Aug 252009
 

23082009001.jpg Wenn Mephisto im zweiten Theil des Faust ausruft:

Ungern entdeck ich höheres Geheimniß –

Göttinnen thronen hehr in Einsamkeit,

Um sie kein Ort, noch weniger eine Zeit

Von ihnen sprechen ist Verlegenheit

Die M ü t t e r sind es!

so rufe ich aus: Die Väter sind für jeden Sohn, der zur Freiheit gelangen will, eine unerläßliche, vielleicht lebenslange Aufgabe. Von ihnen – den Vätern – sprechen ist nicht Verlegenheit, sondern Notwendigkeit!

So nutzte ich denn die Ruhepausen in der Pflege meines kranken Vaters dazu, um eine erneute Auseinandersetzung mit den politischen Vätern zu suchen. Mit Helmut Schmidt hatten wir uns mehrfach in diesem Blog befasst. Ich griff deshalb in den letzten Tagen zu zwei Büchern über zwei andere Vatergestalten der deutschen Politik: Konrad Adenauer und Helmut Kohl.

Im Radio hatte ich – auf der A9 –  den damaligen Kanzlerberater Horst Teltschik im Radio vernommen: „Beim Prozeß der Einigung sind wahrscheinlich keine Fehler gemacht worden – allenfalls muss man fragen, was nach der deutschen Einigung hätte besser gemacht werden können.“ So äußerte er sich sinngemäß im Deutschlandradio. Und er schreibt das Hauptverdienst an der Möglichkeit der deutschen Einigung Michail Gorbatschow zu. Dieses Urteil wird – wie ihr wisst – keineswegs von allen geteilt. Meine russischen Freunde lachen mich nicht aus, wenn ich so etwas behaupte, aber sie verdrehen ihre Gesichter. Aus russischer Sicht war die deutsche Einigung vermutlich  eine Wiederherstellung eines naturgemäßen Zustandes, an dem einem äußerst kritisch gesehenen sowjetischen Politiker allenfalls auslösende, aber niemals treibende oder auch nur ermöglichende Kraft zugesprochen wird.

Den Worten Teltschiks über diese diplomatische Meisterleistung, die Kohl und sein Team damals vollbrachten, muss ich jedoch aus ganzem Herzen zustimmen. Ich habe noch einmal Teltschiks Rechenschaftsbericht „329 Tage“ gelesen. Eine wahre Fundgrube an Entdeckungen, eine im einzelnen höchst glaubhafte Darstellung aus der Sicht eines Akteurs!

Ich schlug gestern – am Geburtstag meines Vaters – einfach den 24. August 1990 auf. Kohl spricht vor der CDU-Volkskammerfraktion. Teltschik gibt ihn so wieder:

„Er habe immer gesagt, daß es ganz große Schwierigkeiten geben werde. Ohne Opfer sei die Einheit nicht möglich. Diejenigen, die ihn ständig aufforderten, öffentlich zu Opfern aufzurufen, gehörten häufig zu denjenigen, die selbst am wenigsten dazu bereit seien. Es gebe in der Bundesrepublik viel Heuchelei. Er bleibe jedoch bei seiner Behauptung, daß es gelingen werde, die neuen Bundesländer in wenigen Jahren zu blühenden Landschaften zu entwicklen. Man müsse den Menschen nur die Chance dazu geben. Es reiche nicht, Solidarität zu beschwören. Sie müsse praktisch erbracht werden.“

Fuhr soeben zurück von Augsburg nach Berlin. Nahm bei Dessau eine Umleitung, um einem Stau zu umgehen. Die blühenden Landschaften sind Realität. Die Luft hat sich verbessert, das Land, das ich seit drei Jahrzehnten immer wieder bereise und durchfahre, hat sich verändert. Kohl hatte recht. Mein Mitfahrer – ein Russe – sagte mir: „Ich bin vor 30 Jahren hier durchgekommen. Auf der Saale schwamm ständig ein 30 cm dicker Schaum aus Chemikalien, den Fluss konntest du nicht sehen, es war ständig neblig, ich spürte das Kratzen im Hals.“

Kohl hatte recht.  Die blühenden Landschaften gibt es, und die Menschen müssen die Chancen nutzen, die blühenden Landschaften weiter wachsen zu lassen. Und noch in einem hatte er recht: Es gibt in der Bundesrepublik viel Heuchelei. Interessant: Ich habe in den letzten Jahren nur einen Politiker gehört, der zu „Opfern“ aufrief. Es war Obama – vier Mal nannte er das Wort „Opfer“ in seiner Rede am Brandenburger Tor – was mich damals höchst erstaunte, als ich ihn hörte. Und außer mir scheint kein einziger Kommentator diesen hohen sittlichen Anspruch des US-Präsidentschaftskandidaten bemerkt zu haben.  Bei uns hat in diesem Bundestagswahlkampf kein führender Politiker den Mut (oder sagen wir: die Selbstmordneigung?), Opfer (oder sagen wir: Einschränkungen) zu verlangen. Und wären es auch nur höhere Steuern, eine Senkung des Lebensstandards zugunsten der Kinder, ein Dienen an der Gemeinschaft. Ein Aufruf zur besseren Fürsorge für die Blinden, für die Demenzkranken, für die helfenden Familienangehörigen. Nichts. Nichts. Es ist niederschmetternd. Oder dass man mal einem türkischen Jungen die Mitgliedschaft in einem Fußballverein schenken könnte. Oder dass man mit arabischen Grundschülern Volkslieder singt. In der Freizeit.

Ich konstatiere allenthalben – wenn auch mit löblichen Ausnahmen (wie etwa Vera Lengsfeld): Die Politiker verlangen und erwarten kein Dienen von den Bürgern, sondern sie be-dienen in diesem Wahlkampf die Anspruchshaltungen und Erwartungen der Bürger. Besonders stark gilt dies für die SPD und die Linke, aber leider auch teilweise für die CDU. Die causa clamorosa namens Opel-Rettung lehrt es. „Wir kümmern uns darum.“ So die simple Botschaft unserer Bundesregierung. Mitleiderregend. Was für eine Mutlosigkeit. Schaut euch heute nur die Tagesthemen an.

 Posted by at 21:17

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