Spendet Lesebücher, ihr reichen Gönner dieser Stadt!

 Antike, Armut, bitte!, Deutschstunde, Leitkulturen  Kommentare deaktiviert für Spendet Lesebücher, ihr reichen Gönner dieser Stadt!
Jan. 052010
 

„Die Kinder lernen die großen, tragenden Texte nicht mehr kennen, mit denen ich noch aufgewachsen bin. Kein Goethe, kein Hafiz, keine in der Tiefe verlorenen Frösche, kein Johann Peter Hebel, keine Fabeln von Äsop oder Nasreddin Hodscha, kein Kästner, keine Momo. Kein Homer. Kaum Gedichte. Sie wachsen in ein kulturelles Vakuum hinein.“ Es gibt ja nicht mal ein Lesebuch mehr! So oder so ähnlich habe ich mich kürzlich auf einer Podiumsdiskussion der Konrad-Adenauer-Stiftung öffentlich geäußert. Niemand rügte mich dafür. Ich bekam sogar Beifall für diese Aussage.

Die Lehrer arbeiten im Literaturunterricht fast nur noch mit fotokopierten Blättern. Es gibt kein Lesebuch. Heute nahm ich mir mein ganzes Herz zusammen und fragte eine Berliner Lehrerin nach dem Grund. Würde sie mir zürnen? Vielleicht widerspricht ja die Idee eines Lesebuches dem vorherrschenden Relativismus? Aber siehe da! Niemand wurde auf mich zornig. Der Grund für das Fehlen von Lesebüchern  ist — und darauf wäre ich nie gekommen: Geld. Da 95% der Schüler unserer Schule von der Lehrmittelpflicht befreit sind (also in der Regel von Sozialhilfe leben), gibt das Lehrmittelbudget nicht genug Geld her, dass alle Kinder ein Lesebuch haben. Das heißt: Alle Texte müssen kopiert werden. Das Schmökern und Vortasten, das beharrliche Sich-Abarbeiten an einem gewissen Grundbestand an Texten, die jede Schülerin (ob kopftuchtragend oder nicht) kennen soll und kennen muss – das gibt es nicht. Die Einführung in das Kulturgut „Buch“ wird beschnitten.

Das ist schlecht. Das muss sich ändern. Deshalb meine herzliche Bitte an alle Leser dieses Blogs: Spendet Klassensätze von Lesebüchern für Berliner Grundschulkinder! Es gibt gute Lesebücher. Dass Berliner Grundschulen aus Geldnot keine Lesebücher im Deutschunterricht verwenden, halte ich für beinahe unerträglich. Darüber sollte man mal was schreiben!

Und ich tue dies ja! Ich schreibe darüber! Also noch einmal: SPENDET KLASSENSÄTZE AN LESEBÜCHERN FÜR DIE BERLINER GRUNDSCHULEN!

Denn jedes Kind soll die die in der Tiefe verlorenen Frösche Goethes, die Späße eines Nasreddin Hodscha oder eines Till Eulenspiegel, ein wunderschönes Gedicht von Mörike, ein wunderschönes Gedicht von Hafis (in deutscher Übersetzung) kennenlernen. Dazu Ausschnitte von zeitgenössischen Autoren wie etwa Michael Ende. Und zwar nicht als lieblose lose Zettelwirtschaft, sondern als schön gebundenes, reich bebildertes Buch.

Wir müssen den Kleinen den reichen Schatz der europäischen Kulturen von Kindesbeinen an weitergeben – selbstverständlich mit einer gewissen Vorrangstellung deutscher Texte, aber doch auch mit Einschluss anderer Texte aus den Herkunftsländern der Kinder. Warum nicht auch eine türkische Geschichte, ein polnisches Gedicht ins Lesebuch für Berliner Kinder abdrucken? Mit deutscher Übersetzung!

 Posted by at 16:59

Die Väter sind schwer im Kommen!

 Deutschstunde, Männlichkeit, Migration  Kommentare deaktiviert für Die Väter sind schwer im Kommen!
Dez. 162009
 

Das Gute an der Podiumsdiskussion über Erziehung am vergangenen Mittwoch war: Die Expertin war eine Frau, nämlich eine Professorin für Pädagogik, und die Betroffenen waren Männer, nämlich zwei Kreuzberger Väter. Sonst ist es meist umgekehrt: Mann weiß bescheid, Frau ist zutiefst betroffen. Der Schluss kann nur lauten: Die Väter sind im Kommen, sie stellen sich ihrer Verantwortung in Familie und Schule! Hier kommt mein nächster Beweis. Eine Presseerklärung aus unserem Schwester-Bezirk Neukölln. Lest die Presseerklärung selbst – ich werde gerne zu der Pressekonferenz gehen! Die gesamte Erklärung veröffentliche ich mit Erlaubnis von Kazim Erdogan.

Pressemitteilung: Türkische Vätergruppe in Neukölln lehnt Betreuungsgeld ab

 

Die Koalition plant Leistungen in Höhe von 150 Euro in bar oder in Form eines Gutscheins  

für Familien, die ihre Kinder zu Hause betreuen. Wir finden dieses Vorhaben falsch; denn sie wird den Kindern und ihrer Bildung nichts nutzen.

Wir fürchten, dass viele Eltern das Geld nicht für Bildung ausgeben werden. Vielmehr werden sie es sparen oder anderweitig Verwendung dafür finden.

Trotz guten Willens werden die meisten Familien der “Verlockung des Geldes“ erliegen und

ihre Kinder von den Kindergärten abmelden. Wir wissen, dass viele Mütter mit Migrationshintergrund keine ausreichende Bildung haben, um ihre Kinder auf die Schule vorzubereiten. Ihre Deutschkenntnisse sind oft mangelhaft.

Die Fakten sind bekannt: Kinder mit Migrationshintergrund, die in den Kindergarten gehen, lernen die deutsche Sprache wesentlich schneller und kommen dort zum ersten Mal mit der deutschen Kultur in Berührung.

Deswegen schlagen wir vor, das Geld dort zu investieren, wo es der Bildung der Kinder am besten nutzen würde. Das Geld muss den Kindertagesstätten und Schulen zugute kommen.

Wir geben unserem Bezirksbürgermeister, Herrn Buschkowsky, recht, wenn er sagt:

 “Es spielt keiner mit ihnen und es liest auch keiner etwas vor. Das sind die Grundlagen der Verwahrlosung schon in frühester Kindheit.“

Wir sorgen uns ernsthaft um unsere Kinder und um deren Chancen in unserer deutschen Gesellschaft. Wir wissen, dass unsere Kinder in Deutschland nur eine Chance haben, wenn sie früh genug deutsch lernen und früh genug der deutschen Kultur näher kommen. Nur so können wir ein besseres Miteinander aufbauen.

Deshalb sollte der Staat in die Bildung unserer Kinder investieren und keine Almosen an die Eltern verteilen.

