Okt 122015
 

Im Gränzenlosen sich zu finden,
Wird gern der Einzelstaat verschwinden,
Sich aufzugeben, ist Genuß!

So mag es einem wohl spielerisch in den Sinn kommen, nachdem man mit Hochgenuß die späten politisch-moralischen Gedichte Goethes durchgelesen hat.

Von „entgrenzter Demokratie“ schreibt sehr packend, sehr überzeugend der Düsseldorfer Politikwissenschaftler Stefan Marschall. Er erkennt, dass Phämomene wie „Europäisierung“ (gemeint ist jedoch nur der absolute Vorrang der EU-Rechtsakte vor den Rechtsakten der EU-Mitgliedsstaaten) und „Globalisierung“ den herkömmlichen westlichen Staatstypus zunehmend ins Abseits manövrierten und potenziell handlungsunfähig machten; in der Tat, so meine ich, Altertümlichkeiten wie etwa die Gewaltenteilung zwischen gesetzgebender, ausführender und rechtssprechender Gewalt werden in modernen Zeiten zunehmend außer Kraft gesetzt; gefragt ist in unseren Zeiten der wachsenden Anomie, der Widersprüchlichkeit unvereinbarer Rechtsordnungen wie etwa derjenigen der EU einerseits und der Nationalstaaten andererseits heute rasches, kühnes Zupacken, Raffen und Schaffen, auch wenn dieses „Schaffen“ oft nur ein „Abschaffen“ oder auch ein „Sich-Aufgeben“ ist, in diesem Fall also ein Abschaffen des herkömmlichen Souveränitätsgedankens der Territorialstaaten.

Wir zitieren Stefan Marschall (Hervorhebungen durch dieses Blog):

„In der Gesamtschau spricht vieles dafür, dass die Globalisierung der Gesellschaften und staatlicher Politik einen Beitrag zur Entparlamentarisierung, zur Schwächung des Bundestages im politischen System Deutschlands leistet und damit an die Substanz der parlamentarischen Demokratie geht.“

In scharfen Tönen, die nicht frei von Polemik sind, spricht der hochangesehene ehemalige Spiegel-Chefredakteur Stefan Aust am 9.10.2015 von der „Kanzlerin ohne Grenzen“; der europäische Politiker Guy Verhofstadt wiederum geißelte kürzlich im EU-Parlament die derzeitige europäische Anomie als reinstes Chaos, in dem es nicht eine, sondern „mindestens zehn Unionen“ gebe.

Nun, ich meine: Die zutreffend erkannte „Entgrenzung“ oder auch Regellosigkeit der hohen Politik macht uns einfachen Bürgern zunächst einmal Angst. Wir einfachen Bürger wissen derzeit oft nicht mehr, woran wir sind – was gilt, beispielsweise in der Euro-Staatschuldenkrise, in der wirtschaftlichen Dauerkrise der Eurozone und der Massenmigration in die verschiedenen europäischen Sozialsysteme? Was hat Vorrang? EU-Recht? Deutsches Recht? Das Recht des Stärkeren? EZB-Recht? Eine Art permanentes Notfallrecht? Oder brauchen wir gar in Europa endlich wieder einmal eine starke Frau, die vernünftigen Sinnes alles lenkt und leitet, „legibus absoluta“, also oberhalb der Gesetze stehend, wie etwa Kaiserin Maria Theresia oder Zarin Katharina II.? Oder ist alles letztlich sowieso eins, im Sinne eines Goethe’schen „Eins und Alles“? Fragen über Fragen!

Hier meine ich: Wenn man manche Zuspitzung und im Eifer des Gefechts unterlaufende Übertreibung abzieht, sollte und müsste man die Bemerkungen und Einwürfe eines Johann Wolfgang Goethe, eines Stefan Marschall, eines Stefan Aust und eines Guy Verhofstadt durchaus ernst nehmen. Sind letztlich doch alles besonnene, welterfahrene Menschen!

Belege:

Stefan Marschall: „Die entgrenzte Demokratie – Europäisierung und Globalisierung“, in: Stefan Marschall: Das politische System Deutschlands. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2015, S. 234-259, hier bsd. S. 247, S. 255, S. 257

Rede Guy Verhofstadts im EU-Parlament vom 07.10.2015
https://www.youtube.com/watch?v=D_VbHfgPVlg (hier besonders 4:47)

Stefan Austs Artikel vom 09.10.2015:
http://www.welt.de/debatte/kommentare/article147423831/Angela-Merkel-Kanzlerin-ohne-Grenzen.html

Goethes Gedicht „Eins und Alles“ (mit einigen schweren Schreibfehlern!):
http://gutenberg.spiegel.de/buch/johann-wolfgang-goethe-gedichte-3670/243

Bild:
Lascia dir la gente
e va per la tua strada (Dante). Bild vom Havelland-Radweg, unterwegs zu dem Ribbeck von Ribbeck auf Havelland.
20151004_090713

 Posted by at 10:54

Wer trägt Verantwortung für die Bürger eines Staates?

 Armut, Flüchtlinge, Krieg und Frieden, Migration, Staatlichkeit  Kommentare deaktiviert für Wer trägt Verantwortung für die Bürger eines Staates?
Sep 062015
 

Wer trägt Verantwortung für die Bürger eines Staates? Antwort: die Machthaber dieses Staates zunächst einmal; sofern es sich um eine echte Demokratie handelt, tragen die Bürger selbst die Hauptverantwortung.

