Apr. 232010
 

Ein sehr gutes Portrait in Wort und Bild von der designierten Ministerin Aygül Özkan finde ich in dem Buch „Wir haben Erfolg! 30 muslimische Frauen in Deutschland“ von Kerstin Finkelstein.

„Na, das Buch geht doch sicher weg wie die warmen Semmeln! Nichts ist so erfolgreich wie Erfolg“, scherzte ich, als ich die Autorin kürzlich bei der recht ausführlichen ADFC-Mitgliederversammlung im Gebäude der Berliner Zeitung wiedertraf. „Die Leute brauchen Erfolgsgeschichten, keine Katastrophenmeldungen. So ist das im Mediengeschäft!“, ergänzte ich eigensinnig. „Es gibt noch reichlich Exemplare …“, bekam ich zur Antwort.

Wie auch immer: Die Lebensgeschichte ist sehr spannend zu lesen. Sowohl Aygül, die später das Abitur mit 1,6 machte, wie auch ihre ältere Schwester bekamen trotz sehr guter Grundschulnoten keine Gymnasialempfehlung. Hier setzte sich aber der Vater durch. Er brachte die Töchter aufs Gymnasium, ließ ihnen Freiheiten, achtete aber streng darauf, dass immer Hausaufgaben gemacht wurden. Auffallend finde ich, eine wie große, positive und entscheidende Rolle der Vater spielte. Ein guter Vater kümmert sich, ist streng, lässt Freiräume. Er bringt seinen Kindern Vertrauen entgegen, setzt ihnen aber auch klare Grenzen. Er kümmert sich. Das halte ich für vorbildlich.

Am Schluss sagt Aygül Özkan: „Wenn man Träume hat, soll man ihnen entschlossen nachgehen. Mit jedem Schritt wächst der Mut.“

Kerstin E. Finkelstein: “Wir haben Erfolg!” 30 muslimische Frauen in Deutschland. Vorwort von Seyran Ates. Fackelträger Verlag Köln, 2008. 223 Seiten, 14,95 Euro. Hier: S. 184-190

Neue Ministerin Özkan: „Türken, bringt euch mehr ein!“ – SPIEGEL ONLINE – Nachrichten – Politik

 Posted by at 15:39
Apr. 052010
 

In meiner von muslimischen Familien geprägten Schule bemerke ich, dass die anderen Eltern ihren Blick meist streng gesenkt halten. Dennoch grüße ich stets als erster, suche die Begegnung mit einem Lächeln herbeizuführen.

Ich habe jedoch gelernt: Der gute Moslem, die gute Muslima lässt ihre Blicke nicht schweifen. Das ist seit vielen Jahrhunderten so. Sahih Bukhari, ein Hadith-Autor des 9. Jahrhunderts, empfiehlt ausdrücklich, in der Öffentlichkeit den Blick stets zu senken. Das offene Anblicken durch einen Unbekannten wird häufig schon als Übergriff gewertet. „WAS KUCKSTU!!“ fragen die muslimischen Jugendlichen dann gerne in Diskotheken und Kneipen. Ich sehe sie oft herumstehen, herumsitzen und herumziehen auf Kreuzbergs Straßen und in Kreuzbergs Prinzenbad.

Was sagt der Prophet zum Herumsitzen auf den Straßen? Hören wir den Autor der Hadith!

Bukhari schreibt:

Der Prophet sagte: Meidet das Sitzen auf der Straße.

Sie sagten: O Gesandter Gottes, wir brauchen dieses Sitzen, denn wir suchen es, um uns auszutauschen.

Da sagte der Gesandte Gottes: Wenn ihr unbedingt dort sitzen wollt, dann verhaltet euch, wie es sich auf der Straße gehört.

Sie sagten: Wie gehört es sich auf der Straße, o Gesandter Gottes?

Er sagte: Die Blicke senken, keinen Schaden anrichten, den Gruß erwidern, das Rechte gebieten und das Verwerfliche verbieten.

Das genaue Studium des Korans und der Hadithe wird es allen Deutschen erleichtern, die jahrhundertealten Grundsätze zu verstehen, nach denen Berlins deutsch-muslimische Jugendliche erzogen werden.

Dennoch meine ich: Ja, Bukhari, den Gruß sollen wir erwidern. Und noch mehr: Wir Berliner sollten einander mehr anlächeln, mehr anschauen im Geiste der Begegnung.

Quelle: Der Koran. 4. Auflage, Gütersloh 2007, S. 516

 Posted by at 13:47

Verheerende Symbolik

 Islam  Kommentare deaktiviert für Verheerende Symbolik
März 162010
 

In der Klasse meines Sohnes sind von … Schülern etwa … nichtdeutscher Herkunftssprache – das habe ich oft und oft in diesem Blog geschrieben, so oft, dass es mich schon langweilt. Na und?

Dass jetzt ein Vater seinen Namen in der Zeitung nicht zu nennen wagt, ist ebenso schlecht wie die Tatsache der Trennung an sich. Ich halte das für eine verheerende Symbolik.

Gymnasialklassen nach Herkunft sortiert: Integration ist eine Klasse für sich – taz.de
In der Klasse seines Sohnes seien von etwa 30 SchülerInnen 23 „nichtdeutscher Herkunftssprache“, berichtet ein betroffener Vater der taz. Seinen Namen will er aus Angst vor negativen Folgen für sein Kind lieber nicht in der Zeitung lesen. In den Parallelklassen gebe es dagegen nur zwischen fünf und neun SchülerInnen mit Migrationshintergrund: „Wie sollen die Kinder untereinander in Kontakt kommen, wenn man alle muslimischen Kinder in eine Klasse steckt?“ Er fürchte weniger die bildungsbezogenen Folgen solcher Trennung als deren „Symbolik“, sagt der Mann: „Die Kinder sprechen ja alle gut deutsch, viele haben keine andere Muttersprache gelernt. Aber für uns lautet die Botschaft: Ihr gehört nicht dazu.“

 Posted by at 17:09

Wie heißt Ramazan Bayrami auf Arabisch?

