Juli 222009
 

Verblüffend einfacher Vorschlag des CDU-Landesvorsitzenden Henkel zur Schulreform: Wenn man einfach nicht mehr weiterweiß, – dann lasse man zunächst einmal alles, wie es ist. Man tue nicht so, als hätte man die Ursachen der Misere erkannt und könnte sie mit Maßnahmen ändern.

Schulreform – Berliner CDU-Chef schlägt Bildungsgipfel vor – Berlin – Berliner Morgenpost
„Die Verunsicherung muss ein Ende haben“, sagte der CDU-Fraktions- und Landesvorsitzende. „Wir benötigen kein rot-rotes Geschacher, sondern eine gesellschaftliche Debatte.“ Ziel sei ein zehnjähriges Moratorium zur Schulreform. „Wir wollen, dass der Schulstreit für die nächsten zehn Jahre beigelegt wird und in der Zeit auch keine Veränderungen erfolgen“, so Henkel.

Dieser Vorschlag Frank Henkels gefällt mir sehr. Ich meine, er findet breitesten Rückhalt bei Lehrerinnen und Lehrern, bei Schülern und auch bei Eltern. Ich kenne schlechterdings keinen Lehrer, der seine Hoffnungen auf eine Strukturreform setzen würde. Sie wollen RUHE. Sie wollen verschont werden von Bemäntelungen der Ratlosigkeit. Aber nahezu alle sagen: Das Hauptproblem ist die falsche Einstellung bei Eltern und Schülern. Es fehlt an den grundlegendsten Tugenden für sinnvolles Lernen: Fleiß, Beharrlichkeit, Zuverlässigkeit, Höflichkeit. Es fehlt an Ernst, es fehlt an Verantwortung, es fehlt an grundlegendsten Sprachkenntnissen.

Lassen Sie uns überlegen: Wenn alle die richtige Einstellung hätten –  würde die Schule dann unter diesen strukturellen Bedingungen gelingen, zu guten Ergebnissen führen? Ich behaupte laut und deutlich. Ja, ja! Ich empfehle, den Vorschlag Frank Henkels anzunehmen.


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Leipzig lockt. Eine Stadt aus dem alten Europa

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Juli 182009
 

15072009.jpg Das Wochenende werde ich privat in Leipzig verbringen. Gestern überraschte mich beim Blättern im Reiseführer von Susann Buhl und Tobias Gohlis der Name des Verlags Teubner. Teubner ist ein Leipziger Verlag. Obwohl ich selbst meist die Oxford Classical Texts bevorzuge, – etwa wenn ich Plato lese -, liegt doch immer wieder ein Band der Teubnerschen Ausgaben in meiner Hand. Blau für Latein, Rot für Griechisch. Aber welche gewaltige Entfernung liegt vor einem Kind der ersten Klasse, ehe es irgendwann diese grundlegenden Texte von Vergil und Plato, von Ovid oder Homer lesen kann! Wird es in 50 Jahren noch Menschen geben, die wissen, was eine gute Teubner-Ausgabe bedeutet? Wirklich? Ich denke mir das manchmal, wenn ich in die Fanny-Hensel-Schule gehe. Nicht nur Mendelssohn Bartholdy oder Mozart, nicht nur Goethe und Shakespeare, sondern eben auch Homer, Aischylos, Aristoteles und wie sie alle heißen – diesen Bestand von etwa 200 bis 300 Autoren, der grundlegend geworden  ist für unser Selbstverständnis, den müssen wir pflegen und weitergeben.

Ich meine: von Grundschulklasse 1 an.  Jedes Grundschulkind sollte auf altersgemäße Weise an die großen, alles überstrahlenden Werke und Namen Europas herangeführt werden. In Übersetzungen. Sie sollen imstande sein, sich zu definieren auch über das, was sie wissen. Wenn sie erst mal 15 sind, werden sie neue Herausforderungen zu bewältigen haben: das massive Angebot der Medien, Sex und nochmals Sex, eine milliardenschwere Unterhaltungsindustrie, die gerne den Jugendlichen das Geld aus der Tasche zieht. Und: Kinder von 11 bis 13 Jahren sitzen heute im Durchschnitt 100 Minuten vor dem Fernseher. Täglich! Was lernen sie da? Was sehen sie da? Womit werden ihre Köpfe angefüllt? Irgendwann definieren sich die Jugendlichen dann vorwiegend über das, was sie besitzen: das iPhone, einen iPod, die schicken Klamotten. Ich meine: bereits vorher müssen wir sie bekanntmachen mit dem, was wirklich zählt. The right stuff: Aristotle, Plato and Company.

Gespannt bin ich auf das Konzept der autoarmen Innenstadt. Mit dem ICE dauert es nur 1 Stunde von Berlin nach Leipzig!  Und das erwartet uns:

Autoarme Innenstadt in Leipzig: Informationsaktion mit Hinweisen für Rad- und Autofahrer startet
# Die City soll zum Flanieren einladen, aber auch von Radfahrern durchquert werden können – einige Hauptfußgängerbereiche sowie das Barfußgäßchen, die Klostergasse und die östliche Kleine Fleischergasse ausgenommen.
# Autos dürfen nur fahren, wo dies nicht durch Beschilderung untersagt ist. Parken können sie ausschließlich auf eigens gekennzeichneten Flächen.
# Andererseits muss die Innenstadt auch für Anlieferfahrzeuge erreichbar sein, Feuerwehr- und Rettungsfahrzeuge müssen sich ungehindert bewegen können.
# In der gesamten Innenstadt gelten Tempo 20 und eingeschränktes Halteverbot – für den Kfz- ebenso wie für den Radverkehr.
# In den Fußgängerzonen, in denen das Anliefern und Radfahren erlaubt ist, gilt Schrittgeschwindigkeit.
# Für Fahrräder stehen in der Leipziger Innenstadt derzeit rund 730 Anlehnbügel zur Verfügung. Die Stadt plant, weitere solcher Bügel aufzustellen. Insgesamt soll es davon künftig mehr als tausend in der City geben. Zur Gewährleistung der Verkehrssicherheit sollten Räder nur an Anlehnbügeln abgestellt werden.
# Rettungswege und Blindenleitstreifen müssen unbedingt freigehalten werden.

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Juli 092009
 

09072009001.jpg Immer wieder stellen wir fest, dass Schulkinder nicht ausreichend, nicht gut genug essen.  Bei einem Schulfest sah ich einmal: die Mütter brachten Weißbrot mit Wurst belegt mit, ein bisschen Kuchen – sonst nichts, kein Obst, kein Gemüse, keinen frischen Salat. Wo waren dieVäter? Ich selbst rede mich wieder mal heraus damit, dass ich etwas zum kulturellen Rahmenprogramm beitrug.

Die EU hat deswegen ein Programm zur kostenlosen Verteilung von Obst an Schulkinder aufgelegt.

Bundesrat – Bundesrat mit Mammutprogramm vor Sommerpause | ZEIT ONLINE
Im Vermittlungsausschuss landen wird höchstwahrscheinlich das Schulobstprogramm. Auch die Länder finden die von der EU verfügte kostenlose Verteilung von Obst und Gemüse in den Pausen gut. Sie verlangen aber eine höhere Kostenbeteiligung des Bundes.

Eine gute Idee. 12 Millionen soll das Programm kosten, Bund und Länder sind sich über die Kostenverteilung nicht einig.  Der Staat soll also für die Ernährungsdefizite der Familien aufkommen. Das klingt eigentlich sehr gut. So habe ich auch beobachtet, dass die gesamte Zahngesundheit snnvollerweise einen wichtigen Platz in der Kita-Erziehung einnimmt.

Aber – gestern kam mir eine andere Idee. Wäre es nicht gut, Kinder und Eltern so zu beeinflussen, dass sie von selber darauf kommen, dass Obst gesünder als immer nur Wurst und Weißbrot ist? Dass sie selber darauf achten müssen, sich Vitamine, reichlich Bewegung und geistige Anregung zu beschaffen?

Ich glaube: Wir Eltern brauchen gezielte, nachhaltige, leicht einprägsame Beeinflussung. Da es bei unseren Sprachkenntnissen oft hapert, helfen die langen, wortreichen Elternbriefe recht wenig. Am 09.04.2009 untersuchten wir in diesem Blog die deutsch-türkischen Elternbriefe und kamen zu dem Befund: Es wer eine völlig unrealistische türkische Akademiker-1-Kind-Familie, die bikulturell ihr Einzelkind erst in Türkisch, dann in Deutsch unterweist, 12 Stunden am Tag um das Kind kreist und offen und lernbegierig alle pädagogischen Anregungen aus den 8-seitigen Elternbriefen aufnimmt. Völlig an der Realität vorbei!

