„Wenige verstehen das Geheimnis der unendlichen Liebe“, so dichtete Novalis in seinen Hymnen an die Nacht. Ich las den Dichter als 15-Jähriger, an seinen Gedichten wie an denen Goethes ging mir damals auf, was Dichten bedeuten kann: kühnes, freies Ausgreifen in einen Gedankenraum hinein, den vorher noch niemand betreten hat.
Den gestrigen und den heutigen Tag verbrachte ich beruflich in der alten Bergstadt Freiberg in Sachsen. Dort studierte Novalis an der Bergakademie, arbeitete anschließend in der Bergwerksverwaltung, erkundete Braunkohleflöze in Mitteldeutschland. In der Nacht lag ich am offenen Fenster in der Winterkälte, starrte hinaus zum goldenen Knauf der Martinskirche und versuchte mich an Verse zu erinnern, die ich beim Novalis gelesen, an Szenen, die ich aus seinem Ofterdingen noch in mir trug. Besonders erinnerte ich mich an die Szene, in der Heinrich in einem alten Bergwerk ein Buch findet, in dem er aufgeschlagen seine eigene Geschichte findet. Nach innen geht der geheimnisvolle Weg … dieses Motto tauchte von irgendwoher wieder auf.
Mein getreuer Reisebegleiter ist weiterhin das Buch „The Audacity of hope„. Nur wenige verstehen das Geheimnis der Freiheit! Nur wenige verstehen es, von der Freiheit so zu reden, dass man auch bei größter Müdigkeit noch weiterliest. Der Verfasser von The Audacity ist einer! Was für ein begnadeter Erzähler! Im zweiten Kapitel „Werte“ erzählt er davon, was Freiheit für ihn bedeutet – für ihn, für seine Frau, für uns alle. „The value of individual freedom is so deeply engrained in us that we tend to take it for granted“ (S. 53). Wir dürfen nicht vergessen, dass die Freiheit, die wir genießen, jederzeit an vielen Orten dieser Welt nicht gilt, erst noch errungen und dann verteidigt werden muss.
In der Fußgängerzone entdeckte ich einen Hinweis auf unser Thema. Das Foto zeigt den Schreibenden in Freiberg am gestrigen Tag. Auf dem Pflaster lag erster Schnee. Es roch nach Winter.
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