Dez. 152010
 

Ihr Deutschen habt schon so viel Unfrieden über die Welt gebracht! Nun haltet mal schön stille und zahlt uns unsere Schulden! Wir brauchen keine Belehrungen von euch!“ So etwa lautet der emotionale Subtext, den gewisse Staaten uns in diesen Tagen wieder und wieder aufs Brot schmieren.

Ein irreführendes Argument, wie ich meine! Selbst Helmut Schmidt hat es verwendet:

Euro unbedingt retten: Helmut Schmidt: D-Mark würde Arbeitsplätze vernichten – Politik – Tagesspiegel
„Selbstverständlich werden die notwendigen Reparaturen abermals Geld kosten. Selbstverständlich werden sie insbesondere uns Deutsche abermals viel Geld kosten“, kündigt Schmidt an. Die Deutschen hätten in der Vergangenheit „erheblich zum Unfrieden in Europa und in der Welt beigetragen“ und müssten nun „auf eine ganz andere Weise dazu beitragen, dass die Schrecken der Vergangenheit sich nicht wiederholen können. Dafür sind weitere Opfer an Souveränität und an Geld geboten“, schreibt Schmidt.

Es ist natürlich richtig, dass die Weltöffentlichkeit, mindestens die breite westeuropäische Öffentlichkeit und die USA sich darauf geeinigt haben, dass die Deutschen und fast nur die Deutschen an fast allem Bösen schuld sind, das sich in den letzten hundert Jahren, insbesondere von 1914 bis 1945, ereignet hat. In Tausenden von Filmen, Büchern, Zeitungsartikeln wird dieses triviale Bild weltweit wieder und wieder befestigt.

Über belgische Kolonialgräuel in Kongo, über italienische Giftgaseinsätze in Afrika und Konzentrationslager in Dalmatien,  über die umfassende französische und die umfassende tschechische Kollaboration, über die französischen Massaker vom 08.05.1945 in Algerien, über russische Massenhinrichtungen, über griechische Vertreibungen, über türkische Vertreibungen, über den britischen Kolonialismus, über die Tatsache, dass sehr viele europäische Staaten, ja die meisten europäischen Staaten, darunter auch Sowjetrussland bis 1941 (sic!), mindestens einige Jahre lang recht begeisterte Waffenbrüder des Deutschen Reiches waren, wird hinweggesehen.

Man weiß es nicht oder tut so, als wüsste man es nicht. Und wenn man es weiß, erwähnt man es nicht. Und wenn es erwähnt wird, nimmt man es nicht zur Kenntnis. Da ist noch sehr viel Aufklärung und Erinnerungsarbeit zu leisten.

Ich meine: Die Euro-Frage darf auf keinen Fall mit der Frage der einzigartigen deutschen Schuld  in den Jahren 1914-1945 verknüpft werden! Das halte ich für geradezu aberwitzig. Da enttäuscht mich der ansonsten so brillant analysierende Altkanzler bitterlich.

Und die Bundesrepublik Deutschland, gegründet 1949, hat sicherlich nicht besonders zum Unfrieden in dieser Welt beigetragen. Oder will irgendjemand dies behaupten? Jetzt aus dem Verhalten Deutschlands in den Jahren 1914-1945 eine besondere finanzielle Verpflichtung Deutschlands zur Rettung des Euro herzuleiten, ist absurd. Aber genau diese Absurdität wird wieder und wieder aufgetischt.

Die Frage der Euro-Rettung ist eine politisch-pragmatische Frage.

Die Euro-Rettung ist im wohlverstandenen gemeinsamen Interesse der europäischen Staaten zu leisten. Die vereinbarten Stabilitätskriterien sind sinnvoll. Wir haben das Recht, die Einhaltung der vertraglich vereinbarten Pflichten voneinander einzufordern.
Nicht sinnvoll ist es zu sagen: Die Franzosen arbeiten bis 60, die Deutschen bis 69, die Griechen bis 58, weil die Deutschen so besondere moralische Schuld tragen.  „Die Deutschen müssen mit ihrem Sozialsystem die zugewanderten Bürger anderer Staaten unterstützen, die es aus eigener Kraft nicht schaffen – denn die Deutschen haben in den Jahren 1914-1945 so schwere Schuld auf sich geladen.“ Das ist Unfug.

„Ihr Deutschen zahlt für die Schulden anderer, weil ihr Deutschen schuldig seid.“

Diese Begründung taugt nichts.

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Keine vorschnellen Festlegungen der EU zu Côte d’Ivoire!