Ich kenne mittlerweile viele türkische und arabische Eltern und meine: So wird es nicht funktionieren. Man muss es einfacher, fasslicher, knackiger anpacken. Wie einen frischen Apfel. Wie ein Sprichwort. Etwa: „An apple a day keeps the doctor away.“ Derartige Regeln haben ihren Sinn.

Zum Beispiel brauchen die Eltern robuste Taschenkarten, wie sie den deutschen Soldaten in Afghanistan mitgegeben werden: einfache, leicht fassliche Anweisungen in deutscher Sprache, unterlegt mit einem eindrücklichen Bild. Etwa: „Kinder sollen neben den Hausaufgaben kein türkisches oder arabisches Satellitenfernsehen schauen!“ „Kinder müssen täglich drei Mal frisches Gemüse oder frisches Obst essen!“  „Ihr gehört zu uns! Ihr werdet hier gebraucht!“ „Lernt deutsch!“ „Kinder müssen sich nach jeder Mahlzeit  die Zähne putzen!“ „Treibt mehr Sport!“ „Du musst Deutsch können – lest jeden Tag euren Kindern aus einem deutschen Buch vor!“ „Hört jeden Tag eine deutsche Geschichte an!“ “Ihr seid Schmiede eures Glücks!“ „Ihr gehört dazu – hier ist eure Heimat!“

Was meint ihr? Sollte man nicht ein Kartenspiel auflegen? Mit den 36 wichtigsten Erziehungsregeln, die man wirklich guten Gewissens vertreten kann.  Es fehlt bei uns Eltern oft am Basiswissen. An Erfahrungen, die man einfach weitergeben muss. Deshalb sind die Kinder dann oft nicht gesund, wachsen nicht richtig. Es fehlt nicht am Geld, es fehlt am Wissen.

Die Hoffnung, dass die hunderttausenden von überforderten Eltern in mühevollen Elternkursen allmählich das ABC der Kindererziehung lernen werden, hege ich nicht. Zumal das ja auch viel zu teuer wäre. Wir, das heißt der Staat, muss massiv einsteigen, er muss geradezu propagandistisch kämpfen dafür, dass die Eltern ihren Kindern die Zukunft eröffnen. Heute sehe ich Dutzende lernbegierige, offene, wache 6-jährige – und Hunderte von 16-jährigen  Jugendlichen, die nichts mehr mit sich und ihrer Zeit anzufangen wissen. Sie haben im Alter von 16 Jahren weder Deutsch noch irgendeine andere Sprache wirklich gelernt, sie haben kaum Fachwissen, sie sind körperlich nicht fit. Sie können sich nicht beschäftigen.  Sie sind unsere verlorenen Söhne.

Diese massive Mentalitätsbeeinflussung geschieht leider einfach nicht. Man lässt es treiben. Es wird alles viel zu zahm, viel zu zurückhaltend angepackt. Die Imame in den Moscheen gehen da viel deutlicher zur Sache. Schaut euch das gestern verlinkte Video von Euronews an!

Soeben kam ich am Potsdamer Platz vorbei. Dort beobachtete ich eine Demonstration von Iranern. „Nieder mit der Diktatur, nieder mit der Diktatur!“ Zehn, zwanzig Mal wiederholt. Hier könnt ihr das Video sehen. Ja, so ist das eben, so funktioniert Massenkommunikation: Man muss es den Leuten einfach sagen. Man muss es den Leuten oft sagen. Sie wollen keine Abhandlungen, sie wollen Sprichwörter, Bilder, Klänge. Denkt an die zehn Gebote!

Zurück zum Obst! Soll der Staat kostenlos Schulobst an alle verteilen? Ich habe nichts dagegen. Besser finde ich es aber, in den Kindern die Sehnsucht nach Obst zu entfachen. In den Eltern die Sehnsucht nach gesunden und glücklichen Kindern zu entfachen. Etwa, indem man sie so beeinflusst, dass sie erkennen: Ich möchte meinem Kind Obst in die Schulpause mitgeben.

Das Bild zeigt eine Aufnahme von der Demonstration der Iraner.

 

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Zum Kinde wird der Mann: „Ich möchte das … und zwar sofort!“

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Juni 212009
 

Einer der für mich wichtigen Philosophen ist – Ludwig Wittgenstein. Von ihm habe ich gelernt, „Sprachspiele“ zu untersuchen. Wie gehen Menschen mit Worten um? Was tun sie damit? Welchen Spielregeln folgen sie? Nehmen wir den Satz:

„Ich möchte x, und zwar sofort!“

Wer so spricht, beschreibt etwas über sich selbst: Er weist darauf hin, dass ihm im jetzigen Zustand etwas fehlt. Er begehrt einen Zustand, den er noch nicht hat. Damit drückt er aber letztlich aus: Gebt mir x, und zwar sofort! Er versucht, unser Verhalten in der von ihm gewünschten Richtung zu beeinflussen.

Beispiel:

„Ich möchte einen Apfel, und zwar sofort!“

„Ich möchte  die Flasche, und zwar sofort!“

„Ich möchte die Brust, und zwar sofort!“

Diesen Satz wird ein Baby kaum aussprechen können. Durch lautes Geschrei und Toben macht der hungrige Säugling aber darauf aufmerksam, dass ihm etwas fehlt.

Die Mutter wird dem Kind üblicherweise die Brust geben, um das mitunter unerträglich laute Schreien zu stillen. Eine sinnvolle Handlung! Die Evolution hat es weise eingerichtet. Denn in der Tat gibt es für das Neugeborene fast nichts wichtigeres als ausreichend das Bestmögliche zu trinken – und das ist nun einmal die Muttermilch. Erst im Laufe vieler Monate wird das Kind lernen, dass es kein Unglück bedeutet, wenn seine dringenden Bedürfnisse nicht sofort erfüllt werden. Das Kind lernt schmerzhaft, seine Wünsche aufzuschieben. Es lernt: Ich kann nicht immer alles sofort haben.

„Ich möchte auf das Gelände. Und zwar sofort!“ Wieder einmal fand unser Wahlkreiskandidat Hans-Christian Ströbele den richtigen Ton. Mit dieser klassischen Formulierung trifft er erneut das Grundgefühl, das die fröhlich-feiernde Truppe am Tempelhofer Zaun beseelt. „Das Gelände gehört uns“, „wir wollen da rein“, diese und andere Sätze drücken unwiderleglich das kindhafte Grundgefühl aus: „Was ich will, müsst ihr machen. Sonst schrei ich laut!“Das ist natürlich emotionale Erpressung, wie sie die Säuglinge in ihren Betten nicht besser hinkriegen könnten.

Man wird das verspielte Treiben nur begreifen, wenn man die sogenannten Autonomen mit den Mitteln der Kinderpsychologie analysiert. Sie haben es nicht gelernt, ihre Wünsche aufzuschieben. Sie haben nicht die Erfahrung gemacht, dass die Welt nicht untergeht, wenn sie nicht das sofort bekommen, was sie sich wünschen. Was sie bei solchen Aktionen durchleben, ist im Grunde eine über Jahre oder Jahrzehnte hinweg aufgeschobene Auseinandersetzung mit dem, was ihnen fehlt: eine neinsagende, klare Grenzen ziehende und dennoch gütige Instanz, wie es gute Eltern sind. Die Auseinandersetzung mit der Staatsmacht ermöglicht es ihnen, nicht ausgetragene infantile Konflikte unter großer Anteilnahme der Öffentlichkeit zu inszenieren. Das klingt wie ein absurdes Theater, das die Chaoten da veranstalten? Richtig, es ist in gewissem Sinne ein absurdes Theater, auch darin ist Ströbele zuzustimmen. Der Applaus für die Darsteller besteht in der medialen Aufmerksamkeit – es ist wie Klatschen.

Das haben mir erfolgreiche, gut verdienende Künstler immer wieder bestätigt: „Der Applaus, die Bewunderung, die ungeteilte Aufmerksamkeit – das ist das Wichtigste – nicht das Geld.“

Kaum ein anderer Akt ist bezeichnender für diese Grundhaltung des „Ich möchte das … und zwar sofort!“ als das Anstecken der Autos, wie es seit Monaten die Stadt Berlin in Atem hält. Besonders hervorzuheben ist, dass diese Anschläge besonders rasch und ohne Vorbereitung erfolgen. Der Täter muss also keinen Wunschaufschub üben, sobald es dunkel geworden ist.  Es sind Verbrechen, die keiner ökonomischen, sehr wohl aber einer psychologischen Gesetzlichkeit folgen – im Gegensatz zu einem Bankraub etwa, der sorgfältiger Planung bedarf und bei bei dem der Täter einen dauerhaften wirtschaftlichen Nutzen davonträgt. Diese scheinbar spontanen Verbrechen wie etwa Brandstiftungen sind allerdings die gefährlichsten, denn sie verschaffen einen nichtmateriellen Gewinn, ein Lustgefühl, das nach Wiederholung schreit wie etwa der Zustand des High-Seins: „Denen habe ich es aber gezeigt!“ Es sind Racheakte unglücklicher Kinder, die sich so ausdrücken.

