Juni 172009
 

Ich gerate auf dem Weg zur Arbeit in die Demonstration der Berliner Schüler und Studenten für bessere Bildung. Ich zückte mein Handy und nahm ein Video auf, das ihr sehen könnt, indem ihr hier drauf klickt. Zahlreiche Organisationen haben zum Schulstreik aufgerufen. Na, das kenne ich. Ich war als Schülersprecher damals ebenfalls an der einen oder anderen Aktion beteiligt. Wir forderten die Drittelparität in der Schulkonferenz. Wir wollten die volle Demokratie in der Schule. Ich selber war meistens bei solchen Umtrieben mit dabei. Mein Vater stand leider auf der Gegenseite: Er unterrichtete Grundschulpädagogik, galt als Marionette des Kultusministers, der die böse ASchO, die Allgemeine Schulordnung, erlassen hatte – frecherweise, ohne uns Schüler vorher um Erlaubnis zu bitten. Dass ich meinen Vater als Hampelmann des bayerischen Kultusministers Hans Maier in einer Karikatur entdecken musste, gab mir aber doch einen einen Stich mitten ins Herz.

Heute empfand ich das ganze eher als Getöse, als nicht ganz ernstzunehmen. Es war ein Happening.  Zwar halte ich es immer für gut, wenn man gute Bildung fördert und fordert. Aber dann sollte man bei sich selbst anfangen. Niemand hindert die Schüler am Lernen. Ich sehe keine Schüler und Schülerinnen, die wirklich hart, fleißig und zielgerichtet mit dem selbstbestimmten Lernen beschäftigt sind. Ich sehe die Jugendlichen trommeln, in Bars herumhängen, mit Handys telefonieren, kiffen, rauchen und trinken. Ich weiß: Nicht alle sind so. Aber sie haben viel Geld, viel Zeit und Eltern, die kaum etwas von ihnen zu erwarten scheinen. Die Schüler sind in der Schule weitgehend unterfordert.

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Ich lasse mir ein Flugblatt geben. Die Sozialistische Jugend Die Falken SJD schreibt:

Der Kapitalismus frisst den ganzen Bildungskuchen und alle Studienplätzchen alleine.

WIR FORDERN: GEBÄCK FÜR ALLE.

Wir brauchen den Kapitalismus nicht.

Nur gemeinsam können wir das System überwinden.

Aha. Also doch. Die Demo wird instrumentalisiert, um gezielt den Überdruss am Kapitalismus zu schüren. Intelligenz ist also eine Art Keks, den der Staat an uns alle verteilen soll. Kostenlos.

An meiner heutigen Arbeitsstätte angekommen, lese ich das Handelsblatt von gestern. Kanzlerin Merkel rechtfertigt erneut die umfassenden staatlichen Hilfen für einzelne Wirtschaftszweige. Ich lese:

Merkel wie Steinmeier bekannten sich zum Modell des Exportlandes Deutschland. Zwar sei die exportabhängige deutsche Wirtschaft momentan von der Krise besonders stark betroffen. „Es gibt aber keine Alternative dazu, dass wir eine exportstarke Nation sind“, hob Merkel hervor, „ansonsten ist unser Wohlstand in Gefahr.“ Damit setzt die Bundesregierung ihren Kurs der staatlichen Rettungspolitik fort und schlägt Warnungen der Wirtschaftsforscher in den Wind, dem Export zu sehr zu vertrauen.

Auch BDI-Präsident Hans-Peter Keitel sieht keine Alternative zu einem „starken Industrieland Deutschland“. Der frühere Hoch-Tief-Chef warnte die Wirtschaft jedoch davor, sich in der Krise zu stark auf Staatshilfen zu verlassen. Außerdem mahnte er eine wirkliche Reform der Steuer- und Sozialsysteme an. Sonst erreiche man das Ziel nicht, gestärkt aus der Krise hervorzugehen.

Ist unser Wohlstand in Gefahr, wenn die Exporte dauerhaft und massiv einbrechen? Ja! Ist die Sicherung des Wohlstands ein vorrangiges Ziel der Politik? Offensichtlich ja.

Kann der Staat für seine Bürger den Wohlstand sichern? Hierauf lautet meine Antwort: Nein. Es kann nicht Ziel des Staates sein, den Wohlstand der Bürger durch exorbitante Verschuldung für eine Legislaturperiode zu sichern. Die Bürger müssen sich den Wohlstand erarbeiten. Durch Fleiß, durch kluges Handeln, durch Beharrlichkeit und Redlichkeit. Der Staat kann allenfalls Rahmenbedingungen setzen. Er ist nicht dafür zuständig, den Wohlstand der jetzt Lebenden durch Verschuldung der künftigen Generationen zu sichern.

Es gibt Werte, die weit wichtiger sind als der Wohlstand: Das ist das Recht, das ist die Freiheit. Durch die jetzige Politik der Hochverschuldung wird die Freiheit der nach uns Kommenden beschnitten. Und auch das Recht wird beeinträchtigt, etwa durch die törichterweise im Grundgesetz verankerte „Schuldenbremse“. Es ist nicht schlimm, wenn unser Lebensstandard erheblich zurückgeht. Es ist schlimm, wenn Freiheitsrechte der Menschen durch immer neue Eingriffe des Staates in die Wirtschaft und durch immer einseitigere Ansprüche der Bürger an den Staat beschnitten werden.

Es wird der trügerische Wahn erzeugt, staatliches Handeln könne maßgeblich Wohlstand sichern. Ich sage: Das Handeln des Staates kann den Wohlstand ebensowenig sichern wie zusätzliche Bildungsmilliarden das gute Lernen der Schüler garantieren. Man fragt immer erneut beim Staat an. „Mach uns glücklich durch Glückskekse, Vater Staat! Mach uns klug durch Klugheitsgebäck, Mutti Bundesrepublik! Mach uns reich, oh Konjunkturprogramm II!“

Dieser selbstherrliche Anspruch des Staates, wie ihn Kanzlerin Merkel wieder und wieder formuliert, nämlich das Glück und den Wohlstand der Bürger zu sichern, führt in die Irre. Das ist die neueste Fassung eines polemischen alten Wortes, das der gute Bismarck prägte, als er seine Sozialversicherungen einführte: Staatssozialismus.