 Islam, Religionen  Kommentare deaktiviert für Wie heißt Ramazan Bayrami auf Arabisch?
März 142010
 

images.jpg Nach dem Sonntagsgottesdienst besuchte ich heute einen Bücherbasar in der Pfarrgemeinde. Wieder einmal schnupperte ich herum – und schnappte dann zu. Diesmal ein Buch über die Weltreligionen. Was wir heute über Judentum, über Islam, ja selbst über die christliche Ost- und die Westkirche lesen und erkennen können, ist doch ganz anders, als man noch vor 30 Jahren hörte!

Das Buch „Rund um die Weltreligionen“ von Manfred Mai verdient höchstes Lob. Zwar ist es eher für Kinder verfasst, doch muss ich es jedem Erwachsenen ebenso empfehlen. Wenn doch wenigstens dieses Basiswissen, das hier sehr einprägsam verbreitet wird, in den Köpfen und Herzen verankert wäre! Ich lerne, dass das, was hier in Kreuzberg als Ramazan Bayramı gefeiert wird, auf arabisch: ‚Īd al-fitr heißt – für viele Muslime der Höhepunkt des Jahres. Das Ende der Fastenzeit steht ja auch den Christen in zwei Wochen bevor. Es wäre sinnvoll, einmal über die Verwandtschaft von jüdischem Pessahfest, christlichem Osterfest und muslimischem Id al-Fitr nachzusinnen. Alle drei nehmen ja ausdrücklich oder unausdrücklich Bezug auf die Isaaks-Geschichte!

Auf der Deutschen Islam-Konferenz könnte man einmal dieses (oder ein ähnliches Buch) zur Hand nehmen und mit den Vertretern der Muslime genaustens durchsprechen: „Kann man dies an deutschen Schulen im islamischem Religionsunterricht so lehren, wie es hier steht? Haltet ihr diese Darstellung für vertretbar, angemessen, würdig? Wie kann man bei den Kindern das Wissen über die Eigenart der Religionen in Lehrpläne aufteilen, vermitteln, festigen? In welchem Alter soll was unterrichtet werden? Mit welchen Methoden?“

Ich bin überzeugt, dass auch der bekenntnisgebundene Religionsunterricht ein Wissen über die anderen wichtigen in Deutschland gelebten Religionen vermitteln muss – und zwar von Anfang an. Die muslimischen Kinder Berlins müssen von Anfang an etwas über die jüdische Religion erfahren, die christlichen Kinder sollen von Anfang etwas darüber erfahren, welche Rolle etwa der Erzengel Gabriel im Islam spielt. Der Beispiele gibt es viele!

Ich habe mir das Buch an einigen, vor allem an den kniffligen Stellen sehr genau angesehen und komme zu dem Schluss: Sowohl Juden als auch Christen als auch Muslime müssten mit nahezu allen Einzelheiten in diesem Buch höchst zufrieden sein! Das Buch stellt die Tagseite der Religionen in Schlichtheit und doch hinreichender Präzision dar. Es baut Brücken und bereichert die Einsicht in die Verwandtschaft der großen Religionen, ohne die grundlegenden Unterschiede – auch zwischen den christlichen Kirchen – zu verwischen.

Für Schüler und Lehrer in Kreuzberg, Neukölln und Wedding – höchst empfehlenswert! Nicht nur zur Fastenzeit.

Manfred Mai: Rund um die Weltreligionen. 66 Fragen und Antworten. Mit Illustrationen von Rolf Bunse. Herder Verlag, Freiburg im Breisgau 2008, 92 Seiten, € 16,95

Google-Ergebnis für http://www.herder.de/elvis_img/herder/titel/cover/0001632461_0001.jpg

 Posted by at 23:44
März 112010
 

„Iiii – wie eklig – der isst Salami“, diese Reaktionen muslimischer Mitschüler höre ich von Kreuzberger Grundschülern, die der nichtmuslimischen Minderheit angehören, wenn sie ihr Pausenbrot auspacken. Und immer wiede sehe ich junge Männer der Mehrheit, wie sie besonders auffällig und wiederholt auf die Erde spucken. Und Mädchen oder junge Frauen aus der nichtmuslimischen Neuköllner Minderheit berichten von häufigen sexuellen Belästigungen und machohafter Anmache, wenn sie allein auf der Straße gehen.“Ich habe keine Lust mehr, mich dauernd von den Jungs beleidigen zu lassen“, sagen diese Frauen. Viele deutsche Familien sind schon aus Neukölln weggezogen.

„Die Themen, die den Muslimen unter den Nägeln brennen wie Alltagsrassismus oder Islamophobie sind nicht einmal erwähnt worden.“ So Aiman Mazyek heute auf S. 5 der Süddeutschen Zeitung.

Angst deutscher Mädchen vor sexueller Anmache durch moslemische junge Männer, Verspottung und Lächerlichmachen von Schweinefleischverzehrern, ostentatives Spucken von Halbstarken auf den Berliner Boden … ist das alles schon Rassismus oder Islamophobie?

I wo! Es ist mangelnde Erziehung, eine Selbstabgrenzung der muslimischen Bevölkerung, eine Mischung aus dumpfen kulturell-religiösen muslimischen Überlegenheitsansprüchen und gefühlter ökonomischer Unterlegenheit. Mit Rassismus hat dies beileibe nichts zu tun.

Als echten Rassismus würde ich allenfalls die in Kreuzberg und Neukölln weitverbreiteten judenfeindlichen Einstellungen bezeichnen. Und dafür – also für die Bekämpfung antisemitischer und homophober Vorurteile unter moslemischen Jugendlichen – stellt die Stadt Berlin ja in diesem Jahr 1,9 Millionen Euro bereit.

„Diese Bank ist nur für Weiße“, so berichtete die letzte Sendung mit der Maus aus Südafrika. Südafrika war bis 1991 ein rassistischer Staat! In ganz Europa herrschte im 19. Jahrhundert bis weit in die dreißiger und vierziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts ein rassistischer Unterton.