Immer wieder wird auf ein angebliches Versagen oder auch auf unterstellte Konzeptionslosigkeit  der europäischen Staaten bei der Aufnahme der afrikanischen und orientalischen Flüchtlinge hingewiesen. Dem kann ich mich nicht anschließen. Ich vermisse bitter bei der ganzen Flüchtlingsdebatte den dringend nötigen Hinweis auf die Verantwortung der Machthaber in den jeweiligen Herkunftsstaaten. Afrika und der Nahe Osten hätten eigentlich das Zeug dazu, auf eigenen Beinen zu stehen: es gibt Ressourcen ohne Ende, die Bevölkerung ist jung, lernfähig; kein üppiges Sozialsystem ist durch den Staatshaushalt zu finanzieren. Die Menschen wissen, dass der Staat sich nicht um sie kümmert,  wenn sie alt und krank sind, und dementsprechend sind sie bereit zu arbeiten, zu lernen und füreinander zu sorgen.

Es gibt meines Erachtens keine Ausrede mehr, keine Entschuldigung für das verheerende Chaos, das die Machthaber in den afrikanischen und den vorderasiatischen Staaten angerichtet haben; so verheerend ist das Chaos, dass ihnen die Menschen davonlaufen. Sie fliehen aus ihren eigenen Ländern. Dafür trägt nicht Europa, am allerwenigsten die Europäische Union die Schuld.

Beim Lesen der Bücher von Rafik Schami findet der Germanist Kurt Rothmann für hundert Jahre syrischer Geschichte die folgenden treffenden Worte, die, stellvertretend für andere Länder, hier ungefähr aneinandergereiht sein mögen – die meisten Syrer würden sie ohne Bedenken unterschreiben:

„Lächerlich eitle, gesichtslose politische Machthaber, die Putschisten, Diktatoren sowie deren Generäle und Geheimdienstler“ schaffen in der Bevölkerung ein Klima der Angst „voller Zwietracht, Dünkel, Demütigungen, Intrigen, Verrat, Hass, Blutfehden, Folter und Mord“.  Es fehlt an Rechtsstaatlichkeit, an Freiheit, an Friedenswillen bei den Mächtigen.

Falsch wäre es, so meine ich, angesichts der anschwellenden Migrationsströme den Regierungen Afrikas oder des Nahen Ostens noch mehr Geld zur Verfügung zu stellen oder vielmehr in den Rachen zu werfen, sei es in Gestalt von noch mehr „Entwicklungshilfe“, noch mehr Militärhilfe, noch mehr Flüchtlingshilfe, „Rückkehrhilfe“  oder auch „Klimaschutz-Hilfe“ oder irgendetwas sonstiges. Diese mehr oder minder phantasievoll bezeichneten Formen der Hilfe führen absehbar nur zur weiteren Selbstbereicherung der Machthaber.

Auch die jüngste militärische Einmischung westlicher Staaten wie der USA, Frankreichs und Großbritanniens hat offensichtlich nichts Gutes gebracht. Im Gegenteil, sie hat die Lage verschlimmert.

Nein, bad governance, verheerend schlechte Regierungsführung, Unterdrückung und Ausplünderung des eigenen Volkes, darin meine ich nach zahllosen Gesprächen mit Flüchtlingen und Kennern jener Länder die Hauptursache des aktuellen Flüchtlingselends zu erkennen. Ich meine: die afrikanischen Staaten und die Länder des Nahen und Mittleren Ostens müssen im wesentlichen endlich selbst zurechtkommen; sie müssen die Verantwortung für ihre Bevölkerung endlich ernst nehmen.

Erfolgreiche Staaten Asiens wie etwa Südkorea, die selbst noch vor 50 Jahren relativ arme Entwicklungsländer waren, sind dafür ein Vorbild.

Zitate:
Kurt Rothmann: Kleine Geschichte der deutschen Literatur. 20., durchgesehene und erweiterte Auflage, Philipp Reclam jun. Stuttgart 2014, S. 520-521

 Posted by at 16:45
Aug 282015
 

„Es zeigt sich einfach, dass der Euro nicht funktioniert, sondern immer größere wirtschaftliche Ungleichgewichte erzeugt, und am dramatischsten zeigt sich das eben in Griechenland“, wurde am Wochenende eine Bundestagsabgeordnete in der WELT und der FAZ zitiert. Krass. Eine steile, ja geradezu eine krude These! Die Bundestagsabgeordnete NN bemängelt am Euro-System, dass es die Handlungsmöglichkeiten der Regierungen zu stark einenge.

Das ganze Euro-Wesen – so dürfen wir zusammenfassen – sei also gewissermaßen das Ende der Freiheit. Ich denke, die krude These dieser Bundestagsabgeordneten NN verdient eine vorurteilslose Diskussion.  Aus diesem Grund sei ihr Name hier nicht genannt. Wie sie heißt und welcher Partei sie angehört, spielt hier keine Rolle; der Wahrheitsgehallt einer Aussage bemisst sich schließlich nicht danach, wer sie äußert. Entscheidend ist stets: Trifft diese Aussage zu? Ist sie wahr, teilweise wahr – oder ist sie falsch, teilweise falsch?