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Egoismus der Gene

 Friedrichshain-Kreuzberg, Gute Grundschulen, Kinder, Migration, Pflicht, Verantwortung  Kommentare deaktiviert für Egoismus der Gene
Juni 122009
 

 „Mein Kind first“: Wie Eltern gute Schulen verhindern – SPIEGEL ONLINE – Nachrichten – SchulSPIEGEL
Eltern können sehr maßlos sein. Eine Mutter sagte bei einer anderen Veranstaltung zur Fusion von Berlins Haupt- und Realschulen: „In den Hauptschulen, da gibt es zu viele Migrantenkinder. Und wenn Sie die Schulen zusammenlegen, dann werden sie noch einen größeren Haufen Scheiße produzieren.“ Schule als Klassenkampf.

So schreibt Christian Füller heute in Spiegel online. Wirklichen schweren Kummer habe ich in meinem Leben kaum. Aber als tiefen persönlichen Schmerz empfinde ich, wie hier in Kreuzberg die Schülerschichten von der ersten Klasse an separiert werden. „Wir geben  jeden Monat 200 Euro allein für Benzin aus, damit wir unsere Tochter in die richtige Grundschule bringen können.“ So verriet mir ein bildungsbewusster Vater einer Erstklässlerin. Mein Sohn geht in die Schule, der wir vom Bezirksamt zugewiesen sind. Denn ich kann es nicht verantworten, dass in unserem Staat, den ich rundweg bejahe und immer bejaht habe, jeder nur das Beste für sich und die Seinen herauspickt. So zerfällt unsere Gesellschaft – selbstverständlich zerfällt sie auch und mit Wonne in unserem spießig-grünen-bürgerlichen Kreuzberg! Die Grünen fahren hier bei Wahlen absolute Rekordwerte ein – und die Schülerschichten sind getrennt wie Kuchenschichten. Es ist eine absolute Klassengesellschaft, die unser ach so linkes Kreuzberg heranzieht. Hurra, wir zerfallen!

Ich kann das Gejammere über die angeblich so schlechten Schulen nicht mehr hören. Jeder schimpft auf die Schule, auf den Berliner Senat, auf DIE Lehrer, auf DIE Schüler. Keiner fragt: Was kann ich tun? Was ist meine Pflicht? Alle erheben Ansprüche an den Staat. Nur wenige erbringen freiwillig etwas für den Staat. Verantwortung, Pflicht – das erstreckt sich doch zunächst auf das unmittelbare Umfeld, in dem man lebt.

Gerade wird wieder einmal eine Neuerung in Berlins Schulen eingeführt. Haupt- und Realschulen werden zusammengelegt zu einer neuen Sekundarschule. Ein Schritt in die richtige Richtung. Die Oppositionsparteien beißen sich an kleineren Details fest wie etwa dem Zugangsverfahren zum Gymnasium. Einige kreischen: „Schüler auslosen ist ein Verbrechen.“ Das Losverfahren ist ein Verbrechen an den Kindern! Ach, wenn die wüssten! Dass ich nicht lache! Ein absoluter Nebenschauplatz!

Nein nein: Die Separierung der Schüler erfolgt völlig unabhängig von den Schulformen. Sie setzt bereits ab Klasse 1 ein.

Keiner dieser Politiker, mit denen ich spreche, hat auch nur ein einziges Mal bei mir angefragt: „Herr Hampel, Sie schicken Ihr Kind in eine Grundschule mit über 90% Migrantenanteil. Wie geht es Ihrem Kinde damit?“ Die Öffentlichkeit, die Eltern und leider auch viele Politiker reden über die Grundschulen, aber innerlich haben sie sich von den breiten Schülerschichten längst verabschiedet. Alle verdienen an der Panikmache kräftig mit. Sie schüren den Unmut, den Verdruss.

Ich stamme aus einem Pädagogenhaushalt. Mutter Lehrerin, Vater Hochschulprofessor der Didaktik. Seit über 40 Jahren verfolge ich die Bildungsdebatte die Tonleiter rauf und runter. Ich würde sagen, ich bin fast Profi.  Mein derzeitiges Fazit: 1) Es wird allzu viel vom Staat erwartet. 2) Die Schulen sind weit besser als ihr Ruf. 3) Die Schüler und die Eltern müssen mehr arbeiten.

Wir müssen die Kinder und die Schulen stärken. Durch eigene Leistung. Nicht immer nach dem Staat rufen. Jeder kann was beitragen.

Unser Bild zeigt den hier bloggenden Vater mit Schülern, mit Künstlerinnen und der stellvertretenden Rektorin der Fanny-Hensel-Grundschule bei einer gemeinsamen Thateraufführung.

 

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Vorfreude auf das morgende Konzert

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Mai 262009
 

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Felix Mendelssohn Bartholdy (1809 – 1847) war der Bruder Fanny Hensels. Seine Berliner Kindheit verbrachte er mit seinen drei Geschwistern in einem Haus an der Leipziger Straße 3. Mit großem Fleiß lernte er mehrere Sprachen, Musik, Mathematik, Literatur, Sport, Zeichnen und Geschichte. Der Vater ermahnte die Kinder immer wieder, auch wenn er auf Reisen war: „Tut was für eure Bildung, lernt, übt, arbeitet!“ Die Eltern mussten damals noch aus eigener Tasche für den ganzen Unterricht bezahlen. Mehrere Jahre lebte er dann in verschiedenen Ländern, weil er nicht wusste, wo er eigentlich hingehörte. Endlich, am 21. Februar 1832, schrieb er an seinen Vater: „Das Land ist Deutschland; darüber bin ich jetzt in mir ganz sicher geworden.“  

Voller Vorfreude auf das morgige Konzert in der Fanny-Hensel-Schule studiere ich Partituren und Skizzen, Bücher und hochgelahrte Abhandlungen. Denn ich musste soeben noch ein komplettes Programm schreiben, bosseln, häkeln, drucken und falten. Obiges ist der Lebenslauf, wie ich ihn für die Kinder, die uns morgen zuhören werden, geschrieben habe. Die Kinder sind zwischen 6 und 12 Jahren alt. Sie kommen aus ca. 12 Ländern.

Das Foto zeigt Angela Billington und den hier bloggenden Komödianten bei der Aufführung der Mozartischen Zauberflöte, letzte Woche in der Fanny-Hensel-Grundschule in Berlin-Kreuzberg. Den Theatervorhang haben die Kinder der Klasse 1 B selbst gemalt.

Und so habe ich die Künstler-Biographien zurechtgehübscht:

 

Angela Billington (Sopran) kommt aus England und hat in Cambridge studiert. In Berlin hat sie bei diversen Oper- und Kabarettprogrammen mitgewirkt. Sie hat in letzter Zeit Solokonzerte in Kalifornien und England gegeben. Sie interessiert sich besonders für die russische Oper.