„Alltagsrassismus und Islamophobie“  – mit diesen allzu häufig, inflationär ausgespielten Karten wollen manche migrantischen Verbände ihren Opferstatus befestigen. Darin sind sie Meister. Grotesk!

Muslime erwägen, den Dialog mit de Maizière zu beenden – Islamkonferenz vor dem Aus – Service – sueddeutsche.de
Mazyek kritisierte auch die inhaltliche Neuorientierung der Konferenz: „Die Themen, die den Muslimen unter den Nägeln brennen wie Alltagsrassismus oder Islamophobie sind nicht einmal erwähnt worden.“ Auch die Zusammensetzung des Gremiums ist den Verbänden zuwider.

 Posted by at 11:38
Jan. 302010
 

… liefert heute den Aufmacher in der Süddeutschen Zeitung: Deutsche Universitäten sollen Imame ausbilden! Ja! Ich unterstütze den Gedanken. Ich meine sogar: An der geregelten Ausbildung der Imame an deutschen Universitäten, unter der demokratischen Aufsicht unserer staatlichen Kultusbehörden, wird kein Weg vorbei führen.

Noch heute erinnere ich mich der Stunde, als in unserer Kreuzberger Schule „der Religionsunterricht“  vorgestellt wurde – wohlgemerkt in einer Schule, in der die Christen eine winzige Minderheit gegenüber der überwältigenden Mehrheit der muslimischen Kinder darstellen. „Der Religionsunterricht“ war selbstverständlich nur in christlicher Religion vorgesehen. Warum ist das so selbstverständlich?

Dass unser deutsches Bildungswesen bisher keine Modelle, keine intellektuelle Auseinandersetzung mit dem Islam bietet, keine systematischen Handreichungen zur Schaffung eines wahrhaft europäischen, eines wahrhaft aufgeklärten Islam bietet, halte ich für einen schweren Mangel. Mit den Vorschlägen des Wissenschaftsrates kann diesem Mangel abgeholfen werden. Fürwahr – eine gute Nachricht!

Islam-Institute – Deutsche Universitäten sollen Imame ausbilden – Job & Karriere – sueddeutsche.de
An deutschen Universitäten sollen künftig Imame und islamische Religionslehrer ausgebildet werden. Der Wissenschaftsrat, in dem Professoren und politische Vertreter von Bund und Ländern sitzen, verabschiedete dazu am Freitag umfassende Empfehlungen. Analog zur christlichen Theologie sollen an zunächst zwei bis drei Universitäten große Institute für „Islamische Studien“ entstehen.

 Posted by at 17:04
Jan. 202010
 

Als eines der wenigen nichtmuslimischen Kinder an seiner Schule erfährt unser Sohn sich immer wieder in der Außenseiterposition.

„Papa, warum sagen alle Kinder iiih, wenn ich ein Salamibrot esse?“, fragte er uns heute.  Dann müssen wir ihm geduldig erklären, dass für die muslimischen Kinder alles Schweinefleisch unrein ist und Ekel erzeugt. Wir tun dies – noch – gelassen, noch mit Humor.

Diese unbeugsame, starke Einwurzelung muslimischen Reinheitsdenkens, diese Einteilung in halal – rein – und haram – verboten – schon bei den kleinen muslimischen Kindern  ist etwas mich Überraschendes. Vor 20 Jahren, als mein älterer Sohn hier in Kreuzberg zur Grundschule ging, war das noch nicht so stark. Aber wir haben ja auch einen anderen Kreuzberger Islam als vor 20 Jahren!

Die Berliner Grundschulen leisten Hervorragendes, sie erziehen – soweit ich das beurteilen kann – die muslimischen Kinder der Mehrheit zur Toleranz gegenüber all denen, die in ihren Augen Verbotenes essen, Verbotenes tun.  Aber dennoch bricht das Vorurteil immer wieder hervor!

Sollen wir aufhören, unserem Sohn Salamibrötchen mitzugeben, damit er nicht mehr Ekelgefühle bei der Kindermehrheit hervorruft? Ein heikles Thema!

 Posted by at 15:00

Der Fehl Gottes

 Einzigartigkeiten, Fahrrad, Hölderlin, Islam, Religionen, Weihnacht  Kommentare deaktiviert für Der Fehl Gottes
Dez. 252009
 

Gute, packende Predigt des Kaplans Eric Godet heute im Weihachtsgottesdienst! Er erzählt, wie er verlacht wurde, als er in der Kindheit nach der „Definition Gottes in der Bibel“ fragte. Er stellt heute klar: Die Bibel erzählt nicht vom Gottesbild. Sie erzählt vom Menschen. Godet verweist zurecht auf das II. Nikänische Konzil von 787, wo die Nicht-Bildlichkeit Gottes noch einmal bekräftigt wurde! Gott lässt sich allenfalls als Umriss nachzeichnen, als etwas Fehlendes, als etwas Ausgespartes. Ich führe fort: Der fehlende Gott also, der „Fehl Gottes“ – so drückt es Hölderlin aus, so hat es Heidegger später wieder aufgegriffen. Dieser „Fehl Gottes“, das ist Kernbestand der christlichen Botschaft! Und dieser Fehl Gottes wird ausgeglichen in der Erfahrung der Gemeinde, in der Erfahrung des Du, in der Erfahrung des Kindes. So weit führt mich heute die Weihnachtsbotschaft.

Schaut man sich in den Kirchen um, wird man nur in ganz seltenen Fällen ein Bild Gottes finden. Die Nichtdarstellbarkeit Gottes verbindet Judentum, Christentum, Islam. Das Bild Gottes wird für Christen bestenfalls zugänglich im Menschen. Im kleinsten wie im größten, im neugeborenen ebenso wie im alten, schwachen, kranken und sterbenden Menschen. „Wie schaut euer Gott aus?“, so fragte ich einen Moslem nach einer Diskussion im Kreuzberger Glashaus (wir berichteten in diesem Blog am 05.07.2009). Er antwortete: „Er hat bei uns 99 Namen.“ Aha! Ich denke: 99 Namen – das heißt doch wohl, dass er ebensogut auch 999 Namen haben könnte. Auch im Islam ist Gott der schlechthin Jenseitige, der sich nicht fassen und fangen lässt.