 

Über unsere Vorschläge informieren wir Sie gerne auf der Pressekonferenz

am:   21. Dezember 2009, um: 12:00 Uhr

im: Creativ-Centrum Neuköllner Leuchtturm

Emser Str. 117, 12051 Berlin (U- & S-Bahn Neukölln und Hermannstr.)

 

Teilnehmer: Türkische Väter und der Psychologe Kazim Erdogan, Initiator und Leiter der regelmäßigen Gesprächsrunde

 

Presseanfragen an: Kazim Erdogan, Tel.: 68874815, Mobil: 0176-64110878

 

Die Türkische Vätergruppe, vertreten durch Aydin Bilge, Murat Metinol und Cihan Balaban

Berlin-Neukölln, 14. Dezember 2009

 Posted by at 19:46
Nov. 202009
 

Mit größter Bewunderung besuchte ich am 17.11. die neue Ausstellung im Martin-Gropius-Bau: taswir. islamische bildwelten und moderne. Es ist eine üppig sprießende, mit Gelehrsamkeit gesättigte, künstlerisch neue Pfade beschreitende Landschaft des Denkens und Fühlens. Auffallend ist die karge Gegenständlichkeit! Das Ornamentale, Großflächige herrscht vor. Bei einem alten Kodex islamischen Rechts aus dem 13. Jahrhundert fühlte ich mich unwillkürlich an Seiten aus dem jüdischen Talmud erinnert, die ganz ähnlich aufgebaut sind: In der Mitte steht der kanonische Text, darum herum haben verschiedene „Hände“, also verschiedene Schreiber, ihre Deutungsversuche angefügt. So sieht das aus:

Man könnte auch an die „Worte in Freiheit“, die „parolibere“ der italienischen Futuristen denken – großzügig, weiträumig über das ganze Blatt ausgeteilte Worte und Fragmente, deren Gesamtsinn sich erst in der Zusammenschau dem Auge erschließt.

Die Ausstellungsmacher haben nicht versäumt, auch unseren Heros des christlich-islamischen Dialogs, den von mir so sehr verehrten Meister Goethe, mit einem Sinnspruch zu würdigen, und zwar im Saal „Picasso und Qur’an“. Qur’an kommt ja von arabisch lesen, rufen, rezitieren, so wie das Wort lehren – nach Meinung der Begleittexte aus der Ausstellung – von altdeutsch „löhren“ = „laut Krach machen“ kommt.

Zum guten Lehren gehört das Rufen, das Sprechen und Vernehmen.  Erst ganz spät wird Lehre und Lernen zur stummen, einsamen Beschäftigung. Ich selbst lese mir immer wieder Texte in allen Sprachen, die mir zu Gebote stehen, laut vor. So habe ich mir nach und nach über viele Jahre hinweg eine gewisse Kenntnis mindestens meiner deutschen Muttersprache durch Lärmen und Rufen erarbeitet.

Auch Hamed Abdel-Samad, der Sohn des ägyptischen Imams, berichtet, dass er vor allem durch das laute Hören und Rufen nach und nach den ganzen Koran auswendig lernte. Eine Schulung, die es ihm ermöglichte, nach und Englisch, Französisch, Deutsch und Japanisch bis zur Beherrschung zu „erlärmen“.

Auch Musik ist ein Lärmen und Lehren. Heute stellte ich die vier Lieder zusammen und ließ sie den Lehrern unserer Schule mit folgendem Schreiben zukommen:

 

An das Lehrerkollegium Fanny-Hensel-Grundschule 

Kreuzberg, den 20.11.2009 Lieder für das Schulkonzert am 24.11.2009 Liebe Lehrerinnen und Lehrer,
 wir freuen uns auf das Konzert am kommenden Dienstag. Zur Vorbereitung habe ich Ihnen die vier von Fanny und Felix vertonten Lieder abgedruckt, die Ira Potapenko in der Lukaskirche singen wird. Da ich selbst „in alten Zeiten“ jahrelang als Lehrer gearbeitet habe, kam ich nicht umhin, Ihnen einige Vorschläge für den Einsatz im Unterricht hinzuzufügen. Diese vier Lieder eignen sich hervorragend, um unsere Kinder mit spannenden Bildern und Rätseln zu fesseln, sie zum Erzählen, Schreiben und Malen anzuregen. Nicht zuletzt bieten sie Ansätze für das so häufig verlangte multikulturelle Arbeiten. Bitte bedenken Sie: Goethe ist wohl derjenige Autor, der am ehesten unseren muslimisch geprägten Kindern und Eltern einen Zutritt zur deutschen Literatur ermöglichen kann. Zögern Sie nicht, aus dem reichen Schatz der Goetheschen Sprüche, Kinder- und Spottgedichte weitere Beispiele für den Deutschunterricht auszuwählen. Für Fanny Hensel wiederum und ihren Bruder Felix war Goethe ein Fixstern. Ich wage zu behaupten: Wer Goethe nicht kennt, wird auch keinen Zugang zu Fanny Hensel und Felix finden. 

Mit herzlichem Gruß 

 

 

 

Pagenlied Wenn die Sonne lieblich schiene, aus: „Der wandernde Musikant. “Worte von Joseph von Eichendorff Musik von Felix Mendelssohn Bartholdy Wenn die Sonne lieblich schiene
Wie in Welschland lau und blau,
Ging‘ ich mit der Mandoline
Durch die überglänzte Au.
In der Nacht dann Liebchen lauschte
An dem Fenster süß verwacht,
Wünschte mir und ihr, uns beiden,
Heimlich eine schöne Nacht.
Wenn die Sonne lieblich schiene
Wie in Welschland lau und blau,
Ging‘ ich mit der Mandoline
Durch die überglänzte Au.
 

 

 

 

 

Aufgaben für die Kinder:  

Was ist ein wandernder Musikant? 

Was ist Welschland?  

Was ist eine Mandoline? Zeichne eine! 

Stell dir vor, Du wärest so ein wandernder Musikant! Du hättest kein Geld. Du müsstest dir dein ganzes Geld durch Musikmachen verdienen. Irgendwo im Ausland. Wie würdest du dich fühlen? Erzähle! Wohin würdest du wandern? 

 

 

Suleika von Johann Wolfgang von Goethe aus: West-östlicher Divan Musik von Fanny Hensel

        Ach, um deine feuchten Schwingen,
West, wie sehr ich dich beneide!
Denn du kannst ihm Kunde bringen,
Was ich in der Trennung leide.
Die Bewegung deiner Flügel
Weckt im Busen stilles Sehnen;
Blumen, Augen, Wald und Hügel
Stehn bei deinem Hauch in Tränen.
Doch dein mildes sanftes Wehen
Kühlt die wunden Augenlider;
Ach, für Leid müßt ich vergehen,
Hofft ich nicht zu sehn ihn wieder.
Eile denn zu meinem Lieben,
Spreche sanft zu seinem Herzen,
Doch vermeid, ihn zu betrüben,
Und verbirg ihm meine Schmerzen!
Sag ihm, aber sag’s bescheiden:
Seine Liebe sei mein Leben!
Freudiges Gefühl von beiden
Wird mir seine Nähe geben.