 

Irina Potapenko (Alt) stammt aus Moskau. Ausgebildet als Opernsängerin in Moskau und Leipzig an der Hochschule für Musik und Theater Felix Mendelssohn Bartholdy. Sie ist freiberufliche Sängerin und lebt in Berlin. Preisträgerin beim Bach-Wettbewerb in Leipzig. www.musikerportrait.de/irina-potapenko/

 

Ivan Hampel (Violine) geboren am 28.05.2002, besucht die Klasse 1 B der Fanny-Hensel-Grundschule. Er nimmt bei Tamara Prischepenko Geigenunterricht. Seine berufliche Zukunft sieht er gleichermaßen als Lokomotivführer und Geiger. Seine beiden Sprachen sind Deutsch und Russisch.

 

Johannes Hampel (Violine) spielt seit 40 Jahren nach Herzenslust Geige. Er arbeitet als Konferenzdolmetscher für Englisch, Italienisch und Französisch und lebt fünf Tandem-Fahrradminuten von der Fanny-Hensel-Schule entfernt.

 

Natalia Christoph (Klavier) stammt aus Kaliningrad (Königsberg). Sie wirkte als Pianistin an zahlreichen Opernaufführungen in Deutschland, den Niederlanden, der Schweiz mit. Pädagogische Tätigkeiten: Moldauisches Konservatorium Kischinjow, derzeit an der UdK Berlin, Meisterkurse in Frankreich und Belgien. Sie begleitete unter anderem Ute Trekel-Burckhardt und Hanno Müller-Brachmann. www.natalia-christoph.de/

Und das ist unser Programm (Dauer 45 Minuten):

1. Robert Schumann: Marsch

    Ivan Hampel, Geige

    Irina Potapenko, Klavier

 

2. Felix Mendelssohn Bartholdy: 3 Duette

    Ich wollt, meine Lieb ergösse sich (Worte: Heinrich Heine)

    Herbstlied (Karl Klingemann)

    Lied aus Ruy Blas (Victor Hugo)    

Angela Billington, Sopran

Irina Potapenko, Alt

Natalia Christoph, Klavier

 

3. F. Mendelssohn Batholdy

    Andante. 2. Satz aus dem Violinkonzert e-moll

            Johannes Hampel, Violine

            Natalia Christoph, Klavier

 

4. F. Mendelssohn Bartholdy

    Frühlingslied  (Nikolaus Lenau)

    Gondellied (Thomas Moore)

            Irina Potapenko, Natalia Christoph

 

6. F. Mendelssohn Bartholdy

    Rondo capriccioso

   Natalia Christoph, Klavier

 

7. Pjotr Ilijitsch Tschaikowskij: Zwei Duette

    Im Garten

    Duett der Lisa und Polina aus der Oper „Pique Dame“

    Angela Billington, Irina Potapenko, Natalia Christoph

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„Wann geht es endlich los?“ – „Wann machen wir weiter?“ – „Wann führen Sie Mozart auch mit uns auf?“

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Mai 192009
 

Mit diesen Fragen bedrängten uns die Kinder aus der Klassenstufe 1 an der Fanny-Hensel-Schule. Auf dem Programm stand heute wieder unsere unvergängliche Zauberflöte, in der Fassung für Marionettentheater. Einige Kinder aus der Klasse 1a hatten Rollen als wilde Tiere, als Katzen, Löwen, Tiger zu spielen, die vom Klang der Zauberflöte besänftigt werden. Bei den Proben taten sich besonders einige Jungs hervor – sie ließen uns ihre gesammelte Kraft spüren.

In ihrer netten Begrüßung hob die Konrektorin, Frau Ünsal-Bihler, hervor, dass Mozert derjenige sei, der ja den berühmten Marsch „alla turca“ geschrieben habe. „MOZART!“ Ahh  … die Kinder raunten wissend. Der Name Mozart ist ihnen schon gut bekannt.

Die Kinder hatten die Bühnenbilder selbst gemalt. M.elle Angela Billington trat als Sopranistin auf und sang „Ach, ich fühls …“ so ergreifend, dass mir wieder einmal fast die Tränen kamen! Dies ist eins der Geheimnisse von Mozarts Musik: Sie nutzt sich nicht ab. Je öfter ich die Ouvertüre zur Zauberflöte höre, desto göttlicher, desto unbändiger, desto freudiger erscheint mir diese Musik. „Wo bin ich hier?“, dachte ich. „Wieder einmal höre ich eine Musik mit anderen Menschen zusammen, die schon vor uns Hunderttausende gehört haben. Und nach uns werden sie ebenfalls noch hunderttausende hören. Auch noch in tausenden von Jahren!“

Die 60 Kinder hörten gesammelt, unverwandten Blickes, gespannt über 40 Minuten zu. Sie klatschten heftigen Beifall – und dann kamen die Kinder der 1b an mit ihren Bitten. Sie fühlen sich hinter der 1a zurückgesetzt, sie wollen jetzt ebenfalls die Zauberflöte inszenieren.

Beim Hinausgehen lernte ich noch „Die drei Damen“ kennen. Nein, nicht die aus Mozarts Zauberflöte, sondern aus dem Schulhof der Fanny-Hensel-Schule. Ihre Aufgabe ist, als ehrenamtliche Mediatoren bei Streitigkeiten zu vermitteln. „Aber wir richten nicht. Wir geben niemandem recht. Wir achten auf die Einhaltung von allgemeinen Regeln“, erklärten sie uns. „Nehmen Sie mal eine Kugel. Geben Sie diese Kugel an ein Kind. Das Kind darf reden, solange es die Kugel in Händen hält. Sobald es die Kugel weitergibt, ist das nächste Kind dran. Nur wer die Kugel, hat darf reden. Das wirkt! Probieren Sie es aus!“

„An dieser Schule herrscht ein guter Geist – und das ist auch Ihr Verdienst. Dafür danke ich Ihnen.“ So sage ich zu den Drei Damen zum Abschied. Denn mein Mädchen oder Weibchen (wie Papageno sagen würde, sorry, Feministinnen, der Ausdruck ist keine Diskriminierung!) drängelt. Sie will unbedingt ins Café, das heißet Ökotussi, gelegen in der Kreuzberger Großbeerenstraße, und einen Milchkaffe trinken. Das hat sie sich redlich verdient! Ich esse eine Tomatensuppe, einen Riesenteller.

Unser Foto zeigt die Wirkungsstätte der Drei Damen, nämlich den Schulhof der Fanny-Hensel-Schule. Foto veröffentlicht mit freundlciher Genehmigung des Fotografen Charles Yunck.

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„Sozialistische Einheitsschule“ oder demokratische Vielfaltsschule?