Ansonsten gab es ersten Ärger mit dem neuen Fahrrad. „Warum fährst du so schnell, ich komme nicht mit!“, ruft Wanja aus.  Dabei hatte er mit mir bereits die ADFC-Kreisfahrt 2009 komplett mitbestritten – ohne die geringste Klage! Er ist ein guter Radfahrer! Ich erkenne: Das neue Fahrrad ist sehr schnell, mit sehr geringem Krauftaufwand beschleunigt es auf die zulässige Höchstgeschwindigkeit. Das geht auch jedem so, der erstmals in einen BMW steigt. Ein kleiner Tritt in das Pedal – und man zischt ab. Subjektiv erlebt man die Geschwindigkeit ganz anders. Man meint zu schaukeln oder zu schleichen und hat schon die Stoßstange des Vorausfahrenden auf der Nase.

Fazit: Mein ständiges Predigen von „Rücksicht und Vorsicht im Straßenverkehr“  werde ich mit dem neuen Fahrrad erst noch unter Beweis stellen müssen. Die Kinder mahnen mich.

 Posted by at 21:35
Dez. 142009
 

Kürzlich traf ich im bezirklichen Fahr-Rat mit einer Vertreterin des „Mieterrates Chamissoplatz“ zusammen. Uns kaltschnäuzigen Radlern wurden die Leviten gelesen. Klar. Aber wer war Chamisso? Ich will mehr wissen und versuche heute eine Gesamtausgabe zu kaufen. Fehlanzeige! Es gibt im Handel derzeit keine Ausgabe von Adalbert von Chamisso zu kaufen – ebensowenig wie von Ludwig Erhard.

Erneut stelle ich fest: Die Deutschen verlieren in atemberaubendem Tempo ihre Vergangenheit. Ich habe dies auch bei der Podiumsdiskussion der Adenauer-Stiftung am vergangenen  Mittwoch in aller Härte gesagt: „Unsere jungen Männer wachsen in ein kulturelles Vakuum hinein.“ Geht ins Prinzenbad, geht auf die Plätze, sprecht mit den Jungs in den Kiezen! Sie haben keinen echten Bezug zu irgendwelchen kulturellen Hervorbringungen des Landes, in das sie hineingeboren werden. In das kulturelle Vakuum, das wir den Jungen anbieten, stößt sieghaft, nahezu unbezwinglich der Islam vor. Der Islam ist für die muslimischen Jugendlichen eine geistig-moralische Prägekraft allerersten Ranges, vergleichbar allenfalls der Strahlkraft, die das europäische Christentum etwa bis ins 18. Jahrhundert hinein auszuüben vermochte. Fundamentalistische Strömungen erstarken, der moderate, durch die türkische Ditib gezügelte Islam nimmt ab, der kompromisslose, herrische Islam nimmt zu.

Wir verbleibenden Deutschen leben mit unserem Interesse für Ludwig Erhard, Konrad Adenauer, Rosa Luxemburg, Goethes „West-östlichen Divan“ oder auch Adalbert von Chamisso in der extremen Diaspora. Wenn die Verlage einen nach dem anderen importierten amerikanischen Bestseller auf den Markt werfen, aber Stimmen wie etwa die eines Adalbert von Chamisso nach und nach verlöschen, dann zerfasert unser kulturelles Nervengeflecht – es löst sich auf, Präsentismus herrscht. Außer dem gerade Angesagten gibt es dann nichts mehr.

Der über 1000 Jahre alte Text des Koran wird in diese sich auflösenden Nervengeflechte hineinwachsen und tut dies im Alltag der jungen Muslime bereits jetzt. So erschienen am Bayram-Fest in der vergangenen Woche fast keine Schüler zum Unterricht in unserer Klasse. Sie blieben einfach zuhause, begingen das religiöse Fest. Die Schulpflicht ist demgegenüber absolut sekundär. Erst kommt die Religion, dann die Schule.

Gerade Adalbert von Chamisso wäre – wie Goethe – ein idealer Brückenbauer zum Islam (wie auch zum Judentum). Was für eine traurige Verlustmeldung, dass dieser Dichter heute weder gelesen noch auch nur verlegt wird!

Heute las ich das staunenswerte Gedicht „Die goldene Zeit“ von Adalbert von Chamisso. Hört doch folgende Verslein daraus:

Ungeschickt zum Löschen ist
Wer da Öl gießt, wo es brennt;
Noch ist drum kein guter Christ,
Der zu Mahom sich bekennt.
Scheut die Eule gleich das Licht,
Fährt sich’s doch vorm Winde gut,
Besser noch mit Wind und Flut
Aber gegen beide nicht.

Das ist groß, das ist verrätselt, das erregt mir Sensationen, als hätte ich ein Gedicht von Rimbaud oder Verlaine gelesen! „Wer zu Mohammed sich bekennt, ist deswegen kein schlechter Christ!“ So deute ich den Sinn der Verse 3 und 4. Es gab über das gesamte 18. Jahrhundert hin und weit drüber hinaus eine lebhafte Debatte über den Islam, an der sich Voltaire, Goethe, Chamisso und viele andere beteiligten. Nichts davon ist den Menschen heute noch gegenwärtig. DAS ist ein kulturelles Versagen allererster Größe.

In Chamissos Versen finden wir die prästabilierte Harmonie der Religionen, das ist Goethe, ist Lessing, das ist Navid Kermani, das ist der Geist, den wir heute brauchen! Gerade hier im Chamissokiez und heute in Kreuzberg!

Am kommenden Samstag,19.12.2009, findet folgende Lesung statt:

Tzveta Sofronieva und Adalbert von Chamisso.  Weilands Wellfood, Bergmannstraße 5-7, Kreuzberg-Chamissokiez,  Beginn 16.00 Uhr. Eine Veranstaltung der neugegründeten Chamisso Akademie.

