Freiheit instandsetzen

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März 212009
 

„Frei, also höchst verletzbar . . . „ Ich empfehle das neue Buch Christian Meiers allen Gegenwartverdrossenen, allen Kleinmütigen und Verzagten. Man schlage es an beliebiger Stelle auf – und man wird sich festlesen, man wird vielleicht erst nach zwei oder drei Abschnitten auf den ersten griechischen Namen, auf die erste Jahreszahl stoßen und erstaunt den Kopf schütteln: „Ach so, eigentlich geht es um das alte Griechenland – ich dachte, es ginge um uns!“

Meier ist einer der ganz wenigen lebenden deutschen Prosaschriftsteller, die sich an antiken Vorbildern geschult haben: ich höre die harte Fügung eines Thukydides, eines Tacitus heraus – aber ebenso auch die Kunst der gegliederten Periode. Wie er, nach längerem Gedankenflug niedersetzend, das Gehörte und Gedachte in zwei oder drei Wörtern zusammenfasst – das nötigt mir höchste Bewundrung ab. Man höre doch bitte oder lese sich laut vor etwa die folgenden Sätze:

„Wie die mykenische Welt zum Einsturz kam, läßt sich nicht mehr ausmachen. Manches spricht dafür, daß auch sie – wie unter anderm das mächtige Reich der Hethiter – dem Sturm der sogenannten Seevölker erlag, der um 1200 v. Chr. über die Welt des östlichen Mittelmeers dahinfegte. Doch könnten Epidemien, Naturkatastrophen oder innere Konflikte zuvor schon die mykenischen Reiche erschüttert oder geschwächt haben. Vermutlich hing alles an der Herrenschicht, und die war schmal. Sie mag zuletzt ins Mark getroffen gewesen sein. Jedenfalls brach jene Welt so völlig zusammen, da ein Wiederaufbau schließlich nicht mehr in Frage kam. Große Teile des hochentwickelten Handwerks hörten auf, sogar die Schrift ging verloren, derer sich die Palastverwaltungen bedient hatten; man brauchte sie nicht mehr. Wo einst prächtige Burgen sich über das Land erhoben; wo Armeen von Streitwagen, Flotten und ein ausgeklügelter Küstenschutz Herrschaft und Sicherheit nach außen garantiert hatte; wo ein System von Straßen gebaut und unterhalten und Handel mit Hilfe von Niederlassungen in Kleinasien und Unteritalien gepflegt worden war, fraßen sich Zerstörung, Armut und Ungewißheit ein. Gefahren lähmten das Alltagsleben, die Wünsche wurden bescheiden. Der Ägäisraum lag brach.“

Kaum ein Buch scheint mir stärker in unsere Zeit hineingeschrieben zu sein als eben dieses, aus dem hier zitiert worden ist. Wie der Autor stets von neuem Anlauf nimmt, Bekanntes zusammentragend, neu ordnend, wie er den Scheinwerfer geschickt vom Anfang her rollend immer wieder über unsere Gegenwart huschen lässt, wie er uns dadurch weit besser einen Spiegel vorhält, als wenn er uns die Leviten mit starrem Blick aufs Jetzt läse: das alles ist meisterlich, das ist ergreifend, das stärkt! Trotz der Fragezeichen, trotz der deutlichen Skepsis, die Meier in Interviews zur heutigen politischen Lage äußert – ich für mein Teil fasse ihn als großen Ermuntrer und Bestärker auf. Deshalb setzen wir einen ganz anderen Ton an das Ende dieser Betrachtung: den Freiheits-Ton, der heute in Europens Blässe nur noch als dünnes Rinnsal zu vernehmen ist:

 „Von heute aus ist schwer einzuschätzen, was es bedeutet, ohne höhere Instanzen, ohne Scheuklappen, nicht nur jeder an seiner Stelle, sondern alle zusammen selbst für das Ganze verantwortlich zu sein, frei, also höchst verletzbar, also ringsum ihre Fühler ausstreckend, immer neue Fragen aufwerfend, um sich und die Welt gedanken- und kunstvoll stets neu auszuprobieren. Denn darin bestand doch das Problem für sie: Sie mußten ihre Freiheit instandsetzen, um unter komplexer werdenden Bedingungen allen Herausforderungen zu genügen.“

Christian Meier: Kultur, um der Freiheit willen. Griechische Anfänge – Anfang Europas? Siedler Verlag, München 2009, hier : S. 64 und S. 57-58

Das Foto zeigt einen Blick auf die Stadt Berlin, aufgenommen heute vom Gipfel des Teufelsberges aus

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Ein Geschäft der besten Köpfe: Lebendiges Wachstum der Muttersprache

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Dez. 182008
 

Was ich mir selber zu Weihnachten gewünscht habe, fragt ihr? Ich wollte eine Gesamtausgabe Goethes, den ich bisher nur in weit verstreuten Einzelausgaben gesammelt besitze, darunter einige Werke mehrfach, andere gar nicht. Um diesen unbekannten Goethe war es mir nun besonders zu tun. Denn so sehr ich Goethe auch verehre, so neugierig bin auf jene Seiten, die bisher der unerbittlichen Auswahl durch die höchst selektiv nachdruckende Nachwelt zum Opfer gefallen sind.

