Hillary Clintons und John McCains Mannschaft machten mit internem Streit und Personalwechseln Schlagzeilen. Team Obama blieb geschlossen und diszipliniert. Sensible Details drangen nicht nach draußen. Wenn sich Journalisten auf exklusive Informationen von Obama-Beratern beriefen, war das entweder beabsichtigt oder man durfte nahezu sicher sein, dass die Quelle nicht zum inneren Zirkel gehört, der tatsächlich Bescheid weiß.

Obama zieht hochqualifizierte, ehrgeizige Mitarbeiter an und setzt sie effektiv ein. Erst das ermöglichte die Rekorde in fast allen Belangen des Wahlkampfs. Nie zuvor hat ein Kandidat so viele Spenden eingeworben, so viele freiwillige Mitarbeiter angelockt, so viele Erstwähler motiviert und so viele Bürger insgesamt mobilisiert. Anfangs hielten viele ihn für ein vorübergehendes Phänomen – eine Art politisches Popidol, dessen Attraktivität sich durch Wiederholung der immer selben Reden erschöpft. Sie haben sich geirrt. Obama bewies dauerhaft Anziehungskraft.

Was lernen wir daraus? Die Debatten in den nicht funktionierenden deutschen Volksparteien kreisen ständig um die Fragen: Wer hat was falsch gemacht? Wer ist schuld an dem Schlamassel? Wem schieben wir den Schwarzen Peter zu? Wen schicken wir diesmal als Sündenbock in die Wüste? Letztes Beispiel: Die Regionalkonferenz  im Glashaus am vergangenen Donnerstag (dieses Blog berichtete). Und das Schlimmste ist, Bloggerinnen und Blogger: Ich habe selbst mitgemacht – habe selbst recht amüsant geschimpft und kesselflickerhaft gelästert, statt noch einmal für meine schon mehrfach vorgetragenen konstruktiven Vorschläge zu werben. Au weia! Ich muss mich ebenfalls wandeln.

Ein himmelweiter Unterschied zu den Demokraten des Barack Obama: Die Debatten kreisten um folgende Fragen: Was läuft zur Zeit noch falsch? Wie können wir den Zustand ändern? Wer macht’s? Hillary Clinton oder Barack Obama? Wer zieht den Karren aus dem Dreck – besser: Wie ziehen wir den Karren aus dem Dreck? Wie holen wir die innerparteilichen Gegner (z.B. Hillary)  zurück ins Gespann?

In Anlehnung an Goethe drängt es mich zu sagen:

Amerika, Du hast es besser,

Hast keine Pfründen, keine Schlösser!

Hast keine wunderlichen Alten,

Die nur verwalten, nicht gestalten.

Die nur im Streiten sich ergehen,

Statt Krisen mutig zu bestehen.

Das Tollste ist: Diese Musterpartei reformierte sich nicht nur erfolgreich selbst, sondern sie gewann sogar den härtesten, schwersten und teuersten Wahlkampf aller Zeiten.

Werden wir Deutschen mit unserer vergleichsweise sehr jungen Demokratie das US-amerikanische Vorbild nachahmen können, wie wir es so erfolgreich nach 1945 nachahmten?

Ich glaube: Ja, wir schaffen das. Und ich habe in meinem vergleichsweise äußerst winzigen Umfeld begonnen, daran zu arbeiten.

Unser Bild zeigt heute einen Blick von einem unserer letzten Ostseestrandspaziergänge, aufgenommen in Dierhagen. Dort holte ich mir schon des öfteren Kraft und Weitblick für unsere recht kleinteiligen Berliner Verhältnisse.

Beschließen wir unseren sonntäglichen Zeiten-Strand-Spaziergang mit der Rezitation eines Goetheschen Gedichts:

Johann Wolfgang Goethe (1827)

Den Vereinigten Staaten

Amerika, du hast es besser
Als unser Kontinent, das alte,
Hast keine verfallene Schlösser
Und keine Basalte.

Dich stört nicht im Innern,
Zu lebendiger Zeit,
Unnützes Erinnern
Und vergeblicher Streit.

Benutzt die Gegenwart mit Glück!
Und wenn nun eure Kinder dichten,
Bewahre sie ein gut Geschick
Vor Ritter-, Räuber- und Gespenstergeschichten.

 Posted by at 12:49

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