Sep 022010
 

„Ich bin so unerträglich schön“ , sang und summte gestern die kleine Madschida, als sie mit ihrer selbstgebastelten Puppe uns besuchte und durch die Wohnung schwirrte. Sie meinte natürlich die Puppe aus Pappmaschee. Aber insgeheim dachte sie wohl „Auch ich bin unerträglich schön. Auch ich möchte unerträglich schön sein.“

Genau das fiel mir ein, als ich soeben die Yusufs-Geschichte aus dem Koran wieder las (Sure 12, Vers 19). Der Wasserschöpfer findet beim Eimer-Hinunterlassen ein verlassenes Baby völlig verängstigt und zitternd am Boden sitzen. Er ließ seinen Eimer hinuter und sagte: „Was für ein Glück! Hier ist ein Junge!“ Ein herrlicher Satz, den leider die ursprüngliche Quelle des Korans, nämlich die jüdische Bibel, nicht enthält (Buch Bereschit/Genesis 37, Vers 28).

Wie geht es weiter mit Yusuf? Das Baby wird zu einem Schnäppchenpreis verkauft, und der Käufer, ein Ägypter, sagte zu seiner Frau: „Nimm ihn freundlich auf. Vielleicht kann er uns einnmal nützlich werden, oder wir nehmen ihn als Sohn an.“

Kinder sind ein Schatz – auch im materiellen Sinn! In der alten Welt waren sie die entscheidende Ressource für die Alterssicherung.

Neben all dem Zauber, den Kinder sowohl in der jüdisch-christlichen als auch der islamischen Welt zugesprochen erhalten, sollten wir nicht vergessen, dass sie auch im materiellen Sinne unverzichtbar waren. Gesellschaften erhalten sich über ihre Kinder. Die Erziehung und Heranbildung der Kinder ist eine der tragenden Aufgaben jeder Gesellschaft, die an sich selbst glaubt und deren Menschen sich selbst erhalten wollen.

Diese Einsicht gilt auch in jenen modernen Gesellschaften mit Sozialversicherungssystemen, die auf der Ebene des Individuums die Altersvorsorge und das Kinderhaben entkoppelt haben. Der Einzelne braucht keine Kinder mehr, um im Alter materiell abgesichert zu sein.

Kollektiv gesehen brauchen Gesellschaften aber sehr wohl Kinder, um ihre materielle Existenz zu sichern. Koran Sure 12 und Bibel Genesis 37 haben mich daran erinnert, und dafür bin ich beiden Büchern dankbar.

Quelle: L.Kaddor/R.Müller: Der Koran für Kinder und Erwachsene. München 2008, S.  111

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