Seit gestern liegt sie vor mir, die antiquarisch erstandene Vollständige Ausgabe von Goethes Sämmtlichen Werken, erschienen bei Cotta, Stuttgart 1885.  Eine erste Kenntnisnahme mit den Bänden 1 und 8 erbrachte manch frohes Wiedersehen, aber auch erste Neuentdeckungen. Insbesondere die Gelegenheitsschriften Goethes, seine Rezensionen etwa, aber auch seine weniger bekannten politischen Gedichte hätten heute mehr Aufmerksamkeit verdient.

Im deutschen Fernsehen schauen wir uns immer wieder einmal die eine oder andere Vorabendsendung für Kinder an. Mir fällt auf: Dort wimmelt es von einem Überbietungsmaximalismus der besonderen Art. Mit einem „vortrefflich“ oder „erstaunlich“ ist es dort nicht getan. Nein, das heißt heute „mega-krass„, oder „supercool. „Super-klasse“ tritt gegen „oberaffengeil“ und ähnliches mehr an, auf Schritt und Tritt. Die Kinder werden abgefüllt mit einer einzigen sämigen Mischung aus entzückten, zunehmend bedeutungsleeren Ausrufen, die Erwachsenen wachsen über sich selbst hinaus in dem hemmungslosen Bemühen, den Kindern nach dem Munde zu reden. Die Kinder werden vielfach durch die Massenmedien in ihrem Ghetto einer Sondersprache bestärkt, die heute durch allerlei gedankenlose Übernahmen aus dem englischen Sprachraum geprägt ist. Folge: Die Generationen in Deutschland drohen sich sprachlich zu entkoppeln. Ich stelle dies fest, wenn ich mit Jugendlichen hier in Kreuzberg rede. Ich muss mir dann sehr genau überlegen, welche Wörter, die mir in meiner Jugend noch als üblich erschienen, heute noch verstanden werden. Und umgekehrt muss ich auch manchmal sehr genau hinhören oder nachfragen, wenn ich einzelne Äußerungen nicht ganz verstehe.

Die deutsche Sprache, die mit etwa 100 Millionen Sprechern innerhalb der EU die meistgesprochene Muttersprache ist, führt in der Öffentlichkeit unserer Bundesrepublik eher das Leben eines anspruchslosen Aschenputtels. Die gescheiterte Rechtschreibreform hat andererseits gezeigt: Die staatlichen Organe schaffen es auch nicht! Jeder Versuch, die deutsche Sprache oder auch nur deren bloße Schreibung durch Gesetz normieren zu wolllen, steht seither unter einem Anfangsverdacht: Es könnte wieder so gnadenlos daneben gehen wie bei dem mehrjährigen Versuch einer kleinen Rechtschreibreform.

Gab es früher derartige Mißstände und Auswüchse ebenfalls? Ja, immer wieder! So lässt sich über das gesamte 18. Jahrhundert hin ein stetes Ringen um die gute deutsche Sprache nachweisen. Die Puristen lagen mit den welschen Alfanzereyen, mit dem französisierenden Zeitgeschmack im Dauerstreit. Viele Fremdwörter, die einem Goethe, einem Schiller noch recht geläufig aus der Feder flossen, sind seither ersetzt worden. Ziel für viele Schriftsteller wurde es, der deutschen Sprache durch beständiges Lauschen und Hinhören neue Schattierungen zu entlocken und durch weitgehenden Verzicht auf abstrakte Wörter, die nur dem Sprachgebrauch der höheren Stände entstammten, eine Art gefühlte Echtheit herzustellen. Dem Zauber der Texte eines Heinrich von Kleist oder eines Franz Kafka, die fast vollständig auf Fremdwörter verzichten, kann auch ich mich schwer entziehen. Der unglückliche preussische Adlige, der böhmische Jude aus Prag, sie beide strebten nach einer musikalischen Durchbildung ihre Werke, die auch lautlich und etymologisch wie aus einem Guss dastehen sollten. Gleiches gilt insbesondere für die deutsche Rechtssprache, etwa das BGB.

Wo stand Goethe im deutschen Sprachstreit? Ich meine: in der Mitte zwischen den Extremen. Weder schloss er sich vor der Welt der anderen Sprachen ab, noch überfrachtete er seine Texte mit Wendungen oder Wörtern, die seinen Zeitgenossen als bloße Anbiederung an den Zeitgeist erscheinen mochten.  Er ließ sich lebenslang über den guten deutschen Sprachgebrauch beraten, denn was damals als gut und vorbildlich galt, lag keineswegs fest. Entscheidend scheint mir: Goethe und seine ganze Generation begriffen die deutsche Sprache als ein Gemeinschaftswerk, als ein Geschäft der besten Köpfe, das alle Deutschsprechenden mittragen sollten.

