O flaumenleichtes Glück der Frühe

 Augustinus, Europäisches Lesebuch, Griechisches, Hebraica, Platon  Kommentare deaktiviert für O flaumenleichtes Glück der Frühe
Feb 022017
 

Vorsichtig ritzte ich heute Linien in das noch weitgehend unbeschriebene Blatt undeutlicher Geschichten. Früh am Morgen ist es. Das Eis trägt am besten in dieser Frühe. Es, das Eis glaubt alles, was ich mit meinen Kufen hineinritze. Klarheit, Wahrheit, Vertrauen, Glauben. Licht! Andere schrieben andere Geschichten als ich! Die – sind zu glauben…

Hier noch zum Abend ein eingeritzter Gedanke:

Sommes-nous des Juifs? Sommes-nous des Grecs? Nous vivons dans la difference entre le Juif et le Grec, qui est peut-être l’unité de ce qu’on appelle l’histoire. So schreibt es Jacques Derrida in L’écriture et la différence (Editions du Seuil, Paris 1967, S. 227).

Dieses Zweierlei von Judentum und Griechentum, dieses Kelajim, wie es auf Hebräisch der Talmud nennt, wird kaum irgendwo deutlicher eingetragen ins Eis der Biographien als bei Augustinus. Er hat dieses unverbundene, vielleicht nie aufzulösende Zweierlei – stellvertretend dafür seien Platon und Moses genannt – in aller Schärfe ausgetragen, und zwar als Römer, als lateinischer, als westlicher Denker. Von daher die alles überragende Bedeutung des Dritten, der Drei. De trinitate ad unitatem, über die Dreiheit zur Einheit, das war für Augustinus offensichtlich die Vermittlung, der Ausweg aus dem schroffen Gegeneinander von Judentum und Griechentum. Und so – aus dieser innigen Verbindung der zwei unverbundenen, entstand ein drittes – das lateinische, das abendländische Christentum – übrigens ganz im Gegensatz zum griechisch-slawischen, östlichen, zum morgenländischen Christentum. „Trinitarische Strukturen des vorthematischen Selbstbewusstseins“, so nennt dies heute zu recht Notger Slecnzka, und er findet sie allenthalben auf den Wegen der westlichen Denker und Geschichtenerzähler, bis hin zu Kant, Hegel, Freud, Max Scheler.

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Nov 182016
 

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Ἐν ἀρχῇ ἦν ὁ λόγος, καὶ ὁ λόγος ἦν πρὸς τὸν θεόν, καὶ θεὸς ἦν ὁ λόγος.

οὗτος ἦν ἐν ἀρχῇ πρὸς τὸν θεόν.

Für das Verständnis der erasmischen Formel „in principio erat sermo“ als Übersetzung des bekannten Ἐν ἀρχῇ ἦν ὁ λόγος scheint mir der Ciceronianische Sprachgebrauch von sermo ganz entscheidend. Denn Cicero und in geringerem Umfang Caesar waren für die Humanisten wie etwa Erasmus die verbindliche Richtschnur des guten, vorbildlichen lateinischen Sprachgebrauchs. Sermo bezeichnet bei Cicero das lockere, fließende, sanfte, gewaltlose Gespräch oder Gerede, die natürliche Sprache, wie wir heute sagen würden.  Während die rhetorisch gebundene Rede, die kunstfertig gedrechselte Oratio, – ob bei Gericht, in der Volksversammlung, im Senat oder bei Feierlichkeiten – Leidenschaften aufstachelt, den Hörer zu beeinflussen und zu überwältigen sucht, pflegt der philosophische Sermo das gesellige Miteinander; der Sermo sucht den Austausch, nicht den Sieg; die Begegnung, nicht die Überwältigung; den Dialog, nicht den Monolog (unius oratoris lucutio); die Gemeinschaft im Wort, nicht die erzwungene Vereinigung in einem kollektiven Willen. Cicero schreibt beispielsweise in seinem Orator ad Brutum:

Mollis est enim oratio philosophorum et umbratilis nec sententiis nec verbis instructa popularibus nec vincta numeris, sed soluta liberius; nihil iratum habet, nihil invidum, nihil atrox, nihil miserabile, nihil astutum; casta, verecunda, virgo incorrupta quodam modo. Itaque sermo potius quam oratio dicitur. Quamquam enim omnis locutio oratio est, tamen unius oratoris locutio hoc proprio signata nomine est.

Der Sermo belässt also dem anderen seine Freiheit der Wahl; die Oratio will fesseln, beeinflussen, berücken und überzeugen – wobei jedes Mittel recht ist, bis hin zur Beschimpfung, zum Lobpreis, zur Hetze, zum flehentlichen Gestammel.

Die genannte Freiheit der Wahl spricht Cicero besonders dem philosophischen Gespräch zu, nicht der öffentlich aufgeschmückten Rede.

Erasmus spricht nun durch seinen Übersetzungsvorschlag für Joh 1 „In principio erat sermo“ diese Freiheit der Wahl auch dem schöpferischen Handeln Gottes zu; umgekehrt gewinnt der Satz im Johannesprolog dadurch einen neuartigen tiefen Sinn, dass auch dem Menschen diese Freiheit des Gesprächs zugesprochen wird. Erasmus, der Cicero kannte und verehrte, überträgt das zwanglose Sprechhandeln des philosophischen Gesprächs auf das Gespräch Gottes mit der Schöpfung, auf das Gespräch des Geschöpfes mit Gott, auf das Gespräch der Menschen untereinander.

Ein derartiger umfassender Freiheitsbegriff nun hebt Erasmus eindeutig von Luther ab. Luther hat die Freiheit in diesem großen, überragenden Sinne nicht erkannt und nicht anerkannt. Servum Arbitrium, lautet Luthers Formel dafür; das Liberum Arbitrium, die Freiheit der Willensentscheidung, schreibt sich dagegen Erasmus auf die Fahne. Das ist der erasmische Freiheitsglaube, der ihn von Luther, mit seiner absoluten, seiner schicksalhaften Abhängigkeit des Menschen vom Willen Gottes, meilenweit absetzt.

