Der gestrige Sonntag war ein echter Maus-Tag! Mein Sohn trällert gleich beim Erwachen das gestern erst vorgesungene Volkslied:
Ein Schneider fing ne Maus, ein Schneider finge ne Maus, ein Schneider fing ne Mi-ma-maus …
Er lässt die zweite, die schrecklichste Strophe einfach weg, geht aber ansonsten alle Schritte vom Fell über den Sack über das Geld über den Bock bis zum Heldenstatus getreulich durch.
Merkwürdig: Einen Tag, nachdem ich meinen Sohn gefragt habe, ob er denn Mickey Maus kenne, lese ich ein ähnliches Gespräch zum selben Thema in einem der Maus-Comics von Art Spiegelman, wo sich folgender Dialog zwischen dem erwachsenen Sohn und dem greisen Vater entspinnt:
Vater: SOMEDAY YOU’LL BE FAMOUS, LIKE … WHAT’S-HIS-NAME? Sohn: „FAMOUS LIKE WHAT’S-HIS-NAME?!“ Vater: YOU KNOW … THE BIG-SHOT CARTOONIST … Sohn: WHAT CARTOONIST COULD YOU KNOW? … WALT DISNEY?? Vater: YAH! WALT DISNEY!
Art Spiegelman: The Complete Maus. Penguin Books, London, 2003, S. 135
Bezeichnend – für mich gehört Walt Disney zur nicht wegdenkbaren Grundausstattung meiner Kindheit ebenso wie Grimms Märchen, für den 1906 geborenen Vladek Spiegelman war dies ganz offensichtlich nicht der Fall, und für meine Söhne werden die Disney-Comics vermutlich ebenfalls nicht zu der festen Größe werden, als die sich die „Micki-Maus-Heftle“ unauslöschlich in meiner Generation etabliert hatten. Und diese herablassend-bevormundende Gebärde des Sohnes: „Welchen Karikaturisten kannst DU denn schon kennen!“ In einem einzigen Bild hat Spiegelman das ganze Vater-Sohn-Drama, das seinen Comic antreibt, eingefangen!
Ein echter, versöhnlicher Dauerbrenner für Väter und Söhne ist aber die „Sendung mit der Maus“. Wir schauten sie gestern, wie wir das fast jeden Sonntag tun. Wanja fragte mich, als das Brotbacken samt der Kohlendioxid-Produktion durch Bakterien erklärt und gezeigt wurde: „Hast du das gewusst?“ Ich antworte wahrheitsgemäß: „Nein, so genau habe ich das nicht gewusst!“ Die Sendung mit der Maus hat uns schon viele spannende Einsichten und lustige Lacher beschert. Kopfschmerzen bereitet mir das Deutsch, das dort gesprochen wird: Es wird so viel genuschelt und gezischt, es werden Silben gekappt und verdrängt, es ist alles sehr rheinisch-kölnisch geprägt! Etwa so: „Dann … nehmwan Topf“. Statt standardsprachlich: „Dann … nehmen wir einen Topf“. Ich habe nichts dagegen, wenn deutsche Erwachsene untereinander so miteinander sprechen, aber wir leben hier in Kreuzberg in einem multiethnischen Umfeld, mein Sohn hört wenig akzentfreies Hochdeutsch, da praktisch alle Kinder, mit denen er umgeht, wie er selbst auch einen „Migrationshintergrund“ haben. Folge: Die Kreuzberger Kinder hören und lernen die deutsche Sprache viel zu wenig in ihrer akzeptierten Hochform in Standardlautung, als sogenanntes „Hochdeutsch“, sondern nur noch mit allerlei Zisch- und Murmellauten verändert, Wortendungen sind auch bei unseren Sechsjährigen häufig Glückssache. Beispiele, wie ich so oft von unseren fünf- bis sechsjährigen Kindern höre: „Fétsisch“ statt „Vierzig“ (gemeint: Zahl 40). „Isch hol ein’n Teller mit ein’n Löffel.“ Und dergleichen mehr. Viele Vorschulkinder aus unserem Umfeld gehen wegen Ausspracheproblemen zum Logopäden! Ich vermute, manche dieser Ausspracheprobleme sind eigentlich mit dem Mangel an einem deutsch-muttersprachlich geprägten Umfeld erklärbar, sind mangelnde Hör-Erfahrungen.Ich wünsche mir also wenigstens zum Ausgleich von der Sendung mit der Maus – wie auch vom Sandmännchen – ein größeres Achten auf eine für Kinder vorbildliche deutsche Sprache, weniger das dialektgeprägte locker-flockige Dahinquatschen „wie man eben so dahinquatscht“ – obgleich gerade diese Lässigkeit für den erwachsenen Hörer wie mich einen der vielen Reize dieser insgesamt hervorragend gemachten Sendungen ausmacht. Wir bleiben dran – nehms mas nich übel!
Aber auch Kanzlerin Merkel erweist erneut ihren Sinn für gute Vermittlung komplizierter Inhalte: Sie fordert an eben diesem Tag eine Sendung mit der Maus für Finanzen. Die Zusammenhänge sind so kompliziert geworden, dass sie nur durch bildhafte, maus- und mundgerechte Darstellung begreiflich werden können. Die WELT berichtet:
Merkel sagte, für alle Bürger sei es wichtig, ein besseres Verständnis für die Kapitalmärkte zu entwickeln. Seit langem erkläre die Sendung mit der Maus (ARD) sehr gut, wie eine Kaffeemaschine oder ein Fahrrad funktioniere: Heute müssten wir aber auch eine Sendung für Finanzprodukte haben, also ein besseres Verständnis der heutigen Kapitalmärkte.
Dem stimme ich zu. Übrigens: Wer politische Zusammenhänge in vorbildlicher Einfachheit erklärt finden will, der klicke sich durch die Kinderseiten der Bundeskanzlerin. Ich jedenfalls habe dort so einiges besser verstehen lernen! Wie heißt es doch so schön: „Wenn ihr nicht werdet wie die Kindlein …“
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