 Afrika, Europäische Union, Sezession  Kommentare deaktiviert für Keine vorschnellen Festlegungen der EU zu Côte d’Ivoire!
Dez. 062010
 

Völlig unklare Lage in Côte d’Ivoire! Wenn man die verschiedenen Quellen liest und befragt, wird man Widersprüchliches erfahren.

Der Norden scheint überwiegend in der Hand der Rebellen zu sein. Er scheint Unterstützung aus dem Ausland, so insbesondere aus Burkina Faso und aus Frankreich zu erhalten. Bedeutende Kräfte scheinen auf die Spaltung des Landes hinzuarbeiten. Eine Spaltung, die dann durch die selbsternannten Retter in der Not, also die Rebellen mit ihrer RHDP, abzuwenden wäre!

Es zirkulieren ganz unterschiedliche Auszählergebnisse der letzten Wahlen: Der Verfassungsrat sieht Amtsinhaber Laurent Gbagbo mit 51,45% vorne, während die Wahlprüfungskommission Alassane Ouattara 54,10% zuspricht.

Eine vorschnelle Festlegung auf einen „geordneten Übergang“ der Macht an den  selbsternannten neuen Präsidenten Ouattara, wie sie jetzt kaum verklausuliert auch durch die EU und durch den deutschen Außenminister ausgesprochen worden ist, scheint mir den wirtschaftlichen Interessen einiger weniger Länder entgegenzukommen, insbesondere jenen Burkina Fasos und denen der ehemaligen Kolonialmacht, also des EU-Staates Frankreich, der offenbar eine Mehrheit der EU-Länder hinter sich geschart hat.

Ohne gute Französischkenntnisse wird man die Lage in jenem Teil Afrikas nicht entwirren können. Die europäische Berichterstattung ist noch einseitig durch die französische Agentur AFP dominiert.

Ivorische Freunde empfehlen mir verschiedene Quellen, darunter folgende:

Abidjan .net | Moteur de recherche multimédia de la Côte d’Ivoire – Ivory Coast – Cote d’Ivoire

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TOP 09 nur für tschechische Staatsbürger …

 Europäische Union  Kommentare deaktiviert für TOP 09 nur für tschechische Staatsbürger …
Mai 312010
 

Schade!  Die neue Partei TOP 09 steht nur tschechischen Staatsbürgern offen. Ferner wird verlangt, dass man keiner anderen Partei angehört. Aber lest selbst, was jeder Beitrittskandidat auf dem Aufnahmegesuch versichern muss (Fettdruck durch dieses Blog):

Prohlašuji, že je mi více než 18 let, jsem občanem České republiky, nejsem členem jiné politické strany nebo hnutí a že do roku 1990 jsem nebyl členem Lidových milicí, StB, vojenských zpravodajských služeb či agentem StB a vojenských zpravodajských služeb.

prihlaska k clenstvi v TOP 09.pdf (application/pdf-Objekt)

Ich glaube, die Parteien müssen sich europäisieren. Warum gibt es noch keine europäischen Parteien? Sind die bestehenden so gut?

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Wach auf und streck dich, Europa!

 Europäische Union, Europas Lungenflügel  Kommentare deaktiviert für Wach auf und streck dich, Europa!
März 022010
 

Europe’s Errors – TIME
I am not exaggerating when I say Europe’s obsession with restructuring its internal arrangements is akin to rearranging the deck chairs of a sinking Titanic.

Im Flieger von Berlin nach Düsseldorf las ich genüsslich die aktuelle TIME, March 8, 2010, etwa über die Vorzüge des Barfußlaufens, S. 40, oder über die Vorzüge des häuslichen Unterrichts, S. 37. Letzteres, also Schulverweigerung, führt allerdings in Deutschland zu Stigmatisierung, Geldbußen und Sorgerechtsentzug. Die Auflage von TIME: 5,8 Millionen Exemplare. Was hier steht, hat Wirkung!

Im Sinkflug befindet sich der Kontinent Europa. Insonderheit die EU. Ein Haufen von selbstverliebten zankenden Schrebergärtnern, die nichts gebacken kriegen. Dies behauptet Kishore Mahbubani auf S. 20. Lesenswerte Gardinenpredigt! Europa verfehlt seine Stärken, es ist blind gegenüber den globalen Herausforderungen. Europa steht sich selbst im Weg, weil die EU im wesentlichen allzu oft als bloße Umverteilung von Ressourcen hin- und hergerissen wird.

Ich wage nicht, Herrn Mahbubani zu widersprechen – zumal er ausdrücklich seine Sicht als „Außensicht“ ausweist.Der Kontinent Europa ist noch nicht zu sich selbst gelangt – und die EU leistet zu wenig dafür, dass dies so werde. Selbstbezüglichkeit herrscht vor.