Aber noch weiter gehen wir: Erasmus verwirft mit seiner Formel „In principio erat sermo“ die Schicksalsabhängigkeit des Menschen. Aus der Schicksalsgemeinschaft wird eine Gesprächsgemeinschaft. Das göttliche Gespräch, aus dem die Welt hervorgeht, ist nicht schon zwar bei Gott als vielmehr zu Gott hin (πρὸς τὸν θεόν), und deshalb macht es frei. Es befreit von der Knechtschaft der Schuld. Es ebnet den himmelweiten Unterschied zwischen Gott und den Menschen ein. „Macht gerade alle Pfade“, dieser frühere, auf Christus verweisende Vers des Jesaias bedeutet: Es gibt eine Gesprächsbeziehung zwischen Gott und dem Menschen, und der Wege-Ebner zu Gott hin, das kann für den erasmischen Freiheitsglauben nur Jesus sein. In ihm und durch ihn und mit ihm ereignet sich diese Heraufkunft eines neuartigen Freiheitsdenkens, das es in dieser Radikalität vor dem Johannesevangelium nicht gegeben hat und hinter das seither immer wieder zurückgefallen wird.

Zitate:
Cicero, Orator ad M. Brutum, 64
Johannesevangelium, Novum testamentum graece, ed. Erasmiana, 1,1-13
Jesaias 40,3

Foto:

Ein Gespräch. Fresko in Schloß Runkelstein bei Bozen, Aufnahme vom 12.08.2016

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„Und redete in der Wüste“, oder: Kann denn ein Buch mit „Und“ anfangen?

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Jun 232016
 

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„Fangen Sie nie einen selbständigen Hauptsatz  mit „und“ an! Auch ein Cicero, ein Caesar haben niemals einen Hauptsatz mit Et oder ac oder atque angefangen!“

Dies war die Ermahnung unseres hochverdienten Dr. Weinold, der uns am Gymnasium St. Stephan in lateinischer und deutscher Stilkunde unterwies.

Und – eine aneinanderreihende Konjunktion. Im guten deutschen Stil begann man keinen Hauptsatz nach einem Punkt mit „Und“.

Und um so weniger beginnt man ein ganzes Buch mit „und“, nicht wahr? Das wäre schlechter Stil, nicht wahr?

Und doch – drei der wichtigsten Bücher des Judentums beginnen mit der aneinanderreihenden Konjunktion ו (gesprochen ve), also  „und“: das zweite, das dritte und das vierte Buch Mose beginnen mit einem „und“ –

וְאֵ֗לֶּה שְׁמֹות֙ „Und das sind die Namen“
וַיִּקְרָ֖א „Und er rief“
וַיְדַבֵּ֨ר יְהוָ֧ה „Und redete in der Wüste“

Keine der geläufigen Übersetzungen, so genau sie auch sein mögen, lassen die drei mittleren der 5 Bücher Mosis mit einem Und beginnen, weder die Septuaginta noch die heutigen Bibeln des Christentums in englischer, italienischer oder irgendeiner anderen modernen Sprache.

Warum ist das so? Was fehlt? Mit welcher Berechtigung wird aus dem kanonischen Text ein „Und“ herausgenommen?

Ich befragte einmal hierzu einen Rabbiner in meinem Bekanntenkreis. Wir kamen erstaunt überein: „Jawohl, das Und bleibt unübersetzt.“ Aber warum? Wir fanden keine Antwort.

Eigentlich heißt es ja beim Umgang mit kanonischen Texten „nichts wegnehmen / nichts hinzufügen“, etwa im 5. Buch Mosis 4,2 oder 13,1. „Kein Jota soll davon weggenommen werden“, so sagt es auch Jesus (Matthäus 5,18) mit Bezug auf Moses.

Ganz ähnlich im allerletzten Kapitel im allerletzten Buch der christlichen Bibel, der Apokalypse (Offb 22,19).

Vermutlich drückt sich im aneinanderreihenden „und“ eine gänzlich andere Weltsicht aus als die, wie sie etwa das klassische Stilideal eines Cicero oder eines Caesar oder eines bayerischen Gymnasialprofessors vertreten mag.

Bild: und in der Wüste wachsen die Blüten … die Grauwacke im Park am Gleisdreieck am heutigen Tage.

 

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Thou dost show…

 Freude, Hebraica, Wanderungen  Kommentare deaktiviert für Thou dost show…
Mai 172016
 

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Thou dost show me the path of life /

In thy right hand I find joy without end.

So ungefähr ein Mikhtam von David. Die Verse drängen sich mir auf beim Hinaufschauen auf die Karspitze des Monte Azzaredo. Das plötzliche Hervorbrechen des Lichts im Hochgebirg, wenn die Sonne schon die volle Kraft aufbringt und die Strahlen endlich auch herab hier ins Schattental von Mezzoldo fließen! Schatten der Nacht, verschwinde! Ein Tag des Lichts beginnt. Und dazu gehört auch das knatternde Motorino auf der Straße! Knattere, kleines Motorino, Felsentore, brechet prasselnd auf!

Bild: Blick von Mezzoldo nach Norden auf den Monte Azzaredo (2112 m)

Zitatnachweise: The Bible, The Psalms, Ps 16,11; Ariels Gesang, in: Goethe, Faust II, Erster Akt, Anmutige Gegend, Vers 4669

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„Jüdischer Bolschewismus“?

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Apr 252016
 

Eine schwere gedankliche Last stellten die folgenden drei Bücher dar, die mich in den letzten Tagen erneut beschäftigten:

Sonja Margolina: Das Ende der Lügen. Rußland und die Juden im 20. Jahrhundert. Siedler Verlag, Berlin 1992
Ulrich Herbeck: Das Feindbild vom „jüdischen Bolschewiken“. Zur Geschichte des russischen Antisemitismus vor und während der Russischen Revolution. Metropol Verlag, Berlin 2009
Johannes Rogalla von Bieberstein: „Jüdischer Bolschewismus“. Mythos und Realität. Mit einem Vorwort von Ernst Nolte. Ares Verlag, Graz 2010

Ihnen, den drei schwerlastenden Büchern, ist ein großes Thema gemeinsam, nämlich der große Anteil, den Juden (also Menschen jüdischer Abstammung) an der weltweiten marxistischen und kommunistischen Bewegung in Europa, vor allem jedoch an der bolschewistischen Bewegung in Russland  hatten, der nachweisbar besonders hohe Anteil, den Juden (also Sowjetbürger jüdischer Volkszugehörigkeit) an den militärischen und geheimpolizeilichen Terrororganisationen der jungen Sowjetunion, also an Tscheka, GPU, NKWD und Roter Armee hatten, sowie vor allem auch das daraus sich erklärende Feindbild vom „jüdischen Bolschewismus“, das ja später bei den in Polen, den baltischen Gebieten, in Weißrussland und der Ukraine begangenen verheerenden Grausamkeiten und Metzeleien gegen Juden eine so entscheidende Rolle spielte. Wie sind all diese Tatsachen und Umstände, die keiner der drei Autoren bestreitet, zu erklären?