Wenn junge Erwachsene sich im Grunde wie Kleinkinder benehmen und das Ganze Politik nennen – sollte man sie nicht einfach lassen? Nein, dies wäre nicht nur hochgefährlich. Es ist hochgefährlich. Denn Babys können nur schreien, um uns zu erpressen. Sie können keine Autos anzünden. Sie würden es aber tun, wenn man sie ließe.

Dem Bundestagsabgeordneten Hans-Christian Ströbele gebührt Dank und Anerkennung, dass er die zutiefst infantile Logik, die hinter den Anschlägen, hinter all den pseudo-revolutionären Umtrieben steckt, in eine geradezu klassisch einfache Formel gegossen hat:

„Ich möchte … und zwar sofort.“

Er greift damit den alten Sponti-Spruch auf, wie er (glaube ich) in der Frankfurter Hausbesetzerbewegung der 1970-er Jahre zuerst aufkam: „Wir möchten alles – und zwar sofort.“

Ihnen allen möchte man entgegenrufen:

„Es wird schon gut. Und jetz schlaf schön. Gleich kommt der Sandmann. Mama ist ja da. Sie wird dich vor den bösen Polizisten beschützen.“

Tempelhof-Besetzung: Katz- und Maus-Spiel um den Flughafen – SPIEGEL ONLINE – Nachrichten – Panorama
Viele halten die massive Polizeipräsenz deshalb für übertrieben. So auch der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele, der mit dem Fahrrad über den Columbiadamm fährt. „Was die Polizei hier veranstaltet, ist ein absurdes Theater“, sagt Ströbele. Und fügt hinzu: „Ich möchte auf das Gelände, und zwar sofort.“

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Juni 172009
 

Ich gerate auf dem Weg zur Arbeit in die Demonstration der Berliner Schüler und Studenten für bessere Bildung. Ich zückte mein Handy und nahm ein Video auf, das ihr sehen könnt, indem ihr hier drauf klickt. Zahlreiche Organisationen haben zum Schulstreik aufgerufen. Na, das kenne ich. Ich war als Schülersprecher damals ebenfalls an der einen oder anderen Aktion beteiligt. Wir forderten die Drittelparität in der Schulkonferenz. Wir wollten die volle Demokratie in der Schule. Ich selber war meistens bei solchen Umtrieben mit dabei. Mein Vater stand leider auf der Gegenseite: Er unterrichtete Grundschulpädagogik, galt als Marionette des Kultusministers, der die böse ASchO, die Allgemeine Schulordnung, erlassen hatte – frecherweise, ohne uns Schüler vorher um Erlaubnis zu bitten. Dass ich meinen Vater als Hampelmann des bayerischen Kultusministers Hans Maier in einer Karikatur entdecken musste, gab mir aber doch einen einen Stich mitten ins Herz.

Heute empfand ich das ganze eher als Getöse, als nicht ganz ernstzunehmen. Es war ein Happening.  Zwar halte ich es immer für gut, wenn man gute Bildung fördert und fordert. Aber dann sollte man bei sich selbst anfangen. Niemand hindert die Schüler am Lernen. Ich sehe keine Schüler und Schülerinnen, die wirklich hart, fleißig und zielgerichtet mit dem selbstbestimmten Lernen beschäftigt sind. Ich sehe die Jugendlichen trommeln, in Bars herumhängen, mit Handys telefonieren, kiffen, rauchen und trinken. Ich weiß: Nicht alle sind so. Aber sie haben viel Geld, viel Zeit und Eltern, die kaum etwas von ihnen zu erwarten scheinen. Die Schüler sind in der Schule weitgehend unterfordert.

17062009001.jpg

Ich lasse mir ein Flugblatt geben. Die Sozialistische Jugend Die Falken SJD schreibt:

Der Kapitalismus frisst den ganzen Bildungskuchen und alle Studienplätzchen alleine.

WIR FORDERN: GEBÄCK FÜR ALLE.

Wir brauchen den Kapitalismus nicht.

Nur gemeinsam können wir das System überwinden.

Aha. Also doch. Die Demo wird instrumentalisiert, um gezielt den Überdruss am Kapitalismus zu schüren. Intelligenz ist also eine Art Keks, den der Staat an uns alle verteilen soll. Kostenlos.

An meiner heutigen Arbeitsstätte angekommen, lese ich das Handelsblatt von gestern. Kanzlerin Merkel rechtfertigt erneut die umfassenden staatlichen Hilfen für einzelne Wirtschaftszweige. Ich lese:

Merkel wie Steinmeier bekannten sich zum Modell des Exportlandes Deutschland. Zwar sei die exportabhängige deutsche Wirtschaft momentan von der Krise besonders stark betroffen. „Es gibt aber keine Alternative dazu, dass wir eine exportstarke Nation sind“, hob Merkel hervor, „ansonsten ist unser Wohlstand in Gefahr.“ Damit setzt die Bundesregierung ihren Kurs der staatlichen Rettungspolitik fort und schlägt Warnungen der Wirtschaftsforscher in den Wind, dem Export zu sehr zu vertrauen.

Auch BDI-Präsident Hans-Peter Keitel sieht keine Alternative zu einem „starken Industrieland Deutschland“. Der frühere Hoch-Tief-Chef warnte die Wirtschaft jedoch davor, sich in der Krise zu stark auf Staatshilfen zu verlassen. Außerdem mahnte er eine wirkliche Reform der Steuer- und Sozialsysteme an. Sonst erreiche man das Ziel nicht, gestärkt aus der Krise hervorzugehen.

Ist unser Wohlstand in Gefahr, wenn die Exporte dauerhaft und massiv einbrechen? Ja! Ist die Sicherung des Wohlstands ein vorrangiges Ziel der Politik? Offensichtlich ja.

Kann der Staat für seine Bürger den Wohlstand sichern? Hierauf lautet meine Antwort: Nein. Es kann nicht Ziel des Staates sein, den Wohlstand der Bürger durch exorbitante Verschuldung für eine Legislaturperiode zu sichern. Die Bürger müssen sich den Wohlstand erarbeiten. Durch Fleiß, durch kluges Handeln, durch Beharrlichkeit und Redlichkeit. Der Staat kann allenfalls Rahmenbedingungen setzen. Er ist nicht dafür zuständig, den Wohlstand der jetzt Lebenden durch Verschuldung der künftigen Generationen zu sichern.

Es gibt Werte, die weit wichtiger sind als der Wohlstand: Das ist das Recht, das ist die Freiheit. Durch die jetzige Politik der Hochverschuldung wird die Freiheit der nach uns Kommenden beschnitten. Und auch das Recht wird beeinträchtigt, etwa durch die törichterweise im Grundgesetz verankerte „Schuldenbremse“. Es ist nicht schlimm, wenn unser Lebensstandard erheblich zurückgeht. Es ist schlimm, wenn Freiheitsrechte der Menschen durch immer neue Eingriffe des Staates in die Wirtschaft und durch immer einseitigere Ansprüche der Bürger an den Staat beschnitten werden.

Es wird der trügerische Wahn erzeugt, staatliches Handeln könne maßgeblich Wohlstand sichern. Ich sage: Das Handeln des Staates kann den Wohlstand ebensowenig sichern wie zusätzliche Bildungsmilliarden das gute Lernen der Schüler garantieren. Man fragt immer erneut beim Staat an. „Mach uns glücklich durch Glückskekse, Vater Staat! Mach uns klug durch Klugheitsgebäck, Mutti Bundesrepublik! Mach uns reich, oh Konjunkturprogramm II!“

Dieser selbstherrliche Anspruch des Staates, wie ihn Kanzlerin Merkel wieder und wieder formuliert, nämlich das Glück und den Wohlstand der Bürger zu sichern, führt in die Irre. Das ist die neueste Fassung eines polemischen alten Wortes, das der gute Bismarck prägte, als er seine Sozialversicherungen einführte: Staatssozialismus.