 

Aufgaben für die Kinder:

Suleika ist ein arabischer Name. Was bedeutet er? Kannst du so gut Arabisch, dass du uns den Namen übersetzen kannst? Kennst du ein Mädchen oder eine Frau, die so heißt? Erzähle uns von ihr!

Was glaubst du: Wer singt hier? Ein Mann oder eine Frau?

Stell dir vor: Du spürst den Wind wehen. Was erzählt dir der Wind? Schreibe einen kleinen Brief an den Wind!

 

Hexenlied

von Ludwig Heinrich Christoph Hölty
Musik von Felix Mendelssohn Bartholdy

Die Schwalbe fliegt,
Der Frühling siegt,
Und spendet uns Blumen zum Kranze!
Bald huschen wir
Leis‘ aus der Thür,
Und fliegen zum prächtigen Tanze!

Ein schwarzer Bock,
Ein Besenstock,
Die Ofengabel, der Wocken,
Reißt uns geschwind,
Wie Blitz und Wind,
Durch sausende Lüfte zum Brocken!

Um Belzebub
Tanzt unser Trupp,
Und küsst ihm die dampfenden Hände;
Ein Geisterschwarm
Fasst uns beim Arm,
Und schwinget im Tanzen die Brände!

Und Belzebub
Verheißt dem Trupp
Der Tanzenden Gaben auf Gaben;
Sie sollen schön
In Seide gehn,
Und Töpfe voll Goldes sich graben.

Die Schwalbe fliegt,
Der Frühling siegt,
Und Blumen entblühn um die Wette!
Bald huschen wir
Leis‘ aus der Thür,
Und lassen die Männer im Bette!

 

Aufgaben für die Kinder zum Hexenlied:

Was glaubst du: Gibt es Hexen? Wo wohnen sie? Erzähle!
Male ein Bild zu diesem Lied!
Was ist ein Wocken? Zeichne einen!
Wer ist Belzebub? Wie heißt Belzebub im Islam?

Schilflied

 

von Nikolaus Lenau 

Musik von Felix Mendelssohn Bartholdy 

Auf dem Teich, dem regungslosen,
Weilt des Mondes holder Glanz,
Flechtend seine bleichen Rosen
In des Schilfes grünen Kranz.

Hirsche wandeln dort am Hügel
Blicken in die Nacht empor;
Manchmal regt sich das Geflügel
Träumerisch im tiefen Rohr.

Weinend muss mein Blick sich senken;
Durch die tiefste Seele geht
Mir ein süßes Deingedenken,
Wie ein stilles Nachtgebet.

 

Aufgaben für die Kinder: Zeichne die Tiere aus diesem Gedicht. Zeichne alle Pflanzen aus diesem Gedicht. Wo gibt es Schilf in der Nähe unserer Schule? Zeige uns das Schilf! Stell dir vor, du sollst einem Touristen deine Schilflandschaft zeigen. Was sagst du? Wo gibt es einen Teich?

Erzähle!

 Posted by at 15:35
Nov. 072009
 

Gerne lese ich immer wieder ausgewählte Abschnitte aus dem Schatzkästlein der deutschen Literatur. Heute z.B. das erste Kapitel aus Gottfried Kellers „Grünem Heinrich“. In dem Abschiedsgespräch zwischen Heinrich Lee und seiner Mutter springen mich geradezu modellhaft das Anspruchsdenken der nachwachsenden und das Tüchtigkeitsdenken der älteren Generation an. Wir hören die Mutter:

„Und daß du mir nur das Weißzeug und dergleichen mehr estimierst als bisher und nichts verzettelst! Denn bedenke, daß du von nun an für jedes Fetzchen, das dir abgeht, bares Geld in die Hand nehmen mußt und es doch nicht so gut bekömmst als ich es verfertigt habe.“

Dem erwidert der Sohn: „Wenn man in der Fremde ist und sich eine ordentliche Wohnung mieten muß, so bekommt man die Bedienung mit in den Kauf.“

Hier höre ich die Stimme der heutigen Anspruchsdenker heraus: „Bedienung! Bitte zahlen Sie! Alles zusammen!“.

Eine wahre Orgie von Anspruchsdenken brach in den letzten Tagen aus Anlass des abgesagten Magna-Deals über Deutschland herein. Ministerpräsidenten, Gewerkschafter, Politiker aller Parteien überboten sich in Äußerungen ihrer Empörung über die Entscheidung des amerikanischen Mutterunternehmens, den durch die deutsche Politik mühsam eingefädelten Vertrag über eine Beteiligung des Autozulieferers Magna zu zerreißen.  In die Wut darüber, dass die deutsche Politik sich an der Nase hat herumführen lassen, mischt sich eine geradezu kindische Trotzreaktion führender Politiker: „Das dürft ihr uns nicht antun! Wir haben einen Anspruch darauf, dass …! Wir erwarten, dass …“ Rütli-Schwüre der Geschlossenheit werden feierlich abgelegt. „Wir lassen uns von den treulosen amerikanischen Unternehmern nicht auseinanderdividieren!“

Man lese doch die Presse über die überbordenden Reaktionen der Ministerpräsidenten und des neuen Bundeswirtschaftsministers! Zum Beispiel den folgenden, Spiegel online entnommenen Abschnitt:

„Wir haben vereinbart, dass wir in den nächsten Tagen und Wochen gemeinsam alles tun wollen, um die Arbeitsplätze zu erhalten und die Standorte zu stabilisieren“, so Rüttgers, in dessen Bundesland das Opel-Werk in Bochum liegt. GM müsse schnell ein Konzept vorlegen, sonst sei Hilfe nicht möglich. Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) sagte: „Wir sind uns einig, dass GM jetzt liefern muss.“

Man wird erkennen: Die führende politische Klasse Deutschlands – also die neue Bundesregierung und die amtierenden Minsterpräsidenten der vier betroffenen Bundesländer –  bedienen weiterhin die Erwartung der Söhne und Töchter des Volkes, die Konzernmutter und die mütterlich-fürsorgliche Regierung müsse es ihnen schon recht machen. Eine verhängnisvolle Fehlentwicklung, wie ich meine! Ein wechselseitig sich verstärkendes, geradezu wahnhaftes Gespinst aus Ansprüchen, Erwartungen, bitteren Enttäuschungen an der Realität und geradezu verschwörerischer Beibehaltung der fürsorglichen Belagerung des weltumspannenden GM-Konzerns. Götzenhaft wird die Formel „Wir sind alle Opel“ auf die Fahnen geschrieben. Grundsätze wie Eigenverantwortung, Freiheit, Selbstbestimmung bleiben auf der Strecke.