Die Antwort auf diese und verwandte Fragen hat wiederum einen nicht unerheblichen Einfluss auf die staatlich geförderte deutsche Erinnerungskultur, die deutsche Geschichtspolitik, ja sie erstreckt sich bis in die Tabubildungen, bis in strafrechtlich relevante Meinungsäußerungen hinein, sie ist prägend geworden für die offiziöse deutsche Staatsdoktrin von der absoluten Einzigartigkeit und Unvergänglichkeit ewiger deutscher Schuld und unverzeihlicher deutscher Schande.  Hat man diese Fragen vorurteilsfrei, tapfer und unbestechlich durchgearbeitet, dann dringt man bis in die Wurzelgeflechte deutschen Selbsthasses und deutscher Unterwürfigkeit vor.

 

 

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Was sind eigentlich „Kulturchristen“, „Ramadanmuslime“, „Passportjuden“?

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Apr 252016
 

Manchmal höre ich in Diskussionen die Ausdrücke „Ramadanmuslime“, „Passportjuden“, „Kulturchristen.“

Was bedeuten diese Ausdrücke? Versuchen  wir eine  vorläufige, nicht eine wissenschaftliche Definition, so können wir sagen:

„Ramadanmuslime“ sind Menschen aus muslimisch geprägten Ländern, die sich nur im Ramadan äußerlich weitgehend an die Gebote des Islam halten – etwa in Deutschland lebende Türken oder in Deutschland lebende Kurden. Der Islam ist in ihren Augen eine unbestreitbare Grundtatsache ihrer Herkunftsgeschichte – vor allem auch insofern, als die nicht muslimisch geprägten Kulturen als fremdartig, als nicht zu einem selbst gehörend erlebt werden.  Der Islam ist ein unleugbares Phänomen ihrer Herkunftsgeschichte.

„Kulturchristen“ sind Menschen aus christlich geprägten Ländern, die anerkennen, dass das Christentum früher eine gewisse prägende Rolle in der Kultur ihres Landes gespielt habe oder spiele – etwa Deutsche, die zwar getauft, aber nicht gläubig sind, oder die – obwohl getauft – aus der Kirche ausgetreten sind, oder die nie einer christlichen Konfession angehört haben. Sie hören etwa in der Karwoche ein Mal pro Jahr die Matthäuspassion Johann Sebastian Bachs und lassen sich zutiefst anrühren, würden sich selbst aber nicht als Nachfolger Jesu Christi bekennen. Sie wissen meist auch, was eine „Ecce-homo-Darstellung“ ist.  Das Christentum ist oder war in ihren Augen vor allem ein Phänomen der Kulturgeschichte.

„Passportjuden“ sind Juden, die in atheistisch geprägten Ländern, etwa in der früheren Sowjetunion, aufgewachsen sind, die keinen lebendigen Bezug zum Gott des Judentums, zum Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, zur jüdischen Religion, zu jüdischem Brauchtum und Traditionen aufbauen konnten und als Bürger der ehemaligen Sowjetunion nur noch die Nationalität Jude in ihren Pässen stehen hatten. „Jude“ war eben in der Sowjetunion keine Religion oder Kultur, sondern eine Volkszugehörigkeit, ein ethnisches Attribut – so wie Russe, Georgier oder Armenier. Die Sowjetunion arbeitete seit dem 1917 inszenierten  Putsch der Bolschewisten, also seit der sogenannten „Oktoberrevolution“, gezielt auf die Überwindung, Zurückdrängung, Auslöschung der Religionen hin. Religionen wie etwa Christentum, Islam oder Judentum sollten in der Öffentlichkeit und der Politik keinerlei Rolle mehr spielen dürfen. Trotzkij, der nicht verbarg, ethnisch von jüdischen Eltern abzustammen, der sich aber als „nicht-jüdischer Jude“ oder als „atheistischer Jude“ bekannte, ist die geradezu idealtypische Personifikation dieser Grundeinstellung.

Der Bezug der Passportjuden zum Judentum besteht heute überwiegend darin, dass sie wissen, von jüdischen Eltern abzustammen. Die Religion Israels spielt hingegen  in der Lebenspraxis fast keine Rolle. Von mehr oder minder erheblicher, oft überragender Bedeutung aber ist das Bewusstsein, von Juden abzustammen und selbst auch Jude zu sein. Aber worin nun das Judesein jenseits der Abstammung und jenseits der – meist unklaren – Zugehörigkeit zum jüdischen Volk liegt, darauf wird man meist keine klare Antwort erhalten. Die jüdische Religion, der jüdische Glaube ist in den Augen der „Passportjuden“ kein Kriterium. Allerdings scheint nach der Mehrheitsmeinung  der Rabbiner das Judesein durch den erklärten  Übertritt zu einer anderen Religion, etwa zum Islam oder zum Christentum, verloren zu gehen.

Diese zugegebenermaßen unwissenschaftlichen Definitionen scheinen mir nötig zu sein, um die in Europa derzeit höchst lebhaft geführten religionspolitischen Debatten zu verstehen.

 Posted by at 11:46

„Fort mit mir!“ Woher dieser Selbsthaß?

 Antike, Europäisches Lesebuch, Griechisches, Haß, Hebraica, Kain, Religionen, Selbsthaß, Was ist deutsch?, Wittenberg  Kommentare deaktiviert für „Fort mit mir!“ Woher dieser Selbsthaß?
Feb 242016
 

Martinus dixit: „Odium sui rimanebit usque ad introitum caelorum!“
Ego ex eo quaesivi: „Unde istud odium tui christianum, o Martine?“

„Woher kommt dein christlicher Selbsthaß, Martin?“ So fragt‘ ich, als ich vor einigen Wochen in einer 1-tägigen Sonderausstellung der Berliner Staatsbibliothek Martin Luthers vierte, erstmal lateinisch zu Wittenberg niedergelegte These in einem frühen Nürnberger Originaldruck des Jahres 1517 erblickte. Die vierte Wittenberger These sprang mich mit Macht an! Da läuteten alle Glocken in mir!