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Egoismus der Gene

 Friedrichshain-Kreuzberg, Gute Grundschulen, Kinder, Migration, Pflicht, Verantwortung  Kommentare deaktiviert für Egoismus der Gene
Juni 122009
 

 „Mein Kind first“: Wie Eltern gute Schulen verhindern – SPIEGEL ONLINE – Nachrichten – SchulSPIEGEL
Eltern können sehr maßlos sein. Eine Mutter sagte bei einer anderen Veranstaltung zur Fusion von Berlins Haupt- und Realschulen: „In den Hauptschulen, da gibt es zu viele Migrantenkinder. Und wenn Sie die Schulen zusammenlegen, dann werden sie noch einen größeren Haufen Scheiße produzieren.“ Schule als Klassenkampf.

So schreibt Christian Füller heute in Spiegel online. Wirklichen schweren Kummer habe ich in meinem Leben kaum. Aber als tiefen persönlichen Schmerz empfinde ich, wie hier in Kreuzberg die Schülerschichten von der ersten Klasse an separiert werden. „Wir geben  jeden Monat 200 Euro allein für Benzin aus, damit wir unsere Tochter in die richtige Grundschule bringen können.“ So verriet mir ein bildungsbewusster Vater einer Erstklässlerin. Mein Sohn geht in die Schule, der wir vom Bezirksamt zugewiesen sind. Denn ich kann es nicht verantworten, dass in unserem Staat, den ich rundweg bejahe und immer bejaht habe, jeder nur das Beste für sich und die Seinen herauspickt. So zerfällt unsere Gesellschaft – selbstverständlich zerfällt sie auch und mit Wonne in unserem spießig-grünen-bürgerlichen Kreuzberg! Die Grünen fahren hier bei Wahlen absolute Rekordwerte ein – und die Schülerschichten sind getrennt wie Kuchenschichten. Es ist eine absolute Klassengesellschaft, die unser ach so linkes Kreuzberg heranzieht. Hurra, wir zerfallen!

Ich kann das Gejammere über die angeblich so schlechten Schulen nicht mehr hören. Jeder schimpft auf die Schule, auf den Berliner Senat, auf DIE Lehrer, auf DIE Schüler. Keiner fragt: Was kann ich tun? Was ist meine Pflicht? Alle erheben Ansprüche an den Staat. Nur wenige erbringen freiwillig etwas für den Staat. Verantwortung, Pflicht – das erstreckt sich doch zunächst auf das unmittelbare Umfeld, in dem man lebt.

Gerade wird wieder einmal eine Neuerung in Berlins Schulen eingeführt. Haupt- und Realschulen werden zusammengelegt zu einer neuen Sekundarschule. Ein Schritt in die richtige Richtung. Die Oppositionsparteien beißen sich an kleineren Details fest wie etwa dem Zugangsverfahren zum Gymnasium. Einige kreischen: „Schüler auslosen ist ein Verbrechen.“ Das Losverfahren ist ein Verbrechen an den Kindern! Ach, wenn die wüssten! Dass ich nicht lache! Ein absoluter Nebenschauplatz!

Nein nein: Die Separierung der Schüler erfolgt völlig unabhängig von den Schulformen. Sie setzt bereits ab Klasse 1 ein.

Keiner dieser Politiker, mit denen ich spreche, hat auch nur ein einziges Mal bei mir angefragt: „Herr Hampel, Sie schicken Ihr Kind in eine Grundschule mit über 90% Migrantenanteil. Wie geht es Ihrem Kinde damit?“ Die Öffentlichkeit, die Eltern und leider auch viele Politiker reden über die Grundschulen, aber innerlich haben sie sich von den breiten Schülerschichten längst verabschiedet. Alle verdienen an der Panikmache kräftig mit. Sie schüren den Unmut, den Verdruss.

Ich stamme aus einem Pädagogenhaushalt. Mutter Lehrerin, Vater Hochschulprofessor der Didaktik. Seit über 40 Jahren verfolge ich die Bildungsdebatte die Tonleiter rauf und runter. Ich würde sagen, ich bin fast Profi.  Mein derzeitiges Fazit: 1) Es wird allzu viel vom Staat erwartet. 2) Die Schulen sind weit besser als ihr Ruf. 3) Die Schüler und die Eltern müssen mehr arbeiten.

Wir müssen die Kinder und die Schulen stärken. Durch eigene Leistung. Nicht immer nach dem Staat rufen. Jeder kann was beitragen.

Unser Bild zeigt den hier bloggenden Vater mit Schülern, mit Künstlerinnen und der stellvertretenden Rektorin der Fanny-Hensel-Grundschule bei einer gemeinsamen Thateraufführung.

 

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„Wieder ein Glück ist erlebt“ … oder: Kinder brauchen gute Musik

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Mai 272009
 

Mit diesem Vers Hölderlins fasse ich zusammen, wie ich das heutige Mendelssohn-Konzert in der Fanny-Hensel-Schule erlebt habe. Den Morgen verbrachte ich damit, das Gedicht Heinrich Heines auswendig zu lernen, das den Reigen eröffnen sollte:

Ich wollt, meine Lieb ergösse sich
All in ein einzig Wort,
Das gäb ich den luft’gen Winden,
Die trügen es lustig fort.

Sie tragen zu dir, Geliebte,
Das lieberfüllte Wort;
Du hörst es zu jeder Stunde,
Du hörst es an jedem Ort.

Und hast du zum nächtlichen Schlummer
Geschlossen die Augen kaum,
So wird mein Bild dich verfolgen
Bis in den tiefsten Traum.

Ich lerne immer noch gerne Gedichte! Nach Rücksprache mit meiner Frau beschließe ich dann aber, die Gedichte nicht vorher aufzusagen, sondern jeweils nur eine Einführung  in das Thema zu geben. Die Kinder sollen einfach ein Bild haben, ein Gefühl spüren, dann wird die Musik sie schon tragen.
Punkt zwölf Uhr strömen die Kinder und Lehrer zusammen, auch einige Erwachsene von draußen gesellen sich dazu – eine besondere Freude ist es mir, Vera Lengsfeld zu begrüßen. Die Politiker sollen ruhig sehen, wie gut es sich hier leben und lernen lässt, man hört ja so viel viel Schiefes über Kreuzbergs Grundschulen!

Die Rektorin, Frau Köppen, eröffnet das Konzert aufs Herzlichste: „In der Musik können wir uns verstehen, auch wenn wir verschiedene Sprachen sprechen. Auch wenn wir aus unterschiedlichen Ländern zusammenkommen. Die Namen Fanny Hensel und Felix Mendelssohn Bartholdy stehen für Toleranz, für gegenseitiges Verständnis.“

Das Konzert läuft sehr gut, Wanja eröffnet wacker mit einem Marsch von Schumann,  wobei er ausdrücklich bittet, auf der Bühne zu stehen – nicht unten beim Klavier. Angela und Ira singen und jubeln in ihren glockenreinen Terzen und Sexten, dass es eine Wonne ist! Ich moderiere, wobei ich immer wieder Fragen stelle. Etwa die folgende zu dem Venezianischen Gondellied:

 Wenn durch die Piazetta
die Abendluft weht,
dann weisst du, Ninetta,
Wer wartend hier steht.
Du weisst, wer trotz Schleier
und Maske dich kennt,
du weisst, wie die Sehnsucht
im Herzen mir brennt.

Ein Schifferkleid trag‘ ich
zur selbigen Zeit,
und zitternd dir sag‘ ich:
das Boot ist bereit!
O komm jetzt, wo Lunen
noch Wolken umzieh’n,
lass durch die Lagunen,
Geliebte, uns flieh’n!

„Wenn ihr Ninetta wäret, würdet ihr denn mitgehen, wenn so ein venezianischer Gondoliere mit seinem Boot an  der Piazzetta stünde?“ Ein türkisches Mädchen meldet sich: „Nein, das wäre ja eine Entführung!“ Unwillkürlich denke ich: „Sehr gut, dieses Mädchen wird sicher mal nicht gegen ihren Willen verheiratet.“ Ihr seht: die Vorurteile wirken schon, wir können uns gar nicht freimachen von dem, was wir Tag um Tag lesen, hören und reden.

Natalia legt mit ihrer unglaublichen Ruhe, Zuversicht und Verlässlichkeit am Klavier den Grundstein des ganzen Erfolges. Ich selber lasse mich mit einem Satz aus dem e-moll-Violinkonzert hören – ein wunderbares Erlebnis für mich!

