Mrz 022018
 

Wir gehen den Weg in den Wald hinein. Froststarrend ruhen die Baumstämme. Unverrückbar liegen sie da, als warteten sie auf den Schnee, der nicht kommt. Doch das ist nur Schein. So scheinhaft sind sie wie auch ein Pochen, ein Klopfen, ein Hämmern. Erst unhörbar, so dass du erst einmal an eine Sinnestäuschung denkst. Vor uns breitet sich der froststarrende Wald aus, der Düppeler Forst. Schabt ein Riemen deines Rucksacks taktgenau an der Kapuze, ja, nein? Du hältst inne. Du fragst die Mitwandernde, du drehst den Kopf in die hell strahlende Sonne.


Da, horch! — Ein weiteres Klopfen, ein Hämmern, ein insistierendes Pochen. Holz auf Holz! Kastagnetten des Frosts! Die beiden Pocher, die beiden Hämmerer scheinen aufeinander zu lauschen. Sie senden sich Signale zu, unsichtbare Morsezeichen. Die Morsezeichner auf ihren Bäumen sind’s! Jetzt drehst du den Kopf weiter, da vernimmst du aus einer dritten Richtung, leicht erhöht, vielleicht um einen Ganztonschritt, wieder ein inständiges Hämmern und Trommeln. Der dritte fällt den beiden ersten ins Wort. Er befiehlt ihnen zu schweigen. Doch die beiden ersten lassen sich nicht beirren. Sie fallen einander in den Tanz, sie hämmern herum, dass es eine Lust ist.

„Jetzt erst recht!“ Da hörst du die Späne fliegen! Sie raufen sich zusammen, diese drei Baumtrommler, sie spannen uns einen Konzertsaal auf, mitten im Wald. Sie pochen und hämmern, wild und doch präzis, weit über unseren Köpfen führen sie ihr Konzert auf. Sie zerbrechen ernst, unbeirrbar, leidenschaftlich die Kirchenstille des Sonntagmorgens. Dabei haben sie nicht studiert, diese Schlagzeuger mit ihren hämmernden Schnäbeln. Kein Dirigent könnte ihre Symphonie dirigieren, kein Komponist könnte eine derartige Fülle an Rhythmen, Tonhöhen und Nuancen aufschreiben. Kein Konzertsaal, auch nicht der neue holzvertäfelte Saal, der nach Pierre Boulez benannt ist, könnte dir ein derartiges überwältigendes Lauschen und Staunen bieten wie diese drei unsichtbaren Hämmerer.

Hört die Spechte am Stamme! Sie lernen nicht, sie erwarten keinen Lohn, sie verlangen keinen Eintritt, und doch übertreffen sie an Erfindungsreichtum und Klangfülle, an Pracht und Herrlichkeit jedes hochdekorierte Meisterschlagzeugerensemble im Kammermusiksaal der Philharmonie.

Die Fotos zeigen Blicke in diesen Konzertsaal im Düppeler Forst, den wir am vergangenen Sonntag durchwanderten.

Die Strecke dieser Wanderung, welche zum Konzertsaal Düppeler Forst führt, ist hier zum Nachwandern beschrieben:
Manfred Schmid-Myszka: Von Wannsee nach Babelsberg. Wanderung am südlichen Berliner Stadtrand. In: M. Schmid-Myszka: Rund um Berlin. Von der Ruppiner Schweiz bis in den Spreewald. 50 ausgewählte Wanderungen in der Mark Brandenburg. Bergverlag Rother, München 2016, S. 104-106, hier bsd. S. 105

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