Wir versäumen nicht, diesen Eintrag mit einem Zitat des Meisters selbst abzuschließen. Als entscheidende Wendung hebe ich die vom „lebendigen Wachsen“ hervor. Goethe schreibt im Jahr 1817:

Die Muttersprache zugleich reinigen und bereichern, ist das Geschäft der besten Köpfe. Reinigung ohne Bereicherung erweist sich öfters geistlos; denn es ist nichts bequemer, als von dem Inhalt absehen und auf den Ausdruck passen. Der geistreiche Mensch knetet seinen Wortstoff, ohne sich zu bekümmern, aus was für Elementen er bestehe; der geistlose hat gut  r e i n   sprechen, da er nichts zu sagen hat. Wie sollte er fühlen, welches kümmerliche Surrogat er an der Stelle eines bedeutenden Wortes gelten läßt, da ihm jenes Wort nicht lebendig war, weil er nichts dabei dachte? Es gibt gar viele Arten von Reinigung und Bereicherung, die eigentlich alle zusammengreifen müssen, wenn die Sprache lebendig wachsen soll. Poesie und leidenschaftliche Rede sind die einzigen Quellen, aus denen dieses Leben hervordringt, und sollten sie in ihrer Heftigkeit auch etwas Bergschutt mitführen, er setzt sich zu Boden, und die reine Welle fließt darüber her.

Quelle: Goethes Sämmtliche Werke. Vollständige Ausgabe in zehn Bänden. Mit Einleitungen von Karl Goedeke. Achter Band. Stuttgart. Verlag der J. G. Cotta’schen Buchhandlung. 1885, S. 114

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Nov. 202008
 

Gestern belohnte ich mich für erlittene Mühsal im Fitness-Studio mit dem Kauf einer gut erhaltenen Schiller-Gesamtausgabe in meinem Lieblings-Antiquariat in der Großbeerenstraße. Don Carlos ließ mir keine Ruhe. Ich will unbedingt dieses mein liebstes Schillerdrama noch einmal lesen! Kein anderer versteht es so gut wie Schiller, die Stimmung des allgegenwärtigen Misstrauens zu gestalten. Man weiß nicht mehr, wem man noch trauen kann. So muss es manchen ergangen sein, als sie entdeckten, dass der eigene Ehemann, der Vorgesetzte, die Freunde einen bespitzelten und an die Firma verrieten. Hier die Verse 69-73 aus dem ersten Aufzug:

Doch hab ich immer sagen hören, daß

Gebärdenspäher und Geschichtenträger

Des Übels mehr auf dieser Welt getan,

als Gift und Dolch in Mörders Hand nicht konnten.

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Nov. 052008
 

Dass Obama sich ganz bewusst in die Reihe der berühmten amerikanischen Präsidenten stellte, indem er bewusst ihre Reden – insbesondere die Gettysburg Address von Abraham Lincoln – weiterspricht und fortschreibt, war mir schon an der Siegessäule aufgefallen, und ich hatte dies auch getreulich am 24.07.2008 diesem Blog anvertraut. Was für ein glänzender, vorbildlicher Redner! Wie vielsagend, dass viele Deutsche sich misstrauisch abwenden, wenn jemand wirklich eine klare, gepflegte, gebildete und dennoch schlichte Sprache verwendet!

Viele Deutsche scheinen sich lieber an die plump-polternde Berliner Hausmannskost zu halten, wie man sie spaltenweise der Lokalpresse entnehmen kann.

Heute nun machen auch amerikanische Zeitungen diese Beobachtung. So berichtet ein Blatt:

Breaking News

Mr Lincoln, who saved the union and abolished slavery, provides the archetype for the kind of president Obama says he intends to be – and he does not shy away from linking his name to America’s greatest leader.Indeed, his victory speech was marbled with references both oblique and overt to Lincoln, including his celebrated line from the Gettysburg Address about government being ‚of the people, by the people, for the people‘.

Mr Obama’s speech, delivered on an electrifying night in front of more than 100,000 supporters in Chicago, came full-circle from when he urged voters to ‚join me in this improbable quest‘ when he first announced his candidacy.

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Shared Space – der Gemeinsame Raum

 ADFC, Deutschstunde, Fahrrad, Krieg und Frieden, Shared space, Sprachenvielfalt  Kommentare deaktiviert für Shared Space – der Gemeinsame Raum
Nov. 032008
 

Das Kind braucht einen deutschen Namen. Liebe Bloggerinnnen und Blogger, niemand wird mir eine Feindseligkeit gegenüber fremdem Wortgut unterstellen können. Im Gegenteil, in diesem Blog findet ihr Wörter, Wendungen, ja ganze Abschnitte in türkischer, hebräischer, griechischer, französischer, polnischer, russischer, italienischer, lateinischer und sogar englischer Sprache.