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Mai 052009
 

Vor mir liegt sie, die bunte Din-4-Broschüre der Hamburger Senatorin für Schule und Berufsbildung Christa Goetsch: „Eine kluge Stadt braucht alle Talente„, Stand April 2009. Insgesamt herausragend gut gemacht ist diese Erklärung eines neuen Schulmodells. Stichworte: Eine neue Lernkultur und eine neue Schulstruktur, längeres gemeinsames Lernen, zwei Wege zum Abitur. Auf S. 6 wird alles schön übersichtlich dargestellt. Das Gymnasium bleibt ab Klasse 7 erhalten und führt nach Klasse 12 zum Abitur, aber daneben treten die Stadtteilschulen ab Klasse 7, die nach 13 Jahren zum Abitur führen.

Was mir sofort kritisch auffällt, und was auch nach genauem Studium der Broschüre als Eindruck bestehen bleibt, ist folgendes:

1. Das Nebeneinander von Stadtteilschule und Gymnasium, die beide zum Abitur führen sollen, ist eine unnötige Verdoppelung: Verdoppelung bedeutet erheblichen bürokratischen Mehraufwand. Der Regelungsbedarf im überregulierten System Schule wird noch einmal zunehmen. Hier hätte man meines Erachtens unbedingt eine formale Zusammenlegung von Stadtteilschule und Gymnasium herbeiführen müssen. Wie man das Kind nennt, ist zweitrangig. Damit die bildungserpichten Eltern keine Revolution anzetteln, schlage ich vor, man greife zum alten griechischen Wort für Fitness-Freiluft-Studio, also gymnasion. Das Gymnasium ist das Fitness-Studio unserer Jugend – wer dort übt, wird sich auf der Ringbahn des Lebens behaupten können.

2. Es fehlt ein starker Akzent auf dem Mittleren Schulabschluss nach 10 Jahren. Der Schulabschluss nach 10 Jahren ist europaweit die meistgewählte Schuldauer. Der 10-jährige Schulbesuch  muss so gestaltet werden, dass er einen vollwertigen ersten Schulabschluss sichert. Damit kämen wir endlich auch in eine Vergleichbarkeit mit den Schulsystemen der anderen europäischen Länder.

Was brauchen  wir in Berlin?

Mehr Einheit, mehr Vielfalt, mehr Vergleichbarkeit! Man muss den gordischen Knoten durchhauen, den das geradezu bizarr zersplitterte Berliner Schulwesen geschürzt hat.

Wir brauchen einen formalen Schulabschluss nach Sekundarstufe I, und einen formalen Schulabschluss nach Sekundarstufe II. Jeder Schüler sollte ertüchtigt werden, die Sekundarstufe I abzuschließen. Innerhalb dieser formal und administrativ einheitlichen Sekundarstufen I und II ist die breiteste Vielfalt denkbar und wünschenswert!

Formale Gleichstellung aller bestehenden Schulen, die zur Sekundarstufe I und II führen – aber innerhalb dieser administrativ vereinheitlichten Strukturen eine größtmögliche Fülle an Möglichkeiten für selbstgesteuertes,  zur Freiheit erziehendes Lernen. Die Schulen brauchen unter diesem einheitlichen Dach mehr Selbständigkeit, um sich ein unverwechselbares Profil zu geben. Dafür trete ich ein. Ich nenne diese Schule die „Demokratische Vielfaltsschule“.

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Mai 042009
 

Wenig Freude erlebt der hier bloggende Kreuzberger Vater  beim Blick in die früher despektierlich Mottenpost genannte Gazette. Die im echten Leben Morgenpost genannte Zeitung schreibt heute:

Bildung – Größere Klassen für Berliner Schulanfänger – Berlin – Berliner Morgenpost
Erst vor wenigen Monaten wehrten sich die Schulleiter des Bezirks Mitte in einem öffentlichen Brandbrief gegen zu große Klassen. Doch offenbar verhallte der Hilferuf: Die Bildungsverwaltung hat entschieden, den Anteil von Kindern aus Migranten-Familien an Brennpunkt-Schulen heraufzusetzen und die Klassenstärken zu erhöhen.

A propos despektierlich:  Unsere Bildungsstadträtin Monika Herrmann nimmt kein Blatt vor den Mund. In ungewohnter Deutlichkeit kämpft sie gegen die ihr vorgeschaltete Obrigkeit und für die Beibehaltung der niedrigeren  Schülerzahlen. Das finde ich erfrischend! „Wir bleiben widerborstig“, würde Jürgen Trittin wohl lobend zu seiner Parteifreundin sagen. Morgenpost berichtet:

Monika Herrmann, Bildungsstadträtin von Friedrichshain-Kreuzberg, wird noch deutlicher. „Die Anweisung ist idiotisch“, sagt die Grünen-Politikerin. Das sei ein klares Signal zur Lehrereinsparung. Ein „katastrophales Vorgehen“, so Herrmann. Dabei habe sich die Regelung vom vergangenen Jahr bewährt. Offenbar würden die Lehrerstunden an anderer Stelle benötigt, sagt Herrmann.

Die Bildungsverwaltung weist den Sparvorwurf zurück. Die Vorschrift sei schlicht nicht mehr nötig, da es an Brennpunktschulen ohnehin nicht zu viele Bewerber gebe, sagt Erhard Laube, zuständiger Referent in der Bildungsverwaltung. „Wir gehen davon aus, dass sich die Frequenzen dadurch nicht erhöhen werden“, sagt Laube. Und wenn doch mehr als 24 Kinder in einer Klasse säßen, gebe es dafür zusätzliche Teilungsstunden.

Was meint der hier bloggende Kreuzberger Vater? Nun, als ältlich-konservativer Knochen, der ich nun mal bin, befleißige ich mich in aller Regel einer zurückhaltenderen Wortwahl. Ich verwende kaum – und wenn, dann nur in Zitaten –  „Ausdrücke“, wie es im Schulprogramm meiner Vorzugsschule so schön heißt.