Das Wort „Freiheit“, dieser 500-Euro-Schein der großen Reden, harrt weiterhin der Umsetzung in die kleine klingende Münze der politischen Alltagspraxis. Freiheit bedeutet selbstverständlich auch Freiheit zum Scheitern! Ich bin fest überzeugt: Die Politik darf sich niemals vermessen, den Bürgern und auch den Firmen die Erfahrung des Scheiterns und der Erfolglosigkeit ersparen zu wollen.

Die neue Bundesregierung, die ausweislich des Koalitionsvertrages leider erneut Wohlstandserhaltung als das zentrale Motiv staatlichen Handelns festgeschrieben hat, täuscht sich offenkundig in dem, was eine Regierung von den Unternehmen erwarten und verlangen darf, was sie den Bürgern zumuten und versprechen darf.

Ich meine: Die Regierungen müssen sich grundsätzlich – von ganz wenigen handverlesenen Ausnahmen abgesehen, zu denen Opel sicher nicht gehört – aus dem Wohl und Wehe einzelner Unternehmen heraushalten. Sonst entsteht eine ungesunde Verquickung aus wirtschaftlichen Teilinteressen, Wahlinteressen der Politiker und Anspruchshaltungen der Bürger. Es sei warnend daran erinnert, dass in Italien in den 80er Jahren der Staat, also die Politiker, direkt ein Drittel der Volkswirtschaft kontrollierte! Mit verheerenden Folgen, mit blühender Korruption, Kriminalität und Klientelwirtschaft.

Zitat aus Spiegel online:
Falls öffentliche Mittel fließen, sollte die Politik über einen stärkeren staatlichen Einfluss nachdenken: „Wenn der Staat Hilfen gewährt, wäre er gut beraten, als Gegenleistung Mitsprache in dem neuen Opel-Konzern zu verlangen“, sagte Huber dem Bericht zufolge.

Die Politiker aus Bund und Ländern sollten nunmehr die eigenen kapitalen Fehler, die eigenen folgenschweren Missgriffe offen eingestehen und nicht noch unser schlechtes Geld unserem guten Geld hinterherwerfen.

Es wird irgendwann einmal niemanden geben, der uns bedient, außer vielleicht unseren Enkeln und deren Kindern.

Leseempfehlung:
Gottfried Keller: Der grüne Heinrich. Roman. Erster Band, erstes Kapitel. Wilhelm Goldmann Verlag, München 1982, hier S. 17

 Posted by at 00:02

Gutes Deutsch für alle!

 Deutschstunde  Kommentare deaktiviert für Gutes Deutsch für alle!
Okt. 112009
 

Aus dem vielen unerträglichen Wortmergel und Wortgewürge, das mir täglich über den Bildschirm rauscht, siebe ich einige Gold-Nuggets heraus. Hier kommt eines. Leser GinoGinelli kommentiert im Tagesspiegel:

Berlins SPD rechnet mit Sarrazin ab
Ich, als Sohn iranischer Einwanderer, weiß am besten wie wichtig soziale Akzeptanz nur wegen der Sprache ist. Ich hatte nie Probleme in Deutschland, weil ich mit einem fast peniblem Deutsch erzogen wurde.

„Sie sind aber kein Deutscher, oder?“, das habe ich schon mehrfach gehört. Dabei bin ich ein Deutscher wie er im Buche steht! Ich liebe das Wandern in der herrlichen Bergwelt der Alpen, Johann Sebastian Bach ist mein Lieblingskomponist, als 13-Jähriger las ich Thomas Manns Doktor Faustus, ich habe während meiner Dienstzeit bei der Bundeswehr Faust I und II auswendig gelernt. Was wollt ihr mehr? Natürlich, bei uns zuhause wird viel Russisch gesprochen,  und in der Grundschule meines Sohnes bin ich einer von vielleicht einem Dutzend Väter oder Mütter, die noch Deutsch als Muttersprache beherrschen. Die anderen sprechen andere Sprachen.

Ich bemühe mich seit vielen Jahren  mit einem gewissen Erfolg um gutes, akzentfreies Deutsch, das sogenannte Hochdeutsch, wie man es heute vielleicht noch in den Kirchen, ab und zu auch auf deutschen Bühnen und im deutschen Fernsehen und Radio hört.  Dieses akzentfreie, aber leider auch dialektfreie Deutsch versuche ich auch meinem Sohn weiterzugeben. Dem von mir gesprochenen Deutsch fehlt der deutliche regionale Einschlag, während mein Sohn bereits einen deutlichen türkischen Akzent erlernt hat.

Natürlich, wir leben in der Diaspora. Dennoch halte ich es für richtig, von frühester Kindheit an alle Kinder in Deutschland auf ein einwandfreies Deutsch hinzuerziehen, das ihnen später einmal den Erfolg in Arbeit und Familie ermöglichen wird. Dazu können, müssen aber nicht zweite und dritte Sprachen treten, wie etwa das Türkische, das Arabische oder das Russische.

Soll man den Gebrauch von anderen Sprachen verbieten und bestrafen, wie das die Türkei, viele arabische Staaten und die Sowjetunion über Jahrzehnte hinweg getan haben und teilweise heute noch tun? Nein! An der Zwangstürkisierung leiden noch viele „türkische“ Zuwanderer in Deutschland bis zum heutigen Tage. Denn sie können oft selbst kein „richtiges“ Türkisch, das ihren Vorfahren aufgezwungen wurde.

Verbote sind der falsche Weg! Richtig ist es, das Erlernen der Landessprache bei allen Bürgern zur Pflicht zu machen und durch allerlei Anreize zu unterstützen. Etwa durch Preise oder Auszeichnungen.

 Posted by at 12:50
Juli 282009
 

Auch im neuesten Rechtschreibduden, der 25. Auflage aus dem Jahre 2009, findet sich auf S. 30 folgender Beispielsatz:

Das Wort „fälisch“ ist in Anlehnung an West“falen“ gebildet.

Dieser Satz ist nahezu wörtlich der „Amtlichen Regelung der deutschen Rechtschreibung in der Fassung von 2006“, wie sie die deutschen Kultusministerien (KMK) beschlossen haben, entnommen. In diesem amtlichen Dokument heißt es in § 94 (3):

Das Wort „fälisch“ ist gebildet in Anlehnung an West“falen“.

Was aber ist das – „fälisch“? Kommt euch das Wort spanisch vor? Continue reading »

 Posted by at 00:00

In den Banlieues der deutschen Rechtschreibung: der neue Duden ist da!