Zweifellos stützt sich die zitierte krude These nicht nur auf softe Gefühle, sondern auch auf harte Zahlen. Die Schere zwischen wohlhabenderen und ärmeren Volkswirtschaften ist seit 1996 innerhalb der Eurozone deutlicher als außerhalb der Eurozone auseinandergegangen. Das verblüfft, beruhte der Euro doch auf der Grundannahme der Konvergenz. Die Konvergenz der Euro-Volkswirtschaften hat jedoch abgenommen, die Divergenz hat hingegen dramatisch zugenommen. Und nunmehr hat ausgerechnet im Reiche des Euro sogar Frankreich den Status als wichtigster Handelspartner der Bundesrepublik Deutschland an die USA abgeben müssen; Handelspartner Nummer 1 sind jetzt die USA, nicht mehr wie jahrzehntelang Frankreich. Das heißt, das Handelsvolumen Deutschlands mit den USA hat während der Herrschaft des Euro stärker zugelegt als das mit Frankreich. Der außenwirtschaftliche Trend zeigt also abwärts für die zweitgrößte Volkswirtschaft der Euro-Zone.

Noch krasser ist aber der Befund in der drittwichtigsten Euro-Volkswirtschaft, in Italien. Hier haben wir aktuell eine Jugendarbeitslosigkeit von 43%, Italiens Volkswirtschaft  ist seit 1996 – als der Jubel über den Euro-Beitritt  unüberhörbar erscholl –  fast nicht mehr gewachsen.  Darüber hinaus hat sich sogar innerhalb Italiens die Divergenz zwischen ärmeren und reicheren Gegenden vergrößert. Der Süden Italiens – dem ich mich übrigens durch langjährige Erfahrungen mit jeder Faser meines Herzens verbunden fühle –  leidet an einem langanhaltenden wirtschaftlichen Niedergang. Quasi quasi mi si strazia il cuore! Adriano Giannola, 71, emeritierter Professor für Finanzwirtschaft, Präsident der Vereinigung für die Entwicklung des italienischen Südens (SVIMEZ) sagte es am 24.08.2015 in der Süddeutschen Zeitung (S. 18) so: „Der Euro hat die innere Spaltung des Landes in einen mangelhaft kapitalisierten Süden und in einen halbwegs leistungsfähigen Norden eher befördert als vermindert.“

Und immer wieder spreche ich persönlich auf Kreuzbergs und Schönebergs Hinterhöfen mit gut ausgebildeten Akademikerinnen und Akademikern aus Portugal und Spanien, die deutsche Plätze fegen, deutsches Unkraut jäten, deutsche Treppenhäuser putzen. Man fragt sich mit Horaz: Hoc erat in votis monetae unicae dedicatis? Ward dies dem Euro an der Wiege gesungen?

Dabei soll aber nicht alle Schuld ausschließlich dem Euro gegeben werden! Das tut ja auch niemand. Fest scheint aber zu stehen, dass der Euro nicht nur wegen politischer Versäumnisse und Fehler, sondern auch aus strukturellen, aus systemischen Gründen im vergangenen unrühmlichen Ventennio der Eurozone insgesamt mehr Schaden als Nutzen beschert hat.

Insofern ist – egal was die LINKE-Mehrheit, die CDU/CSU-Mehrheit, die SPD-Mehrheit und die FDP-Mehrheit nicht müde werden zu behaupten und endlos weiter vertreten  – der Bundestagabgeordneten Sahra Wagenknecht und dem Finanzwirtschaftler Adriano Giannola vorsichtig zuzustimmen. Beide haben eine vorurteilslose Erörterung ihrer kruden Thesen verdient.

Sahra Wagenknecht und Adriano Giannola gehören zweifellos zu den Minderheitlern, den Menschewiki im Chor der politischen Stimmen, wie sie auf Russisch zu Beginn des 20. Jahrhunderts genannt wurden.  Aber sie haben gerade deswegen eine vorurteilslose Erörterung ihrer kruden Thesen verdient. Man sollte sie nicht als Rechtspopulisten oder Europafeinde abkanzeln.

http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/montagsinterview-italien-ist-nie-eine-geeinte-nation-gewesen-1.2617855?reduced=true

http://www.welt.de/politik/deutschland/article145454656/Sahra-Wagenknecht-stellt-den-Euro-infrage.html

http://www.svimez.info/index.php?lang=en

 Posted by at 12:21

„Powers divided mutually destroy each other“ – Hobbes‘ Urteil über die Gewaltentrennung

 Erosion des Staates, Geld, Gouvernance économique, Leviathan, Philosophie, Rechtsordnung, Staatlichkeit, Verfassungsrecht  Kommentare deaktiviert für „Powers divided mutually destroy each other“ – Hobbes‘ Urteil über die Gewaltentrennung
Aug 162015
 

Wir sind für Machtverteilung.“  So Konrad Adenauer vor der Interparlamentarischen Union 1949 in Bern. Er legte damit ein klares Bekenntnis gegen die Machtballung, die zentralistische Machthäufung und Machtkonzentration ab, wie sie die zahlreichen zentralistischen Führerstaaten Europas, darunter Deutsches Reich (1933-1945), Königreich Italien (1921-1943) und Sowjetunion  (ab 1919) kennzeichnete.