Ich kenne die Dienstanweisung nicht. Unabhängig davon meine ich: Dienstanweisungen sollten klar, nachvollziehbar und zielführend sein. Wenn bereits die Vertreterin einer nachgeordneten Behörde sich öffentlich gegen sie ausspricht, kann etwas nicht stimmen. Dann sollte man ehrlich und unumwunden Ross und Reiter nennen und sagen: „Tut uns leid, Jungs. War gut gemeint. Aber das Geld ist alle.“

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„Seht ihr! Ich hab’s euch gesagt!“

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Mai 042009
 

12102008001.jpg Genau dieser besserwisserische Gedanke zuckt mir soeben durch den Kopf, als ich heute in der Süddeutschen Zeitung auf S. 38 weitere Vorabberichte über die geheimnisumwitterte neue Studie des Bildungsforschers Jürgen Baumert lese (dieses Blog berichtete am 02.05.2009). Schon seit Monaten tippe ich mir die Finger wund, um einen Gedanken unters Volk zu streuen, den offenbar nur wenige haben: „An die Eltern müssen wir ran! Die Familien – also die Eltern und die Kinder – sind viel entscheidender als die Schulen für den Bildungserfolg der Schüler. Wer Schulkarrieren beeinflussen will, muss vor allem Familien beeinflussen.“

Na, und was soll ich euch sagen? Endlich lese ich etwas Ähnliches auch in der neuen Auswertung der unter Leitung von Rainer Lehmann durchgeführten Element-Studie.  Ich bekomme sozusagen Munition für meine Redeschlachten! Zitat gefällig? Hier kommt sie, Süddeutsche von heute, S. 38:

Die auf sechs Jahre ausgedehnte Grundschulzeit muss demnach keineswegs zu Lasten besonders leistungsstarker Schüler gehen, wie das viele Eltern befürchten. Vor allem beim Lesen und dem Textverständnis, so die Studie, spreche viel dafür, dass der Entwicklungsprozess „von den Vorleistungen der Schüler und des Elternhauses lebt“. Die grundständigen Gymnasien könnten davon profitieren, ohne diese Entwicklung selbst aktiv zu fördern. „Generell ist fraglich, ob die Gymnasien die Förderung der Lesekompetenz als akademische Aufgabe aller Fächer bislang überhaupt entdeckt haben.“

Na bitte! Manche Familien fördern Aufmerksamkeit, Lesen, Konzentrationsfähigkeit, gute Sprachfähigkeiten bei ihren Kindern von Anfang an stärker als andere. Diese fördernden Familien neigen dazu, ihre Kinder dann ins grundständige Gymnasium zu schicken. Das Gymnasium nimmt diese Vorauswahl dankend entgegen und leitet seine Überlegenheitsansprüche von der Vorleistung der Eltern und der Kinder ab. Und jetzt kommt der springende Punkt: Werden diese von den Familien stärker geförderten Kinder eher gebremst oder gefördert, wenn sie mit allen anderen Kindern zusammen lernen? Darüber herrscht keine Einigkeit.

Was tun? Letztlich werden uns die Bildungsforscher keinerlei politische Entscheidungen abnehmen können! Sie können nur Hinweise geben. Die Ziele politischen Handelns müssen wir Bürger untereinander ausmachen. Wir müssen uns fragen: Wollen wir die De-facto-Apartheid der Schülerpopulationen weiter verstärken oder wollen wir sie abbauen? Wie jener ungarische Oberst Novaki, den wir vorgestern zitierten, stehen wir vor Alternativen: Wollen wir weiter in Grenzbefestigungen investieren, oder wollen wir die Grenzen abbauen?

Meine Überlegungen gehen in folgende Richtung:

Wir brauchen eine Schule, die allen Schülern jederzeit den Grenzübertritt ermöglicht.  Wie im Unterricht selbst, so muss auch in den Bildungsgängen ein hohes Maß an individuellem Lernen möglich sein. Die Sortierung in „höhere“ und „niedrigere“ Schulformen sollte aufhören. Es darf nicht sein, dass eine Schulform ohne eigene Leistung alle besser geförderten Kinder abzieht und die verbleibenden Kinder an Restschulen delegiert.

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Und wieder eine Studie über Berlins Schulen …

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Mai 022009
 

30042009.jpg Das Schulwesen gehört zu den überforschtesten Feldern überhaupt. Wieder einmal kommt eine neue Studie auf den Meinungsmarkt. Und wieder einmal werden alle Seiten sich nach Belieben bedienen. Wieder einmal wird sich die Debatte über Schulformen aufschaukeln. Lest selbst im neuesten Tagesspiegel:

Experte lobt Berlins Grundschulen
Auf Berlin kommt eine neue Diskussion über den Nutzen eines vorzeitigen Übergangs auf die Gymnasien zu. In einer aktuellen Untersuchung, die dem Tagesspiegel vorliegt, widerspricht der renommierte Bildungswissenschaftler Jürgen Baumert der Annahme, dass die grundständigen Gymnasien in den Klassen fünf und sechs bei besonders leistungsfähigen Schülern generell eine bessere Förderung der Lesefähigkeit und des mathematischen Verständnisses der Schüler erreichen als die Grundschulen. Damit widerspricht er seinem Kollegen Rainer Lehmann, der nach der Auswertung seiner „Element-Studie“ vor einem Jahr behauptet hatte, es gebe solche Fördereffekte. […]

Sofort nach Bekanntwerden der Lehmann-Thesen hatten sich Zweifler gemeldet und warfen ihm vor, die erhobenen Daten falsch interpretiert zu haben. Insbesondere rief Lehmann alle Befürworter der sechsjährigen Grundschule auf den Plan, die nun fürchteten, es würden noch mehr Eltern versuchen, ihre Kinder frühzeitig auf die Gymnasien zu bringen. Daraufhin bat die Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD) den für die erste „Pisa-Studie“ verantwortlichen Baumert um eine „Reanalyse“ der Lehmann-Daten. Diese liegt jetzt vor und erscheint in der nächsten Ausgabe der „Zeitschrift für Erziehungswissenschaft“. Ob der 27-seitige Aufsatz allerdings dazu angetan ist, die Elternentscheidungen beim Übergang zum Gymnasien zu beeinflussen, bleibt fraglich: Für sie zählt, dass sie in den grundständigen Klassen insgesamt ein höheres Lernniveau und eine sozial ausgewählte Schülerschaft erwarten.

Ich meine: Ein besseres Lernen ist jederzeit und überall möglich. Vor allem dann, wenn man die Kinder vom ersten Lebenstag an in die deutsche Sprache hineinwachsen lässt. Die politischen Entscheidungen werden uns die Bildungsforscher nicht abnehmen. An die Familien müssen wir herantreten.

 Posted by at 23:17

41% weniger Kleinkinder, aber: Ich bleibe widerborstig. Wir bleiben.