Denn Theodor Lessing veröffentlichte 1930 in deutscher Sprache ein Buch des Titels „Odium sui hebraicum“, zu deutsch also „Der jüdische Selbsthaß“, erschienen im Jüdischen Verlag zu Berlin. Dies ist die erste Glocke!

„Deutschland verrecke!“, „Nie wieder Deutschland, nie wieder Krieg!“, so habe ich es im 21. Jahrhundert jahrelang in Berlin-Friedrichshain gehört und gelesen, und zwar im öffentlichen Raum, ungestraft, ungescheut las ich es und hörte ich es, niemand machte darob ein Aufhebens. Der deutsche Selbsthaß ist keine Legende, nein, er ist eine Tatsache, die einen geradezu mit Macht anspringt. Durch die Zerstörung Deutschlands meinen die deutschen Antifa-Aktivisten den Krieg abzuschaffen. Der Selbsthaß feiert fröhliche Urständ! Weder deutsche Polizei noch deutsche Justiz kümmern sich um diese Manifestationen des deutschen Selbsthasses. Dies ist die zweite Glocke!

Antony Lerman wiederum entzauberte 2008 in der Jewish Quarterly in einem noch heute sehr lesenswerten Beitrag unter dem Titel Jewish Self-Hatred : Myth or Reality? Rätsel, Legenden, Fakten und Fiktionen des Redens vom angeblichen jüdischen Selbsthaß. Erstaunlicherweise wirft er nach sorgfältiger Prüfung den Begriff des jüdischen Selbsthasses in den Mülleimer der Geschichte. Er ver-wirft den jüdischen Selbsthaß. Er lehnt den Begriff ab. Lest selbst: „It is too much to hope that by revealing just how bankrupt a concept ‘Jewish self-hatred’ is, discourse among Jews on Israel and Zionism could become more productive, both for Jews themselves and for the sake of achieving justice in the conflict between Israelis and Palestinians. Too much is currently invested in this demonising rhetoric. But if we could edge it closer to the rim of the dustbin of history, we’d be making a start.“

Dies ist die dritte Glocke, gewissermaßen das Sterbeglöcklein des jüdischen Selbsthasses.

Der christliche Selbsthaß Martin Luthers von 1517, der deutsche Selbsthaß der Friedrichshainer Antifa von 2014, der jüdische Selbsthaß Theodor Lessings von 1930, der jüdische Selbsthaß Trotzkis von 1917 … haben sie eine gemeinsame Wurzel?

Woher kommt diese absolute Ablehnung des eigenen Selbst, die wütende Selbstanklage, dieses Gefühl: „Ich bin nichts, ich tauge nichts. In mir ist nichts Gutes, drum besser wär’s, es gäb‘ mich nicht! Fort mit mir!“?

Früheste Belege dieses Gefühls „Fort mit mir!“ scheinen mir ins Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung zurückzureichen, also ins biblische Buch Bereschit (Buch Genesis). In Kapitel 4, Vers 13 hebräisch sagt es Kain so:

וַיֹּ֥אמֶר קַ֖יִן אֶל־יְהוָ֑ה גָּדֹ֥ול עֲוֹנִ֖י מִנְּשֹֽׂ׃

In rohes unbehauenes ungeliebtes Deutsch übersetzt also:
Und sprach Kajin zu JHWH : Groß meine-schuld aufheben

Kain traut sich nicht mehr aufzuschauen. Es ist, als würde er sagen: „Nach allem, was ich getan habe … was soll ich noch anschauen? Wen darf ich noch anschauen? Was ich getan hab an dem Bruder, kann ich nie büßen.“

Kain formuliert dieses Gefühl: Großschuld – zu große Schuld – übergroße Schuld. Lateinisch: „Mea culpa, mea magna culpa, mea maxima culpa“. Und diese Formulierung kannte der katholische Augustiner Martin Luther mit Sicherheit.

Im spezifischen Sündenbewußtsein Kains, im Bewusstsein seiner unverzeihlichen, seiner übergroßen Schuld goß Martin Luther dieses Gefühl absoluter Verworfenheit in seine vierte Wittenberger These – mit unabsehbaren Folgen für die deutsche und abendländische Geschichte.

Der christliche Selbsthaß Luthers wurzelt genetisch, also der Genesis nach im hebräisch-biblischen Selbsthaß Kains.

Doch ist dieser Selbsthaß keine Eigenheit des jüdischen oder des christlichen oder des deutschen Selbstverhältnisses. Dieser Selbsthaß, er ist etwas Menschliches. Dem Menschen haftet seit Kain das Odium der Selbstverwerfung an.

Denn auch in der paganen Antike außerhalb oder vor der jüdischen und der christlichen Überlieferung sind uns durchaus einige machtvolle Selbstzeugnisse eines derartigen Selbsthasses bekannt. So etwa im Ödipus Tyrannos des Sophokles! Die Schuld des Ödipus ist zu groß, als dass sie aufgehoben werden könnte, er wendet eine ungeheuerliche Aggression gegen sich selbst: er sticht sich die Augen aus. Es ist dies zweifellos eine Art aufgeschobener Selbstmord. In der Übersetzung durch Hugo von Hofmannsthal liest sich der letzte große Monolog des Ödipus so:

Ödipus:
Was soll ich noch anschaun?
Den Vater drunten, wenn ich ihm begegne?
oder die Kinder, ihren Blick in meinen
verschränken und ein unausdenkbares Gespräch
von Aug‘ zu Auge führen? Fort mit mir!
Jagt doch das große Unheil, jagt doch das,
hinaus, was trieft von allen Himmelsflüchen!

Die Greise (zugleich)
Ich wollt‘, ich hätte niemals dich gekannt.

Ödipus (leiser)
Was ich getan hab‘ an der Mutter und
am Vater, büßt Erhängen nicht.