Alles gut und schön, aber um einer Sache, einem Anliegen auf „breitester Front zum Durchbruch zu verhelfen“ (wie die Militärs sagen), muss hier in Berlin das Kind einen deutschen Namen haben. Denn für all die Türken, Araber, Griechen, Italiener, Russen, Oberschwaben und Urberliner gibt es in Berlin nur eine gemeinsame Verständigungssprache. Und die heißt nun einmal deutsch. German is our shared space when we speak!

Deshalb meine ich: Wenn wir das Konzept Shared Space nach vorne bringen wollen, brauchen wir eine griffige deutsche Wendung, die im Kopf bleibt. Die Leser des Hamburger Abendblattes haben sich den Kopf zerbrochen. Sie haben „Gemeinschaftsstraße“ zum Sieger gewählt. Eine gute Wahl, wie ich finde!

Ich schlage meinerseits vor: der Gemeinsame Raum. Denn Shared Space – der „Miteinander-Raum“ – bezieht sich nicht nur auf Straßen, sondern auf öffentliche Verkehrsflächen überhaupt.

Übrigens: Der ADFC hat im Juli 2008 eine sehr kluge, gut abgewogene Stellungnahme zu Shared Space erarbeitet. Ihr findet sie auf http://www.adfc.de/1705_1.

Die Leserumfrage zeigt übrigens noch etwas: Neben Shared Space heißt es dort auf einmal „Share Space“. Das heißt: „Teile den Raum mit anderen, lebe im Miteinander statt im Gegeneinander!“

Ein gute Entscheidung. Was meint ihr? Was haltet ihr für das beste deutsche Wort?

Hier kommt eine Auswahl aus dem Hamburger Abendblatt vom 01.09.2008:

„Gemeinschaftsstraße“ mit 775 Stimmen.“Ein einfaches und treffendes Wort“, sagte Senatorin Anja Hajduk. „Wir werden den Begriff bei der weiteren Projektplanung als Anregung berücksichtigen“. „Wir“, damit meint Senatorin Hajduk ihre Behörde und die Bezirke. Sie wolle das Verkehrskonzept nicht „von oben“ anordnen, sondern viele Entscheidungsträger einbeziehen. Derzeit sind die Gremien der jeweiligen Stadtteile dazu aufgerufen, Stellen zu benennen, die zur gemeinschaftlichen Straße werden könnten. So viel sickerte schon durch: Eimsbüttel denkt über Teile der Osterstraße nach, im Bezirk Mitte ist die Lange Reihe im Gespräch. In den kommenden Monaten will der Senat von einer Arbeitsgruppe prüfen lassen, wie das bisher nur in Kleinstädten erprobte Verkehrskonzept in Hamburg umgesetzt werden kann. Eckpunkte: ausreichend Parkplätze und Umgehungsmöglichkeiten für den Verkehrsfluss. Bereits im nächsten Jahr würden dann „ausgewählte Orte“ feststehen, um das Projekt zu testen.

Sollte sich „Gemeinschaftsstraße“ nicht durchsetzen, könnte die Stadtentwicklungsbehörde weitere Anregungen der Abendblattleser umsetzen: Mit insgesamt 655 Stimmen belegt „Straße für alle“ den prominenten zweiten Platz. „Zebra-Zone“ liegt mit 270 Stimmen auf Platz drei, in Anlehnung an den Zebrastreifen, der übrigens auch eine Erfindung der Abendblattleser ist (siehe Kasten). Für „Rücksichtszone“ stimmten 260 Leser.

Auf Platz fünf steht „Toleranzverkehr“ (257 Stimmen). Auch der wohl kreativste Name fand einige Zustimmung bei den Lesern: „Efa“, für „Eine für alle“ wünschen sich 237 der teilnehmenden Leser. Kurz darauf folgt „Fairkehr“ (Fairer Verkehr) mit 219 Stimmen. „Geh-Fahr-Straße“ traf auf 101 Zustimmungen. Moralisch wünschen es sich 43 Teilnehmer: „Gutwillstraße“. Auch auf dem letzten Platz steht ein einfallsreicher Begriff: Allbahnstraße. Und diese Idee deutet an: Auf einer Straße für alle führen viele Wege ans Ziel. (Die Angaben stammen aus gerundeten Prozentwerten.)

„Gemeinschaftsstraße“ statt „Share Space“

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Juli 212008
 

19072008001.jpg Diese Frage muss man stellen, wenn man den Artikel „Die Beta-Blogger“ im aktuellen Spiegel-Heft liest. Im einzelnen wird auf S. 94-95 bemängelt: das Fehlen tiefgreifender Analysen, kein gekonnter Umgang mit Konditionalsatz und Konjunktiv, keine Buchkritiken. „Polemisch bis rechthaberisch“ sollen wir sein. Statistisch bedeutungslos. Aber die USA! Dort haben Blogger schon die Wahlen beeinflusst!

