Mai 152009
 

Allzu leicht fließt vielen Mahnern die Floskel „christlich-abendländische Werte“ über die Lippen. Dabei hätte der äußerst beachtliche Besuch des Papstes Benedikt in Israel und den palästinensischen Gebieten Anlass sein können, dem nachzusinnen, was der Papst selbst immer wieder hervorgehoben hat: dem gemeinsamen Ursprung der drei Weltreligionen aus der Wurzel des alten Israel. Das Judentum und die beiden aus ihm entsprungenen Nachfolgereligionen  Christentum und Islam sind morgenländische Religionen. Bereits am Ende des 4. Jahrhunderts dachten, glaubten und beteten die Christen im wesentlichen so, wie sie das heute noch tun. Das Christentum hat sich im Orient ausgebildet, in Palästina, in Kleinasien (also dem Gebiet der heutigen Türkei), recht bald auch in der westlichen Reichshälfte, in Rom. Von da aus trat es seinen beispiellosen Siegeszug durch Europa an, ja es hat eigentlich das Europa, wie wie wir es heute kennen, erst entstehen lassen. Den Reden des Papstes ist das Bewusstsein dieses Kulturtransfers von Ost nach West, vom Morgenland in das Abendland deutlich anzumerken. Wir sind alle Schuldner Asiens.

Das Spannendste, was ich derzeit über das Christentum lesen und hören kann, fließt aus der Feder von Muslimen. So etwa derjenigen Necla Keleks. In ihrem Buch „Die verlorenen Söhne“ (München 2007) beschreibt sie eindringlich, wie die Gestalt Jesu ihr in einer ausweglos scheinenden Situation half, die Trennung von ihrer Familie und ihrem Mann zu bewältigen. Sie schreibt auf S. 227: Jesus fordert die Menschen auf, an sich zu glauben, er ermutigt sie, keine Angst zu haben, er lehrt nicht nur den Nächsten, sondern auch den Feind anzunehmen.  „Glaubt an mich und an euch selbst, dann wird selbst das Unmögliche möglich.“ In den Betrachtungen Keleks wird für einen Augenblick das Befreiende, das Ungeheuerliche der christlichen Botschaft spürbar.

Aber auch Navid Kermanis in der Neuen Zürcher Zeitung erschienene Kreuzesmeditationen vor einem Bild Guido Renis bergen etwas von der Glutfülle der morgenländischen Religionen. Sie führen direkt ins Mysterium der Botschaft Jesu hinein. Sie stellen eine bewundernswerte Rede und Gegenrede dar, eine beispielhafte Versenkung in das Andersartige der anderen morgenländischen Religion. Kermani nimmt zunächst Anstoß an der Kreuzestheologie – einen Anstoß, ein Ärgernis, welches auch in den neutestamentlichen Schriften wieder und wieder behandelt wird. Die Briefe des Paulus sind eine einzige Auseinandersetzung mit dem Anstoßerregenden der Kreuzesbotschaft. Und Joseph Ratzinger fasst den Nachhall dieses Ärgernisses, wenn er schreibt: „Der Skandal des Kreuzes ist vielen unerträglicher als einst der Donner des Sinai den Israeliten“ (Joseph Ratzinger, Jesus von Nazareth, Freiburg 2007, S. 97). Doch Kermani geht einen Schritt weiter, er verharrt nicht in der Ablehnung dieses Ärgernisses. Wir zitieren aus der FAZ:

Guido Reni führt „das Leiden aus dem Körperlichen ins Metaphysische über. Sein Jesus hat keine Wunden. Er blickt in den Himmel, die Iris aus dem Weiß des Auges beinah verschwunden: Schau her, scheint er zu rufen. Nicht nur: Schau auf mich, sondern: Schau auf die Erde, schau auf uns. Jesus leidet nicht, wie es die christliche Ideologie will, um Gott zu entlasten, Jesus klagt an: Nicht, warum hast du mich, nein, warum hast du uns verlassen?“ Vor dem Altarbild, schrieb Kermani weiter, fand er den „Anblick so berückend, so voller Segen, dass ich am liebsten nicht mehr aufgestanden wäre. Erstmals dachte ich: Ich – nicht nur: man -, ich könnte an ein Kreuz glauben.“

Navid Kermanis Meditationen über das Kreuzigungsbild Guido Renis, Necla Keleks Betrachtungen zum Gleichnis vom verlorenen Sohn, aber auch das Jesus-Buch von Joseph Ratzinger halte ich für höchst beachtliche, unbedingt lesenswerte Anstrengungen, dem Kern des christlichen Mysteriums nachzuspüren. Von ihnen, von diesen drei zeitgemäßen Unzeitgemäßen, geht befreiende Kraft aus.

Doch die Welt hat es nicht erkannt! Der Hessische Kulturpreis konnte nicht an Navid Kermani überreicht werden, weil Peter Steinacker und Karl Kardinal Lehmann es ablehnten, zusammen mit Navid Kermani den Preis entgegenzunehmen. Der Jude Salomon Korn zeigte mehr Weisheit, mehr Toleranz, mehr Einsicht in die unentwirrbar vielstimmige Gestalt der morgenländischen Religionen.

Eklat um Kulturpreis: Ein deutsches Trauerspiel – Debatten – Feuilleton – FAZ.NET
Guido Reni führe „das Leiden aus dem Körperlichen ins Metaphysische über. Sein Jesus hat keine Wunden.

 Posted by at 12:27

Sorry, the comment form is closed at this time.