Die Kinder hören konzentriert und gesammelt über etwa 50 Minuten zu. Nur ganz wenige wippen unablässig mit den Beinen. Der Beifall der Kinder kommt von innen heraus. Er ist unser schönster Lohn – und auch die Blumen der Schule tragen wir stolz nachhause. Aber erst einmal gehen wir in die gegenüber liegende Bäckerei und essen Schoko-Croissants und ein dick belegtes Baguette und wir trinken auf das schöne Konzert und natürlich auf unseren Freund Felix Mendelssohn Bartholdy.

 Posted by at 20:57

Vorfreude auf das morgende Konzert

 Aus unserem Leben, Fanny Hensel, Freude, Gute Grundschulen, Kinder, Musik, Theater, Zauberflöte  Kommentare deaktiviert für Vorfreude auf das morgende Konzert
Mai 262009
 

puppenspielerdsci0026.JPG

Felix Mendelssohn Bartholdy (1809 – 1847) war der Bruder Fanny Hensels. Seine Berliner Kindheit verbrachte er mit seinen drei Geschwistern in einem Haus an der Leipziger Straße 3. Mit großem Fleiß lernte er mehrere Sprachen, Musik, Mathematik, Literatur, Sport, Zeichnen und Geschichte. Der Vater ermahnte die Kinder immer wieder, auch wenn er auf Reisen war: „Tut was für eure Bildung, lernt, übt, arbeitet!“ Die Eltern mussten damals noch aus eigener Tasche für den ganzen Unterricht bezahlen. Mehrere Jahre lebte er dann in verschiedenen Ländern, weil er nicht wusste, wo er eigentlich hingehörte. Endlich, am 21. Februar 1832, schrieb er an seinen Vater: „Das Land ist Deutschland; darüber bin ich jetzt in mir ganz sicher geworden.“  

Voller Vorfreude auf das morgige Konzert in der Fanny-Hensel-Schule studiere ich Partituren und Skizzen, Bücher und hochgelahrte Abhandlungen. Denn ich musste soeben noch ein komplettes Programm schreiben, bosseln, häkeln, drucken und falten. Obiges ist der Lebenslauf, wie ich ihn für die Kinder, die uns morgen zuhören werden, geschrieben habe. Die Kinder sind zwischen 6 und 12 Jahren alt. Sie kommen aus ca. 12 Ländern.

Das Foto zeigt Angela Billington und den hier bloggenden Komödianten bei der Aufführung der Mozartischen Zauberflöte, letzte Woche in der Fanny-Hensel-Grundschule in Berlin-Kreuzberg. Den Theatervorhang haben die Kinder der Klasse 1 B selbst gemalt.

Und so habe ich die Künstler-Biographien zurechtgehübscht:

 

Angela Billington (Sopran) kommt aus England und hat in Cambridge studiert. In Berlin hat sie bei diversen Oper- und Kabarettprogrammen mitgewirkt. Sie hat in letzter Zeit Solokonzerte in Kalifornien und England gegeben. Sie interessiert sich besonders für die russische Oper.

 

Irina Potapenko (Alt) stammt aus Moskau. Ausgebildet als Opernsängerin in Moskau und Leipzig an der Hochschule für Musik und Theater Felix Mendelssohn Bartholdy. Sie ist freiberufliche Sängerin und lebt in Berlin. Preisträgerin beim Bach-Wettbewerb in Leipzig. www.musikerportrait.de/irina-potapenko/

 

Ivan Hampel (Violine) geboren am 28.05.2002, besucht die Klasse 1 B der Fanny-Hensel-Grundschule. Er nimmt bei Tamara Prischepenko Geigenunterricht. Seine berufliche Zukunft sieht er gleichermaßen als Lokomotivführer und Geiger. Seine beiden Sprachen sind Deutsch und Russisch.

 

Johannes Hampel (Violine) spielt seit 40 Jahren nach Herzenslust Geige. Er arbeitet als Konferenzdolmetscher für Englisch, Italienisch und Französisch und lebt fünf Tandem-Fahrradminuten von der Fanny-Hensel-Schule entfernt.

 

Natalia Christoph (Klavier) stammt aus Kaliningrad (Königsberg). Sie wirkte als Pianistin an zahlreichen Opernaufführungen in Deutschland, den Niederlanden, der Schweiz mit. Pädagogische Tätigkeiten: Moldauisches Konservatorium Kischinjow, derzeit an der UdK Berlin, Meisterkurse in Frankreich und Belgien. Sie begleitete unter anderem Ute Trekel-Burckhardt und Hanno Müller-Brachmann. www.natalia-christoph.de/

Und das ist unser Programm (Dauer 45 Minuten):

1. Robert Schumann: Marsch

    Ivan Hampel, Geige

    Irina Potapenko, Klavier

 

2. Felix Mendelssohn Bartholdy: 3 Duette

    Ich wollt, meine Lieb ergösse sich (Worte: Heinrich Heine)

    Herbstlied (Karl Klingemann)

    Lied aus Ruy Blas (Victor Hugo)    

Angela Billington, Sopran

Irina Potapenko, Alt

Natalia Christoph, Klavier

 

3. F. Mendelssohn Batholdy

    Andante. 2. Satz aus dem Violinkonzert e-moll

            Johannes Hampel, Violine

            Natalia Christoph, Klavier

 

4. F. Mendelssohn Bartholdy

    Frühlingslied  (Nikolaus Lenau)

    Gondellied (Thomas Moore)

            Irina Potapenko, Natalia Christoph

 

6. F. Mendelssohn Bartholdy

    Rondo capriccioso

   Natalia Christoph, Klavier

 

7. Pjotr Ilijitsch Tschaikowskij: Zwei Duette

    Im Garten

    Duett der Lisa und Polina aus der Oper „Pique Dame“

    Angela Billington, Irina Potapenko, Natalia Christoph

 Posted by at 22:07
Mai 232009
 

Die Wahl des Bundespräsidenten verfolge ich im Radio. Besonders genau höre ich auf seine erste Ansprache nach der Wiederwahl hin. Hier kommt ein Ausschnitt:

 Schwarz-Gelb und die Köhler-Kür: Wahlkampf mit der Nummer 1 – SPIEGEL ONLINE – Nachrichten – Politik
„[…] Bewahren, was wertvoll ist, verändern was notwendig ist – dabei möchte ich helfen. Wissen Sie, je älter ich werde, desto neugieriger werde ich. Ich freue mich auf die kommenden fünf Jahre und ich verspreche Ihnen, liebe Landsleute, ich werde weiter mein Bestes geben. Und Dir, Eva, möchte ich Danke sagen. Jede Stunde ist ein Geschenk mit Dir. […]“

Wie oft sprachen wir in diesem Blog von Vätern und Söhnen! Der ungelöste Konflikt zwischen Vätern und Söhnen brach am 2. Juni 1967 mit rasender Gewalt aus, geschürt und überlagert durch den feindlichen Gegensatz zwischen Ost und West. Die Kugel des Kurras legte die Lunte an diesen schwelenden Konflikt.

Und so frage ich mich: Welche Gefühle bewegen mich heute? Ich habe fast mein ganzes Leben in der Bundesrepublik Deutschland verbracht. Als ich geboren wurde, da war die Bundesrepublik eben 10 Jahre geworden. Als ich mit wachen Sinnen die Politik zu verfolgen begann, kam die sozialliberale Koalition ins Amt. Von den 60 Jahren der Bundesrepublik habe ich also volle 40 Jahre bewusst miterlebt, miterlitten und nach meinen bescheidenen Möglichkeiten in meinem winzigen Umfeld mitgetragen. Ich bin ein Kind dieser Republik. Aber ich überblicke auch zwei Drittel der Geschichte dieses so wunderbar gelingenden Staatswesens. Ich fühle mich also am heutigen Tag besonders dankbar, dass ich dazugehören durfte und auch weiter dazugehören werde.

Wie sieht sich Horst Köhler ausweislich seiner Antrittsrede? Dazu lohnt es sich, genau hinzuhören und zu lesen, wie er sich ausdrückt.  Er spricht davon, dass er „dankbar“ sei, dass er „neugierig“ sei. Köhler legt ein Versprechen ab: „Ich werde weiter mein Bestes geben.“ Wer spricht so? Ein Kind spricht so. Köhler, der höchste Repräsentant dieses Staates, beugt sein Haupt vor einer Wirklichkeit, vor einer Aufgabe, die ihm zukommt, die er allein nicht schaffen kann. Hier tritt ein Diener, nicht ein Herrscher sein Amt erneut an. Das – erlaubt mir dieses Geständnis – finde ich großartig!