Blogger Johannes Hampel erwidert: Ich habe hier schon Buchkritiken veröffentlicht und mehrfach die indirekte Rede verwendet! Zur Statistik: Allein im letzten Monat hatte ich 9165 Leser und ein Mehrfaches davon, nämlich 22.795, an Seitenaufrufen. – Kafka hatte bei der ersten Veröffentlichung seiner Erzählungen eine Auflage von 1000. Zahlen sagen also nichts über den Gehalt aus. Natürlich, dem Spiegel kann ich nicht das Wasser reichen. Aber dafür sind wir hier werbefrei.

Und: So ein Blog dient vor allem als eine Art imaginäres Gesprächsforum. Man stellt Gedanken in den virtuellen Raum. Idealerweise ergibt sich ein Gespräch mit anderen. Auch bei der Gewissenserforschung und der Außendarstellung kann das Bloggen helfen. „Was bist du für einer?“ Wenn mich jemand so fragt, kann ich getrost auf dieses Blog verweisen. Ich meine: In wenigen Jahren treffen wir uns wieder zu einer neuen Bestandsaufnahme, Spiegel! Dann werden diese neuen Medien an Bedeutung gewonnen haben. Und der Bundestagswahlkampf 2013 wird schon ganz entscheidend im Netz geführt werden. Bitte denkt daran, liebe Spiegel-Redakteure!

Unser Bild zeigt heute – nein, keine Blogger, sondern „Bootler“, also Menschen, die sich wie Blogger unerschrocken durch fremde Gewässer strampeln: Bootsfahrer auf dem Kreuzberger Landwehrkanal, aufgenommen vorgestern.

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Im Zeichen der Maus

 Deutschstunde, Kinder  Kommentare deaktiviert für Im Zeichen der Maus
Apr. 142008
 

Der gestrige Sonntag war ein echter Maus-Tag! Mein Sohn trällert gleich beim Erwachen das gestern erst vorgesungene Volkslied:

Ein Schneider fing ne Maus, ein Schneider finge ne Maus, ein Schneider fing ne Mi-ma-maus …

Er lässt die zweite, die schrecklichste Strophe einfach weg, geht aber ansonsten alle Schritte vom Fell über den Sack über das Geld über den Bock bis zum Heldenstatus getreulich durch.

Merkwürdig: Einen Tag, nachdem ich meinen Sohn gefragt habe, ob er denn Mickey Maus kenne, lese ich ein ähnliches Gespräch zum selben Thema in einem der Maus-Comics von Art Spiegelman, wo sich folgender Dialog zwischen dem erwachsenen Sohn und dem greisen Vater entspinnt:

Vater: SOMEDAY YOU’LL BE FAMOUS, LIKE … WHAT’S-HIS-NAME? Sohn: „FAMOUS LIKE WHAT’S-HIS-NAME?!“ Vater: YOU KNOW … THE BIG-SHOT CARTOONIST … Sohn: WHAT CARTOONIST COULD YOU KNOW? … WALT DISNEY?? Vater: YAH! WALT DISNEY!

Art Spiegelman: The Complete Maus. Penguin Books, London, 2003, S. 135

Bezeichnend – für mich gehört Walt Disney zur nicht wegdenkbaren Grundausstattung meiner Kindheit ebenso wie Grimms Märchen, für den 1906 geborenen Vladek Spiegelman war dies ganz offensichtlich nicht der Fall, und für meine Söhne werden die Disney-Comics vermutlich ebenfalls nicht zu der festen Größe werden, als die sich die „Micki-Maus-Heftle“ unauslöschlich in meiner Generation etabliert hatten. Und diese herablassend-bevormundende Gebärde des Sohnes: „Welchen Karikaturisten kannst DU denn schon kennen!“ In einem einzigen Bild hat Spiegelman das ganze Vater-Sohn-Drama, das seinen Comic antreibt, eingefangen!