 Deutschstunde  Kommentare deaktiviert für In den Banlieues der deutschen Rechtschreibung: der neue Duden ist da!
Juli 252009
 

duden_9783411704255.jpg Große Neugier herrschte vorgestern in mir beim Auspacken des neuen Rechtschreibdudens, der in diesen Tagen in seiner 25. Auflage herauskam. Denn auch wenn manche mir sagen: „Du bist ja ein wandelndes Wörterbuch, Johannes!“, wäre nichts falscher als das! Immer wieder bin auch ich gezwungen, Wörterbücher zu Rate zu ziehen. Ich besitze stets die neuesten Ausgaben der Rechtschreibwörterbücher aus den Häusern Wahrig und Duden, die einander ja auch oft genug widersprechen.

Aus altem deutschem Herkommen und Brauch, aus dem amtlichen Regelwerk, aus den beiden einander bisweilen widersprechenden Wörterbüchern, – und häufig genug nach eigenem Sinnen und Trachten erstelle ich mir wie Hunderttausende anderer Deutscher eine eigene Rechtschreibung. Denn wir wissen: Es gibt derzeit keine einheitliche sinnvolle deutsche Rechtschreibung. In äußerster, jedoch nicht falscher Überspitzung könnte man sagen: Wir stehen ungefähr da, wo Adelung und die Seinen im 18. Jahrhundert standen. Wir leben in einem Zustande organisierter Verantwortungslosigkeit. Die deutsche Rechtschreibung ist ein Unikum weltweit. Sie ist ein Paradebeispiel unserer Reformunfähigkeit. Jeder ist deshalb aufgefordert, im Geist der Verantwortung seinen richtigen Weg durch die Banlieues des Regelgestrüpps zu suchen, in welches uns viele Jahrzehnte staatlich und kommerziell missleiteter Rechtschreibpolitik unter Verschwendung hoher öffentlicher Mittel geführt haben.

Genug des Gelabers! Welche tatsächlichen Stolpersteine stellten sich diesem Blog entgegen? Nehmen wir das Wort Banlieue oder besser Banlieu aus unserem Beitrag vom 23.07.2009! Wir zitierten da aus dem Tagesspiegel. Welche Schreibung bietet uns der neueste Duden an? Oder nehmen wir den Begriff Gauß’sche Normalverteilung, mithilfe dessen wir in diesem Blog den prophetischen Nachweis erbrachten, dass es in den nächsten zweihundert Jahren deutschlandweit etwa stets gleich viele Arme geben wird. Ich wollte den Begriff nennen, tat es aber nicht, weil ich nicht herausfinden konnte, wie man ihn schreibt. Was bietet uns der neueste Duden an?

Kleine Nadelstiche der Enttäuschung erlebte der unbedarfte Blogger da! Die Gauß’sche Normalverteilung habe ich mir selbst anhand der auf Seite 85 abgedruckten Regeln zurechtgelegt. Denkbar und zulässig demnach sind auch: gaußsche Normalverteilung, nicht aber: Gaußsche Normalverteilung!

Der Eintrag Banlieue oder Banlieu jedoch – fehlt auf Seite 248 im neuen Duden. Schade! Dafür finden sich aber die herrlichen Wörter: Bankazinn, der Bankert, bannig, die Banse, bansen, Banus, der Baphomet, der Bar (ein Meistersängerlied), der Baraber, der Baratt. Und ein knackig-knarziges deutsches Eigenschaftswort: bärbeißig. Toll!

Also, kennt ihr alle diese Wörter? Ich hörte Bankert im süddeutschen Raum übrigens oft als das Bankert. Damals wurden noch fast alle Kinder innerhalb von Ehen geboren. In Bansen sprang ich als Kind gerne umher!  Die Geschichte der Baphomets sollte man vielleicht endlich aufarbeiten – da käme so manches überraschende Ergebnis für den muslimisch-christlichen Dialog heraus!

Was fehlt noch? Aus dem krachig-kriminellen Kreuzberger Straßenkampf fehlt mir: die Antifa, ein feminines singulare tantum – wie mir scheint.

Hochinteressant dagegen der warnende Eintrag zum Begriff Neger auf S. 769!

Als Anregung an die Duden-Redaktion möchte ich empfehlen, das amtliche Regelwerk vollständig im Wortlaut abzudrucken. Wahrig macht es vor. Dann kann der Leser selber entscheiden, ob und wie er den amtlichen Regeln oder den Empfehlungen der Wörterbuchverlage folgen soll. Insgesamt stellt sich der Duden-Verlag im neuen Rechtschreibduden weiterhin als fast-amtlich dar – ein keineswegs haltbarer Anspruch, den er durch geschickte Strategien über Jahrzehnte hinweg erkämpft hat und den er offenbar auch zu behaupten gedenkt.

Also, Freunde, schwelgt in Wörtern! Lest eifrig die verschiedenen Wörterbücher aus den verschiedensten deutschen Verlagen! Pflegt den Reichtum unserer Sprache! Achtet auf gute Rechtschreibung, doch gebrauchet Sinn und Verstand. Hört auf den Rat eures bärbeißigen Bloggers: Die letzte Verantwortung für alles, was ihr sagt und schreibt – tragt ihr selbst. Es kommt auf dich an!

 Posted by at 13:09

„Du musst Deutsch können!“

 Deutschstunde, Grünes Gedankengut  Kommentare deaktiviert für „Du musst Deutsch können!“
Juli 192009
 

18072009004.jpg Als treuer Leser des Grünen Newsletters Frieke lese ich immer gerne die Stellungnahmen unserer bezirksbürgerlichen Mehrheitspartei. So auch heute (original Frieke-Newsletter Nr. 16):

Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg protestiert gegen die von Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD) geplanten Kürzungen bei Grundschulen. Das Bezirksparlament beschloss Ende Juni eine entsprechende Resolution auf Antrag von uns Grünen, SPD und Linkspartei. „Wenn Schulsenator Zöllner die Stunden für Sprachförderung wie geplant zusammenstreicht, geht das ausgerechnet auf Kosten von Schulen in sozialen Brennpunkten“, sagt Schulstadträtin Monika Herrmann (Grüne). Dabei belegten Studien immer wieder, wie wichtig gerade frühe Sprachförderung für die Bildungschancen seien.

Nach den Plänen des rot-roten Senats sollen im kommenden Schuljahr allein in Friedrichshain-Kreuzberg 33 Lehrerstellen wegfallen. Die Klassenfrequenz an Schulen mit einem hohen Anteil von Kindern nichtdeutscher Herkunftssprache erhöht sich von gegenwärtig von 20-24 auf dann 24-28 Schüler.

Als Grüne sehen wir für die betroffenen Schulen und deren Bildungsarbeit eine massive Verschlechterung: Bei der Förderung von Spracherwerb und Integration, bei den sozialpädagogischen Angeboten, dem jahrgangsübergreifenden Lernen und der Elternarbeit. Für uns steht fest: Das ist eine katastrophale Entscheidung, die allen bildungspolitischen Vorsätzen und notwendigen Reformanstrengungen im Schulbereich zuwider läuft.