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„Ich bin Sozial-Demokrat und sonst nichts“. Trotzkis Absage an das Judentum

 1917, Deutschstunde, Hebraica, Lenin, Russisches, Vergangenheitsunterschlagung  Kommentare deaktiviert für „Ich bin Sozial-Demokrat und sonst nichts“. Trotzkis Absage an das Judentum
Feb 192016
 

„Miteinander verwoben“, so lässt sich treffend das Schicksal der Russen, der Juden und der Deutschen im 20. Jahrhundert bezeichnen. Dafür gibt es Hunderttausende Geschichten, hunderttausende persönliche Erfahrungen, hunderttausende Fäden in diesem unzertrennlichen Gespinst an Fakten, Familiengeschichten, Mythen, Märchen und Wahrheiten.

Nehmen wir Lenin! Lenin war gewissermaßen „Halb-Deutscher“, seine Vorfahren waren mütterlicherseits deutscher Abstammung, er sprach fließend Deutsch. Die Oberste Heeresleitung des Deutschen Reiches setzte große Hoffnungen auf diesen russischen Berufsrevolutionär, sie beförderte ab April 1917 aktiv den Oktober-Staatsstreich der Bolschewiki, da die demokratische Russische Revolution des Februars 1917 wider Erwarten nicht zur Kapitulation Russlands geführt hatte; die Deutschen schafften Lenin zusammen mit 30 weiteren Genossen in einem „Russentransport“, wie sie es nannten, ab 9. April 1917 von Zürich nach Petrograd und trugen somit proaktiv zum gewaltsamen Putsch der Bolschewiki gegen die legitime Regierung und zur Zerstörung der ersten Demokratie auf russischem Boden bei. Der ersten Republik auf russischem Boden waren also nur wenige Monate Existenz beschieden. Möglicherweise hätte sich die Demokratie in Russland halten können, wenn die deutsche Heeresleitung 1917 nicht alles daran gesetzt hätte, dem alten Russland mit viel Geld und der Hilfe Lenins den vernichtenden Todesstoß zu versetzen – und zwar von innen heraus.

Oder nehmen wir Trotzki, den Mann, der die Rote Armee zu einem scharfen Schwert des Terrors schmiedete und der sich brüstete, erst dann herrsche echter Hunger, wenn er „den Müttern befehlen würde, ihre eigenen Kinder zu verspeisen“! Seine Vorfahren waren sowohl auf Mutterseite wie auf Vaterseite Juden, die Mutter war gläubige, praktizierende Jüdin, der Vater, ebenfalls jüdischer Volkszugehörigkeit, hingegen war säkular eingestellt. Russisch und Jiddisch, also das im Osten Europas gesprochene Judendeutsch, hörte Leo Dawidowitsch Bronstein, der spätere Trotzki, von Kindesbeinen an; in Odessa besuchte er das Gymnasium der evangelischen St.-Pauls-Gemeinde, wo er zunächst einmal Hochdeutsch lernen musste, um dem Unterricht folgen zu können. An dieser deutschen Real-Oberschule legte er als Klassenbester das Abitur ab. Wie Lenin sprach auch Trotzki Deutsch, man kann im Internet heute noch eine in Wien gehaltene Ansprache Trotzkis in deutscher Sprache hören. Denn Deutsch war zunächst einmal die allgemeine Verhandlungssprache der internationalen kommunistischen Bewegung auf dem europäischen Kontinent.

Oder nehmen wir Theophil Richter, den deutschen Vater des russisch-deutschen Pianisten Swjatoslaw Richter! Er wirkte ab 1916 an eben dieser genannten deutsch-lutherischen St.-Pauls-Gemeinde zu Odessa als Organist; 1941 wurde er wie vor ihm und nach ihm Hunderttausende andere deutsche, jüdische und russische Sowjetbürger und Sowjetbürger anderer nationaler Minderheiten ohne Gerichtsverfahren von der kommunistischen Geheimpolizei durch Erschießen hingerichtet. Swjatoslaw Richter beschloss daraufhin, den Kontakt zu seiner russischen Mutter einzustellen, und er sprach jahrzehntelang nicht mehr mit ihr.

Trotzkis Mutter war gläubige, praktizierende Jüdin, sein Vater war im russischen Reich der Volkszugehörigkeit nach ebenfalls Jude, also, wie alle russischen Juden vor dem Februar 1917, ein Staatsbürger zweiter Klasse. Die Eltern stellten die Unterhaltszahlungen an ihren Sohn ein, als Lew Davidowitsch Bronstein sich nach dem Abitur dem revolutionären Kampf anschloss und in die Illegalität ging.

War er, Trotzki, wie er sich nunmehr nannte, also selbst Jude, oder hatte er sich vom jüdischen Volk losgesagt? War er ein „Abtrünniger“? Er wurde dies tatsächlich einmal gefragt, ob er sich zum Judentum zähle. Seine historisch verbürgte Antwort, wie sie Sonja Margolina in ihrem noch heute erstaunlichen, auf Deutsch erschienenen Buch „Das Ende der Lügen“ wiedergibt: „Ich bin Sozial-Demokrat und sonst nichts.“

Lesehinweise und Belege:
Sonja Margolina: „Der nichtjüdische Jude“, in: dieselbe, Das Ende der Lügen. Rußland und die Juden im 20. Jahrhundert. Siedler Verlag, Berlin 1992, S. 95-102, hier S. 100 (Trotzki-Zitat)
Leo Trepp: Die Juden. Volk, Geschichte, Religion. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek 1999, S. 16 und S. 378 (zur Frage: Was ist denn ein Jude?)
Jan Brachmann: Schockstarre Ohren für diesen Heiligen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 20. März 2015 (über Theophil Richter, den deutschen Vater Swjatoslaw Richters)
Harald Haarmann: „Europasprachen“, in: derselbe, Soziologie und Politik der Sprachen Europas. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1975, S. 240-248, hier S. 247 (Sprachkenntnisse Lenins)
Hugo Portisch: Hört die Signale. Aufstieg und Fall des Sowjetkommunismus. dtv, München 1993, S. 32 (Mitteilung der OHL an Kaiser Wilhelm vom 12.04.1917 über den „Russentransport“)

http://pda.litres.ru/svetlana-aleksievich/vremya-sekond-hend/chitat-onlayn/, darin:
„Hungerzitat“ Trotzkis:
«Москва буквально умирает от голода» (профессор Кузнецов — Троцкому). «Это не голод. Когда Тит брал Иерусалим, еврейские матери ели своих детей. Вот когда я заставлю ваших матерей есть своих детей, тогда вы можете прийти и сказать: “Мы голодаем”» (Троцкий, 1919).