Ein echter, versöhnlicher Dauerbrenner für Väter und Söhne ist aber die „Sendung mit der Maus“. Wir schauten sie gestern, wie wir das fast jeden Sonntag tun. Wanja fragte mich, als das Brotbacken samt der Kohlendioxid-Produktion durch Bakterien erklärt und gezeigt wurde: „Hast du das gewusst?“ Ich antworte wahrheitsgemäß: „Nein, so genau habe ich das nicht gewusst!“ Die Sendung mit der Maus hat uns schon viele spannende Einsichten und lustige Lacher beschert. Kopfschmerzen bereitet mir das Deutsch, das dort gesprochen wird: Es wird so viel genuschelt und gezischt, es werden Silben gekappt und verdrängt, es ist alles sehr rheinisch-kölnisch geprägt! Etwa so: „Dann … nehmwan Topf“. Statt standardsprachlich: „Dann … nehmen wir einen Topf“. Ich habe nichts dagegen, wenn deutsche Erwachsene untereinander so miteinander sprechen, aber wir leben hier in Kreuzberg in einem multiethnischen Umfeld, mein Sohn hört wenig akzentfreies Hochdeutsch, da praktisch alle Kinder, mit denen er umgeht, wie er selbst auch einen „Migrationshintergrund“ haben. Folge: Die Kreuzberger Kinder hören und lernen die deutsche Sprache viel zu wenig in ihrer akzeptierten Hochform in Standardlautung, als sogenanntes „Hochdeutsch“, sondern nur noch mit allerlei Zisch- und Murmellauten verändert, Wortendungen sind auch bei unseren Sechsjährigen häufig Glückssache. Beispiele, wie ich so oft von unseren fünf- bis sechsjährigen Kindern höre: „Fétsisch“ statt „Vierzig“ (gemeint: Zahl 40). „Isch hol ein’n Teller mit ein’n Löffel.“ Und dergleichen mehr. Viele Vorschulkinder aus unserem Umfeld gehen wegen Ausspracheproblemen zum Logopäden! Ich vermute, manche dieser Ausspracheprobleme sind eigentlich mit dem Mangel an einem deutsch-muttersprachlich geprägten Umfeld erklärbar, sind mangelnde Hör-Erfahrungen.Ich wünsche mir also wenigstens zum Ausgleich von der Sendung mit der Maus – wie auch vom Sandmännchen – ein größeres Achten auf eine für Kinder vorbildliche deutsche Sprache, weniger das dialektgeprägte locker-flockige Dahinquatschen „wie man eben so dahinquatscht“ – obgleich gerade diese Lässigkeit für den erwachsenen Hörer wie mich einen der vielen Reize dieser insgesamt hervorragend gemachten Sendungen ausmacht. Wir bleiben dran – nehms mas nich übel!

Aber auch Kanzlerin Merkel erweist erneut ihren Sinn für gute Vermittlung komplizierter Inhalte: Sie fordert an eben diesem Tag eine Sendung mit der Maus für Finanzen. Die Zusammenhänge sind so kompliziert geworden, dass sie nur durch bildhafte, maus- und mundgerechte Darstellung begreiflich werden können. Die WELT berichtet:

Merkel sagte, für alle Bürger sei es wichtig, ein besseres Verständnis für die Kapitalmärkte zu entwickeln. Seit langem erkläre die „Sendung mit der Maus“ (ARD) sehr gut, wie eine Kaffeemaschine oder ein Fahrrad funktioniere: „Heute müssten wir aber auch eine Sendung für Finanzprodukte haben, also ein besseres Verständnis der heutigen Kapitalmärkte.“

Dem stimme ich zu. Übrigens: Wer politische Zusammenhänge in vorbildlicher Einfachheit erklärt finden will, der klicke sich durch die Kinderseiten der Bundeskanzlerin. Ich jedenfalls habe dort so einiges besser verstehen lernen! Wie heißt es doch so schön: „Wenn ihr nicht werdet wie die Kindlein …“

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März 202008
 

Mit einer russischen Altistin, die sich um Hilfe an mich gewandt hat, gehe ich Silbe um Silbe einiger Arien aus der Matthäuspassion von Bach durch. Diese Genauigkeit der Aussprache, dieses Hinarbeiten an einzelnen Wörtern, bis jeder Buchstabe verschmilzt mit dem gesungenen Ton, das Ganze zu belebter Klangrede wird – es ist mir eine tiefe Freude, und Bachs Musik rührt mich immer wieder zu Tränen.

„… dass die Tropfen deiner Zähren … „ Wie oft habe ich diese Arien schon gehört – 50 Mal, hundert Mal? Jedesmal ergreifen sie mich anders.
Wer gibt sich heute in unseren elektronischen Massenmedien noch echte Mühe mit dem guten gepflegten Wort, abseits der vorgestanzten Formeln? Am Abend ruft mich ein Marktforschungsinstitut an. Thema: Berliner private Rundfunksender. Ob ich lieber alte oder neue Musik höre? Ich ziehe vom Leder, sage: „Die alte Musik, also die Musik bis etwa zum 15. Jahrhundert, kommt nicht an die innovative Ausdrucksfülle der neuen Musik eines J.S. Bach heran.“ „Für Hörer wie Sie haben ich keine Felder zum Ausfüllen“, klagt Frau Köhler, „meine Zeitschema geht nicht hinter 1970 zurück.“ Na, dann quälen wir uns noch weiter mit allerlei Fragen zu beliebten und unbeliebten Frühstücksmoderatoren, die mir alle unbekannt sind. I couldn’t care less about your breakfast moderators, Frau Köhler, Ihre Fragen gehen an meiner Bandbreite vorbei.