Ich empfehle euch, diese Rede, die ich für eine seiner ergreifendsten, seiner besten, seiner in jedem einzelnen Wort treffendsten überhaupt halte, noch einmal genau durchzulesen. Ich gelange zu dem Schluss: Hier spricht ein Kind dieser Republik so wie wir alle. Der Bundespräsident stellt sich bescheiden und doch ermutigend in den Dienst seiner Aufgabe, die größer ist, als er allein sie bewältigen könnte. Er trifft dabei den richtigen Ton: wach, ermunternd, Zutrauen schenkend.

Mir fällt dazu ein Wort aus einem uralten Buch ein: Verleih deinem Knecht ein hörendes Herz! Wie der Sohn Davids (1 Kö 3,9), so erbittet auch Horst Köhler, dieser Sohn unseres demokratischen Vaterlandes, Unterstützung. Er bittet um – Demut und Hilfe. Und wer als ein solcher Knecht, als ein solches Kind bittet, der ist in meinen Augen groß, der ist ein Vorbild für alle. Der stiftet wahrhaft Vertrauen und Versöhnung.

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„Seht ihr! Ich hab’s euch gesagt!“

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Mai 042009
 

12102008001.jpg Genau dieser besserwisserische Gedanke zuckt mir soeben durch den Kopf, als ich heute in der Süddeutschen Zeitung auf S. 38 weitere Vorabberichte über die geheimnisumwitterte neue Studie des Bildungsforschers Jürgen Baumert lese (dieses Blog berichtete am 02.05.2009). Schon seit Monaten tippe ich mir die Finger wund, um einen Gedanken unters Volk zu streuen, den offenbar nur wenige haben: „An die Eltern müssen wir ran! Die Familien – also die Eltern und die Kinder – sind viel entscheidender als die Schulen für den Bildungserfolg der Schüler. Wer Schulkarrieren beeinflussen will, muss vor allem Familien beeinflussen.“

Na, und was soll ich euch sagen? Endlich lese ich etwas Ähnliches auch in der neuen Auswertung der unter Leitung von Rainer Lehmann durchgeführten Element-Studie.  Ich bekomme sozusagen Munition für meine Redeschlachten! Zitat gefällig? Hier kommt sie, Süddeutsche von heute, S. 38:

Die auf sechs Jahre ausgedehnte Grundschulzeit muss demnach keineswegs zu Lasten besonders leistungsstarker Schüler gehen, wie das viele Eltern befürchten. Vor allem beim Lesen und dem Textverständnis, so die Studie, spreche viel dafür, dass der Entwicklungsprozess „von den Vorleistungen der Schüler und des Elternhauses lebt“. Die grundständigen Gymnasien könnten davon profitieren, ohne diese Entwicklung selbst aktiv zu fördern. „Generell ist fraglich, ob die Gymnasien die Förderung der Lesekompetenz als akademische Aufgabe aller Fächer bislang überhaupt entdeckt haben.“

Na bitte! Manche Familien fördern Aufmerksamkeit, Lesen, Konzentrationsfähigkeit, gute Sprachfähigkeiten bei ihren Kindern von Anfang an stärker als andere. Diese fördernden Familien neigen dazu, ihre Kinder dann ins grundständige Gymnasium zu schicken. Das Gymnasium nimmt diese Vorauswahl dankend entgegen und leitet seine Überlegenheitsansprüche von der Vorleistung der Eltern und der Kinder ab. Und jetzt kommt der springende Punkt: Werden diese von den Familien stärker geförderten Kinder eher gebremst oder gefördert, wenn sie mit allen anderen Kindern zusammen lernen? Darüber herrscht keine Einigkeit.

Was tun? Letztlich werden uns die Bildungsforscher keinerlei politische Entscheidungen abnehmen können! Sie können nur Hinweise geben. Die Ziele politischen Handelns müssen wir Bürger untereinander ausmachen. Wir müssen uns fragen: Wollen wir die De-facto-Apartheid der Schülerpopulationen weiter verstärken oder wollen wir sie abbauen? Wie jener ungarische Oberst Novaki, den wir vorgestern zitierten, stehen wir vor Alternativen: Wollen wir weiter in Grenzbefestigungen investieren, oder wollen wir die Grenzen abbauen?

Meine Überlegungen gehen in folgende Richtung:

Wir brauchen eine Schule, die allen Schülern jederzeit den Grenzübertritt ermöglicht.  Wie im Unterricht selbst, so muss auch in den Bildungsgängen ein hohes Maß an individuellem Lernen möglich sein. Die Sortierung in „höhere“ und „niedrigere“ Schulformen sollte aufhören. Es darf nicht sein, dass eine Schulform ohne eigene Leistung alle besser geförderten Kinder abzieht und die verbleibenden Kinder an Restschulen delegiert.

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Apr. 282009
 

„Wo sind die Väter?“, diese Frage stellte ich mir schon häufig: in den Elternversammlungen in der Kita, wo nur die türkischen Mütter erschienen, im Spreeewaldbad, im Prinzenbad. Die Kreuzberger Jungs wirken auf mich häufig wie verwaist, vollkommen alleingelassen. Und sie dürsten bei allem coolen Macho-Gehabe wirklich nach Gesprächen mit erwachsenen Männern. Versucht es, sprecht mit ihnen! Heute finde ich einige Antworten. Christian Füller zitiert Wiesbadener Sozialarbeiter: „Väter gibt es hier kaum. Es gibt immer wieder Männer, aber das sind quasi durchlaufende Posten. Eze spricht lieber ein bisschen über seinen echten Vater, der sich nach Nigeria aufgemacht hat. Und über sich“ (Die gute Schule, S. 75). „Lange Abwesenheit“, so fasste Brigitte Schwaiger bereits  im Titel ihres Buches ihre eigene Vater-Erfahrung zusammen. Und Kazim Erdogan berichtet heute aus seiner eigenen ehrenamtlichen Praxis ähnliches über die türkisch-deutschen Väter:

Türkische Männer: „Ein Ehrenmann schlägt seine Frau nicht“ – SPIEGEL ONLINE – Nachrichten – Panorama
Erdogan: Sie stellen Regeln auf und bestrafen ihre Kinder – aber sie sprechen kaum mit ihnen. Manche wissen nicht einmal den Namen der Schule. Die sagen, mein Kind geht in einen Backsteinbau. In der modernen Welt aber müssen sie in der Kindererziehung am Ball bleiben, sie müssen wissen, wie es mit den Lehrern und Freunden läuft. In Neukölln lauern so viele Gefahren: Drogen, Gangs, falsche Freunde.

SPIEGEL ONLINE: Darum kümmern sich aber nur die Frauen?

Erdogan: Sie sind in den traditionellen, türkischen Familien für das tägliche Leben zuständig. Wenn dann die Ehen auseinandergehen, ziehen sie die Kinder meist alleine groß, und die Väter stehlen sich aus der Verantwortung. Gerade türkische Jungs brauchen aber ihre Väter, um zu lernen, dass es Grenzen gibt, die auch eingehalten werden müssen.

Das Fehlen von uns Vätern – darin erblicke ich eine der Ursachen für die hier in Kreuzberg weit verbreitete negative Grundhaltung gegenüber der Gesellschaft und dem Staat. Denn der Staat, vertreten im wesentlichen durch die Lehrerinnen, kann selbstverständlich die Vater-Rolle nicht ersetzen. Vater-Rolle aber scheint im besten Fall zweierlei zu bedeuten: Vorbild – der jüngere Sohn möchte aufschauen können, möchte den Wunsch hegen: „Später werd ich mal wie Papa!“

Und der Jugendliche muss sich später dann mühsam, mühsam abarbeiten können am Vater: „Der Vater macht alles falsch  – ich möchte später mal auf keinen Fall so werden wie Papa!“

Beide Haltungen – das kindliche Nacheifern und die jugendliche Empörung – halte ich für notwendige Stufen auf dem Weg zu gelingender Männlichkeit, zu echter Integration in die Gesellschaft der Erwachsenen.  Und wenn ein Kind ohne greifbaren Vater aufwächst? Dann, so meine ich, werden andere Wege beschritten. Ein Weg ist die stärkere Anlehnung an die Mutter oder an andere Vaterfiguren. Ein anderer Weg, aber nicht der einzige, scheint zu sein: Man sucht die streitige Auseinandersetzung mit dem abstrakten Vater – also dem Staat. Gesetzesübertretungen, kriminelle Taten führen den Jugendlichen in eine verwandelnde Begegnung mit der bisher fehlenden Vater-Instanz hinein. Die Jugendstrafanstalten, die Männergefängnisse sind gefüllt mit Männern, denen offensichtlich die gelingende  Auseinandersetzung mit dem Vater in der Kindheit verwehrt wurde. Dies ist sicher nicht die einzig mögliche Erklärung, aber für viele straffällige junge Männer dürfte sie zutreffen.

