Feb 232013
 

„Ich möchte wetten, dass einmal ein deutscher Kanzler oder eine Kanzlerin im nächsten Jahrzehnt mit dem Kollegen aus Paris auf Knien nach Ankara robben wird, um die Türken zu bitten, Freunde, kommt zu uns.“

Mit diesen Worten wird der schwäbisch-deutsche EU-Kommissar Öttinger in unseren historisch so hochbedeutsamen Tagen überall in der EU und der Türkei beifällig zitiert. Ein kühner Spruch, mit dem der mächtige Politiker tief in die Bilderwelt der europäisch-kleinasiatischen Geschichte hineingreift! Denn das „Heranrobben auf den Knien“ ist jedem Geschichtskundigen als die Haltung geläufig, mit der der fränkisch-deutsche König Heinrich IV. sich dem damals amtierenden Bischof von Rom, dem mächtigen Papst Gregor VII., diesem bei Freund und Feind als „Zuchtrute Gottes“ gerühmten, kraftvollen Vollblutpolitiker unterwarf. Damit erkannte er in der Frage der Bevollmächtigung zur Ämtereinsetzung – also im berühmten „Investiturstreit“ – zunächst einmal die Vormacht des Römers an.

Der Gang nach Canossa! Wann war das? Im Jahr 1076, also in einem Jahrzehnt, das für die europäisch-kleinasiatische Geschichte bis heute von überragender Bedeutung ist! Warum?

Jedes türkische Schulkind kennt und verehrt Alp Arslan, jedes türkische Schulkind kennt und verehrt die Schlacht von Manzikert (1071), in der es dem turkstämmigen Seldschukenherrscher gelang, den griechisch-byzantischen Kaiser Romanos IV. entscheidend zu schlagen. Diese Schlacht von 1071 gilt in der monumentalischen Geschichtsschreibung der Türken als der Beginn der unaufhaltsamen Islamisierung des damals christlichen anatolischen Kernlandes. Von diesem Jahrzehnt an stiegen die Turkstämme nach und nach zur unbestrittenen Führungsnation der islamischen Welt auf und rangen den christlichen Herrschern Land um Land ab, so auch das ehedem christliche, heute aber zu 90% islamische Ägypten.

Das Jahr 1071 kann heute als einer der Ursprünge der Furcht des Abendlandes vor islamischer Eroberung gelten. Seit damals, seit diesem Jahrzehnt 1070-1080 breitete sich die Angst vor Islamisierung und Eroberung erneut aus. „Wenn wir im Abendland nicht aufpassen und uns weiterhin dauernd gegenseitig die Schädel einschlagen, werden uns die Türken erobern.“ So die damals weitverbreitete Furcht, die unter anderem auch zu den 6 Kreuzzügen führte, die heute in der gesamten islamischen Welt als abschreckendes Beispiel der typisch abendländischen  Grausamkeit und Herrschsucht gebrandmarkt werden.

Der in türkischer Sicht glorreiche Höhepunkt dieser islamischen Landnahme ist selbstverständlich das Jahr 1453, in dem es gelang, den Sitz des kleinen verbliebenen Römischen Reiches, das damals griechisch-christliche Konstantinopel, mit einer multiethnischen Streitmacht  zu erobern. Für das Abendland ein grundstürzendes Ereignis!

Nahezu immer aber boten die islamischen Herrscher ihren militärischen Gegnern an, dass die Gegner sich freiwillig unterwerfen sollten und dafür nicht getötet würden. Ein Übertritt zum Islam wurde dabei nicht notwendig zur Bedingung der Unterwerfung gemacht, Zwangsislamisierungen waren nicht die grundsätzliche Regel. Den Christen stand es wie den Juden meist frei, als Untertanen zweiter Klasse weiterhin ihr Leben zu führen, wenngleich viele den Übertritt zum Islam wählten, um den zahlreichen Benachteiligungen zu entgehen. Aber bei den Osmanen erreichten viele Christen hohe Stellungen am Hofe des Kalifen.