Irgendwann antworte ich nur noch: Radio Fritz. Damit bin ich wieder im Spiel, denn dieser Sender steht auch auf ihrem Zettel. Hurra! Aber ich bringe sie auch in Verlegenheit durch die Nennung einiger Berliner UKW-Sender, von denen sie noch nie gehört hat. Etwa Radio France International (106,00 FM) oder National Public Radio aus den USA (104,1 FM), ganz zu schweigen von Radio Russkij Berlin (97,2 FM).

Wir beenden das 20-minütige Interview im besten Einvernehmen: Wir haben beide Zeit verschwendet und gestehen dies einander ganz offen ein. Schön, dass es diese Ehrlichkeit gibt, Frau Köhler.

 Posted by at 23:20
März 112008
 

Als eifriger Internetsurfer konnte ich mir die Enthüllung der neuen Markenkampagne durch unseren Berliner Regierenden Bürgermeister nicht entgehen lassen und verfolgte sie ausschnittweise auf dem Internetportal meiner Heimatstadt mit. Richtig gut fand ich, dass Klaus Wowereit nett-anrührende Geschichten erzählte und glückliche Menschen vorstellte, die sich gegen alle Widerstände und Klippen Erfolg erarbeitet haben – ob nun als Starkoch oder als Hauptschüler aus einer angeblich so benachteiligten Hauptschule. Weiter so! Wir brauchen Erfolge, man muss diese Geschichten wieder und wieder erzählen, und die Menschen, die etwas auf die Beine stellen, die zu Schmieden ihres Glücks geworden sind, sollen im Rampenlicht stehen – mindestens für einen Augenblick. Mehr davon, vortrefflich, davon können wir gar nicht genug bekommen!

Was aber ist von dem neuen Slogan „be berlin“ zu halten? Zunächst einmal: Welche Sprache ist das? Vielleicht Englisch, die heutige Massen- und Krethi-und-Plethi-Sprache, die kaum jemand kann (übersetzt: „sei Berlin“)? Oder Hebräisch, eine der Ursprungssprachen unserer europäischen Kultur (übersetzt: „in Berlin“)? Zu befürchten steht: Englisch … kein gutes Englisch, that goes without saying. Es klingt schon sehr seltsam, jemandem zuzurufen: Be Paris, Be Madrid, Be Roma. Es erinnert an: „Be quiet!“ Ein solcher Imperativ ohne hinzugesetztes „.. please!“ oder ähnliches wirkt recht schroff im Englischen, überfällt den Hörer oder Leser auf kumpelhaft-überrumpelnde Art.

Aber halten wir den Schöpfern der Kampagne zugute, dass sie sich etwas dabei gedacht haben. Sie wollen offenbar zur Identifikation mit dieser Stadt auffordern, oder sie erzwingen. Etwa im Sinne der Kampagne aus dem glorreichen WM-Sommer 2006: „Du bist Deutschland.“ Funktioniert so etwas? Ich glaube: Nein. Niemand springt gerne über so ein Stöckchen, das ihm ungefragt hingehalten wird.

Warum eigentlich Englisch? Hier leben hunderttausende Menschen mit nichtdeutscher Muttersprache, Hunderttausende sind zugewandert, aus der Türkei, aus dem ehemaligen Jugoslawien, aus dem Mittelmeeraum, aus dem östlichen Europa und Russland. Für sie alle, die in dieser Stadt leben, ist Deutsch die Verkehrssprache, die lingua franca, die ihnen das Leben und Wirtschaften in der Metropole und die Integration in diese Gesellschaft ermöglicht. Nur Menschen mit langjähriger Schulausbildung im westlichenTeil Berlins verfügen über hinreichende Englischkenntnisse, um sich einen Reim auf diesen Slogan zu machen. Alle anderen werden sich ausgeschlossen fühlen, darunter auch die Bewohner des ehemaligen Ostteils von Berlin, die sich trotz hartnäckiger Beschulung weder im Russischen noch im Englischen hinreichende Gewandtheit aneignen konnten.

Ich bin überzeugt: Der zentrale Werbespruch Berlins, der Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland, hätte unbedingt in deutscher Sprache verfasst werden müsssen.

Meine britischen Kolleginnen und Kollegen fragen mich immer wieder entgeistert: „Was macht ihr mit euerer schönen deutschen Sprache? Sprecht lieber ein gepflegtes, verständliches Deutsch, als euer verhunztes Englisch, das nicht unser Englisch ist!“