Robert Service: Trotsky. A biography. Pan Macmillan Books, London 2010, Abbildung Nr. 14, digitale Ausgabe Pos. 15528
(handschriftliche Selbstauskunft Trotzkis zu seiner Volkszugehörigkeit als Jude aus dem Jahr 1922 anlässlich des 10. Kongresses der Sowjets)

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Ungeheures Getöse: weitere Betrachtungen zu 1 Kor 13

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Jan 282016
 

„Die jüdische Übertragung der jüdischen Bibel ins Griechische wurde zur Voraussetzung der Kirche aus Juden und Heiden.“
Michael Tilly

“ Christianity is not buried in a book. It existed before the N. T. was written. It made the N. T. It is just because Christianity is of the great democracy that it is able to make universal appeal to all ages and all lands and all classes. The chief treasure of the Greek tongue is the N.T.“
A.T. Robertson

Wir spinnen den Faden fort:
Das Griechische ist immerfort die eigentliche Muttersprache, der Mutterschoß des Christentums, so wie das Hebräische die Muttersprache und Vatersprache des Judentums war, ist und immerfort bleiben wird. Wenn man wissen will, was Paulus von Tarsus, – der Hl. Paulus, der Apostel Paulus, der Heidenapostel, wie er auch genannt wird – in seinem Hohenlied der Liebe gesagt, gedacht, geglaubt, gefühlt und gesungen hat, wird man um eine nachhaltige Befassung mit den ältesten, in griechischer Sprache überlieferten Textzeugen nicht herumkommen.

Ja noch einen Schritt weiter müssen wir gehen: wenn wir wissen und erfahren wollen, was die Zuhörer Jesu, die Zuhörer Pauli, die Zuhörer des Evangelisten Johannes fühlten, glaubten, hörten, oder gar was Jesus Christus selbst wohl dachte, glaubte, lehrte, werden wir um eine eifrige Versenkung in die verschiedenen griechisch überlieferten frühesten Fassungen des Evangeliums nicht herumkommen.

Griechisch war die Muttersprache des Apostels Paulus, in der er geläufig predigte und gerne schrieb und dichtete; Hebräisch und Aramäisch sowie etwas Latein kannte und konnte er sicherlich auch; Aramäisch war eine wichtige Umgangs-, Alltags-, und auch Amtssprache im Ostteil des Imperium Romanum. Hebräisch war, ist und bleibt die Kult- und Kultursprache der Juden, von denen der Apostel einer war. Paulus hatte die Bibel sicherlich im Gottesdienst in hebräischer Sprache gehört.

Aber sein eigenes dichterisches Schaffen und griechisches Predigen beruhte – bis heute hörbar! – auf der verbreitetsten griechischen Übersetzung der Bibel, der sogenannten Septuaginta.

Das Hohelied der Liebe (1 Kor, 13) ist ein kultischer Gesang, eine Dichtung in freien Versen („vers libres“), ein Psalm, der nahtlos an den Schluß des Psalters (Ps. 150) aus der Septuaginta anschließt. Das geht bis in einzelne Wendungen hinein.

So sagt etwa Septuaginta in Ps 150,3-5:
αἰνεῖτε αὐτὸν ἐν ἤχῳ σάλπιγγος
αἰνεῖτε αὐτὸν ἐν ψαλτηρίῳ καὶ κιθάρᾳ
αἰνεῖτε αὐτὸν ἐν τυμπάνῳ καὶ χορῷ
αἰνεῖτε αὐτὸν ἐν χορδαῖς καὶ ὀργάνῳ
αἰνεῖτε αὐτὸν ἐν κυμβάλοις εὐήχοις
αἰνεῖτε αὐτὸν ἐν κυμβάλοις ἀλαλαγμοῦ

Paulus singt in 1 Ko 13,1:
Ἐὰν ταῖς γλώσσαις τῶν ἀνθρώπων λαλῶ
καὶ τῶν ἀγγέλων, ἀγάπην δὲ μὴ ἔχω
γέγονα χαλκὸς ἠχῶν ἢ κύμβαλον ἀλαλάζον

Man höre, singe und staune beide Psalmen einmal hintereinander weg! Was hört man da? Etwas Unerhörtes, nämlich die drei unterschiedlich gebeugten Wörter ἤχῳ/ἠχῶν/εὐήχοις (Hall, Schall, wohlklingendes Getöse), κύμβαλον/κυμβάλοις (Metallbecken), ἀλαλαγμοῦ/ἀλαλάζον (ängstliches oder kriegerisches Schreien).

Das ist kein Zufall! Es ist ein klarer, unüberhörbarer Anklang, ein Anknüpfen des Paulus an die ihm so vertraute, ihm so geläufige Dichtungstradition seines Herkunftskultes!

1 Ko 13, 1 ist also selbst ein lauttönender, ungeheurer Widerhall, ein Echo, eine gewaltige Überbietung, eine unerhört kühne Neuausprägung von Ps 150!

Paulus selbst nennt seinen hyperbolischen Psalm mit einem Terminus technicus der griechischen Rhetorik einen „Weg gemäß der Überbietung“ eine „καθ’ ὑπερβολὴν ὁδὸν“ (1 Ko 12, 31b).

Nur der singende Vortrag der Psalmen in Ps 150 und 1 Ko 13 wird die gesamte Bedeutungsfülle – das „ungeheure Getöse“, wie es zu Beginn des Faust II heißt – sinnlich und sinnesfroh erfahrbar machen.

Zitatnachweise:

Michael Tilly: Einführung in die Septuaginta. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Stuttgart 2005, S. 103

A. T. Robertson: GRAMMAR OF THE GREEK NEW TESTAMENT IN THE LIGHT OF HISTORICAL RESEARCH, 3. Auflage, Hodder&Stouton, London 1919, S. 1207
https://faculty.gordon.edu/hu/bi/ted_hildebrandt/new_testament_greek/text/robertson-greekgrammar.pdf, hier Seite 1207

https://www.bibelwissenschaft.de/online-bibeln/septuaginta-lxx/lesen-im-bibeltext/bibel/text/lesen/stelle/19/1500001/1509999/ch/05bb088a3c63bdd063c4c227d0c8f351/

https://www.bibelwissenschaft.de/online-bibeln/novum-testamentum-graece-na-28/lesen-im-bibeltext/bibel/text/lesen/stelle/56/120001/129999/ch/f31d4ef29b41e6c819548227babea05c/

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Glans, frid, благополучия zum Antritt des Neuen Jahres!