Weitgehende Machtballung, Machtkonzentration und Einheitlichkeit in der Machtausübung seien hier als Merkmale des monistischen Politikverständnisses angesehen.

Als wesentliches Merkmal der Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland muss dagegen in der Tat eine weitgehende Machtverteilung, Machtstreuung und Gewaltenteilung gelten.

Von besonderem Interesse ist heute, dass die Währung des Staates (also die D-Mark) streng unabhängig von der Politik gehalten wurde. Die Bundesbank war bis zur Errichtung der EZB weisungsunabhängig; die Währung bzw. die sie steuernde Zentralbank  war in der alten Bundesrepublik Deutschland kein Teil des politischen Systems, wie sie es hingegen seit jeher in Frankreich, Italien oder den USA ist.

Als Beleg für die These, dass die Währung kein Teil und kein Gegenstand  der Politik war, mag gelten, dass es durchaus brauchbare Darstellungen des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland gibt, die der Währung bzw. der Zentralbank keinerlei Aufmerksamkeit widmen, so etwa das Buch „Das politische System Deutschlands“ von Stefan Marschall, erschienen bei der Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2015.

Allerdings wurde genau deswegen die DM nie in Frage gestellt; sie stand abseits des Parteienstreits; alle Parteien, alle Bürger wollten die DM nach wenigen Jahren des Zweifelns; nicht zuletzt deshalb war die DM und die soziale Marktwirtschaft der alten Bundesrepublik bis 1996 so erfolgreich. Umgekehrt war und ist der Euro vor, während und nach seiner Einführung in dem meisten EU-Ländern umstritten gewesen, heute sogar mehr denn früher. Er ist in schroffem Gegensatz zur früheren DM durch und durch politisiert.

So ist denn der EZB der Eurozone mittlerweile eine ungeheuerliche Machtfülle zugewachsen; ihre geldpolitischen Maßnahmen können der Eurozone den Garaus machen oder auch neues Leben einhauchen! Diese überragende Machtfülle der EZB manifestiert sich im offensiv eingeforderten Glaubenskenntnis des EZB-Chefs Mario Draghi: „Believe me … believe me … it will be enough.“ Der geforderte Glaube richtet sich bezeichnenderweise nicht auf das politische System des Euro, sondern auf eine und nur eine Person – den redenden EZB-Direktor selbst. Das ist politischer Monismus in Reinstform!

Zurück zur Bundesrepublik! Vertikal haben wir die Machtverteilung und Machtstreuung im dreistufigen Aufbau der Gebietskörperschaften nach Gemeinden, Bundesländern und der Bundesrepublik, horizontal haben wir die Machtverteilung in der systematischen Trennung von gesetzgebender, ausführender und rechtsprechender Gewalt, wobei im parlamentarischen System eine gewisse Überlappung zwischen Legislative und Exekutive unvermeidlich ist. Legislative und oder Exekutive sehen sich jedoch stets einer unabhängig agierenden „anderen Gewalt“ gegenüber, der Gerichtsbarkeit, die sehr oft mit größter Selbstverständlichkeit gegen die Regierung entscheidet.

Insofern kann man durchaus von einem Dualismus sprechen, der das gesamte Staatsdenken und die politische Praxis der Bundesrepublik Deutschland durchzieht. Nie kann EINER oder EINE allein ihren Willen durchsetzen, stets muss die mächtigste Figur im Spiel – also etwa der Bundeskanzler – gewärtig sein, irgendwo ausgebremst zu werden. Ein echtes „Durchregieren“ der Mehrheit kann es in der Bundesrepublik nicht geben.

Die Bundesrepublik Deutschland ist also geprägt durch einen vielfältigen Dualismus oder auch Pluralismus an Entscheidungsträgern und Machtinstanzen. Sie ist das glatte Gegenteil eines monistisch aufgebauten Staates, wie ihn beispielsweise Thomas Hobbes forderte.

Typisch für das eindeutig monistische EU-Recht ist hingegen der größtmögliche Konzentrationsgrad an Entscheidungskompetenzen bei der Zentrale.  Dies gilt insbesondere für die Kommission als zentrale Macht- und Gesetzgebungsbehörde der EU. Sie ist ganz nach dem jahrhundertealten Muster der französischen Zentralverwaltung aufgebaut. Ein Blick auf Art. 17 des EU-Vertrages lehrt dies auf frappante Art.

Der Kommission stehen demnach unter anderem zu:
Rechtsetzung einschließlich des Initiativrechtes, Beteiligung an sämtlichen Rechtsetzungsakten der EU; Erlass von zwingenden Durchsetzungsbestimmungen; Erlass von zwingend einzuhaltenden Richtlinien; Entscheidungen im Verwaltungsvollzug; Kontrollaufgaben (Vertragsverletzungsverfahren; Nichtigkeits- und Untätigkeitsklagen; Genehmigung bzw. Nichtgenehmigung der Abweichungen von unionsrechtlichen Regeln).