Gut gebrüllt, grüner Löwe! Das Thema brennt auch mir auf den Nägeln – ich bin direkt betroffen, da mein Kind ja in eine Klasse geht, deren Kinder fast ausschließlich nicht Deutsch zuhause sprechen. „Du musst Deutsch können.“ So hat es Renate Künast im Interview mit der Süddeutschen einmal formuliert, als sie das Bundeswahlprogramm der Grünen vorstellte.  Ich würde sogar noch einen  Schritt weitergehen: „Du musst gutes Deutsch können.“ Was ist gutes Deutsch? Ich meine: Hochdeutsch, in Standardlautung, mit Standardgrammatik, wie es seit etwa 230 Jahren überall in Deutschland, ja sogar in der Schweiz und Österreich verstanden wird. Lessing, Goethe und Schiller sprachen und schrieben es. Und davon sind wir bei den Berliner Schülern Lichtjahre weit entfernt. Auch unter deutschen Schülern. Wir haben Eltern, die hier geboren und aufgewachsen sind und keinen Anlass sehen, ihren Kindern Deutsch beizubringen. Das ist unhaltbar. Damit verbauen sie ihren Kindern jede selbstbestimmte Zukunft in diesem Land.

Die Mittel für Schule und Bildung werden nicht in dem Maße steigen können, wie dies wünschbar wäre. Die Eltern müssen ran. Sie stehen in der Pflicht zur Vorleistung.

Und ich werte diese Stellungnahme der Grünen als erneuten Beleg dafür, dass weiterhin zu viel, und letztlich Unlösbares von der Schule erwartet wird. Freunde, Blogger! Ich habe mich davon verabschiedet, dass die Grundschule die grundlegenden Deutschkenntnisse vermitteln müsse. Sie schafft es nicht allein. Die Hauptarbeit müssen die Eltern leisten. Vorher. Diese Botschaft muss massivst an die türkischen und arabischen Eltern vermittelt werden. Und zwar ab sofort. Wenn nicht einmal das gelingt, dann wächst hier eine echte tickende Zeitbombe heran. Vielleicht haben wir sie schon. Ganze Schülergerationen werden keine Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Das soziale Sicherungssystem könnte zusammenbrechen.

Foto: Blick auf Leipzig. Von oben herab. In der Mitte: die Thomaskirche. Alles im Griff, alles klar? Nee!

 Posted by at 23:44
Juli 192009
 

19072009035.jpg

Schwer bepackt mit Eindrücken …  kehre ich aus Leipzig zurück. DAS hier ist ein Kunstwerk aus der überwältigenden Sammlung des neuen Museums der Bildenden Künste. Davon demnächst mehr!

Übrigens lerne ich als – als in der Wolle gefärbter Südstaatler – nie aus, wenn es um Küche und Sprache geht! Wir bestellten heute am Völkerschlachtdenkmal nach anstrengender Kletterei einen sächsischen Rinderbraten und für den Kleinen ein „Jägerschnitzel“. Wanja mundet das Jägerschnitzel vortrefflich. Er putzt es ratzekahl weg. Wir empfinden es als eher ungewohnt – irgendwie schmeckt es nicht nach Schnitzel, sondern undefinierbar nach Geschlachtetem, nach Wurst.  Bildungsbeflissen wie ich bin, frage ich die Bedienung : „Entschuldigen Sie, wir haben uns gefragt, ob dies ein echtes Schnitzel ist … es schmeckt eher nach Wurst.“ „Dies ist ein Jägerschnitzel – und ein Jägerschnitzel besteht aus Jagdwurst“, kommt eine messerscharfe Antwort.  „Wussten Sie das nicht? Echte DDR-Küche. Bei uns ist das so. Es gab nicht immer alles. Wenn Sie ein Schnitzel gewollt hätten, dann hätten sie ein Schnitzel nach Jäger Art bestellen müssen. Not macht erfinderisch.“ Ich bedanke mich für die kleine Nachhilfe und stelle mich als törichten Südstaatler vor, der eben nicht alles wissen könne.

Ansonsten fiel mir bei meinem fünften Besuch in Leipzig vieles auf, dessen Bedeutung weit über Speisekarten hinausgeht. Ich werde darüber berichten.  Die Stimmung war stets gut. Hier noch ein Foto zum Beweis. Ihr seht den Blogger vor sechs Stunden vor dem Zeitgeschichtlichen Forum an Leipzigs Marktplatz. Ihr erkennt Wolfgang Mattheuers Skulptur „Der Jahrhundertschritt“.

19072009003.jpg

 Posted by at 23:11
Juni 072009
 

Gleich am Morgen ging ich zu den Europawahlen in die Nikolaus-Lenau-Grundschule. Ich wurde von den Wahlhelfern freundlichst begrüßt – war ich doch um 9.20 Uhr schon der zwölfte Wähler, der seine Stimme abgab! Den langen Zettel las ich gründlich durch und setzte mein Kreuz bei der Liste eines Mannes, den ich kenne und schätze.

Ich rief aus: „Ich tippe auf 42% Wahlbeteiligung und leiste hiermit meinen Beitrag!“ Gelächter: „Sie sind zu optimistisch!“ – Das habe ich ja auch in diesem Blog geraten. Und so ist es auch gekommen. Der Wahlausgang bedeutet ein klares Votum für mehr Freiheit, für weniger Staatsgläubigkeit. Die niedrige Wahlbeteiligung und ebenso das Erstarken der Rechten in den anderen Ländern finde ich allerdings bedenklich.

Beim Umweltfestival der Grünen Liga, dem Netzwerk ökologischer Bewegungen, erzähle ich das Märchen vom Rabenkönig zweimal. Erst auf der großen Bühne vor dem Brandenburger Tor, dann auf der kleinen Bühne vor dem russischen Panzer. Nur mit einer Stimme und einer Geige vor die Menschen zu treten, das ist schon mehr, als sich in einem Ensemble einzureihen. Ich lasse mich tragen und die Worte strömen sozusagen aus mir heraus. Der Sohn, der sich aufmacht, um seine beiden Brüder und den Ochsen zu befreien, besteht alle Prüfungen: Er kann teilen, denn er gibt sein letztes Brot an ein Tier. Er hört zu, er ist mutig – und er geht sparsam mit den Schätzen der Erde um!

Das Tolle war: ich hatte keinen Text auswendig gelernt, sondern merkte auf die Reaktionen der Zuhörer – was kommt an? Wie alt sind sie? Wie gehen sie mit? Also waren die zwei Fassungen des Märchens heute recht unterschiedlich.

Die große ADFC-Sternfahrt endete hier am Brandenburger Tor. Durchnässt, aber zufrieden trudeln Tausende und Abertausende von Radlern ein. Ich spreche mit einigen ADFC-Freunden, darunter auch der ADFC-Landesvorsitzenden Sarah Stark.  – Es war ein erfolgreicher Tag, etwa 100.000 Teilnehmer folgten dem Lockruf der freien Straßen.