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Dez 012015
 

С наступающим праздником ХАНУКИ! С наступающим Новым годом-2016!

Здоровья, счастья, благополучия!

Aus der jüdischen Gemeinde Berlins erreichen mich soeben in russischer Sprache die besten Glückwünsche zum Lichterfest, mit dem das neue Jahr der Juden beginnt. Das jüdische Lichterfest Chanukka – eines der Vorbilder des christlichen Weihnachtsfestes – wirkt durch Kerzen, Lieder, Gebete, das Singen biblischer Psalmen; die Kinder werden mit Gschenkla (wie es auf Fränkisch heißt) bedacht, sie sollen sich an diesem Fest mit glänzenden Augen freuen. In den glänzenden Kinderaugen spiegelt sich zum Jahresbeginn die Freude darüber wieder, dass es uns Menschen gibt und dass wir das Neue Jahr mit Zuversicht, Tatkraft und im Geiste der Nächstenliebe beginnen dürfen. Glans und frid, Glanz und Friede, das war wohl auch der Wunsch des schwedischen Weihnachtsliedes, das wir vorgestern zu entschlüsseln versuchten.

Ich gebe diese Segenswünsche gern in die virtuelle Sphäre weiter und verstärke sie, indem ich den russischen Segenswunsch der jüdischen Gemeinde Berlins ins Deutsche übersetze (wobei wir die zum Verständnis der russischen Genitive unerlässlichen Hinzufügungen in eckige Klammern setzen):

[Alles Gute] zum bevorstehenden Chanukka-Fest! [Alles Gute zum] bevorstehenden Neuen Jahr 2016!
[Wir wünschen Euch] Gesundheit, Glück, Wohlergehen!

С наступающим праздником ХАНУКИ! С наступающим Новым годом-2016!

Здоровья, счастья, благополучия!

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„… also sind alle Juden nach יהודי מנוחין benannt …?“

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Nov 252015
 

„Sind denn alle Juden nach Yehudi Menuhin benannt?“ Diese Frage stellte sich mir gebieterisch in der ersten Stunde meines Hebräischunterrichtes, den ich vor etlichen Jahren in Schöneberg nahe der Julius-Leber-Brücke nahm. Mit der Eselsbrücke Yehudi Menuhin glaubte ich mir das hebräische Wort für Jude einzuprägen, eben יהודי -„Yehudi“. Denn dem Geiger Yehudi Menuhin wurde im April 1916 von seiner Mutter ganz bewusst dieser Vornamen beigelegt – wohl aus Trotz gegenüber jahrhundertelangen Erfahrungen der Anfeindungen in verschiedenen Ländern diesseits und jenseits des Atlantiks.

Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Ganz stimmt die Eselsbrücke ja so nicht. Vielmehr stimmt die Richtung nicht. Der Esel geht umgekehrt über die Eselsbrücke. Nicht die Juden sind alle nach dem Geiger Menuhin benannt, sondern der Geiger Menuhin wurde nach allen Juden benannt.

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Was hat der Mutmacher gesagt: „In verità“, oder „wahrhaftig“ oder „for truly“? Zu Mt. 18,3

 Griechisches, Hebraica, Jesus von Nazareth, Mündlichkeit, Novum Testamentum graece  Kommentare deaktiviert für Was hat der Mutmacher gesagt: „In verità“, oder „wahrhaftig“ oder „for truly“? Zu Mt. 18,3
Okt 312015
 

Martin Walser schreibt heute in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung auf S. 18: „Nur Jesus beginnt seine Sätze mit Wahrlich.

Ist das wahr? Hat Jesus seine Sätze echt mit „Wahrlich“ begonnen? Sprach er echt so gut deutsch? Ich schlage die von Walser zitierte Stelle im Evangelium nach Matthäus 18,3 in verschiedenen Fassungen des Neuen Testaments auf und finde folgende Wörter, die Jesus in echt gesagt haben soll, wobei ich hier jeweils in Klammern Ort und Jahr der Erscheinung des Buches beifüge: „In verità“ (Roma 1974), „warlich“ (Wittenberg 1545), „Amen“ (Freiburg 1980), „Wahrhaftig“ (Gütersloh 2006), „Truly“ (Stonehill Green 1971), ἀμὴν (Stuttgart 2012).

7 unterschiedliche Worte, die Jesus gesagt haben soll! Ja was denn nun? Wer hat nun recht? Wer sagt uns denn endgültig die volle Wahrheit über Jesus Christus? Martin Walser am 31.10.2015, Martin Luther im Jahr 1517, Holger Strutwolf im Jahr 2012, die Conferenza Episcopale Italiana im Jahr 1974, die Katholische Bibelanstalt im Jahr 1980, The Bible Societies im Jahr 1971, das Projekt Bibel in gerechter Sprache im Jahre 2006?

Eine Entscheidung muss gefällt werden! Und ich entscheide … als guter Demokrat … mit der Mehrheit! Gewinner sind: Stuttgart 2012 und Freiburg 1980! Also „Amen“ bzw. „ἀμὴν“. Hurra! Diese beiden Wörter – so glaube ich – hat Jesus ausgesprochen.

Meine sachliche Begründung dafür lautet: Da Jesus (trotz rudimentärer Kenntnisse des Lateinischen und Griechischen, die wir annehmen dürfen) meist in Aramäisch gepredigt und sicher auf Hebräisch aus den Schriften zitiert hat, dürfte er wohl auch die aramäische bzw. hebräische Bekräftigungsformel Amen verwendet haben. Offen muss bleiben, wie er dieses Amen genau ausgesprochen hat; aber dass Jesus genau diese Formel „Amen“ verwendet hat, glaube ich fest.