Als ewig strahlender Vordenker eines monistischen Staatsverständnisses muss Thomas Hobbes gelten; Machtverteilung, Gewaltentrennung, ein System an „Checks and Balances“, wie es das westliche Demokratiemodell und insbesondere die Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland auszeichnet, war ihm ein Symptom der Krankheit und des Zerfalls, ein Greuel, der letztlich zu Liederlichkeit, Staatsauflösung und verheerendem Bürgerkrieg geführt habe. Hobbes geißelt die Lehre von Gewaltentrennung sogar ganz ausdrücklich, nennt sie eine wahnhafte Ausgeburt der Gehirne  von Politlaien, von Juristen, die keine Ahnung von echter Machtausübung hätten. Es lohnt sich, seine Begründung im Original nachzulesen. Wir finden sie im Kapitel 29 des 2. Buches seines Leviathan von 1651:

There is a sixth doctrine, plainly and directly against the essence of a Commonwealth, and it is this: that the sovereign power may be divided. For what is it to divide the power of a Commonwealth, but to dissolve it; for powers divided mutually destroy each other. And for these doctrines men are chiefly beholding to some of those that, making profession of the laws, endeavour to make them depend upon their own learning, and not upon the legislative power.

 Posted by at 17:21

„Ich wollte das Haus mit dem Dache zu bauen beginnen“

 Europäisches Lesebuch, Haß, Staatlichkeit, Tugend, Verfassungsrecht  Kommentare deaktiviert für „Ich wollte das Haus mit dem Dache zu bauen beginnen“
Aug 102015
 

Schloss Wusterhausen20150808_173017

Unser denkwürdiger Besuch vorgestern im Jagdschloß Wusterhausen! Die ungelenken Malübungen des Königs, aufgehängt im Festsaal des Schlosses, verfehlten in all ihrer grotesken Übertreibung eine anrührende Wirkung nicht. Man merkt den Bildern an, aus welchen körperlichen und seelischen Schmerzen sie entstanden sein müssen. „Ich wollte das Haus mit dem Dache zu bauen beginnen“, bemerkt der König selbstkritisch einmal. Der König hatte Wassersucht und Gicht, das Malen war seine Ergotherapie. „Nun malte König Friedrich Wilhelm seine Bauern, wie er vordem immer sein Gesinde zu porträtieren pflegte, als sei ein treues Gesicht so rar, daß man es festhalten mußte! Fünf Tage brauchte König Friedrich Wilhelm für ein Bild; und wenn er gar zu große Schmerzen hatte, ließ er sich auch noch die Umrisse vorzeichnen“, schreibt Jochen Klepper in seiner Biographie „Der Vater. Roman eines Königs“.

„Ich muß sagen das ich mich nit Ruinieren kan weitter mein geldt wegzuschmeißen und ich es vor Gott und meine kinder nit verandtworten kan da Preußen mir klug gemachet. graben Bauen viehe kauffen ist aus und werde mit Gottes hülfe kein pfen mer verquaquelen den ich die Risee bin gewehsen von der gantzen Weldt und meine schöne verfassung armée und alles übern hauffen zu gehen sehr sehr nahe gewesen“

So äußerte sich – hier in originaler Schreibung wiedergegeben – König Friedrich Wilhelm I., als ihm eins der kühnsten Infrastrukturprojekte des 18. Jahrhunderts, der Elbe-Havel-Kanal vorgelegt wurde. Die damals nur vorgedachte, durchgehend schiffbare Verbindung zwischen Elbe und Havel wurde erst im 20. Jahrhundert hergestellt.

Man sieht: der Staatsbankrott, die Zahlungsunfähigkeit des Staates waren zu Beginn der Regierung von Friedrich Wilhelm I. nicht nur ein Schreckgespenst, sie waren eine echte Gefahr! Die Mittel gegen den drohenden Staatszerfall, die im Laufe der Jahre 1713-1740 zum Erfolg führten, dürften zum Teil überzeitlich gültig sein: Pflichttreue, Sparsamkeit (beginnend bei der Hofhaltung), drastische Sparmaßnahmen, Landesausbau, Förderung und Ansiedlung der Gewerbe, Ausbildung der Bauern und Bäuerinnen in Haus- und Feldwirtschaft,  Ansiedlungsmaßnahmen in schwachbesiedelten Gebieten – etwa im Oderbruch und im pestverheerten Litauen, gezielte Ansiedlung und Aufnahme von Vertriebenen und Asylanten (15.000 Religionsflüchtlinge aus Salzburg!), Kampf gegen Korruption und Bestechlichkeit, Verwaltungsreformen, Straffung der Administration, Herausbildung einer absolut loyalen Beamtenschaft, Beschneidung der Privilegien der oberen Stände.

Dann aber auch der Haß, das tiefe, unheilbare Zerwürfnis mit dem eigenen Sohn! „- er eigensinniger, böser Kopf, der nicht seinen Vater liebet!“, schreibt der Vater dem Sohn.  Klepper merkt an: „Der einundvierzigjährige Mann und der siebzehnjährige Jüngling saßen, durch wenige Stufen, Wände und Balken getrennt, am Schreibtisch und klagten sich in Briefen an, als gelte es, aller Welt und künftigen Zeit die Dokumente solcher Erbitterung zu überliefern.“

Die Briefe der beiden sind erhalten. Unfassliche Dokumente des abgrundtiefen Grams, die sich mühelos an die Seite der Gemälde des Königs stellen lassen.  Welches Bild des gequälten, verlassenen,  verworfenen Menschen tritt da hervor?