Ein kleiner Beleg aus meiner europäischen Innensicht: Wenn deutsche Christen von „Ökumene“ sprechen, weisen sie stolz darauf hin, dass Protestanten und Katholiken einander nicht mehr die Schädel einschlagen.  Die europäische Kirchenspaltung sei deshalb praktisch (wenn auch nicht dogmatisch) überwunden.

Was ist dran? Hier wage ich – immerhin! – zu widersprechen. Ein winziger Beleg: Die Katholiken und die Protestanten in Deutschland haben es immer noch nicht geschafft, die entscheidende, die viel tiefer liegende Kirchenspaltung ins Auge zu fassen, zu benennen, geschweige denn sie zu überwinden. Ich meine das Schisma von 1054, als West- und Ostkirche sich trennten. Seither ist Europa kulturell tief gespalten, und zwar bis zum heutigen Tag. Kleinasien, also die heutige Türkei, Bulgarien, Russland, Teile von Ukraine, Griechenland – diese und andere Länder zählen seit damals zum Osten. Sie sind für uns – das andere Europa (von uns aus gesehen). Wir sind für sie – auch für die Türkei: das andere Europa (von ihnen aus gesehen).

Dass dies in den deutschen Kirchen und auch in der CDU Deutschlands nicht gesehen und gesagt wird, erstaunt mich immer wieder. Ich meine: Es muss deutlich gesagt und oft wiederholt werden. Ich habe größte Mühe, den Sachverhalt meinen russisch-orthodoxen Familienangehörigen gegenüber zu rechtfertigen. Ehrlich gesagt: ich unternehme keine Versuche dazu.

Eine christliche Ökumene, die so tut, als sei sie ohne die mittlerweile überall in Europa lebenden „östlichen“, orthodoxen Christen vollständig, greift ins Leere.

Dies ist nur einer der vielen Belege dafür, dass wir Europäer endlich in die Gänge kommen müssen – nicht nur politisch, sondern auch kulturell. Dazu gehört, dass die Politik und die Menschen sich in den gesamten Strom der europäischen Geschichte stellen und nicht einen Teil abspalten.

Europa must get its act together! Wake up, get to your feet, reach out!

 Posted by at 15:26
Juni 072009
 

Gleich am Morgen ging ich zu den Europawahlen in die Nikolaus-Lenau-Grundschule. Ich wurde von den Wahlhelfern freundlichst begrüßt – war ich doch um 9.20 Uhr schon der zwölfte Wähler, der seine Stimme abgab! Den langen Zettel las ich gründlich durch und setzte mein Kreuz bei der Liste eines Mannes, den ich kenne und schätze.

Ich rief aus: „Ich tippe auf 42% Wahlbeteiligung und leiste hiermit meinen Beitrag!“ Gelächter: „Sie sind zu optimistisch!“ – Das habe ich ja auch in diesem Blog geraten. Und so ist es auch gekommen. Der Wahlausgang bedeutet ein klares Votum für mehr Freiheit, für weniger Staatsgläubigkeit. Die niedrige Wahlbeteiligung und ebenso das Erstarken der Rechten in den anderen Ländern finde ich allerdings bedenklich.

Beim Umweltfestival der Grünen Liga, dem Netzwerk ökologischer Bewegungen, erzähle ich das Märchen vom Rabenkönig zweimal. Erst auf der großen Bühne vor dem Brandenburger Tor, dann auf der kleinen Bühne vor dem russischen Panzer. Nur mit einer Stimme und einer Geige vor die Menschen zu treten, das ist schon mehr, als sich in einem Ensemble einzureihen. Ich lasse mich tragen und die Worte strömen sozusagen aus mir heraus. Der Sohn, der sich aufmacht, um seine beiden Brüder und den Ochsen zu befreien, besteht alle Prüfungen: Er kann teilen, denn er gibt sein letztes Brot an ein Tier. Er hört zu, er ist mutig – und er geht sparsam mit den Schätzen der Erde um!

Das Tolle war: ich hatte keinen Text auswendig gelernt, sondern merkte auf die Reaktionen der Zuhörer – was kommt an? Wie alt sind sie? Wie gehen sie mit? Also waren die zwei Fassungen des Märchens heute recht unterschiedlich.

Die große ADFC-Sternfahrt endete hier am Brandenburger Tor. Durchnässt, aber zufrieden trudeln Tausende und Abertausende von Radlern ein. Ich spreche mit einigen ADFC-Freunden, darunter auch der ADFC-Landesvorsitzenden Sarah Stark.  – Es war ein erfolgreicher Tag, etwa 100.000 Teilnehmer folgten dem Lockruf der freien Straßen.

