Was mich wirklich freut, ist, dass man in Deutschland noch offen sagen kann, dass die Türkei kurdische, also untürkische Vornamen gesetzlich verbietet und auch drei (3) lateinische Buchstaben gesetzlich untersagt, ohne dass man, wenn man dies behauptet, deswegen gleich als rassistisch abgestempelt wird. Wisse: In der Türkei sind grundsätzlich türkische Namen vorgeschrieben. Das X, das W und das Q sind amtlich bei Namen in der Türkei nicht zugelassen. Der Staat, der bei seiner Gründung nur knapp 55% Türken umfasste, setzt seine radikale Türkisierungspolitik mit Buchstaben- und Publikationsverboten weiterhin unerbittlich durch.
Verhaftungen unliebsamer Verleger und Autoren passen ins Bild. Soeben erreicht mich die Nachricht, dass der Verleger Ragip Zarakolu (Verlag Belge) in Istanbul verhaftet worden ist. Er hat sich eines Vergehens schuldig gemacht, das aus der Sicht des türkischen Staates kaum verzeihlich ist: er wollte einer Einladung der Universität Potsdam folgen und die innertürkischen Debatten über die Jahre 1915/1916 auf einer Konferenz diskutieren.
Das wäre etwa so schlimm, wie wenn man als deutscher Verleger im Ausland, etwa in Israel oder New York, über die historischen Debatten der Deutschen über die Jahre 1914-1918 sprechen wollte. Wollte man dem türkischen Beispiel folgen, so müsste man diesen unbotmäßigen Verleger, der die schmutzige Wäsche der Deutschen in New York oder Tel Aviv waschen möchte, durch rechtzeitige Verhaftung an der Ausreise hindern.
Die Unterdrückung aller untürkischen Umtriebe und untürkischen Kulturen drückt die Türkei in solchen Buchstaben- und Ausreiseverboten aus.
Umgekehrt werden deutsche Standesämter und auch Wahlämter selbstverständlich Vornamen wie Burkay, Aylin oder İpek, Nachnamen wie İpekçioğlu oder Çakmak einschließlich aller diakritischen Zeichen akzeptieren und als vollgültig anerkennen.
Namen sind wichtig! Sie sind Abstammungs- und Identitätsmerkmale erster Ordnung. Bis weit in die dritte und vierte und x-te Genration hinein definieren deshalb die Auslandstürken sich über die Namen und das „Blut“, also die Abstammung. Wenn man einmal alle Strophen der türkischen Nationalhymne liest, wird man erstaunt sein, wie oft das Wort „Boden“ und das Wort „Blut“ vorkommen. Türkischer Boden, türkisches Blut gelten in der Türkei unbefragt als heilig, als unantastbar. Wer diese staatlich gebotene, gewissermaßen religiöse Verehrung der Türken für den eigenen Boden, das eigene Blut, für den Staatsgründer nicht durchschaut und anerkennt, wird niemals etwa den Paragraphen 301 des türkischen Strafgesetzbuches verstehen und sollte seinen Fuß gar nicht erst in die Türkei setzen.
Die türkische Hochschätzung des völkischen Abstammungsdenkens zeigt sich überdeutlich am Heiratsverhalten der Auslandstürken und an der Namengebung: Ich kenne keinen einzigen in Deutschland lebenden Türken, der keinen türkischen Vornamen trüge. Während in Deutschland Namen wie Dennis, Mirko, Aylin, Emily, Louis, Fynn und Luca gang und gäbe auf Standesämtern und in Babynestern sind, wird kein deutscher Türke oder türkischer Deutscher von echtem Schrot und Korn seinen Sohn Martin, Luca, Julian oder Christian nennen. Das würde ihm die Familie nicht verzeihen. Denn es würde bedeuten, dass der Türke seine Zugehörigkeit zur neuen Heimat, also zu Deutschland, auch sprachlich ausdrücken würde.
Wenn ein Türke plötzlich einen untürkischen oder deutschen Vornamen bekäme, würde das von der überwältigenden Mehrheit der Türken sofort als Verrat am türkischen Boden und Blut angesehen. Denn Türkischsein wird bei der Mehrheit der Türken unverändert „über das Blut definiert“, wie dies İpek İpekçioğlu so schön auf Seite 42 des aktuellen SPIEGEL ausdrückt.
Anders ist es selbstverständlich bei den Deutschen, Italienern, Spaniern, Franzosen in Deutschland – wie sich aus dem Heiratsverhalten und der Namengebung ableiten lässt.
Fast alle Berliner Türken heiraten wieder Türken, wobei etwa die Hälfte von ihnen den Ehepartner vom heiligen Boden der Türkei hereinholt. Durch das stete Nachholen von Ehepartnern aus der Türkei, oftmals obendrein aus der ferneren Blutsverwandtschaft, erhält sich die türkische Volksgruppe auch im Ausland ethnisch nahezu „rein“ und „blutmäßig“ nahezu unvermischt. Und genau das will offenbar der türkische Staat. Der Gefahr, dass die türkische Gesellschaft sich mit der umgebenden deutschen Gesellschaft vermischen oder sich in sie integrieren könnte, wird so wirksam vorgebeugt. Die allermeisten Auslandstürken bleiben so dem türkischen Staat dauerhaft verbunden, das ewige Türkentum erleidet in Deutschland keine Verluste, sondern wird im Gegenteil noch gestärkt. Die Deutschen schauen geduldig zu, machen sich nur ab und an Vorwürfe, dass sie als Deutsche es den Türken so furchtbar, so wahnsinnig schwer machen, sich zu— integrieren: „Wir sind ja so hartherzig! Wir müssen die Türken mehr fördern – durch eine Willkommenskultur!“
Man lese nur den aktuellen SPIEGEL mit seiner unermüdlich wiederholten, typisch deutschen Selbstanklage in der zum Weinen und zum Schmunzeln auffordernden, von Wahrheiten und Halbwahrheiten nur so strotzenden Jeremiade „Fremde Heimat“.
Bei keiner in Deutschland lebenden Volksgruppe ist das Abstammungsdenken so stark ausgeprägt wie bei den Türken. Dass die Türken nach Deutschland aufgebrochen sind, um letztlich hier deutsche Staatsbürger mit allen Rechten und Pflichten zu werden, ist eine der frömmsten, gleichwohl trügerischsten Hoffnungen der deutschen Integrationspolitik. Aus dieser Hoffnung machen viele Politiker, auch und vor allem die selbsternannten politischen Vormünder der Türken, ein einträgliches Geschäft.
Die Türken selber sehen es anders. Sie kamen ab 1951 und auch ab 1981 und kommen weiterhin aus bitterer Not, aus Perspektivlosigkeit und Arbeitslosigkeit, aus politischer Unterdrückung und Verfolgung aus der Türkei nach Deutschland, weil das hier für sie das Paradies war und ist, wie es der Neuköllner Kazim Erdogan soeben im Tagesspiegel wieder ausdrückt.
Mit Brief und Siegel.
Quellen:
„Fremde Heimat“, DER SPIEGEL Nr. 44/31.10.2011, S. 38-44
„Verleger Ragip Zarakolu in Istanbul verhaftet“, DIE WELT, 31.10.2011, S. 21
Einwanderer in Deutschland: „Wir dürfen die Eltern nicht verteufeln“ – Berlin – Tagesspiegel
Sie kamen 1974 nach Berlin. Warum?
Weil ein Onkel von mir hier lebte und weil mir ein Schulfreund ständig von seinem Vater vorschwärmte, der gleich nach dem Anwerbeabkommen nach Deutschland ging. Nach dessen Erzählungen war hier das Paradies.
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