Quellen:
Jochen Klepper: Der Vater. Roman eines Königs. Deutscher Taschenbuch Verlag, München, 5. Aufl. 1986, hier bsd. S. 488-489, S. 613-614, S. 620-621

„Geschichtsmächtiger Sonderfall der territorialstaatlichen Entwicklung: Brandenburg-Preußen“, in: Der große Ploetz. Die Enzyklopädie der Weltgeschichte, 35. Aufl., Freiburg 2008, S. 916-920

Bild: Ansicht des Jagdschlosses in Königs Wusterhausen, Aufnahme vom 08. August 2015

 

 Posted by at 17:33

Tugend, Liebe, Eintracht – Schlüsselwörter der Nationenbildung

 Staatlichkeit, Thüringer Städtekette  Kommentare deaktiviert für Tugend, Liebe, Eintracht – Schlüsselwörter der Nationenbildung
Aug 062015
 

schwarzrotgold20150716_135753
Hier im Festsaal der Wartburg erhalten heute die Eisenacher Abiturienten jedes Jahr ihr Abiturzeugnis überreicht. Ein besonderer, ein erhebender Augenblick, wie uns unsere Burgerzählerin aus eigner Erfahrung versicherte!

Die Flagge links an der Wand geht auf die Burschenschaften vom Wartburgfest des Jahres 1817 zurück. Hier in Eisenach wurden 1817 erstmals die Farben Schwarz-Rot-Gold als Bekenntnis zum erstrebten deutschen Nationalstaat verwendet. Die Flagge der heutigen Bundesrepublik Deutschland und der früheren Deutschen Demokratischen Republik findet hier, in der Flagge der deutschen Burschenschaften ihren Ursprung. Die Studenten von 1817 wünschten sich einen einheitlichen, alle Deutschen im Geist der Freiheit und Gleichheit umfassenden Staat, der auf dem Gedanken des Volkswillens und des gleichen Rechts für alle aufruhte.

In ihrer Einladung zum Wartburgfest schrieb die Jenaer Urburschenschaft 1815 folgende Sätze:
„Der Himmel segne unser gemeinsames Streben Ein Volk zu werden, das voll der Tugenden der Väter und Brüder durch Liebe und Eintracht die Schwächen und Fehler beider beseitigt.“

 Posted by at 16:51

Hat uns Homer heute noch etwas zu sagen? Zu Od. VI, 180-186

 Europäische Union, Homer, Staatlichkeit  Kommentare deaktiviert für Hat uns Homer heute noch etwas zu sagen? Zu Od. VI, 180-186
Jul 072015
 

Mögen dir Götter geben, soviel du dir immer wünschest,
Mann und Haus, und damit einhergehend Eintracht
in Lauterkeit; nichts Stärkeres oder Beßres gibt es ja,
Als wenn einträchtig das Haus besitzen einigen Sinns
Mann und Frau; das ärgert die Neidischen mit argem Verdruß
Und bezaubert die Wohlgesonnenen; am meisten mehrt es den Ruf ihnen selbst.

Soweit die Wünsche und Einsichten, die Odysseus nach seinem Schiffbruch gegenüber Nausikaa äußert (Homer, Odyssee, sechster Gesang, Verse 180-186, hier eigene Übersetzung des Bloggers). Wir brachten sie griechisch im vorigen Eintrag, der einem abendlichen Gang über die Monumentenbrücke entsprang.

Oikos, das „Haus“, ist die Grundlage des Wirtschaftens. Oikonomia, „Hauswirtschaft“ also, ist die Wurzel des Begriffs „Ökonomie“. Ökonomisches Denken geht bei den alten Griechen von kleinen, relativ selbständigen Einheiten des Erwerbens, Sicherns, Mehrens von Gütern und Diensten aus.

Vom „Haus“, oikos, geht es weiter zur Burg, „polis“ im archaischen Griechisch. Poleis wie etwa Ithaka, Sparta, Athen, Troia sind Zusammenschlüsse von Haushalten; zugleich Stätten des Austragens von ständigen Macht- und Gefolgschaftskämpfen. Ithaka selbst ward ausweislich der Odyssee in der Abwesenheit des kleinen Lokalherrschers Odysseus zerrüttet und gerüttelt von zahllosen kleineren Rivalitäten der machtbegierigen Kleinherren, der „Freier“, wie sie bei Homer heißen. Es fehlte die zentrale Herrschergewalt, es fehlten in jenen Jahrhunderten die ausdifferenzierten Institutionen, wie sie etwa ab dem 6. Jahrhundert v. Chr. sich langsam und mühsam durchsetzen.

Homophrosyne, Eintracht, einiges Denken und Fühlen, nicht starres Regelwerk und schriftlich fixierte Regeln, sollen laut dem Wunsch des Odysseus den Frieden und den Wohlstand der Hauswirtschaft sichern.

An der Wurzel des griechischen Politikverständnisses steht dieses ständige Ringen um Einmütigkeit, um eine Eintracht, die jederzeit gefährdet ist. Noch bei Aristoteles sind es – in seiner Politik und seiner Nikomachischen Ethik – nicht etwa die Regeln, deren Befolgen Glück und Gedeihen bewirken, sondern die Gemeinsamkeit des Fühlens, Handelns und Denkens, auch homonoia (Gemeinsinnigkeit) oder philia (freundschaftliche Zugewandtheit) genannt, die den politischen und ethischen Zusammenhalt der Stadt sichern. Politik ist nach diesem griechischen Verständnis ein Vorgang des streitigen Aushandelns, der nie zum Ende kommt und nur vorübergehend durch Verträge oder Gerichtsurteile stillgestellt wird. In der gesamten Antike bis in die Zeit des Hellenismus haben es die Griechen somit nie zu dem gebracht, was wir „Staat“ nennen; Staatlichkeit in diesem heutigen Sinne eines institutionalisierten, verlässlichen, rechtlich beständigen Ordnungsrahmens schuf erst das Imperium Romanum.