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Apr. 302009
 

Jeder Tag bringt nette kleine Begegnungen mit den Kindern aus der Fanny-Hensel-Schule, kleine Plaudereien mit den Eltern. Dass Friedrichshain-Kreuzberg innerhalb von nur 3 Jahren laut letztem Berliner Sozialatlas 41% Kinder im Alter von 0-6 Jahren verloren hat, kann ich mir nur mit den berüchtigten Schein-Ummeldungen und auch einigen echten Umzügen erklären. Jedenfalls sind offenbar die nettesten Kinder geblieben. Übrigens: Ich bleibe widerborstig! Ich bleibe äußerst unnett, ich vertrete in all dem Gejammer über eine ach so verfehlte Bildungspolitik eine messerscharfe Oppositionspolitik. Ich sage:  Es gibt sie, die guten Schulen, gute Schule ist überall in der Bundesrepublik Deutschland möglich! Wir sind ein freies Land, auf das ich stolz bin! Und ebenso wie Autor Christian Füller vertrete ich diese Meinung, dass gute Schule überall und jederzeit in diesem unseren Lande möglich ist, ohne dass mich irgendeine Gesinnungspolizei behelligt! Toll, was?

Diese abweichende Meinung äußere ich gerne – und bei jedem Anlass, auch unaufgefordert. Aber lest selbst den Brief, den ich am 02. März 2009 an unsere Bildungsstadträtin, Frau Monika Herrmann, geschickt habe:

Sehr geehrte Frau Herrmann,

 

ich habe mich sehr gefreut, als ich Sie am vergangenen Donnerstag bei der Kita-Veranstaltung mit den fünf Kandidaten kennengelernt habe. Danke nochmal für die Stimmzettel!

 

Wie schon angedeutet, bin ich weiterhin hochbegeistert von der Arbeit, die die Fanny-Hensel-Schule in dem, wie es offiziell heißt, „sehr schwierigen Umfeld“ leistet. Zu Unrecht wurde uns von zahlreichen deutschen Miteltern und Mitbürgern vom Besuch dieser Schule abgeraten. Alles dort atmet Ermutigung, Zuversicht, Vertrauen – genau diese Grundhaltung brauchen wir. 

 

Wohlgemerkt: Wegen der dauernden Negativpropaganda und „Ohne-mich-Haltung“ meiner lieben deutschen Mit-Eltern geht überhaupt kein deutsches Kind mehr in die Klasse meines Sohnes (der ebenfalls laut amtlichen Kriterien migrantisch ist).

 

Bei den damaligen Diskussionen über die evangelische Privatschule habe ich noch eher abwartend zugehört, aber nunmehr bin ich ein überzeugter Verfechter des staatlichen Grundschulwesens in unserem Bezirk geworden. Diese Schulen sind weit besser als sie dargestellt werden. Dies schließt nicht unbedingt aus, dass sie von privater Konkurrenz profitieren könnten. Alles, was unseren Bezirk attraktiver macht, muss willkommen sein.

 

Ich bin – wenn Sie das wünschen – als Betroffener bereit, jederzeit in Wort und Schrift für diese und andere bezirklichen Grundschulen einzutreten und mich für den heilsamen integrativen Ansatz, wie Sie als Zuständige ihn vertreten, einzusetzen. Ich werde dies ohnehin in meinem persönlichen Umfeld tun und auch in diesem Sinne weiterhin den Stimmzettel hochheben.


 

Mit herzlichen Grüßen

 

Ihr


 

Johannes Hampel

Bitte macht mir keine Vorwürfe, ich wollte mich bei der geehrten Obrigkeit einschmeicheln! Wer dieses Blog liest, weiß, dass ich schonungslos alle und jeden zu kritisieren bereit bin – sogar die Bundesregierung. Also, wenn ich mal etwas sehr gut finde, wie etwa die Fanny-Hensel-Grundschule, dann entspricht das wirklich meiner Meinung. Dazu stehe ich. Könnt ihr damit leben?

 Posted by at 14:18

Verantwortung statt Mitnahmedenken – Das Wort zum Abend

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Apr. 272009
 

Aus zwei Büchern, die ich kurz hintereinander gelesen habe, sprang mich vor drei Tagen geradezu erleuchtungsartig die Einsicht an, dass der zentrale, große Begriff der nächsten Jahre VERANTWORTUNG lauten wird. Worum geht es? Immer mehr merken wir, dass das Gute von unten wachsen muss, dass wir unser Geschick nicht mehr den anoymen Gesetzmäßigkeiten, dem Walten eines übermächtigen Staates, eines Kollektivs anvertrauen dürfen. Dafür heute abend zwei ähnlich lautende Belege aus diesen beiden Büchern!

Christian Füller: Die gute Schule. Wo unsere Kinder gerne lernen. Pattloch Verlag, München 2009, 285 Seiten, Euro 16.95

Füller untersucht: Was macht eine gute Schule aus? Er jammert nicht über den Bildungsnotstand, sondern er erzählt an 5 Geschichten, wie gute Schule gelingt. Ich greife einige Leitsätze heraus, die einen tragenden Grundton angeben: „Ich habe die Kraft, etwas zu schaffen, ich kann das. Ich bin Held!“ (S. 145), so reden sich die Schüler ein. „Alle diese Initiativen haben eines gemeinsam. Sie erwarten vom Staat wenig. Eigentlich nur, dass er sich möglichst heraushält mit Zentralabituren, Kopfnoten, neuen Schulfächern und ähnlichem Unsinn“ (S. 217).

Oswald Metzger: Die verlogene Gesellschaft. Rowohlt Berlin Verlag GmbH, Berlin 2009, 223 Seiten, Euro 16.90

Metzger betrachtet den heutigen Zustand der deutschen Gesellschaft, der deutschen Politik. Auch er gelangt zur Einsicht: Wir schieben zu viel Verantwortung ab, wir überfordern den Staat.  Dafür ein Zitat:

„Im Laufe vieler Jahrzehnte haben wir offenbar vergessen, dass die Leistungsfähigkeit des Staates auch von uns selbst abhängt. Wenn wir den Staat überfordern, dann verlangt er uns im Gegenzug immer mehr ab – in Form von Steuern und Sozialabgaben, aber auch in Gestalt immer größerer Regelungswut“ (S. 117-118).

Füller und Metzger kommen in einer Aufforderung überein: Erwartet nicht zu viel vom Staat! Packt es selber an – ergreift die Verantwortung selbst! Ihr könnt das!

Aus gegebenem Anlass: Kurzer Rückblick auf Pro Reli! Worin lässt sich das Volksbegehren einordnen? Antwort: Eindeutig in die alte Denkschule, wonach der Staat immer mehr Leistungen erbringen muss. Zu einem hohen Preis. Denn wenn tatsächlich Religion als Wahlpflichtfach eingeführt worden wäre, hätte auch Ethik in alle Jahrgangsstufen erweitert werden müssen. Mit erheblichen Kosten von geschätzten 200 Millionen Euro.