 Posted by at 20:45
Mai 182009
 

 Yussuf – so heißt ein Mitschüler meines Sohnes. In Yussuf benannte sich auch Cat Stevens nach seinem Übertritt zum Islam um. Würdet ihr glauben, dass dieser Yussuf kein anderer ist als der Joseph aus dem 1. Buch Mose, das Juden wie Christen gemein ist?

Diesem Joseph oder Yussuf begegnete ich gestern beim Spazierengehen in Würzburg. Ihr seht ihn dort oben. Es war ein herrlich leichter, hingezauberter Abend. Die alte Mainbrücke zu überschreiten, den Blick der ruhig vertäuten Kähne zu genießen und ein paar Worte unter Freunden zu wechseln, das war für mich gestern ein schöner Augenblick.

16052009009.jpg

So wie Navid Kermani oder Necla Kelek uns einen neuen Blick auf das Kreuz lehren können, so vermag es Goethe, die Eigenart des Islam genauso hervortreten zu lassen wie auch sein Strenges und Hartes. Ähnlich wie Kermani gelingt es ihm, in Anziehung und Abstoßung des Eigene und das Fremde geradezu sinnlich spürbar werden zulassen.

Goethe schreibt in seinen Noten und Abhandlungen zu besserem Verständnis des West-östlichen Divans in dem Mahomet benannten Kapitel:

Nähere Bestimmung des Gebotenen und Verbotenen, fabelhafte Geschichten jüdischer und christlicher Religion, Amplificationen aller Art, gränzenlose Tautologien und Wiederholungen  bilden den Körper dieses heiligen Buches, das uns, so oft wir auch daran gehen, immer von Neuem anwidert, dann aber anzieht, in Erstaunen setzt und am Ende Verehrung abnöthigt.

Eine der wenigen im echten Sinne erzählenden Suren ist die Sure 12. Sie ist ganz dem Josef (ungarisch: Joschka, arabisch: Yusuf, bairisch: Sepp) gewidmet. Goethe rühmt an der koranischen Umarbeitung der biblischen Josefsgeschichte, sie sei bewundernswürdig.  Die Überlieferungen des Alten Testaments beruhen – so Goethe – „auf einem unbedingten Glauben an Gott, einem unwandelbaren Gehorsam und also gleichfalls auf einem Islam“.

So wie Kermanis Bildmeditationen das beste sind, was ich seit einigen Monaten über das Christentum gelesen habe, so stellen Goethes Meditationen über Mahomet das beste dar, was ich seit vielen Wochen aus der Feder eines Nicht-Muslims über den Islam gelesen habe. Ohne flache Multi-Kulti-Versöhnlichkeit gelingt es Goethe, sich in Lebenswelt und Schriftsinn des Koran hineinzuversetzen, sich in ihn einzufühlen, ohne die eigene, abendländische Denkart preiszugeben.

Der Goethe des West-östlichen Divans ist DER große Anreger für uns in der Bundesrepublik Deutschland am Beginn des 21. Jahrhunderts. Er muss gleichberechtigt an die Seite des bekannteren Goethe gestellt werden, der den Faust geschrieben hat!

Schließen wir diese kurze Abendandacht mit einem Zitat aus der 12. Sure, Vers 92-93. Sie kann uns zeigen, wie innig verschwistert Judentum, Christentum und Islam sind und bleiben. Denn alle drei Religionen erzählen in immer neuen Abwandlungen das spannungsreiche Thema der Entfremdung zwischen Vätern und Söhnen, zwischen Bruder und Bruder. Ob Cat „Yussuf“ Stevens, ob Josef „Joschka“ Fischer sich immer bewusst waren, welche Kraft in ihrem Namen lag? Ihrem hebräischen Namen, der bedeutet: ER fügt hinzu? Denn nachdem Josef von seinen Brüdern verraten und verkauft worden war und der Vater aus Gram und Kummer das Augenlicht verloren hat, führt er zuletzt die große Versöhnung herbei, indem er sein Hemd weggibt und hinzufügt und dabei seinen Brüdern sagt:

„Keine Schelte soll heute über euch kommen. Gott vergibt euch, Er ist ja der Barmherzigste der Barmherzigen. Nehmt dieses mein Hemd mit und legt es auf das Gesicht meines Vaters, dann wird er wieder sehen können.“

Das heißt: Die Versöhnung geht vom Sohn aus, nicht vom Vater. Heißt sie deshalb Ver-söhnung, also Wiederherstellung des Sohn-Seins? Etymologisch nicht, denn das Wort stammt von Sühne ab. Aber in einem tieferen Sinne stimmt dieses Brückenbild. Joseph oder Yussuf – sie stehen im Bilde gesprochen „auf der Brücke“, sie sind die großen Hinzufüger, die großen Schenkenden.

Versöhnung geht in der Josefsgeschichte von dem aus, dem Unrecht angetan wurde, nicht von den Tätern des Unrechts. Und die Versöhnung macht im vollen Umfang „sehend“.

16052009013.jpg

Quellen:

Goethes Sämmtliche Werke. Vollständige Ausgabe in zehn Bänden. Mit Einleitungen von Karl Goedeke. Erster Band. Stuttgart. Verlag der J. G. Cotta’schen Buchhandlung. 1885,  S. 555-557

Der Koran. Übersetzung von Adel Theodor Khoury. Unter Mitwirkung von Muhammad Salim Abdullah. Mit einem Geleitwort von Inamullah Khan. Gütersloher Verlagshaus, 4. Auflage, Gütersloh 2007, S. 185

 Posted by at 00:06
Mai 142009
 

 Immer wieder bemühe ich mich, das zu verstehen, was in den Köpfen anderer Menschen vorgeht. Ich spreche mit Hinz und Kunz, lese Koran und Bibel, Grundgesetz und Rosa Luxemburg, Flugblätter der Independent-Szene und FAZ.

Ergebnis: Es ist wichtig, die Verinselung des Bewusstseins zu erkennen. Fast alle leben in ihrem hübsch zurechtgemachten, inselartigen Bewusstseins-Stübchen, pflegen ihre gut abgehangenen Vorurteile, leben so, wie sie es sich angewöhnt haben und bei anderen sehen. So sprach ich vor einer Stunde mit einem Hundehalter, der hier in der Obentrautstraße trotz gut ausgebauter Radwege mit dem Fahrrad und dem freilaufenden Hund in falscher Richtung auf dem Gehweg fuhr. „Warum machen Sie das? Es gibt hier doch Radwege“, fragte ich. Er antwortete in bestem Berliner Urdeutsch: „Das ist hier in Berlin eben so. Wir Berliner fahren überall Fahrrad und wo wir wollen.“ „Ich bin auch Berliner“, erwiderte ich unbeeindruckt und trockenen Auges.