Da muss ich hin – bin sehr sehr gespannt!

Wird es uns gelingen, den rapiden Gedächtnisverlust aufzuhalten?

 Posted by at 00:04
Nov. 202009
 

Mit größter Bewunderung besuchte ich am 17.11. die neue Ausstellung im Martin-Gropius-Bau: taswir. islamische bildwelten und moderne. Es ist eine üppig sprießende, mit Gelehrsamkeit gesättigte, künstlerisch neue Pfade beschreitende Landschaft des Denkens und Fühlens. Auffallend ist die karge Gegenständlichkeit! Das Ornamentale, Großflächige herrscht vor. Bei einem alten Kodex islamischen Rechts aus dem 13. Jahrhundert fühlte ich mich unwillkürlich an Seiten aus dem jüdischen Talmud erinnert, die ganz ähnlich aufgebaut sind: In der Mitte steht der kanonische Text, darum herum haben verschiedene „Hände“, also verschiedene Schreiber, ihre Deutungsversuche angefügt. So sieht das aus:

Man könnte auch an die „Worte in Freiheit“, die „parolibere“ der italienischen Futuristen denken – großzügig, weiträumig über das ganze Blatt ausgeteilte Worte und Fragmente, deren Gesamtsinn sich erst in der Zusammenschau dem Auge erschließt.

Die Ausstellungsmacher haben nicht versäumt, auch unseren Heros des christlich-islamischen Dialogs, den von mir so sehr verehrten Meister Goethe, mit einem Sinnspruch zu würdigen, und zwar im Saal „Picasso und Qur’an“. Qur’an kommt ja von arabisch lesen, rufen, rezitieren, so wie das Wort lehren – nach Meinung der Begleittexte aus der Ausstellung – von altdeutsch „löhren“ = „laut Krach machen“ kommt.

Zum guten Lehren gehört das Rufen, das Sprechen und Vernehmen.  Erst ganz spät wird Lehre und Lernen zur stummen, einsamen Beschäftigung. Ich selbst lese mir immer wieder Texte in allen Sprachen, die mir zu Gebote stehen, laut vor. So habe ich mir nach und nach über viele Jahre hinweg eine gewisse Kenntnis mindestens meiner deutschen Muttersprache durch Lärmen und Rufen erarbeitet.

Auch Hamed Abdel-Samad, der Sohn des ägyptischen Imams, berichtet, dass er vor allem durch das laute Hören und Rufen nach und nach den ganzen Koran auswendig lernte. Eine Schulung, die es ihm ermöglichte, nach und Englisch, Französisch, Deutsch und Japanisch bis zur Beherrschung zu „erlärmen“.

Auch Musik ist ein Lärmen und Lehren. Heute stellte ich die vier Lieder zusammen und ließ sie den Lehrern unserer Schule mit folgendem Schreiben zukommen:

 

An das Lehrerkollegium Fanny-Hensel-Grundschule 

Kreuzberg, den 20.11.2009 Lieder für das Schulkonzert am 24.11.2009 Liebe Lehrerinnen und Lehrer,
 wir freuen uns auf das Konzert am kommenden Dienstag. Zur Vorbereitung habe ich Ihnen die vier von Fanny und Felix vertonten Lieder abgedruckt, die Ira Potapenko in der Lukaskirche singen wird. Da ich selbst „in alten Zeiten“ jahrelang als Lehrer gearbeitet habe, kam ich nicht umhin, Ihnen einige Vorschläge für den Einsatz im Unterricht hinzuzufügen. Diese vier Lieder eignen sich hervorragend, um unsere Kinder mit spannenden Bildern und Rätseln zu fesseln, sie zum Erzählen, Schreiben und Malen anzuregen. Nicht zuletzt bieten sie Ansätze für das so häufig verlangte multikulturelle Arbeiten. Bitte bedenken Sie: Goethe ist wohl derjenige Autor, der am ehesten unseren muslimisch geprägten Kindern und Eltern einen Zutritt zur deutschen Literatur ermöglichen kann. Zögern Sie nicht, aus dem reichen Schatz der Goetheschen Sprüche, Kinder- und Spottgedichte weitere Beispiele für den Deutschunterricht auszuwählen. Für Fanny Hensel wiederum und ihren Bruder Felix war Goethe ein Fixstern. Ich wage zu behaupten: Wer Goethe nicht kennt, wird auch keinen Zugang zu Fanny Hensel und Felix finden. 

Mit herzlichem Gruß 

 

 

 

Pagenlied Wenn die Sonne lieblich schiene, aus: „Der wandernde Musikant. “Worte von Joseph von Eichendorff Musik von Felix Mendelssohn Bartholdy Wenn die Sonne lieblich schiene
Wie in Welschland lau und blau,
Ging‘ ich mit der Mandoline
Durch die überglänzte Au.
In der Nacht dann Liebchen lauschte
An dem Fenster süß verwacht,
Wünschte mir und ihr, uns beiden,
Heimlich eine schöne Nacht.
Wenn die Sonne lieblich schiene
Wie in Welschland lau und blau,
Ging‘ ich mit der Mandoline
Durch die überglänzte Au.
 

 

 

 

 

Aufgaben für die Kinder:  

Was ist ein wandernder Musikant? 

Was ist Welschland?  

Was ist eine Mandoline? Zeichne eine! 

Stell dir vor, Du wärest so ein wandernder Musikant! Du hättest kein Geld. Du müsstest dir dein ganzes Geld durch Musikmachen verdienen. Irgendwo im Ausland. Wie würdest du dich fühlen? Erzähle! Wohin würdest du wandern? 