Amen (auch „aman“, „amin“ lautend) ist eine Formel, mit der damals ein festes Vertrauen, eine persönliche Gewissheit ausgedrückt, besser „gesetzt“ oder auch „eingesetzt“ wurde. Durch Amen, eine mündliche Bestätigungsformel, wurde eine sprachliche gegebene Gewissheit bekräftigt. Jesus verwendet Amen stets, bevor er seine höchst persönliche Lehre, also die „Lehre Jesu Christi“, wie wir heute sagen dürfen, in Wahrheit in der Ich-Form verkündet. „Ich sage euch…“ folgt dann, „Ego de… “ auf griechisch, … und dann folgt stets eine ganz bestimmte, durch das Ich Jesu bekräftigte Behauptung. Jesus verkündet also die Wahrheit im Lichte des Ich.

Amen, zu deutsch also „so sei es“, „so ist es“, „so will ich es“, ist also Wahrheit im Lichte des Ich!

O ihr Lehrlinge Jesu Christi, o ihr deutschen Martins und Friedrichs, tilgt nun einige Buchstaben nach und nach weg! Schrumpft sie auf das Mindestmaß! Magert die sieben Übersetzungen des griechisch verfassten neuen Testaments auf Gerippe und Knochen ab! Entschlagt euch für einen Augenblick eurer Kenntnisse aus Theologie, Kirchen- und Literaturgeschichte! Vergesst ein winziges Nu lang die gesamte Kirchengeschichte! Seid oder werdet wie er!

Dann, Martin, Friedrich bzw. Fritz (darf ich dich so nennen?), Hans, Hermann, Hinz und Kunz, Lehrling Jesu Christi, nimm diese abgemagerte Fassung herab vom Kreuz deines philologisch-theologischen Seziertisches. Gib dem komplett abgemagerten Jesus, diesem überragenden, großartigen Muthmacher, dem Mutmacher und Bekräftiger Raum in dir. Und dann hast du auch die beste Übersetzung des hebräischen Amen, das es dich drängt – wie sagtest du doch? – „in dein geliebtes Deutsch zu übertragen“.

WAHR (heit im) L (ichte des) ICH

Amen, warlich (Martin Luther), wahrlich (Martin Walser).

Die beiden Martins haben recht. Das „Wahrlich/warlich“ der beiden Martins ist die Übersetzung, die Inhalt und Botschaft des hebräischen bzw. aramäischen oder auch jesuanischen Amen am besten wahrt und bewahrt.

Beleg:
Martin Walser: Der Muthmacher. FAZ, 31.10.2015, S. 18

Bild:
Kreuzabnahme. Ein tiefes Relief, tief tief verborgen im Teutoburger Wald, 11 km Fußmarsch vom Hermannsdenkmal bei Detmold entfernt. Eigenes Smartphone-Foto des Bloggers vom 25.10.2015
20151025_161045

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Asu, der Hund im Föhrenwald

 Europäische Galerie, Hebraica, Kupferstichkabinett, Wanderungen  Kommentare deaktiviert für Asu, der Hund im Föhrenwald
Jun 272015
 

Hochgebirg 20150610_122552

„Es war zu einer Zeit, da sich eben in vielen Theilen der Gegend Fälle von Hundswuth ergeben hatten, daß Abdias eine Reise nach Hause machte, und zwar auf einem Maulthiere reitend, und wie gewöhnlich von Asu begleitet. In einem Walde, der nur mehr einige Meilen von seinem Hause entfernt war, und der Länge nach gegen jenen Föhrenwald mündete, von dem wir oben gesprochen haben, merkte er an dem Thiere eine besondere Unruhe, die sich ihm aufdrang, weil er sonst nicht viel hin geschaut hatte. Der Hund gab unwillige Töne, er lief dem Maulthiere vor, bäumte sich, und wenn Abdias hielt, so kehrte er plötzlich um, und schoß des Weges fort, woher sie gekommen waren. Ritt Abdias nun wieder weiter, so kam das Thier in einigen Sekunden wieder neuerdings vorwärts, und trieb das alte Spiel. Dabei glänzten seine Augen so…“

Eine starke, eindringliche und doch herzzerreißende Szene, die uns der österreichische Landschaftsmaler Adalbert Stifter da in seiner Erzählung vorzeichnet! Der Hund ist der treue Gefährte dieses einsamen Menschen Abdias, aber der Mensch Abdias hat es nicht erkannt. Mehr noch: Treue, Hingabe, Fürsorge kommen im Bild des Hundes Asu zum Vorschein, und die Welt hat es nicht erkannt.

Über viele Wochen hin erstreckt sich unsere Lesung dieses großartigen, mächtig aus Erzählquadern gefügten Werks schon. Der Weg des Juden Abdias führt voller Hoffnungen aus den Trümmern der alten Römerstadt im heutigen Maghreb – nach Europa! Europa, schimmernder Sehnsuchtsort! Für den Juden Abdias war dies der Sehnsuchtsort schlechthin. Wie bitter und süß und schmerzhaft waren seine Enttäuschungen dort!

Eine über derart lange Zeit sich erstreckende Lektüre der Erzählung Abdias von Adalbert Stifter vermittelt etwas von der ungeheuren Weite der Stifterschen Wort-Welten! Hier erfassen wir auch mehrere Jahrtausende Geschichte der Menschheit in einem einzigen gewaltigen Atemzug.

Das Thema Hund hat auch das Kupferstichkabinett in Berlin zum Thema einer entzückenden kleinen Sommerausstellung gemacht. Ich besuchte die Eröffnung vorgestern und konnte mich bei Wein und Brezen mit anderen Besuchern über einige lustige und traurige, tiefsinnige und oberflächliche, struppige und glattgestriegelte Hundedarstellungen von Goya, Dürer, Rembrandt, Polke e tutti quanti unterhalten. Der Besuch dieser Ausstellung mag den einen oder anderen dazu antreiben, das Thema „Hund“ mit aufmerksam lauschendem Gehör und wach witterndem Gespür wahrzunehmen. Es lohnt sich!

Wir kommen auf den Hund. Werke aus fünf Jahrhunderten von Albrecht Dürer bis Dieter Roth. Eine Sommerausstellung im Kupferstichkabinett. Staatliche Museen zu Berlin. 26. Juni 2015 – 20. September 2015.

Bild: Im Hochgebirg. Blick vom Kramermassiv hinüber nach Österreich, der Heimat Adalbert Stifters

 Posted by at 12:46