Wie sieht es mit dem Klang des Slogans aus? Für die Einprägsamkeit einer Aussage ist die sinnliche Anmutung mitentscheidend, vor allem, wenn sie derart sinnleer daherkommt wie eben dieses „be berlin“. Gut finde ich die Alliteration – jeder Marketingstratege weiß, dass Konsonantenwiederholung am Wortanfang sinnvoll ist. Die zwei I-Laute deuten auf etwas Helles, Kleines oder auch Niedliches hin. Die Lautfolge Biberlin erinnert an etwas Niedliches, etwa einen kleinen Biber, ein flinkes Wiesel, ein knuddeliges Eisbärenbaby, oder auch an das dialekthafte „Biberle“, also ein schwäbisches Küken. Ist Berlin so klein und niedlich? Nun ja, vielleicht im Vergleich zu Mexiko-Stadt oder Moskau. Aber es passt einfach nicht zu dieser großen und selbstbewussten Stadtregion, es manifestiert sich hier eine Selbst-Verleugnung und Selbst-Verniedlichung, wie sie uns nicht gut ansteht. Der ausländische Tourist wird fragen: „Haben die das nötig? Da steckt doch was dahinter! Was wollen die von mir? Ich soll Berlin sein? Aber ich will doch die Stadt nur genießen, nicht mich zu ihr bekennen!“ Psychologen belehren uns, dass derartige zwanghafte Selbstverkleinerung, die noch dazu durch die Kleinschreibung unterstrichen wird, nur die Kehrseite einer äußerst gefährlichen Allmachts- und Herrschaftsphantasie sein kann.

Gesamturteil: Das Motto „be berlin“ ist zwar gut gemeint, aber letztlich ein echter kommunikativer Fehlschlag, ein Rohrkrepierer der Extraklasse. Ich heiße es anbiedernd, schlecht bedacht, geprägt von jener Mischung aus befehlender Überheblichkeit und demütigender Selbstverzwergung, die weder für die ausländischen Besucher noch die zugewanderten und alteinsässigen Bewohner dieser Stadt ein echtes Angebot darstellt. Der Wahlspruch „be berlin“ ist eine sprachliche Kapriole, die sich selbst wieder und wieder konterkarieren wird. Ist dafür öffentliches Geld an die zahlreichen beteiligten Agenturen geflossen? Das sollte man zurückfordern.

Leute, die Suche geht weiter. Habt ihr Vorschläge?

 Posted by at 15:55
Okt. 022007
 

Konrad-Adenauer-Stiftung und CDU-Kreisverband Pankow luden heute nachmittag ein. Meine russische Frau Ira und ich, wir lernten im gepflasterten Hof der „Kulturbrauerei“ eine wie wir den Weg suchende, sehr sympathische junge Tschechin aus Prag kennen – ein gutes Zeichen dafür, dass wir Deutschen nicht allein feiern sollten. Auf der Festveranstaltung zum Tag der deutschen Einheit in Prenzlauer Berg schlugen Günter Nooke und Thomas de Maizière nachdenkliche Töne an. „Man erbt die Geschichte und die Geschichten“, so Nooke. Die deutsche Wiedervereinigung sei damals im Westen Deutschlands auf gewisse Vorbehalte gestoßen, da dort Fremdheit, ja Misstrauen gegenüber Deutschland um sich gegriffen habe. Anders die Bürger der DDR, die sich immer eindeutig als DDR-Bürger oder als Deutsche empfunden hätten. Der wahre „deutsche Herbst“ habe sich nicht 1977 mit seinem dreifach unverständlichen RAF-Terror, sondern 1989 ereignet. – Thomas de Maizière entwarf danach ein äußerst differenziertes, mit Daten und Fakten angereichertes Gesamtbild der Lage Deutschlands nach der Wiedervereinigung. „Kein Schwarz-Weiß-Bild“, wie er zwei Mal hervorhob. Zwischentöne in mannigfachen Schattierungen herrschten somit vor. Er plädierte für die Beibehaltung des Solidaritätszuschlags, dessen heute in Erwägung gezogene Abschaffung er als „zu früh“ bezeichnete. Er rief dazu auf, eingeschliffene Denkgewohnheiten aufzugeben – Menschen und Dinge „nicht zu verschubladen“. Diesen Teil seiner Rede fand ich am beachtlichsten, zumal er an Begriffen wie „Ostdeutscher“ bemängelte, sie könnten keine Grundlage für zukünftige Identität abgeben.

Und genau über diese spannenden Prozesse der Bildung neuer deutscher Identität (oder gar deutsch-europäischer Identitäten?) hätte ich gerne mehr erfahren. „Kerzen der Zuversicht“ – diese schöne Formulierung de Maizières musste heute Wunsch bleiben.

Nicht unpassend wäre es gewesen, wenn man zum Abschluss noch einen stärkeren Ausdruck für Gefühle gefunden hätte, etwa durch Singen. Warum denn nicht unsere deutsche Nationalhymne singen? Mir gefällt die G-dur-Melodie, die der Österreicher Joseph Haydn, in ungarischen Diensten stehend, einer alten kroatischen Volksweise entlehnt hat, und der amtliche Text enthält ein starkes Plädoyer, glücklich zu sein oder glücklich zu werden. Aber Glück lässt sich nicht amtlich verordnen. Man muss es spüren.

 Posted by at 21:08