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Euro-twitteren is mannetjesmakerij, oder: Bram Boriau hat einen Zahn verloren!

 Europäische Union, Positive Kommunikation, Sprachenvielfalt  Kommentare deaktiviert für Euro-twitteren is mannetjesmakerij, oder: Bram Boriau hat einen Zahn verloren!
Mai 252009
 

Zaghafte Gehversuche in den neuen Internet-Medien unternehmen die Europa-Kandidaten in unseren Nachbarländern, um die Herzen der jungen Menschen im Sturm zu erobern. Der niederländische Kandidat Wim van de Camp zieht eine erste vorläufige Bilanz:

Van de Camp wil het niet groter maken dan het is. ‘Als ik een politieke mening twitter, krijg ik vier reacties. Als ik meld dat ik met de motor op pad ben, zijn het er al twaalf. Maar toen ik twitterde dat het mistig was in Lage Vuursche en vroeg hoe het weer elders was, kreeg ik weerberichten uit heel het land.’

 Euro-twitteren is mannetjesmakerij – Multimedia – de Volkskrant

Auf gut Deutsch: Die Leute, die van de Camp beim Twittern folgen, scheinen sich mehr für Wetterberichte als für Politik zu interessieren. Wahlkampf als Dienstleistung für den Bürger, indem die neuesten Wetterdaten über Twitter vermittelt werden? Wie dem auch sei – vermutlich erfüllt das einen Zweck: Die Leute vernetzen sich, lernen den Namen van de Camp kennen. Wir ihr zum Beispiel! Stellt euch vor, ihr müsstet unter 10 Namen, die euch allesamt unbekannt sind, bei denen völlig unklar ist, wofür sie europapolitisch stehen, einen Namen ankreuzen – und darunter wäre der Name van de Camp … wen würdet ihr wählen? Wahrscheinlich würdet ihr denken: „Van de Camp …. das ist doch der Mann, der so lustige Wetterberichte twittert – den werde ich wählen!“ Ziel erreicht!

Ein anderer Parlamentarier, der Belgier Bram Boriau,  lässt per Twitter wissen, dass er einen Zahn verloren habe. Schlimm für ihn, gut für uns zu wissen!

Übrigens: Der Bundespräsident Köhler hat in den vergangenen Wochen offene Listen bei Wahlen gefordert. Ich bin auch dafür – aber was gilt es zu bedenken? Folgendes: In Italien hatten sie beim letzten Mal schon offene Listen. Die Wähler konnten aus vorgegebenen Landeslisten die Kandidaten auswählen, die sie ins Parlament bringen wollten. Ergebnis: Es gewannen diejenigen Kandidaten, die aus dem Fernsehen bekannt waren, also berühmte Nachrichtenansagerinnen und Journalisten, die im Moment nichts besseres zu tun hatten, als auf den Europa-Wahllisten zu kandidieren. Die Wähler verlangten keine politische Inhalte, sondern Bekanntnheit. Motto: „Die kenne ich vom Fernsehen, die sieht gut aus, die wähle ich!“ Viele von den TV-Zelebritäten gaben das Mandat nach 1-2 Jahren zurück, da sie etwas Besseres in ihrem angestammten Beruf gefunden hatten.

Ist das Europaparlament also nur eine Verlegenheitslösung für Menschen, die im Moment nichts besseres zu tun haben?

Wenn dem so wäre, dann müssten wir Blogger die Kandidaten daran erinnern, dass wir eine klare Ansage erwarten: „Was wollt ihr im Europaparlament? Warum sollen wir euch wählen?“

Das Europaparlament hat immerhin auf breiter Front die neuen Medien für die Mobilisierung der Jungwähler eingespannt. Das Blog von Le Monde berichtet heute darüber:

En plus de son propre site, accessible en 22 langues, le Parlement européen a aussi ouvert sa chaîne sur You Tube, des pages sur Facebook et My Space, ou encore des galeries photo sur Flickr … “C’est clair“, écrit Evenimentul Zilei, “ce type d’agression multimédia est destiné à toucher une seule cible : les jeunes. Les ingrédients sont nombreux et font appel à tout un imaginaire collectif et culte : films d’horreur ou héros modernes“.

Ich meine: Blogs und neue soziale Medien sind in der Tat unerlässlich, wenn man die Jung- und Erstwähler gewinnen will.  Aber Inhalte müssen dazukommen.

