Apr 202013
 

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Dass alles so bleibt wie es ist“ – mit diesem Wunsch für den von ihm regierten Bezirk  wird der scheidende Bürgermeister Franz Schulz in einem großen Porträt in der gestrigen WELT auf S. 31 zitiert.

Ein wahres Wort! Verhinderung des Wandels, Bewahren des Status quo, Einhegen und Einhausen der Gegenwart, Vertreibung der bösen Außenwelt – genau dies meinte ich als Grundzug der grün-roten Bezirkspolitik zu erkennen.

Mein Grundgefühl nach langjähriger Abwesenheit aus Kreuzberg war 2002 bei der Rückkehr aus südlichen Ländern: Seit 20 oder 30 Jahren sind hier in Friedrichshain-Kreuzberg  dieselben Ideen am Herrschen. Es hat sich eine Art große Kita für Erwachsene gebildet, die sich selbst am Leben erhält. Und so sieht es auch in vielen Straßen aus: Kinderhände von Erwachsenen bemalen Wände und Dächer (z.B. mit „Deutschland verrecke“) mit bunter Farbe, – und die grünrote Politik findet es gut. Kinderfüße von Erwachsenen betreten ein ehemaliges Krankenhaus (Bethanien), eine leerstehende Schule und sagen: „Wir wohnen  hier, das ist jetzt unseres!“ Und die grünrote Politik unter Bürgermeister Schulz findet es gut.

Große Magistralen wie die Skalitzer Straße oder das Tempelhofer Ufer bleiben weiterhin für den Radverkehr eine lebensgefährliche Zone – damit sich nichts ändert!

Alles, was Änderung bedeuten könnte, wird misstrauisch beäugt und bei Bedarf verboten: Einbauküchen, Doppelwaschbecken, übermannshoch geflieste Bäder, scheingoldene Wasserhähne. Und deswegen ändert sich nichts. Denn alles soll so bleiben, wie es ist.

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Aber ist dies so? Lässt sich die Zeit zum Stillstand zwingen? Nein!   Ein kurzer Gang über den Görlitzer Platz bestätigt dies (siehe Bild). Dort hat sich über die Jahre hin ein offener Drogenmarkt entwickelt. Noch vor einem Jahr standen dort tagsüber stets etwa 20-30 Drogenhändler herum und boten mir, ob ich wollte oder nicht, ihre Ware an. Vor zwei Wochen, an einem der letzten wirklich kalten Tage dieses Winters, war ich wieder mal dort – na, und was soll ich Euch sagen:  Jetzt sind es schon 80-100 Drogenhändler, die dort ihre Ware offen anbieten. Lauter junge, kräftige, kerngesunde Männer auf der Suche nach Arbeit. Es gibt also durchaus Wachstum und Wandel in Friedrichshain-Kreuzberg!

Der SPIEGEL brachte vor 2 Wochen unter dem Titel „Endstation Görli“ einen mehrseitigen Bericht über den offenen Drogenhandel auf dem Görlitzer Platz: „Hier verschwinden jede Woche Menschen.“ Erste Morde sind hier auf dem liebevoll Görli genannten Fleckchen Erde auch schon passiert, denn der Markt wird enger. Revierkämpfe brechen aus, das Territorium wird abgesteckt.

In Süditalien habe ich dies genau so beobachtet, Roberto Saviano hat dies in seinen Büchern beschrieben: In Neapel und der Campagna existiert ein derartiges  fest verwurzeltes Drogenhandelsnetz schon seit Jahrzehnten, wie es gerade hier in Kreuzberg unter unseren Augen und mit Billigung der Politik kräftig wächst und gedeiht. Und das Geld, das die jungen kräftigen Männer erwirtschaften? Treibt die vielen aufsprießenden Spielsalons in Kreuzberg an!

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Nur 200  Meter vom offenen Drogenumschlagsplatz entfernt liegt die stillgelegte Schule, von der mit Billigung von Bürgermeister Schulz die Flüchtlingsinitiativen Besitz ergriffen haben (siehe Bild). Zwischen dem Görli und der Schule herrscht ein reges Kommen und Gehen.

Klar, Familien mit kleinen Kindern verlassen die Gegend um den Görli. Welches artige Kreuzberger Kid würde denn schon Tag um Tag den gutgemeinten Angeboten der freundlichen jungen Männer am Görli widerstehen können?

Kein Wunder, dass so viele Familien die Flucht aus Kreuzberg ergriffen haben.

Mein Ergebnis: Der Wandel lässt sich nicht durch Verbote von renovierten Toiletten, Wannenbädern oder übermannshoch gekachelten Bädern aufhalten. Er kommt sowieso – und zwar oft zum Schlechteren hin. Die Mieten steigen unter Grün-Rot in Friedrichshain-Kreuzberg genau so stark oder stärker als in anderen Innenstadtbezirken, die Zahl politisch motivierter Straftaten ist unter Grün-Rot sogar am allerhöchsten unter den 12 Berliner Bezirken. Viele Plätze gleichen Müllkippen, die Umwelt leidet sehr unter Grün-Rot.

Die Dauerherrschaft von Grün-Rot hat den Bezirk in eine Sackgasse geführt – wobei den Politikerinnen als Einzelmenschen durchaus edle Absichten zu unterstellen sind.

Sinnvoll wäre es, den Bezirk neu zu erfinden: Warum nicht mal ernsthafte Schritte zum Umweltschutz, etwa zur Förderung des Radverkehrs unternehmen, statt Heizpilze zu verbieten – und dann doch den eigenen Privat-PKW zu nutzen?

Warum nicht leerstehende Schulen für eine kirchliche Schule oder eine Privatschule öffnen? Warum nicht Schulen zu Schulen machen, warum nicht die Straßen für den Radverkehr und die Fußgänger umgestalten? Warum nicht ein sinnvolles Tourismus-Konzept entwickeln, statt Ferienwohnungen zu verbieten? Verbieten, verhindern, verweigern – und ansonsten ausschließlich jungen, kräftigen Männern das Feld zu überlassen, die ihren eigenen kriminellen Mikrokosmos schaffen  – das kann doch keine Politik sein?

Warum nicht einen für Kinder, Frauen, Ausländer, Schwaben, Touristen, Alte, Benachteiligte, Demente, Behinderte lebenswerten  städtischen Raum schaffen, statt leerstehende Schulen und vermüllende Plätze für junge, starke, alleinstehende Drogenhändler zu reservieren?

Bürgermeister Franz Schulz gibt Amt ab – Nachrichten Print – WELT KOMPAKT – Berlin – DIE WELT.

Maximilian Popp: Endstation Görli. Der SPIEGEL 14/2013, S. 38-41

http://magazin.spiegel.de/reader/index_SP.html#j=2013&h=14&a=91768486
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