Jul 012009
 

„Haben Sie die Größe, Fehler zuzugeben.“ Also redete Bundespräsident Köhler der Finanzbranche ins Gewissen. Genau dieser Satz fällt mir soeben beim Lesen des Streitgespräches zwischen Jürgen Todenhöfer (CDU) und Peter Struck (SPD) wieder ein.  Zitat Todenhöfer:

„Auch Politiker dürfen Fehler machen. Aber sie müssen den Mut haben, sie zu korrigieren. Die SPD war immer so stolz darauf, Friedenspartei zu sein. Deshalb verlange ich von Politikern wie Peter Struck, dass sie den Mut zur Korrektur haben. Ich kenne mehrere führende deutsche Politiker, die diesen Krieg für Bullshit halten, sich aber nicht trauen, es offen zu sagen.“

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SPD – Friedenspartei? Denkt man weiter zurück, so fallen einem natürlich die erbitterten Streitigkeiten zwischen SPD und USPD/Spartakusbund in den Jahren 1914-1919 ein. Die SPD unterstützte damals vorbehaltlos den Kriegseintritt, bewilligte Kriegskredite. Anders die Linksradikalen um Luxemburg und Liebknecht. Sie waren entschiedene Gegner des Krieges zwischen Staaten – weil diesen, wie sie zutreffend erkannten, stets die „kleinen Leute“ ausbaden müssen. Luxemburg und Liebknecht befürworteten allerdings den inneren Krieg, also den bewaffneten Kampf zwischen den Parteien innerhalb eines Staates. Der rechtsnationale Kapp-Putsch, der von Luxemburg und Liebknecht initiierte Spartakusaufstand, der Hitler-Putsch – das waren nach der Abdankung des Kaiserreichs nur drei von mehreren gewaltsamen Versuchen, einen echten Bürgerkrieg im demokratisch verfassten Deutschland zu entfesseln. Wie im heutigen Afghanistan, simmerte damals in Deutschland eine Art episodischer Bürgerkrieg mit vielen Morden, Anschlägen, Unterhöhlung der staatlichen Autorität. Durchsetzen konnten sich ein gutes Jahrzehnt später unter all den politischen Verbrechern und gewöhnlichen Kriminellen die hartnäckigsten, nämlich die Nationalsozialisten.

Sie setzten die „Weimarer Doppelstrategie“ am erfolgreichsten um: Unterwanderung des Staatsapparates, Teilnahme am parlamentarischen System – und begleitend hierzu, von Anfang an, zahlreiche Akte des zivilen Ungehorsams, Morde, Bomben, Verbrechen. Dass die Nationalsozialisten, die NSDAP, von Anfang an, also seit ihrer Gründung auf verbrecherische Methoden setzte, war den Zeitgenossen stets klar und sollte auch uns stets klar bleiben, wenn wieder einmal einer behauptet: „Das haben wir nicht gewusst.“

Es ist bezeichnend, dass Peter Struck nur die zwischenstaatlichen Kriege als „echte“ Kriege anerkennen will. Zitat Struck:

SPIEGEL: Ist es denn nun ein Krieg?

Struck: Im herkömmlichen Sinn ist es kein Krieg, der wird nur zwischen Staaten geführt. In Afghanistan kämpfen die Taliban gegen das afghanische Volk und versuchen, uns ihren Krieg aufzuzwingen.

Das ist natürlich Unsinn. Seit Jahrtausenden gibt es neben den zwischen Regierungen oder Staaten geführten Kriegen auch die Binnenkriege mit oder ohne Beteiligung von Regierungen, also die sogenannten Bürgerkriege (lateinisch: bella civilia). Schwache Staaten, schwache Regierungen unterliegen einem hohen Bürgerkriegsrisiko. In Italien tobte ab 1943 ein Bürgerkrieg, der erbitterter war und weit mehr Todesopfer forderte als der zwischenstaatliche Krieg, den Italien in den Jahren zuvor gegen andere Staaten führte. Dieser italienische Bürgerkrieg blieb unentschieden, erst durch den verlustreichen Einmarsch der Amerikaner konnte er beendet werden, und später einigte man sich darauf, dass das Volk im Widerstand, in der berühmten Resistenza, zusammengefunden habe. Eine fromme Mär, wie so vieles  in der jüngsten Zeitgeschichte! Das Imperium Romanum wiederum hatte im 1. Jahrhundert v.Chr. mehrere Bürgerkriege zu bestehen, die heftiger, grausamer geführt wurden als die Bekämpfung der aufständischen Völkerschaften jenseits der Grenzen. Die Tausenden der Gekreuzigten aus dem Spartakusaufstand, aus den Bürgerkriegen des Marius und des Sulla säumten die Via Appia! Stets ging es dabei auch um wirtschaftliche Interessen.

Was jetzt in Afghanistan abläuft, ist offenbar ein geradezu klassischer Bürgerkrieg zwischen einer parteigebundenen Aufstandsbewegung und der legitimen afghanischen Regierung, mit Beteiligung ausländischer Mächte.  Nur wer so engstirnig ist, ausschließlich den zwischenstaatlichen Krieg unter ordentlichen Regierungen als echten Krieg anzuerkennen, wird leugnen, dass es sich hier um einen Krieg handelt.

Man wird nicht umhin können, warnende Stimmen wie die eines Jürgen Todenhöfer (CDU) oder Helmut Schmidt (SPD) ernstzunehmen. Gerade die Tatsache, dass sie keine Regierungsämter bekleiden und also keinerlei Kabinetts- oder Bündnisdisziplin mehr unterliegen, verleiht diesen Politikern ohne Amt erhöhte Glaubwürdigkeit.

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