 Posted by at 12:20
Mai 242009
 

13052009.jpg Gerne denke ich an Politiker wie Schumann, de Gasperi, Adenauer, Jacques Delors, Mitterand, Helmut Kohl zurück: Sie waren Politiker, die kühne europäische Konstruktionen ersannen, die für weittragende Entwürfe Mehrheiten zusammentrommelten und Bündnisse über die Landesgrenzen hinweg schmiedeten. Anders heute. Gegenüber dem CDU-Spitzenkandidaten Joachim Zeller führte ich am vergangenen Mittwoch beredte Klage, alle sähen in der EU nur eine Art Spendieronkel, den es immer wieder anzubetteln gelte. Es fehle ein Leitbild für die Europäische Union. Eine europäische Öffentlichkeit gebe es noch nicht. Widerspruch erntete ich nicht.

Drei Tage später verwendet Martin Schulz, der SPD-Spitzenkandidat ganz ähnliche Ausdrücke. Im aktuellen Spiegel Nr. 22/2009, S. 36 sagt er:

„Damals ging es bei Europa vor allem um Werte, heute sind leider die Nutzwerte in den Vordergrund getreten: Was bringt mir Europa?“

Wie gut kommt mir da eine Veranstaltung zupass, die die Gesellschaft zur Förderung der Kultur im vereinigten Europa e.V. am kommenden Freitag abhält. Lest hier die Ankündigung unserer Gesellschaft:

Aktuell – Europa +
Is the Post-Cold War European order in crisis?
Ivan Krastev (Sofia) und Mark Leonard (London) im Gespräch mit
Roger Boyes (The Times)
29. Mai 2009, 20:00 Uhr, Senatssaal der Humboldt-Universität (Unter den Linden 6)

Mark Leonard plädiert leidenschaftlich für ein selbstbewussteres und aktiveres Europa. Sein Buch „Warum Europa die Zukunft gehört“ bietet eine aufmunternde Sicht auf die errungene gesamteuropäische Demokratie, die gute Chancen habe, weltweit geschätzt und nachgeahmt zu werden.
Ivan Krastevs aufschlussreiche Analysen zu Europa speisen aus dem Kenntnis der Erfahrungen der postkommunistischen Länder Mittel- und Osteuropas. Eine Mehrheit in den Gesellschaften Südosteuropas wisse noch nicht, was an der Demokratie gut ist, habe aber bereits vergessen, was schlecht am Sozialismus ist, behauptet Krastev.

Drei bedeutende Namen, drei unterschiedliche Ansichten! Ich bin gespannt und werde in jedem Fall hingehen. Man trifft sich dort, oder?  Um Anmeldung wird gebeten bis zum 25. Mai per E-mail: anmeldung@kultur-in-europa.de

Unser Foto zeigt übrigens einen der wenigen hochangesehenen, profilierten EU-Politiker aus Deutschland. Über viele Jahre hat Hans-Gert Pöttering sich einen hervorragenden Ruf erworben. Aber selbst in Deutschland werden wenige mit dem Namen etwas anfangen können.

 Posted by at 21:42

Ist die EU ein kranker Mann?

 Europäische Union  Kommentare deaktiviert für Ist die EU ein kranker Mann?
Mai 222009
 

20052009.jpg Sehr erhellender Abend mit Joachim Zeller, dem Kandidaten der CDU für das Europäische Parlament gestern im Kreuzberger Glashaus! Zeller streicht überzeugend heraus, wieviele Vorteile wir von der Europäischen Union haben: Strukturfonds, EFRE, Infrastruktur, in der Zukunft vielleicht Herausbildung eines neuen wirtschaftlichen Großraums mit Zentrum Berlin. Die überragende Bedeutung der europäischen Normensetzung wird leider von den Medien sträflich vernachlässigt – dieser Feststellung stimmen alle im Raum zu. Wir Bürger hören zu, nippen an Bier und Apfelschorle.

Ich schalte mich mit folgenden Behauptungen ein: „Die alten Geschichten über die Europäische Union – Friedenssicherung, Einbindung Deutschlands, Wohlstandsmehrung – tragen heute nicht mehr. Wir wissen nicht, was uns in Europa zusammenhält. Es gibt fast niemanden, der Europa glaubwürdig erzählen kann. Wir brauchen eine Besinnung auf ein neues, zukunftsweisendes Selbstbild Europas. Mitnahmementalität herrscht leider heute vor, jedes Land versucht möglichst viel aus dem großen Kuchen für sich herauszuschlagen. Neben den wirtschaftlichen Fragen ist ein kulturelles Profil der EU nicht erkennbar. Deshalb tun wir uns auch in der Frage des Beitritts der Türkei so schwer.“