Und die Schwäche der institutionellen Staatlichkeit wurde durch die 5 Jahrhunderte osmanischer Herrschaft in Griechenland noch vertieft. Es war ein Irrtum zu glauben, dass der Beitritt zur EU – ganz zu schweigen vom Beitritt zur Eurozone – diese jahrtausendealte Tiefenprägung innerhalb weniger Jahrzehnte überwinden könne!

Was zählt, ist weiterhin die persönliche Gefolgschaft, die Loyalität zu einem Vordermann, das Charisma des Führers, heiße er nun Ioannis Metaxas wie 1940 oder Alexis Tsipras wie 2015.

Ohne Eintracht, so sagt es Homer, so sagt es Jahrhunderte später Aristoteles, keine gemeinsame Wirtschaft, keine erfolgreiche Politik! Genau an dieser Eintracht fehlt es der Europäischen Union unserer Tage in einem fundamentalen Sinne. An die Stelle dieser nicht vorhandenen Eintracht setzt sich nun der symbolische Herrschaftszusammenhang aus „Haben“ und „Sollen“, aus Kredit und Schulden. Ein selbstzerstörerischer Zirkel der wechselseitigen Vorwürfe, der Zwietracht ist unter der Oberherrschaft des Euro, des neuen Monarchen, der neuen zentralen Herrscherikone in Gang gekommen.

Der Euro, das System einer hoch differenzierten, dem einzelnen Bürger nicht zu erklärenden, darüber hinaus dysfunktionalen Institutionenbildung, steht quer zum personalistischen Politikverständnis, wie es in Griechenland und einigen anderen Ländern des Mittelmeerraumes vorherrscht.

In der jetzigen Situation wäre es unerlässlich, das im engeren, im griechischen Sinne Politische wiederzugewinnen. Wie? Hier meine ich: Das kann nur durch „Homophrosyne“ gelingen, also durch den glaubwürdig ausgehandelten Einklang im Fühlen, Handeln und Denken.

„Wir wollen zusammenbleiben, wir sind bereit, das und das dafür zu tun.“ Das wäre die Grundformel einer solchen Eintracht, an der es derzeit so bitter fehlt wie an nichts anderem. Fehlt es an dieser Eintracht, an diesem JA (dem Nai) und setzt sich das NEIN (das mythisch überhöhte Ochi), die ausgesäte Zwietracht durch, dann droht das Ende der politischen Union; das Geld, die Einheitswährung Euro kann als Surrogat des Politischen niemals die fehlende Eintracht ersetzen. Diesem Wahn gaben sich die führenden Politiker allzu lange hin.

 Posted by at 19:03

„Pénitence éternelle – ewige Reue“? Der Ruf des Mahners Thomas Piketty

 Europäische Galerie, Geld, Piketty, Staatlichkeit, Versöhnung  Kommentare deaktiviert für „Pénitence éternelle – ewige Reue“? Der Ruf des Mahners Thomas Piketty
Jun 252015
 

morgan_goya_pesadilla
Gute Einwürfe zum Thema Schuld und Schulden gestern am Johannestag, dem 24. Juni! Johannes der Täufer forderte die plötzliche, den ganzen Menschen erfassende Umkehr. Rückkehr zum Geglaubten, Erkenntnis der Fehler, öffentliches Bekenntnis, Vergebung und Verzeihung der Schuld, Erlass aller Schulden, raus aus der Schuld.

Das kann für die EU übrigens auch bedeuten: raus aus dem jetzigen Euroregime, das ähnlich dem 2. Weltkrieg einen Strudel an Staatsverschuldung ausgelöst hat.

Rückkehr zum Geglaubten, Umdenken, also metanoia, Erkenntnis der Fehler, öffentliches Bekenntnis! Das sind die Schritte, die Johannes predigt. Von ewiger Buße, „pénitence éternelle“, ist keine Rede. Schuldenschnitt, Streichung der Schuld! Johannes verlangt die Rückbesinnung auf das, was um des Geldes und der Macht willen verraten ward. Das Bußsakrament des Johannes ist gewissermaßen eine Art individuelle Schuldenkonferenz. Und danach – ist wieder gut.

Ganz ähnlich wie Johannes der Täufer kurz vor dem Auftreten Jesu äußerte sich Thomas Piketty mit klarem Rückgriff auf die katholische Theologie der „kurzen“ Buße gestern in der ZEIT. Piketty verwirft den Gedanken der ewigen Buße, der „pénitence éternelle“. Er verwirft den Gedanken der Alternativlosigkeit, wie ihn fast alle deutschen Bundestagsparteien – allen voran die CDU und die SPD – vertreten.

Piketty hat erkannt, dass die Politik der Spitzenpolitiker der EU die Länder in unhaltbare Verschuldung hineingetrieben hat. Es sei genauso schlimm wie am Ende des 2. Weltkrieges! Die Politik der EU-Staaten und der EU insgesamt hat finanztechnisch laut Piketty unter dem heillosen Euro-Regime genauso verheerend gewütet wie der 2. Weltkrieg. Eine beispiellos niederschmetternde Bilanz.