 

 

Suleika von Johann Wolfgang von Goethe aus: West-östlicher Divan Musik von Fanny Hensel

        Ach, um deine feuchten Schwingen,
West, wie sehr ich dich beneide!
Denn du kannst ihm Kunde bringen,
Was ich in der Trennung leide.
Die Bewegung deiner Flügel
Weckt im Busen stilles Sehnen;
Blumen, Augen, Wald und Hügel
Stehn bei deinem Hauch in Tränen.
Doch dein mildes sanftes Wehen
Kühlt die wunden Augenlider;
Ach, für Leid müßt ich vergehen,
Hofft ich nicht zu sehn ihn wieder.
Eile denn zu meinem Lieben,
Spreche sanft zu seinem Herzen,
Doch vermeid, ihn zu betrüben,
Und verbirg ihm meine Schmerzen!
Sag ihm, aber sag’s bescheiden:
Seine Liebe sei mein Leben!
Freudiges Gefühl von beiden
Wird mir seine Nähe geben.

 

Aufgaben für die Kinder:

Suleika ist ein arabischer Name. Was bedeutet er? Kannst du so gut Arabisch, dass du uns den Namen übersetzen kannst? Kennst du ein Mädchen oder eine Frau, die so heißt? Erzähle uns von ihr!

Was glaubst du: Wer singt hier? Ein Mann oder eine Frau?

Stell dir vor: Du spürst den Wind wehen. Was erzählt dir der Wind? Schreibe einen kleinen Brief an den Wind!

 

Hexenlied

von Ludwig Heinrich Christoph Hölty
Musik von Felix Mendelssohn Bartholdy

Die Schwalbe fliegt,
Der Frühling siegt,
Und spendet uns Blumen zum Kranze!
Bald huschen wir
Leis‘ aus der Thür,
Und fliegen zum prächtigen Tanze!

Ein schwarzer Bock,
Ein Besenstock,
Die Ofengabel, der Wocken,
Reißt uns geschwind,
Wie Blitz und Wind,
Durch sausende Lüfte zum Brocken!

Um Belzebub
Tanzt unser Trupp,
Und küsst ihm die dampfenden Hände;
Ein Geisterschwarm
Fasst uns beim Arm,
Und schwinget im Tanzen die Brände!

Und Belzebub
Verheißt dem Trupp
Der Tanzenden Gaben auf Gaben;
Sie sollen schön
In Seide gehn,
Und Töpfe voll Goldes sich graben.

Die Schwalbe fliegt,
Der Frühling siegt,
Und Blumen entblühn um die Wette!
Bald huschen wir
Leis‘ aus der Thür,
Und lassen die Männer im Bette!

 

Aufgaben für die Kinder zum Hexenlied:

Was glaubst du: Gibt es Hexen? Wo wohnen sie? Erzähle!
Male ein Bild zu diesem Lied!
Was ist ein Wocken? Zeichne einen!
Wer ist Belzebub? Wie heißt Belzebub im Islam?

Schilflied

 

von Nikolaus Lenau 

Musik von Felix Mendelssohn Bartholdy 

Auf dem Teich, dem regungslosen,
Weilt des Mondes holder Glanz,
Flechtend seine bleichen Rosen
In des Schilfes grünen Kranz.

Hirsche wandeln dort am Hügel
Blicken in die Nacht empor;
Manchmal regt sich das Geflügel
Träumerisch im tiefen Rohr.

Weinend muss mein Blick sich senken;
Durch die tiefste Seele geht
Mir ein süßes Deingedenken,
Wie ein stilles Nachtgebet.

 

Aufgaben für die Kinder: Zeichne die Tiere aus diesem Gedicht. Zeichne alle Pflanzen aus diesem Gedicht. Wo gibt es Schilf in der Nähe unserer Schule? Zeige uns das Schilf! Stell dir vor, du sollst einem Touristen deine Schilflandschaft zeigen. Was sagst du? Wo gibt es einen Teich?

Erzähle!

 Posted by at 15:35

War Goethe Moslem?

 Goethe, Islam  Kommentare deaktiviert für War Goethe Moslem?
Nov. 172009
 

Zu den Liedern von Fanny Hensel, die Irina Potapenko am 24.11. vorsingen wird, gehört auch das Lied der Suleika aus Goethes West-östlichem Divan. Was muss man dazu wissen?

 

In seinen späten Jahren zeigte Goethe eine starke Sympathie für den Islam, während er zu den christlichen Kirchen lebenslang eine gewisse Zurückhaltung wahrte und manchmal offen über die „Pfaffen“ ablästerte.  Das Ich des West-östlichen Divans ist eindeutig muslimisch! Goethe hatte sich in Geist und Buchstaben des Islam hineinversetzt, ja er bezeichnete sich selbst in seinen späten Briefen gelegentlich offen als „Muselmann“.

 

Ich suche gerade die Texte der Lieder für unser Konzert heraus und werde sie den Lehrern der Fanny-Hensel-Schule überreichen. Goethe wäre eigentlich ein idealer Brückenbauer zwischen den orientalischen Kulturen der Türken, der Araber, der Kurden usw. und den abendländischen Kulturen der Deutschen, Franzosen, Polen usw. Leider weiß dies kaum jemand. Oder liest man heute an den Schulen noch Goethe? Wenn nein, wäre das jammerschade. Kennen die Kinder der ersten Klassen heute noch das herrliche „Ein großer Teich war zugefroren“?

 

Welche Gedichte lernen die Kinder heute noch auswendig? Welche Lieder lernen sie noch auswendig?

 

Hier kommt das Gedicht, das Marianne von Willemer schrieb und das Goethe – ohne Nennung der Dichterin – dem West-östlichen Divan einverleibt hat. Fanny Hensel hat es vertont. Dieses Lied steht auf unserem Konzertprogramm.

 


Suleika

       

Ach, um deine feuchten Schwingen,
West, wie sehr ich dich beneide!
Denn du kannst ihm Kunde bringen,
Was ich in der Trennung leide.

Die Bewegung deiner Flügel
Weckt im Busen stilles Sehnen;
Blumen, Augen, Wald und Hügel
Stehn bei deinem Hauch in Tränen.

Doch dein mildes sanftes Wehen
Kühlt die wunden Augenlider;
Ach, für Leid müßt ich vergehen,
Hofft ich nicht zu sehn ihn wieder.