Was wäre das neue, verantwortliche Denken? Vielleicht dies: Wenn euch der Glaube so wichtig ist, dann legt glaubhaft Zeugnis ab! Bewirkt etwas,  im Kleinen. Erwartet doch nicht vom Staat, dass er euch euer Kerngeschäft, die Verkündigung der Frohen Botschaft abnimmt! Werdet klein wie die Kindlein, bescheidet euch!

Das Scheitern des Volksentscheides Pro Reli hatte ich zutreffend bereits am vergangenen Freitag vorhergesehen und kommentiert. Um so erschütterter bin ich, wie wenig einsichtig sich die Förderer und Forderer von Pro Reli und die sie unterstützenden Parteien und die Kirchen zeigen! Darauf ruht wahrlich kein Segen – mit immer neuen Forderungen an den Staat heranzutreten.

Der Wind hat sich gedreht – auf die Verantwortung des einzelnen, der kleinen Gemeinschaften kommt es an! Der Staat wird es nicht richten.

Die neuen Bücher von Christian Füller und Oswald Metzger empfehle ich nachdrücklich zur Besinnung und als Antidot für die rückwärtsgewandten Staatsgläubigen.

Guten Abend!

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Apr. 232009
 

Als Anhänger einer gut gemachten Jahrgangsmischung erweist sich der Hamburger Bürgermeister Ole von Beust. Die geplante Primarschule in Hamburg sieht jedenfalls die Zusammenlegung der Jahrgangsstufen 1 bis 3 voraus. Darüber berichtet die taz heute:

SCHULSTREIT: Schulstunde mit Symbolgehalt – taz.de
„Ich war über die Konzentration der Kinder erstaunt“, sagte der Bürgermeister, nachdem er eine halbe Stunde in der Klasse „die Wölfe“ zuguckte. In der Rellinger Straße tragen die Klassen Tiernamen. Hier werden die Kinder des 1. bis 3. Jahrgangs zusammen unterrichtet. Als der Bürgermeister kam, waren die Kinder mit individuellen Aufgaben beschäftigt, die in einer Planungsmappe dokumentiert werden. Manche rechneten, andere machten Deutsch oder zeichneten Musikinstrumente, bevor es, zusammen mit dem Bürgermeister, in die gemeinsame Musikstunde überging. „Es war nicht so ein Tohuwabohu, wie man es bei manchen Klassen mit Frontalunterricht erlebt“, sagte von Beust.

Ich selber hospitierte heute ebenfalls in einer ersten Grundschulklasse. Mein Eindruck: Die Kinder lernen konzentriert an sinnvollen Einzelübungen. Konzentration, eine gute, aufmerksame Lernatmosphäre, das fiel mir auf. Diese Grundhaltungen sind wesentlich. Sie scheinen aber nicht von der Schulform abzuhängen.

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Apr. 232009
 

Bereits im Oktober 2008 hatte ich mich mit einigen Eltern zusammengeschlossen und einen Entwurf zu einem Brief beigesteuert, der dann auch nahezu unverändert von allen Eltern unterzeichnet wurde.  Diesen Brief könnt ihr in diesem Blog unter dem Datum vom 09.03.2009 nachlesen. Wir wandten uns damals gegen die vom Senat angeordnete Zusammenlegung der Klassenstufen eins und zwei. Die Erfahrungen, die Lehrer, Schüler und Eltern mittlerweile reichlich mit dem jahrgangsübergreifenden Lernen (JüL) sammeln konnten, bestätigen unsere frühzeitig geäußerte Skepsis. Überall in Berlin flackert numehr der Widerstand gegen das JüL auf. Darüber berichtet heute die Morgenpost:

Gemeinsames Lernen – Berliner Grundschulen rebellieren gegen Reform – Berlin – Berliner Morgenpost
Beklagt werden zu große Klassen mit 24 und mehr Kindern. In diesen Klassen seien zu viele Kinder mit sozial-emotionalen Verhaltensauffälligkeiten, Lernbehinderung und Sprachförderbedarf, heißt es weiter. Die Zahl der verhaltensauffälligen Kinder würde zudem stetig steigen. Schließlich wird darauf hingewiesen, dass Erzieher für die Unterstützung während der Unterrichtszeit fehlten, weil sie die von den Eltern bezahlten Betreuungszeiten abdecken müssen. Auch gebe es zu wenig Sonderpädagogen.

Ihr seht: Gut gemeint ist nicht gut gemacht!

Ich meine weiterhin: Ehe man jetzt erneut großflächige Versuche anstellt, die den Glauben an die Schule noch weiter erschüttern, sollte man gezielt und nachhaltig die Eltern beeinflussen, und zwar in dem Sinne, wie das Christian Füller in dem gestern erwähnten taz-Interview anregt (und wie auch ich es schon mehrfach in diesem Blog gefordert habe). Ich halte die Familien beim Erfolg von Lernen für viel entscheidender als die Schulen. Die Kinder brauchen Eltern, die sich um die Kinder kümmern, Eltern, die den Kindern übermäßigen Medienkonsum und Techniksucht verbieten und ihnen  stattdessen sinnvolle Aktivitäten wie etwa Sport und Musik verordnen. „Verordnen“? Nun ja, zunächst einmal auferlegen oder auch befehlen – die Freude daran wird sich später einstellen. Beipiel: ein Instrument erlernen. Welches Kind übt gerne? Nur eine winzige Minderheit! Aber jedes Kind kann ermuntert werden, ein Instrument wie Geige, Ud oder Bajan zu erlernen. Zwang und Nachdruck sind nötig, nach einem Jahr stellt sich dann die Freude ein.

Aber an die Eltern traut man sich nicht heran. Man möchte sie nicht stören. Es sind ja auch Wähler.

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Apr. 212009
 

Den obigen Ausruf mögen die älteren unter den Leserinnen noch kennen. Ich hörte ihn in höchster Erregung vorgetragen als Sechstklässler, als wir bildungsfernen Rabauken mal wieder Rabatz schlugen, ehe der erwartete Lehrer endlich erschien, um mit dem Lateinunterricht zu beginnen. Er schalt uns tüchtig: „IST hier jetzt gleich Ruhe, hier geht’s ja zu wie in der JUDENSCHUL!“

Was steckt hinter dieser Redewendung? „Schul“, das ist im Jiddischen der Ausdruck für Synagoge, also für das Versammlungshaus der jüdischen Gemeinde. Das jiddische Wort kommt aus dem deutschen Wort „Schule“, weil die Synagoge selbstverständlich nicht nur Versammlungshaus, sondern auch auch Lernort, eine Stätte der Wissensweitergabe war. Die Judenschul, das war die Synagoge. Unser deutsches Wort Schule wiederum stammt von lateinisch schola, die Schule, ab, welches seinerseits wiederum aus dem griechischen σχολή, die Muße, die freie Zeit stammt.