Kein Widerspruch regte sich gegen diese Feststellung. Zeller meint: Zusammengehörigkeit muss von unten her wachsen, etwa durch Besuche, durch Partnerschaften. Aber die Mittel werden zu wenig abgerufen. Eine junge Frau, Vertreterin der Kreativwirtschaft, kämpft für das Schillertheater und versucht, Zeller Zugeständnisse zu entlocken. Das Thema Türkei wird erörtert. Zeller rät, den Eiertanz um die Beitrittsverhandlungen zu beenden und klipp und klar festzustellen, dass die Türkei auf absehbare Zeit die Beitrittskriterien nicht erfüllen kann.  Eine junge türkische Frau, CDU-Mitglied, meldet sich: „Es gibt keinen stichhaltigen Grund, weshalb die Türkei immer wieder vertröstet wird.  Außer der anderen Religion, der anderen Geschichte.“ Ein guter Ausgansgpunkt für eine echte Auseinandersetzung!

Ich werfe noch den Streit zwischen EU-Kommissar Verheugen und Bundesfinanzminister Steinbrück in den Raum. Beide Herren warfen einander ja wechselseitig Versagen der jeweils anderen Institution vor. „Wer hat Ihrer Meinung nach Recht, Herr Zeller?“ Zeller antwortet: „Beide.“ Also haben sowohl die deutsche Finanzaufsicht als auch die EU-Kommission versagt.

Vera Lengsfeld, die zu meiner großen Freude ebenfalls teilnahm und mir sogar direkt gegenüber saß, steuerte Einblicke in die Parlamentspraxis bei: „Wir Bundestagsabgeordnete mussten einmal im Ausschuss vormittags über eine neue EU-Chemikalienverordnung entscheiden, die 1200 Seiten umfasste und die wir am Abend zuvor um 20 Uhr erhalten hatten. Eine sinnvolle Kenntnisnahme, geschweige denn Bewertung, war nicht möglich.“

Bilanz: Der anregende, sehr ergiebige Abend mit dem Spitzenmann der Berliner Union bot soviel Kritik und Stoff zu Diskussionen, dass das am 7. Juni zu wählende neue Europäische Parlament alle Hände voll zu tun haben wird, um den zunehmend zweifelnden Stimmen der Bürger eine gute Antwort zu geben. Die EU-Parlamentarier sind die bestbezahlten überhaupt, wir Wähler sollten ruhig mehr Druck auf die Kandidaten aufbauen – und zwar jetzt noch bis zum 7. Juni 2009!

Meine Voraussage: Die Wahlbeteiligung bei den EU-Wahlen wird leider noch einmal zurückgehen. Ich erwarte 42% Prozent in Deutschland. Der Wahlkampf der Parteien ist langweilig, vemeidet bisher die wichtigen Themen. Schade.

Denn ich bin ein überzeugter Europäer, ich bin ebenfalls ein überzeugter Anhänger der Europäischen Union. Sie hat mehr – und besseres verdient. Nach all dem Kritteln und Knastern noch ein Hinweis: Für vorbildlich halte ich die Rede der EU-Ratspräsidentin Angela Merkel zum 50-jährigen Jubiläum der Römischen Verträge. Die war großartig, bewegend, persönlich erzählt und eine überzeugende Werbung für die EU. Eine der besten Reden, die ich in den vergangenen drei Jahren gehört habe.

Unser Foto zeigt ein paar junge Leute, die in der S-Bahn darüber stritten, wer einen leeren Getränkekarton habe fallen lassen. Keiner hob ihn auf, keiner bekannte sich schuldig. „Ich seid ja wie die Politiker – jeder gibt dem anderen die Schuld und versucht das beste für sich herauszuschlagen!“ Dem stimmen sie zu. „Darf ich euch fotografieren und in mein Blog setzen?“, frage ich. „Ja, machen Sie nur!“ ertönte die Antwort. Geschehen gestern.

 Posted by at 00:14
Feb. 122009
 

Diese Zahlen da oben, das sind Jahreszahlen. Hans Hugo Klein nennt sie in der heutigen FAZ auf Seite 10 als die entscheidenden Jahre, in denen die Spaltung Europas besiegelt wurde – die Spaltung in einen Westen und einen Osten. Denn das Schisma zwischen römisch-katholischer und griechisch-orthodoxer Kirche (1054), der verheerende Feldzug („Kreuzzug“) gegen Byzanz (1204) und die Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen (1453) waren Ereignisse mit Wasserscheiden-Charakter. „Nachher“ war es anders als „Vorher“ – sowohl im Bewusstsein der Zeitgenossen wie auch für uns Heutige in der Rückschau.