Eile denn zu meinem Lieben,
Spreche sanft zu seinem Herzen,
Doch vermeid, ihn zu betrüben,
Und verbirg ihm meine Schmerzen!

Sag ihm, aber sag’s bescheiden:
Seine Liebe sei mein Leben!
Freudiges Gefühl von beiden
Wird mir seine Nähe geben.

 

 

 

 

 Posted by at 13:34

„Bist du ein Moslem? Bist du ein Moslem!“

 Islam  Kommentare deaktiviert für „Bist du ein Moslem? Bist du ein Moslem!“
Sep. 282009
 

Diesen Spruch hörte ich einmal von einem älteren Moslem an einen kleinen Jungen gerichtet, der  im Begriff war, etwas Unrechtes zu tun. Der Spruch wirkte. Ein guter Moslem darf nicht lügen! Die mehr oder minder bewusste Verpflichtung auf die sittlichen Gebote des Islam ist etwas, was man bei den allermeisten Jungen und Mädchen aus muslimischen Ländern hier in Berlin voraussetzen kann – und muss. Ob die Religion aktiv praktiziert wird, ob die fünf Gebote immer und überall  eingehalten werden, steht auf einem anderen Blatt. Aber dass fast alle  Jungen und Mädchen aus moslemischen Ländern – sofern sie nicht christlichen Minderheiten entstammen – sich eindeutig und ohne Zweifel zum Islam bekennen, das steht hier in Berlin fest. Die Jungen werden im Knabenalter, also etwa im Alter von 5 oder 6 Jahren, beschnitten, auch wenn einer der Ehepartner nichtmoslemischer Herkunft ist, und danach fühlen sie sich dem muslimischen Männlichkeitsbild ein Leben lang verbunden. Dies gilt auch dann, wenn sie selbst oder die Väter die islamische Religion ablehnen.

Die tiefe, unauslöschliche  kulturelle Prägung durch den Islam ist etwas, was für uns im Abendland kaum mehr vorstellbar ist. Nur wer wie ich in durch und durch katholischen Sippen aufgewachsen ist, die seit Jahrhunderten einen aktiven Katholizismus praktizieren, vermag sich ohne weiteres in eine derartige Geisteshaltung hineinzuversetzen. Ansonsten stoßen wirklich Welten aufeinander, die wenig oder nichts voneinander wissen. Zwei beliebige Beispiele für dieses Nichtverständnis! Der Tagesspiegel berichtet heute:

Muslimische Gebete am Gymnasium
Das Thema Schule und Religion hatte die Berliner erst vor wenigen Monaten beschäftigt, als die Initiative „Pro Reli“damit scheiterte, den Religionsunterricht als Wahlpflichtfach einzuführen. „Die Berliner wünschen sich ihre Schulen als religionsfreien Ort“, sagte Özcan Mutlu dem Tagesspiegel. „Ich hoffe, dass das Gericht sein Urteil aus dem Eilverfahren vom letzten Jahr revidiert. Die Schule ist ein neutraler Ort, an dem Kopftücher, Kreuze oder Gebetsräume nichts zu suchen haben.“

Wir erinnern uns: Die Berliner Initiative Pro Reli hatte damals kein einziges der wirklich brennenden Themen angepackt und war nicht zuletzt deshalb gescheitert.

Zweites Beispiel! In der Schule meines Sohnes – in die zu etwa 90% muslimische Kinder gehen – wird verpflichtend ein „Wörterbuch für die Grundschule“ vorgeschrieben. Ich blättere gerne darin, denn Wörterbücher sind eine meiner Leidenschaften wie das Geigespielen, die Politik, das Radfahren, das Schwimmen oder das Bloggen.  Heute fragte ich mich: Was ist eigentlich richtig: Muslim, Moslem, Muslima, die Muslime, die Musulmanen, die Mohammedaner  usw. Wie leicht tritt man da in ein Fettnäpfchen!

Ich schlug das Wörterbuch ABC-Freunde auf.  Ich entdecke den Eintrag der Christ, die Christen, christlich, Christus. Ich entdecke den Eintrag der Jude, die Juden, die Jüdin, jüdisch. Und so suche ich nach der Religion, die mit riesigem Abstand die häufigste an unserer staatlichen Schule ist – und ich finde – nichts. Weder der Moslem, noch die Muslima, noch die Muslime. Immerhin: die Moschee ist enthalten und wird sogar definiert als das Gotteshaus der Muslime. Dafür fehlt aber wiederum die Synagoge.

Aber kein moslemisches Kind kann hier nachschlagen, wie man seine prägende kulturelle Zugehörigkeit in gutem Deutsch schreibt. Das heißt: Ein so entscheidendes identitätsprägendes Merkmal, das für 50% aller Kinder in Berlins Grundschulden zutrifft, fehlt in dem Wörterbuch, das an eben diesen Schulen verwendet wird. Es kommt nicht vor. Zufall? Ich glaube nicht. Ich halte es für einen weiteren Beleg dafür, dass die akademischen Kräfte in der Kultusbürokratie, in den Verlagen immer noch nicht begriffen haben, wie grundlegend sich die Schülerschaft verändert hat. Ich halte es bezeichnend für die mich ungeheuer traurig stimmende geistig-geistliche Verwaisung der muslimischen Kinder in unserer Stadt. Sie wissen nicht, wo sie hingehören. Sie haben oft das Gefühl: „Wir kommen hier nicht vor.“ Ich füge hinzu: Nicht einmal in einem Wörterbuch für die Grundschule.

Hier muss dringend etwas getan werden. Wir haben ja nicht einmal so etwas wie eine Berliner Islamkonferenz auf Landesebene! Die Islamkonferenz auf Bundesebene war oder ist sicher ein mutiges, gutes Unterfangen – aber sie muss ergänzt werden durch aktives, meinethalben auch streitbeladenes Reden, Zanken, Sich-Versöhnen zwischen den großen Religionen Berlins. Hier, genau bei uns im Stadtstaat, am besten in Kreuzberg.