Die Juden lehren und lernen ihre grundlegenden Schriften bis zum heutigen Tage durch individuelles, halblautes Lesen, durch ständiges wechselseitiges Befragen, es wird häufig in einem vielstimmigen Stimmengewirr rezitiert, geredet,  gestritten. In Rede und Gegenrede wird um die rechte Auslegung gerungen. Der Lehrer schreitet durch die Lernenden hindurch, wird selbst zum beständig Lernenden. Für den draußen Vorbeigehenden ergab sich ein unerträgliches, chaotisches Durcheinander – die Judenschul ist ein vielstimmiges Klanggebilde, aus dem allerlei Unverständliches herausdringt.

Was ist das Ergebnis der Judenschul, dieser Art des vielstimmigen Lernens in einem gemeinsamen Lernort? Man werfe einen Blick auf die Statistik der Nobelpreisträger, der Schriftsteller, Musiker und Wissenschaftler, und man wird erkennen: In allen Bereichen, wo es besonders stark auf die Weitergabe, Vermittlung und produktive Anwendung von Wissen und Erkenntnis geht, sind Juden seit Jahrhunderten weit überdurchschnittlich vertreten.  Ich führe das vor allem darauf zurück, dass bei den Juden seit der Antike höchst effiziente, selbstgesteuerte Formen des gemeinschaftlichen Lernens und Lehrens gehegt werden. Ein besonders beeindruckendes Monument dieses Lernens-Lehrens ist übrigens der Talmud. Und Talmud heißt auf hebräisch nichts anderes als Lernend-Lehren oder auch Lehrend-Lernen.

Neben der Akademie Platons halte ich die Judenschul für eines der großen wegweisenden Modelle des selbstgesteuerten, in Rede und Gegenrede sich entfaltenden Lernens, wie es neuerdings seit einigen Jahrzehnten wieder vermehrt gefordert wird. Zwischenfrage: Wieso sagt das Blog hier „neuerdings, seit einigen Jahrzehnten“? Antwort: Wir denken hier selbstverständlich in Jahrtausenden, nicht in Legislaturperioden. Selbst 30 Jahre taz sind noch nicht so arg viel. Wodurch wir zum gestern erwähnten taz-Forum über das heilige deutsche Gymnasium zurückkommen. Immer wieder wurde dort verlangt, die Schülerinnen sollten einander lehren, die Stärkeren sollten die Schwächeren mitnehmen und ähnliches mehr.

Mehrere Lernvorgänge sollen gleichzeitig ablaufen: Binnendifferenzierter Unterricht, so lautet das Gebot der Stunde. Der binnendifferenzierte, auf den indivduellen Lernfortschritt abgestimmte Unterricht wird unabweisbar, wenn Kinder aus verschiedenen Milieus aufeinandertreffen: der Schüler, der stundenlang an der Video-Konsole Ego-Shooter spielt, der deutsche Jugendliche mit seinen statistisch nachgewiesenen 213 Minuten täglichem Fernsehkonsum trifft auf die Schülerin, die mit 7 Jahren selbständig ganze Bücher in den beiden Erstsprachen Polnisch und Deutsch flüssig vorlesen kann.

Genau das scheint auch der Autor und Journalist Christian Füller, der sich gestern zu meiner großen Freude in diesem Blog zu Wort meldete, mit seinem Buch Die Gute Schule im Sinn zu haben. Denn es gibt gute Schulen! Füller schreibt:

Leseprobe Die Gute Schule
Die guten Schulen haben ihr Kerngeschäft reformiert: das Lernen der Schüler. Ihr großes Ziel ist es, die Machtverhältnisse des Lernens zu verändern. Sie versuchen, ihre Schüler aus der Rolle von Objekten der Beschulung zu befreien – und zu Subjekten ihres Lernens werden zu lassen. Schüler werden dort als kleine Forscher gesehen, die ihren Wissenserwerb, ihre Kompetenzfortschritte und ihre Lernprojekte selbst mitsteuern sollen. Dieser neue Lernstil hat einen Namen, er heißt individuelles und selbständiges Lernen. …

Da haben wir’s! Unabhängig davon, ob wir diesen Lernstil neu oder uralt nennen, ob wir ihn binnendifferenzierten Unterricht nennen oder in die alte Spruchweisheit Docendo discimusDurch Lehren lernen wir – kleiden: Immer geht es darum, dass die Lernenden in die Freiheit des selbstständigen Fragens, Redens und Widerredens hinein entlassen werden.

Letzte Frage: Was kostet das? Antwort: Diese neue, uralte Art des Lernens ist viel billiger als der einseitige Frontalunterricht, weil sie weniger Räumlichkeiten erfordert, weil die Lernenden weniger Betreuung brauchen, weil insgesamt weniger „angeboten“ und mehr „verlangt“ wird. Ein üppiges Medienangebot ist ebenfalls nicht nötig.

Die entscheidenden Arbeitsmittel sind: geschriebene Texte, also Bücher und Hefte. Ferner: der eigene Kopf. Weitere Arbeitsmittel: Schreibwerkzeuge, also Papier und Stift. Wichtigste Techniken des Arbeitens: Vorlesen, Lesen, Einprägen, Erinnern, Schreiben, Zuhören, Sprechen, Fragen, Antworten. Wichtigste Grundhaltung: Aufmerken – Mitmachen – Selbermachen. Die neue Schule ist nicht teuer. Sie ist arm und sie soll arm sein. Mindestens in den Augen der heute allesamt sehr reichen Schüler mit ihrem vielfältigen Zerstreuungsangebot: Handys, Internet, I-Pod. Die heutigen deutschen Schulen sind unvorstellbar reich und teuer im Vergleich zu den Schulen anderer Länder und anderer Zeiten, die mit wesentlich weniger Geld bessere Lern-Erfolge erzielten (etwa in der multiethnischen Sowjetunion).

Also – ja zur Judenschul, ja zur Akademie, ja zum binnendifferenzierten Unterricht! Meinem Lateinlehrer aus der sechsten Klasse, einem Benediktinerpater, danke ich noch heute. Denn er hat meine Neugierde für Latein geweckt und gepflegt – und auch für die Judenschul. Er hätte nicht in Zorn geraten müssen ob unseres Rabaukentums. Denn es steht geschrieben in Psalm 112: Wenn Schlimmes gehört wird, so braucht er sich nicht davor zu fürchten. 

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