Schlussfolgerung: Söhne brauchen anwesende Väter. Der Staat kann nicht immer die Aufräumarbeiten hinterher machen. Das wird auch viel zu teuer. Besser sind Väterschulen, oder auch Elternschulen: also regelrechte Kurse, in denen Eltern aufgeklärt und, jawohl, belehrt werden.

Die Initiative des Neuköllner Sozialarbeiters Kazim Erdogan halte ich deswegen für wegweisend. Er versammelt türkische Väter, spricht mit ihnen, leistet HIlfestellung, damit die Väter ihre Verantwortung erkennen.

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Apr. 132009
 

Vorgestern nannten wir, gestützt auf unsere Gespräche mit türkischen, arabischen und deutschen Jugendlichen, diese Generation eine Generation der verlorenen Söhne. „Ich ficke deine Mutter“, „hey du Schlampe“, „du Opfer“, „du Jude“ und ähnliches sind einige jener häufigen Kraftausdrücke und Flüche, wie sie mittlerweile an deutschen Schulen, in deutschen Schwimmbädern gang und gäbe sind. Ich habe sie selbst oft gehört. Ungelöste Nöte mit der eigenen Sexualität, traditionelle Judenfeindschaft, Verachtung für die Schwachen, eine Verachtung der als allzu freizügig empfundenen westlichen Gesellschaften, eine Verachtung des eigenen Selbst, panische Angst vor Homosexualität,   – dies und vieles mehr drücken sich darin aus. An der Wurzel scheint eine völlige Orientierungslosigkeit, eine nüchterne Einsicht in die eigene Chancenlosigkeit zu stehen, ein hilfloses Suchen nach Halt, nach einem wie immer gearteten männlichen Vorbild, – und vor allem möchte man der Dominanz der Mütter und Schwestern entkommen.

Die deutsche Schule reagiert darauf offenkundig nicht oder nur ungenügend. Sie ist überfordert. Die Politik schaut ohnmächtig zu. Welches kulturelle Angebot können wir den türkischen und arabischen, den deutschen Jungmännern machen? Gibt es in der deutschen Kultur ein Werk, das diesen muslimisch geprägten Jugendlichen eine Auseinandersetzung mit ihrem eigenen Selbstbild ermöglicht? Ich sage: Ja! Ich schlage dazu vor ein Werk eines heute weitgehend in Vergessenheit geratenen Autors, den aber noch die Generation meiner Tanten (die nur die Volksschule besucht hatten), auswendig kannte. Er gehörte früher einmal zu den Dichtern, die die Deutschen kannten und liebten.

Heute kennen die Deutschen ihre Dichter nicht mehr, lesen sie nicht mehr an der Schule, lernen sie nicht im Kindergarten kennen, und folglich können sie auch nicht wissen, was sie zu verlieren drohen. Man vertreibt sich die Zeit mit Einheitsbrei, mit Fernsehsülze und Dudelmusik. Im Deutschunterricht wird heute offenbar nichts Wesentliches aus der Vergangenheit mehr gelesen. Folglich wird den türkischen und arabischen Jungdeutschen auch kein brauchbares Identifikationsangebot gemacht.

In Friedrich Schillers Drama „Die Räuber“ können türkisch-deutsche und arabisch-deutsche Jugendliche eine taugliche Folie finden, in denen sie ihre eigenen Nöte wie in einem fernen Spiegel erkennen.

Zunächst einmal: In dem Stück wird kräftig und ausdauernd geflucht und geschimpft, es sind pubertäre Ergießungen, die den Kreuzberger Jungdeutschen im Prinzenbad sicherlich das Wasser reichen können. Und es wird geplündert und gebrandschatzt, dass die linksautonomen Brandstifter, die reihenweise Autos in Friedrichshain-Kreuzberg anzünden, ihre helle Freude hätten! Eine ganze böhmische Stadt wird durch die Räuber in Schutt und Asche gelegt – da können selbst unsere Jungs aus dem schwarzen Block nicht mithalten. Was den Schillerschen Räubern, den Jugendgangs aus Neukölln und dem schwarzen Block der Kreuzberger deutschen Linksautonomen gemeinsam ist: Jede individuelle Verantwortung wird abgelehnt, man versteckt sich im Dunklen, im schwarzen Block, im türkisch-arabischen Gruppen-Ich, das jede Selbstbefreiung verhindert. Man steht nicht zu dem, was man tut, sondern schiebt die Schuld auf andere.

Die Frauen werden  regelmäßig als Hure oder Metze bezeichnet – dies entspräche dem Ausdruck Schlampe im heutigen Neuköllner Männerbewusstsein. Der Räuberhaufen rühmt sich auch mit besonderer Inbrunst, wie er ein Frauenkloster überfällt, plündert und die Nonnen dann einer Massenvergewaltigung unterwirft. Grausamkeiten, wie sie viel später in deutschen KZs an der Tagesordnung waren, werden in Schillers Stück bereits vorweggenommen. So erzählt das Gang-Mitglied Schufterle, wie er ein Kleinkind in den Feuertod stürzt:

Armes Tierchen, sagt ich, du verfrierst ja hier, und warfs in die Flamme.

In der Gestalt des Banditen Spiegelberg wiederum haben wir das Zerrbild eines Juden vor uns, wie ihn die düsterste Phantasie eines rabiaten Berliner Antisemiten auf einer Al-Quds-Demo nicht besser ersinnen könnte.

Meisterhaft schildert Schiller sodann die Selbstrechtfertigung des Karl Moor: Seine Verbrechen rechtfertigt Moor damit, dass die Herrschenden, also die Gerichtsherren, die Fürsten, die Pfaffen erbarmungslos das Volk ausplünderten und bis aufs Blut aussaugten! Das ist leidenschaftlich erregte Kapitalismuskritik,  wie sie „im Buche steht“. Karl Moor sagt:

„Mein Handwerk ist Wiedervergeltung – Rache ist mein Gewerbe.“

Exakt dieses Grundmuster werden wir dann ab 1977 im deutschen Herbst wiederfinden. Die RAF – etwa Andreas Baader, Ulrike Meinhof und alle die anderen – hing bekanntlich ebenfalls dem pathologischen Wahn an, sich an der herrschenden Klasse rächen zu müssen für all das, was die herrschende Klasse dem Volk angetan hatte – auch in den Jahren 1933-1945. Was für eine Verblendung, was für eine Wiederkehr des Gleichen macht Schiller hier sichtbar!

Ein erster Titel, den Schiller für sein erstes Drama wählte, lautete übrigens: „Der verlorene Sohn oder die umgeschmolzenen Räuber“. Welches Stück könnte besser auf unsere verlorenen Söhne passen!

Ich nehme an, dass dieses Stück von Friedrich Schiller an Berliner Schulen ebensowenig gelesen wird wie die Gedichte Hölderlins oder Bismarcks Lebenserinnerungen, ebensowenig wie das Kommunistische Manifest, der Koran, der Talmud oder das Neue Testament. Kein Kleist, kein Sigmund Freud, kein Goethe. Kein Nazim Hikmet. Keine Hadith.

Dabei bieten Schillers Räuber ein ideales Laboratorium der unfertigen, mit sich selbst mühsam ins Reine kommenden Männlichkeit. Würden Hauptschüler sich damit auseinandersetzen – etwa indem sie dieses Stück selbst erarbeiten und dann auf die Bühne bringen – sie hätten die riesige Chance, einen vergessenen Schatz der deutschen Kultur dem Vergessen zu entreißen. Und zugleich würden sie in einer Art Probehandeln die eigenen, zutiefst destruktiven Impulse beherrschen und umwandeln lernen. Sie könnten sich selbst gewissermaßen – wie im urspünglichen Titel angedeutet – „umschmelzen“.

Sie würden durch die praktische Theaterarbeit endlich auch eine gute, akzentfreie deutsche Aussprache lernen. Denn selbst das bringen die Berliner Schulen unseren Kindern nicht bei. Ich höre bei den arabischen und türkischen Jungdeutschen viel Nuscheln, Durch-die-Zähne-Sprechen, Stottern, Stammeln, Lallen.

Ich bin überzeugt: Durch die intensive Befassung mit Friedrich Schillers „Die Räuber“ könnte ein Beitrag zu dem geleistet werden, was Necla Kelek die „Befreiung des türkisch-muslimischen Mannes“ nennt.

Die Boote liegen zur Abfahrt bereit.

Um mehr zu erfahren: Besucht das Prinzenbad und das Spreewaldbad in Kreuzberg! Sprecht mit den Jungs, hört ihnen zu!