Seither ist Europa eigentlich doppelgesichtig – es gibt den lateinisch geprägten Westen und den griechisch, später auch teilweise islamisch geprägten Osten. Länder wie Deutschland, Polen, Kroatien oder Ungarn gehören demnach zum „Westen“, Griechenland, Bulgarien, Serbien und Rumänien hingegen zum „Osten“.

Die Behauptung Kleins ist: Europa habe kein einigendes Band, keine gemeinsame Identität, das diese Hälften oder Glieder zusammenhalte. Deshalb sei die Europäische Union vorerst noch keine Schicksalsgemeinschaft, sondern ein zweckgeleitetes Konstrukt.  Zitat:

„Um einem Europa der Bürger näher zu kommen, bedarf es, woran zu arbeiten lange versäumt wurde: der Ausbildung einer europäischen Identität, aus welcher allein die Bereitschaft zur Einordnung in einen Staatenverbund erwachsen kann.“

Das Fehlen eines Bewusstseins von der Identität Europas – das ist ein Mangel, den ich selber ebenfalls bereits festgestellt habe (dieses Blog am 14.12.2008): „Wir wissen nicht, was uns zusammenhält – oder trennt.“  Der Einwurf Hans Hugo Kleins gehört zum besten, was ich in deutschen Zeitungen zu diesem Thema lesen konnte. Lesen, aufheben!

 Posted by at 16:40

„To kratos dolophonei“ – dies ist eine Reisewarnung für Europa!

 Europäische Union, Griechisches, Krieg und Frieden, Rechtsordnung, Was ist europäisch?  Kommentare deaktiviert für „To kratos dolophonei“ – dies ist eine Reisewarnung für Europa!
Dez. 102008
 

Piräus, Patras, Larissa, Trikala, Korinth, Rhodos – dies alles sind Städtenamen, bei denen mein Herz höher schlägt. Es sind Namen, die für die Geburt Europas stehen. In einem einzigartigen Zusammenklang von Mythos, Geschichte, Philosophie und Religion entstand im antiken Kleinasien und Griechenland das meiste von dem, was wir heute als Kern der Idee Europa betrachten.

Und heute – zerreißt es mir das Herz! Im Tagesspiegel steht:

Rebellion der Ratlosen
Das deutsche Auswärtige Amt hat bereits eine Reisewarnung für Griechenland herausgegeben. Denn nicht nur in Athen gibt es Unruhen. Piräus, Patras, Larissa, Trikala, Korinth, Chania, Rhodos – die Liste der Städte, in denen jugendliche Randalierer alles zerstören, was ihnen in den Weg kommt, wird täglich länger.

Ich kenne das moderne Griechenland nicht gut genug, um einen Kommentar zur Lage dort abzugeben. Aber eines kann man folgern: Wenn tausende Jugendliche plündernd durch die Straßen ziehen, handelt es sich nicht um gewöhnliche Kriminelle. Es muss sich darin eine ungeheure Wut ausdrücken, ein völliges Auseinanderfallen von Staat und junger Generation. Diese jungen Menschen schreien es mit Leibeskäften heraus:  „Dies ist nicht unser Staat, dies ist nicht unsere Ordnung!“ To kratos dolophonei – lese ich auf einem Banner, das aus der griechischen Botschaft in Berlin hängt. „Die Macht tötet heimtückisch.“

Wohl aber kenne ich ein wenig die Bewusstseinslage in Deutschland und anderen europäischen Ländern. Eine im ZDF bekanntgegebene Umfrage vor einer Woche brachte ans Licht, was ich leider schon dumpf ahnte: Die Mehrheit der Deutschen sowohl im „Osten“ wie im „Westen“ findet, es sei ihnen vor der Wiedervereinigung besser gegangen. Wie würden die deutschen Jugendlichen handeln, wenn sie eines fernen Tages ebenfalls der Meinung sein sollten: „Dies ist nicht unser Staat, dies ist nicht unsere Ordnung!“? Wenn eine echte Krise hereinbräche, nicht bloß so ein kleinmütiges Hickhack um Pendlerpauschalen? Wenn Perspektivlosigkeit und Verdruss über Missstände sich zu einer hochexplosiven Mischung verbänden?

Die Vorgänge in Griechenland dürfen uns nicht kalt lassen. Sie sind ein erschütterndes Beispiel dafür, wie ein europäisches Kernland die Zustimmung der jungen Bürger zur Demokratie verspielen kann. Dies ist eine Warnung an alle anderen EU-Länder, wohin die Reise gehen kann, wenn die Grundwerte des modernen Verfassungsstaates, die Grundwerte der Europäischen Union nicht jederzeit, an jedem Ort weiter gepflegt, eingeübt und verteidigt werden.