Hier noch abschließend der bibliographische Beleg:

ABC-Freunde. Wörterbuch für die Grundschule 1-4. Volk und Wissen,  1. Auflage, 7. Druck, Cornelsen Verlag Berlin 2007, vgl. hier besonders: S. 172

 Posted by at 23:30
Sep. 162009
 

Meine tiefe Bewunderung haben die Lehrerinnen und Lehrer in unserer Grundschule.  Sie betreuen und erziehen unsere Kinder mit liebevoller Zuwendung und Strenge. Das merke ich auf Schritt und Tritt. Ihre Geduld scheint unerschöpflich. Ich glaube, es sind die besten Lehrer an Berlins Grundschulen, die ausgerechnet in diese Kreuzberger Schule „an einem sozialen Brennpunkt“ zusammengerufen wurden.

Gestern fand die erste Elternversammlung des neuen Schuljahres an unserer Grundschule statt. Ich gehe hin. Der Saal füllt sich nach und nach. Ich sehe viele Frauen mit Kopftuch, aber nicht locker gebunden, wie ich es von den Türkinnen kenne, sondern den ganzen Kopf bis zu den Schultern bedeckend. Ich höre wenig Türkisch, aber viel Arabisch sprechen.

Die gesamte Elternschaft der Stufen 1-3 ist zusammengerufen worden. Der Religionslehrer stellt sein Konzept des „bewegten Unterrichts“ vor. In seinem christlichen Religionsunterricht geht es darum, wie Menschen ihr Leben leben. Um Angst, um Freude. Alle sind eingeladen, die Kinder dort anzumelden. Es fällt mir auf, dass von einem muslimischen Religionsunterricht nicht die Rede ist.

In meiner Schule gibt es fast nur muslimische Kinder. Nicht gemäßigt muslimisch, wie bei den Türken, deren Ditib vom Staat gesteuert wird. Sondern stärker wahabitisch, mit klar erkennbarer Abgrenzung zum Rest der Bevölkerung. Die meisten Frauen tragen Kopftuch. Sie würden mich nie von sich aus ansehen, und ich traue mich nicht ohne weiteres, sie anzusprechen. Das wird noch spannend! Mitunter sieht man den Tschador, die Burka. Die Jungs tragen den ganz kurzen Haarschnitt, wie er jetzt zur Unterstreichung der Männlichkeit gezeigt wird.

Die Türken haben diesen Teil des Bezirks schon weitgehend verlassen. Verdrängt. Zugezogen sind zahlreiche arabische Familien mit oft 8 bis 10 Kindern. Der Islam ist jetzt viel stärker spürbar. Man könnte sagen: Die Nachbarschaft der Schule, die Schule selbst ist durchislamisiert. Und das wird weitergehen. Das ergibt schon eine mathematische Berechnung. Die Elternversammlung wurde gestern eigens so gelegt, dass das Fastenbrechen des Ramadan um 19.30 Uhr eingehalten werden kann. Das Wort „Schweinegrippe“ wird nicht in den Mund genommen, da es die Gefühle der religiösen Mehrheit verletzen könnte.

Etwa ein Drittel der Kinder in meiner Klasse sind durch ihre Eltern vertreten. Die anderen Eltern fehlen unentschuldigt.  Wo sind sie? Wir erfahren viel Nützliches über das jahrgangsübergreifende Lernen, über die Art, wie die Kinder füreinander sorgen.

Mein Eindruck: Es läuft alles sehr gut. Die Lehrerinnen hängen sich enorm rein.

Ich bewerbe mich mit einer schlichten Rede in einfachem Deutsch als Sprecher der Eltern in meiner Klasse:

„Das ist ein sehr gute Schule. Wir haben sehr gute Lehrer.  Ich bin stolz, zu dieser Schule zu gehören. Ich möchte, dass wir als Klasse 1-3 d stolz nach außen treten und sagen: Seht her, das sind unsere Kinder. Das ist unsere Klasse.“ Ich werde mit großer Mehrheit zusammen mit einer Mutter aus Syrien gewählt. Ich freue mich auf dieses Amt.

Anschließend spricht mich die Lehrerin an: „Sie sind aber kein Deutscher, oder?“ In der Tat: Wenn man in der verschwindenden Minderheit ist, wie ich als Deutscher unter all den arabischen und türkischen Eltern, dann wird man seiner selbst unsicher. Wie soll man sich verhalten? Was darf man sagen? Darf ich einfach eine verschleierte Mutter ansprechen? Eine VERHEIRATETE Frau? Oder wird mich dann gleich der Ehemann mit einem Messer bedrohen? Ein  Vater? Ich spüre meist eine große Unsicherheit, wenn ich die Schule betrete. Es ist doch eine deutsche Schule, das steht doch draußen auf dem Schild! Die Lehrer sind doch Deutsche! Wir sind doch in Deutschland, nur 1 km vom Reichstag, nur 300 m vom Potsdamer Platz entfernt. Das ist doch die Schule, der wir laut Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg nach dem Wohnortprinzip zugewiesen sind!

„Deutschland muss auch noch in Kreuzberg erkennbar bleiben.“ Für diesen Satz wurde damals der Parteiausschluss von Kurt Wansner verlangt, die halbe Republik fiel über ihn her. Ich meine dennoch, er hatte recht. Wo sind denn all die Eltern, die damals so schimpften, all die Gutmenschen und Allesversteher? Sie besuchen jetzt die Spezialschulen nach Montessori, oder sie sind weggezogen.  Ich bin sicher: Genau die, die damals so schimpften, die würden ihr Kind niemals zu uns geben. Zu uns, den Arabern.

Am Abend traf ich am Rande einer Veranstaltung die italienische Europa-Abgeordnete Laura Garavini. Ich gratuliere ihr artig zur gewonnenen Wahl ins Europäische Parlament. Ich berichte ihr. Und dann setze ich hinzu: „Auch ich habe soeben eine sehr wichtige Wahl gewonnen.“ Sie versteht sofort, dass in der Tat meine Wahl genauso wichtig ist wie ihre. Und sie gratuliert mir.

 Posted by at 20:32