Der CDU-Politiker Günter Öttinger schlägt also keine „privilegierte Partnerschaft“, sondern eine symbolische Unterwerfung in Freundschaft vor. Sein Vorschlag verdient sorgfältige Prüfung. Ich  meine: Wenn die Mehrheit der Deutschen, die Mehrheit der Franzosen und Europäer einen derartigen kniefälligen Ankara-Gang in Freundschaft wünscht – warum nicht? Die Tür der freundschaftlichen Unterwerfung ist immer offen! Sollten wir Europäer uns nach Öttingers Vorschlag der Türkei unterwerfen – etwas, was Romanos IV. damals starrsinnig ausschlug? Bedenken wir: Die Türkei hat eine junge, wachsende Bevölkerung mit vielen Kindern – sie hat also genau das, was den schrumpfenden Gesellschaften in der EU, vor allem natürlich Deutschland am meisten und am schmerzhaftesten fehlt.

Schluss mit diesem holzschnittartig-groben, verzerrenden historischen Rückblick!

Springen wir in die Analyse der Gegenwart! Sprechen wir über die Demographie! In der Türkei zählt die Familie noch sehr viel. Die Türkei hat also das, was bei uns fehlt: ein starkes Bewusstsein für den unverzichtbaren Rang von Ehe und Familie. In der Türkei strecken die Bürger nicht Tag und Nacht die Hände nach dem Staat und nach dem Sozialsystem aus wie bei uns, sondern die Familien halten zusammen. Der türkische Mindestlohn liegt unterhalb der deutschen Grundsicherung nach dem SGB! Die Menschen arbeiten trotzdem: Kinder, Frauen, Männer, alle sind notfalls bereit, sich zugunsten der Familie abzurackern oder gar als ganze Dörfer ins ferne Ausland zu übersiedeln, um von dort aus die dringend benötigten, aus allen erdenklichen Quellen stammenden Gelder nachhause zu überweisen. Sie sind sich nicht zu schade, im Ausland zu arbeiten für „Löhne, von denen man nicht anständig leben kann“, wie unsere deutschen Mitte-Links-Sozialpolitiker nicht müde werden zu verkünden.

Dass Vater und Mutter unbedingt Vollzeit arbeiten müssen und die Kinder dem Staat am besten rund um die Uhr anvertraut werden, wie das bei uns in Deutschland von Teilen der Politik und Teilen der Bevölkerung offen gefordert wird, wäre in der Türkei undenkbar. Die Familien bilden die Keimzelle der türkischen Gesellschaft, so wie der gütige Staat, die gerechtigkeitschaffende Politik, das versorgende Sozialsystem zunehmend die Keimzelle und die entscheidende Stütze der deutschen Gesellschaft bilden.

Ich meine: Wir können  von den Türken sehr viel lernen – vor allem Familiensinn, Treue, Selbstachtung für das eigene Land, Treue zur Republik.

Selbstunterwerfung unter andere Staaten, Selbstaufgabe der eigenen Herkunft und der eigenen Muttersprache, ständige Selbst-Anklage, Preisgabe der familiären Bindungen zugunsten des vulgärsozialistischen Versorgerstaates – dies von uns Deutschen zu lernen würde ich den Türken niemals empfehlen.

Diese typisch deutsche – jedoch weniger europäische – Auto-Immun-Schwäche wäre bei den Türken ebenso krankhaft wie sie bei uns Deutschen krankhaft ist.


EU-Beitritt der Türkei – „Auf Knien nach Ankara robben“: Günther Oettingers Türkei-Spruch löst Irritationen aus – weiter lesen auf FOCUS Online: http://www.focus.de/politik/ausland/eu-beitritt-der-tuerkei-auf-knien-nach-ankara-robben-guenther-oettingers-tuerkei-spruch-loest-irritationen-aus_aid_924109.html

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