Wir müssen sehr viel tun, damit nicht eines fernen Tages andere Länder der Europäischen Union Reiseewarnungen herausgeben müssen: „Fahren Sie nicht nach Deutschland, fahren Sie nicht nach Polen, fahren Sie nicht nach Ungarn.“ To kratos dolophonei!

Eine Demokratie, die nicht auf im Herzen gefühlter Zustimmung der Mehrheit der Bevölkerung beruht, hat keinen Bestand. A house divided cannot stand.

 Posted by at 11:19

Europa misslingt einsam – Bravo, Dziennik!

 Europäische Union, Horst Köhler, Polen, Sprachenvielfalt  Kommentare deaktiviert für Europa misslingt einsam – Bravo, Dziennik!
Juli 012008
 

Mit seiner Weigerung, den Lissaboner Vertrag zu unterzeichnen, erobert Polens Präsident Lech Kaczyński die europäische Presse. Nicht ohne Genugtuung stellt dies die Tageszeitung „Dziennik“ in ihrer Internetausgabe fest. Genau dieses Organ hatte durch das Interview mit dem Präsidenten die Lawine losgetreten, Wind gesät – und erntet nun höchst zufrieden den Sturm in der Presselandschaft. Überall spricht man jetzt über den Dziennik!

Dziennik – Polityka – Kaczyński z traktatem podbił zagraniczne media

Dass gestern Bundespräsident Horst Köhler ebenfalls die Unterschrift zurückzuhalten erklärte, ehe sich das Bundesverfassungsgericht in der Sache erklärt haben würde, „schaffte es nicht auf die Frontseiten der Internetportale in der Europäischen Union“:

Wczoraj wieczorem prezydent Niemiec Horst Koehler zapowiedział, że wstrzyma się z ratyfikacją traktatu lizbońskiego do czasu orzeczenia sądu konstytucyjnego. Ta wiadomość nie trafiła jednak na czołówki portali internetowych w Unii Europejskiej. Serwisy największych europejskich dzienników cytują za to słowa polskiego prezydenta, Lecha Kaczyńskiego.

Dass nach den Iren nun auch die Deutschen und die Polen sich querstellen, wirft ein schlechtes Licht auf die europäische politische Klasse. Denn gerade die Gebrüder Kaczyński handelten den Vertrag in dieser Gestalt mit aus, wie auch der Figaro zurecht erinnert:

„Le Figaro“ przypomina, że to właśnie Lech Kaczyński, „razem ze swoim bratem bliźniakiem“ wynegocjował traktat z Lizbony w takim kształcie.

Was ist davon zu halten? Der Vertrag von Lissabon, den ich für höchst unterstützenswert halte, ist den Leuten nicht richtig erklärt worden. Ein kommunikatives Desaster der Extraklasse. Wer trägt dafür die Verantwortung? Vermutlich wir alle ein bisschen: Wir Blogger, weil wir dem Thema zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet haben, die Politiker, weil sie die Menschen nicht mitgenommen haben, die Presse, weil sie nicht ausreichend informiert hat, die Fernsehstationen, weil sie europäische Themen auf sträfliche Art vernachlässigen. Nebenbei: Das ZDF-heute-Journal, die ARD-Tagesthemen müssen jeden Tag mindestens ein europäisches Thema aufgreifen! Dafür dürfen sie und sollen sie die teilweise recht störende Werbung für eigene Box- und Fußballsendungen ersatzlos streichen. Plumpe Eigenwerbung hat in seriösen Nachrichtensendungen nichts verloren.

Meine persönliche Schlussfolgerung: Ich werde ab sofort europapolitischen Themen in diesem Blog noch mehr Aufmerksamkeit zollen, mehr aus der europäischen Presse berichten und noch mehr Fremdsprachenangebote einbauen. Aber immerhin habe ich in diesem Blog schon Beiträge und Zitate in 9 europäischen Sprachen drin – darunter auch Sorbisch und Türkisch! Was wollt Ihr mehr?

Europa misslingt einsam! Es scheitert immer dann, wenn die einzelnen Akteure sich nicht einbinden lassen, bloß für sich und ihr Land das Beste herausholen wollen und das europäische Gemeinwohl mit Füßen treten.

So geht es nicht weiter. Nein: Europa gelingt gemeinsam – das Motto der deutschen Ratspräsidentschaft fand ich schon mal gut, für den Anfang.

 Posted by at 12:35