Lest mehr dazu in: Friedrich Schiller: Sämtliche Werke. Erster Band. Gedichte. Dramen I. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 8., durchgesehene Auflage, Darmstadt 1987, darin: Die Räuber. S. 481-638

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Apr. 102009
 

Immer wieder lerne ich neue Wörter in meiner Muttersprache. So insbesondere dann, wenn ich mich, eingedenk des herannahenden Osterfestes, der religiösen Überlieferung zuwende. In der Zeitschrift FUGE. Journal für Religion & Moderne, Band 4, 2009, lese ich auf S. 28 folgende Sätze:

Die Bibel ist das meist-erforschte Buch der Welt. Vielleicht ist es auch der „überforschteste“ Gegenstand der Welt.

Gut, so sei die Bibel ein Kandidat für den Titel „Am meisten überforschter Gegenstand“. Ich schlage aber einen anderen Kandidaten vor: die Schule.  Was uns zu meinen Erlebnissen vom vergangenen Montag bringt.

Der kommunalpolitische Arbeitskreis der CDU Friedrichshain-Kreuzberg hatte ins Rathaus Kreuzberg eingeladen. Als Redner konnte gewonnen werden Oberschulrat Gerhard Schmid, der in der Schulverwaltung für unseren Bezirk zuständig ist.

Eine kleine Nachforschung im Internet ergibt: Schmid stammt aus meiner Heimatstadt Augsburg, er war damals einer der Wortführer der linken Protestbewegung, er wurde in der Augsburger Allgemeinen neulich sogar als der „Augsburger Rudi Dutschke“ bezeichnet! Er war also einer jener Aufrührer, vor denen meine Eltern mich besorgt warnten! Wir zitieren aus der Augsburger Allgemeinen vom 22.04.2008:

Im Frühjahr 1968 ist Schmid ein bekanntes Gesicht in der überschaubar kleinen linken Szene in Augsburg. Er organisiert die Ostermärsche, hält Vorträge über die Arbeiterbewegung und engagiert sich im Kritischen Seminar, einer Art Volkshochschule für Freidenker. Ein Kurs diskutiert über „Sexualökonomie und Orgasmustheorie“, ein anderer über die „sozialökonomische Struktur Südvietnams“.

Schmid ist so etwas wie der Augsburger APO-Chef. Dazu hat ihn zwar nie jemand gewählt, doch irgendwie, sagt er, habe er „das Ganze zusammengehalten“. Die Demonstrationen gegen die Notstandsgesetze und den Krieg in Vietnam, die Schulstreiks und Sitzblockaden, die quälend langen Debatten mit Jungsozialisten und Jungdemokraten. „Heuchler und kalte Krieger“ sind sie 1968 für ihn, den Unangepassten. Wenige Wochen nach dem Happening in der Sporthalle schließt die SPD Schmid wegen „groben Verstoßes gegen die Parteigrundsätze“ aus. Heute sagt er: „Wir waren völlig verblendet.“

Was ihn aber heute nicht daran hindert, in der Schulverwaltung als Vertreter der Staatsmacht zu agieren. So sieht also der Marsch durch die Institutionen aus. Die CDU lädt einen Rudi Dutschke zu sich ein – und er stößt auf waches Interesse. So muss es sein!

Was sagt nun die Forschung zum gegenwärtigen Zustand unserer Schulen? Laut Schmid besteht keinerlei Anlass zu einer Strukturdebatte. Es gebe laut neuesten Forschungsergebnissen keinen erkennbaren Zusammenhang zwischen Schulform und Lernerfolg. Ein hochgradig gegliedertes Schulsystem könne ebensowohl sehr gut als auch weit unterdurchschnittlich abschneiden, wie ein Vergleich zwischen Bayern und Berlin lehre. Die gleiche Variationsbreite herrsche bei Einheitssystemen – hier fällt mir der überlegene Stand der Schulbildung in der früheren Sowjetunion im Vergleich zu den USA ein. Entscheidend sei, fuhr Schmid fort, die Qualität des Unterrichts, nicht die Schulstruktur.

Damit stellte sich Schmid sozusagen von Anfang an windschief zu den verschiedenen Konzepten der Berliner Parteien. Die Parteien bosseln eifrig an Schulreformen und  Strukturdebatten, an Test-Ergebnissen, und üben sich in Unkenrufen. Als Mitglied der Schulverwaltung sieht Schmid hingegen seine Aufgabe eher darin, Erfahrungen  aus dem Schulalltag in Empfehlungen umzumünzen. Die Fachleute aus der Bildungsverwaltung, zu denen Schmid gehört, bereiten sich jetzt bereits darauf vor, die zu erwartenden Vorgaben der Berliner Landespolitik möglichst sinnvoll umzusetzen. Ideologie und Parteienbindung spielt dabei keine Rolle mehr. Das finde ich höchst erfreulich, denn seit meiner eigenen Schulzeit sind die Bildungseinrichtungen ein hart umkämpftes Feld für Weltverbesserer und Abendlandsretter geworden. Diese Streiterei ist ihnen insgesamt nicht gut bekommen.

Ich habe nicht den Eindruck, dass der rot-rote Senat und die drei Oppositionsparteien mit ihren Gegenentwürfen tatsächlich das angesammelte Wissen aus den Schulämtern abrufen. Mein Eindruck bestätigte sich auch an diesem Abend.

Einigkeit schien zu herrschen: Alle Schulformen, alle Schüler müssen in dem gestärkt werden, worin sie gut sind – oder gut sein können. Praktische Begabungen sollen stärker zur Geltung kommen, etwa in dem neuen geplanten P-Zweig. Schmid berichtet anschaulich und überzeugend von Planungen, wonach in den P-Zweigen (den Nachfolgern der jetzigen Hauptschulen), Werkstätten eingerichtet werden sollen, in denen die jungen Leute mit ihrer eigenen Hände Arbeit Erfolg und sogar ein kleines Einkommen erzielen sollen.

Die gesamte zweite Hälfte des Abends und die Aussprache kreisten mehr um die Menschen, die in der Schule aufeinandertreffen. Welche Haltungen sind bei Schülern und Lehrern nötig, damit Schule gelingt? Welche Rolle spielen Fleiß, Konzentrationsfähigkeit, Sprachkenntnisse, Tugenden wie Verlässlichkeit, Pünktlichkeit, Pflichtgefühl, Höflichkeit?

Recht ketzerisch und spielverderberisch meldete ich mich zu Wort und wagte den Einwand: Wenn Fleiß, Konzentrationsfähigkeit, gute Sprachkenntnisse, Tugenden wie Verlässlichkeit, Pünktlichkeit, Pflichtgefühl, Höflichkeit zusammenkommen – könnten wir uns dann die gesamte Debatte über Schul- und Unterrichtsformen sparen? Brauchen wir nicht eine andere Grundhaltung? Brauchen wir nicht – mehr als alles andere – einen Mentalitätswandel? Sind die endlosen Berliner Diskussionen um die Bildungspolitik im Grunde Schaukämpfe, die vom eigentlichen Problem ablenken? Ich schlug vor, ganz massiv an die Eltern heranzutreten und sie mit gezielter Mentalitätsbeeinflussung zu einer lernfreundlichen Haltung umzuorientieren. Die Kinder brauchen eine Umgebung, die sie zum Lernen ermuntert. Dazu gehört eine Abrüstung beim exzessiven Medienkonsum, frühe und bevorzugte Befassung mit der deutschen Sprache, Aufbrechen des „Migranten-„Ghettos, Selbstbefreiung aus dem Gestrüpp der Vorurteile. Es regte sich – kein Widerspruch. Ich hege die Vermutung, dass ein Großteil der Versammlung dieser Ansicht zuneigte.

Beim Nachdenken über diesen hochgelungenen Abend fällt mir noch ein Bericht über Michelle Obama ein. Im Gespräch mit französischen und deutschen Schülern, das im ZDF wiedergegeben wurde, erklärte sie vor wenigen Tagen sinngemäß:

„Ich hab mir immer Mühe gegeben, etwas zu lernen. Viele schwarze Mitschüler  haben mich damals schief angekuckt und gesagt: Du redest ja wie eine Weiße! Das hab ich auf mich genommen. Ich war eine Streberin. Das war voll uncool. Ich wollte gut sein in der Schule.“

Und genau diese Haltung brauchen wir auch in Berlin. An der Art der Schule liegt es sicher nicht, wenn Bildungsgänge scheitern. Keiner ist Opfer seiner Herkunft – niemand ist durch seinen Migrationshintergrund daran gehindert, in der Schule und im Leben Erfolg zu haben. Jede und jeder kann es schaffen. Evet, we can.

 Posted by at 22:27