Jan 052010
 

„Die Kinder lernen die großen, tragenden Texte nicht mehr kennen, mit denen ich noch aufgewachsen bin. Kein Goethe, kein Hafiz, keine in der Tiefe verlorenen Frösche, kein Johann Peter Hebel, keine Fabeln von Äsop oder Nasreddin Hodscha, kein Kästner, keine Momo. Kein Homer. Kaum Gedichte. Sie wachsen in ein kulturelles Vakuum hinein.“ Es gibt ja nicht mal ein Lesebuch mehr! So oder so ähnlich habe ich mich kürzlich auf einer Podiumsdiskussion der Konrad-Adenauer-Stiftung öffentlich geäußert. Niemand rügte mich dafür. Ich bekam sogar Beifall für diese Aussage.

Die Lehrer arbeiten im Literaturunterricht fast nur noch mit fotokopierten Blättern. Es gibt kein Lesebuch. Heute nahm ich mir mein ganzes Herz zusammen und fragte eine Berliner Lehrerin nach dem Grund. Würde sie mir zürnen? Vielleicht widerspricht ja die Idee eines Lesebuches dem vorherrschenden Relativismus? Aber siehe da! Niemand wurde auf mich zornig. Der Grund für das Fehlen von Lesebüchern  ist — und darauf wäre ich nie gekommen: Geld. Da 95% der Schüler unserer Schule von der Lehrmittelpflicht befreit sind (also in der Regel von Sozialhilfe leben), gibt das Lehrmittelbudget nicht genug Geld her, dass alle Kinder ein Lesebuch haben. Das heißt: Alle Texte müssen kopiert werden. Das Schmökern und Vortasten, das beharrliche Sich-Abarbeiten an einem gewissen Grundbestand an Texten, die jede Schülerin (ob kopftuchtragend oder nicht) kennen soll und kennen muss – das gibt es nicht. Die Einführung in das Kulturgut „Buch“ wird beschnitten.

Das ist schlecht. Das muss sich ändern. Deshalb meine herzliche Bitte an alle Leser dieses Blogs: Spendet Klassensätze von Lesebüchern für Berliner Grundschulkinder! Es gibt gute Lesebücher. Dass Berliner Grundschulen aus Geldnot keine Lesebücher im Deutschunterricht verwenden, halte ich für beinahe unerträglich. Darüber sollte man mal was schreiben!

Und ich tue dies ja! Ich schreibe darüber! Also noch einmal: SPENDET KLASSENSÄTZE AN LESEBÜCHERN FÜR DIE BERLINER GRUNDSCHULEN!

Denn jedes Kind soll die die in der Tiefe verlorenen Frösche Goethes, die Späße eines Nasreddin Hodscha oder eines Till Eulenspiegel, ein wunderschönes Gedicht von Mörike, ein wunderschönes Gedicht von Hafis (in deutscher Übersetzung) kennenlernen. Dazu Ausschnitte von zeitgenössischen Autoren wie etwa Michael Ende. Und zwar nicht als lieblose lose Zettelwirtschaft, sondern als schön gebundenes, reich bebildertes Buch.

Wir müssen den Kleinen den reichen Schatz der europäischen Kulturen von Kindesbeinen an weitergeben – selbstverständlich mit einer gewissen Vorrangstellung deutscher Texte, aber doch auch mit Einschluss anderer Texte aus den Herkunftsländern der Kinder. Warum nicht auch eine türkische Geschichte, ein polnisches Gedicht ins Lesebuch für Berliner Kinder abdrucken? Mit deutscher Übersetzung!

 Posted by at 16:59

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