„Sind Sie wirklich Berliner?“ frug er ungläubig zurück. Und da hatte er mich auf dem kalten Fuß erwischt! Denn da ich nahezu akzentfrei Hochdeutsch spreche, falle ich hier in Kreuzberg sofort auf. Ich bin hier nicht aufgewachsen, jeder Versuch, mich dem Kreuzbergdeutsch anzupassen, wäre zum Scheitern verurteilt. Die meisten sprechen entweder Türkdeutsch oder Berliner-Schnauzen-Deutsch oder irgend eine Mischform zwischen Szeneslang und dem, was sie für Englisch halten.

Ich versuchte auf die Unfallstatistik hinzuweisen: Falschfahrende Radfahrer werden sehr häufig in Unfälle verwickelt. Es ist eine der häufigsten Unfallursachen bei den Unfällen mit Todesfolge für den Radfahrer. Ich gab zu bedenken: „Ich kenne die Statistiken der Polizei. Demnach führt das Fahren auf nicht freigegebenen Teilen des Straßenlandes sehr häufig zu Unfällen mit Verletzten.“

Na, das sah der gute Hundehalter ein. „Dann bin ich ein potenzieller Unfallherd“, erwiderte er gutmütig. Sprach’s und fuhr weiter. In Gegenrichtung auf dem Gehweg neben dem Radweg. Mit dem guten Hunde unangeleint nebenher. Gelassen läuft’s.

Das nenne ich die Verinselung des Bewusstseins: Jeder hält das, was er gerade tut, für das Beste und das Richtige. „Bei uns ist das so. Wir sind die Berliner.“ Es herrscht der allesumschlingende Konformismus der Faktizität! Den jeweils anderen wird Ahnungslosigkeit vorgeworfen.

Ich habe wieder etwas gelernt. Allerdings werde ich weiterhin in aller Bescheidenheit dafür eintreten, dass die Radfahrer sich an die Straßenverkehrsordnung halten. Tut mir leid, Jungs! Auch wenn ich kein Berliner bin, sondern bloß ein aus Süddeutschland vor 30 Jahren zugewanderter Migrant. Und die Botschaft, die ich aus dieser Frage „Sind Sie wirklich Berliner?“ heraushöre, ist: „Sie haben keine Ahnung, was MAN in Berlin macht!“

Ganz ähnliches berichtet die Berliner Polizei laut heutiger Morgenpost:

Kult-Räder Fixies – Diese Fahrräder sind wilder, als die Polizei erlaubt – Lifestyle – Berliner Morgenpost
Rainer Paetsch, bei der Berliner Polizei für Verkehr zuständig, regt diese Einstellung auf: „Bei einigermaßen durchschnittlicher Intelligenz muss klar sein, dass ein Rad gänzlich ohne Bremsen im dichten Großstadtverkehr extrem gefährlich ist.“ Neben Sportwagen, Motorrädern und zahllosen Rollern stehen in einer riesigen Halle der Berliner Polizei deshalb inzwischen auch 17 Fixies.
Fahrradkurier Adam hält nichts von dieser Gefahrenanalyse. „Die Polizei fährt diese Räder nicht. Deswegen haben sie davon auch keine Ahnung“, meint er.

 Posted by at 11:58
Mai 092009
 

„Väterpartei“ gegen „Partei der Töchter und Söhne“. Mit dieser Formel versuchte ich am 19. April in einer Diskussion mit Wolfgang Schäuble und Jürgen Trittin die verschwiegene Verwandtschaft zwischen CDU/CSU und den Grünen zu fassen – mit ausdrücklicher Zustimmung von Jürgen Trittin. Die Grünen sind entsprungen aus der Unfähigkeit der Unionsparteien, einen geordneten Übergang der Macht an die nachwachsende rebellierende Generation innerhalb der Partei zu vollziehen. Nachdem die widerborstigen Töchter und Söhne nicht gewonnen worden waren, blieb der Union nur übrig, die anderen, die braven Söhne, die buchstäblich schon in Anzug und Krawatte geboren werden, still und unauffällig nachrücken zu lassen. Nur wenige Male gelang eine echte Rebellion innerhalb der Unionsparteien: als Ludwig Erhard den Bundeskanzler Adenauer verdrängte oder verdrängen ließ – und ein zweites Mal im Jahre 1999, als Generalsekretärin Merkel mit ihrem Brief an die FAZ dem Kanzler Kohl ausdrücklich die Gefolgschaft aufkündigte. Sie tat dies, indem sie ausdrücklich darauf hinwies, dass auch Parteien – wie Jugendliche in der Pubertät – sich von den großen Vaterfiguren lösen müssten, wobei sie namentlich das „Schlachtross“ Helmut Kohl anführte.

Entscheidend bleibt: Die Grünen sind eine Akademikerpartei „aus gutem Hause“. Ihr erstaunlicher Erfolg speist sich aus der zur Dauergeste erstarrten, moralisch begründeten Rebellion gegen ein Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell, deren Produkt sie sind und bleiben.

Der gegenwärtig stattfindende Parteitag der Grünen liefert reichlich Belege für diese These. Lest etwa folgenden Abschnitt aus dem Tagesspiegel:

Die Botschaft, die die Grünen von ihrem Wahlparteitag aussenden wollen, ist klar: Die krisengeschüttelte Welt spricht grün. Selbst alte Industriebranchen, wie die Auto- oder Chemieindustrie sind derzeit stark interessiert an einer energiesparenden Produktion. Grüne Themen haben Konjunktur. Oder wie es der realo-intellektuelle Fraktionschef Fritz Kuhn sagt: „Grün ist eingedrungen in den hegemonialen Diskurs der Republik“.

Man lese den letzten Satz zweimal: „Grün dringt in das Sinnen und Trachten der herrschenden Alten ein.“  So lässt sich die Wendung „hegemonialer Diskurs“ in gemeinverständliches Deutsch übersetzen. Die Rebellion wird verkleinert zur Infiltration der Diskursordnung. Man versuche einmal diesen Satz Fritz Kuhns sich auf einem Parteitag der Union vorzustellen – und man wird erkennen, welch riesige Kluft zwischen den Unionsparteien und den Grünen klafft.

Ein Unionspublikum wird den Satz Fritz Kuhns nicht verstehen. Denn in der Aufbauleistung der Nachkriegsjahre hatten die Väter keine Zeit, den italienischen Theoretiker Antonio Gramsci oder den Diskursanalytiker Michel Foucault zu lesen. Der Satz würde verpuffen. Ohne Abitur und ohne mindestens ein paar Semester Hochschulstudium wird niemand den Verhandlungen der Grünen folgen können. Dies schränkt – soll ich sagen glücklicherweise? – ihre Wählerbasis ein.

 Posted by at 16:05