Am schlimmsten ist zweifellos der Vertrauensverlust. Vertrauen zwischen den Staaten ist zerstört worden. Vertrauen der Bürger in die Weisheit und Einsichtsfähigkeit der Politiker ist zerstört.

Martin Schulz, der Präsident des Europäischen Parlaments, hat sich ganz im Sinne des Täufers geäußert, als er zur Begrüßung des Papstes im Europäischen Parlament im November 2014 sagte: „Besonders dramatisch ist der Vertrauensverlust von Menschen ihren Institutionen gegenüber. Ob auf nationaler oder europäische Ebene: Der Vertrauensverlust ist enorm. Ohne Vertrauen aber kann keine Idee und schon gar keine Institution dauerhaft bestehen.

In einer kanadischen Zeitung fand ich folgende Bemerkung Thomas Pikettys über den raschen, den entschlossenen Wandel, die Umkehr zum Besseren, wie ihn auch Johannes der Täufer forderte, wobei ich mir erlaube, den Begriff ewige Buße – pénitence éternelle – hervorzuheben:

«Ce que nous enseigne l’histoire, c’est qu’il y a toujours des alternatives afin de réduire la dette publique. Mais l’idée que la seule possibilité, c’est la pénitence éternelle en remboursant lentement par des excédents budgétaires, cette idée est toute simplement fausse historiquement puisqu’on observe plusieurs cas de figure où les choses se sont faites beaucoup plus rapidement et cela n’a pas nui aux pays», analyse l’économiste.

Source: L’apôtre de l’anti-austérité | Le Journal de Montréal

Bild: Los desastres de la deuda pública – una pesadilla. Zeichnung von Francisco Goya. The Morgan Library Museum

 Posted by at 07:03
Jun 012015
 

„Sonderfall Ukraine“, unter diesem zutreffenden Titel beschreibt Hugo Portisch in seinem phantastisch reich bebilderten Band über „Aufstieg und Fall des Sowjetkommunismus“ das in der Tat beispiellose Leiden der Ukraine unter der militärischen Bedrohung, der Unterdrückung und Zerstückelung der Ukraine durch Polen, durch das Russische Reich, durch die Sowjetunion und durch das Deutsche Reich in den Jahren 1917-1945. Wir fassen einige Grunddaten ukrainischer Geschichte zusammen:

Starke Bestrebungen, das Land aus russischer Herrschaft in die Unabhängigkeit zu führen, brachen sich nach der russischen Februarrevolution des Jahres 1917 Bahn. Alle ukrainischen Parteien – auch die linken Sozialdemokraten – forderten damals nationale Unabhängigkeit, wobei grundsätzlich der Verbleib innerhalb des Russischen Reiches nicht ausgeschlossen wurde. Nach dem gewaltsamen bolschewistischen Staatsstreich, der „Oktoberrevolution“ des Jahres 1917, verweigerte die ukrainische Rada den Bolschewiki Lenins die Anerkennung und erklärt die staatliche Eigenständigkeit. Die neue Sowjetregierung erklärt der Ukraine umgehend am 17.12.1917 den Krieg.

Am 9. Januar 1918 ruft die Zentralrada in Kiew die „Unabhängige Souveräne Ukrainische Volksrepublik“ aus. Danach marschieren die deutschen sowie die österreichisch-ungarischen Truppen ein. Am 1. November 1918 wird die „Westukrainische Volksrepublik“ proklamiert. Am 6. Februar 1919 marschiert die Rote Armee Trotzkis in Kiew ein, und die Ukraine wird am 8. April 1919 fester Bestandteil der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik. Am 25.04.1920 wiederum erteilt der polnische Diktator, der General Józef Piłsudski, den Befehl, Sowjetrussland entlang der gesamten Grenze anzugreifen.

Allein schon diese wenigen Daten zeigen, dass die Ukraine in der sogenannten „Zwischenkriegszeit“ mehrfach von Polen, Russland und Deutschland angegriffen wurde, ehe sie dann vorerst endgültig Teil der Sowjetunion wurde.

Doch das Schlimmste waren nicht die Kriege, die Russland, Polen und das Deutsche Reich gegen die Ukraine vom Zaun brachen, das Schlimmste war der sowjetisch-nationalsozialistische Doppelschlag aus erstens dem Holodomor und zweitens dem Holocaust. Letzterer, der Holocaust, füllt viele Buchregale, Videotheken und Bibliotheken, der erste, der Holodomor ist nahezu vergessen. Wie kam es dazu?

Im Jahr 1929 fordern die sowjetischen Kommunisten wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage die Vernichtung eines Großteils der ukrainischen Landbevölkerung, der sogenannten Kulaken.

Die bäuerliche Landwirtschaft wird von der kommunistischen Führung im Zuge der Zwangskollektivierung systematisch zerstört. Die Kulaken – also die selbständige ukrainische bäuerliche Bevölkerung – werden teils sofort erschossen, teils in Lager deportiert, aus denen sie meist nicht wiederkehren. Andere Kulaken werden verbannt, die Menschen werden in Viehwaggons eingepfercht, „in eisiger Kälte oder in brütender Hitze ohne Wasser“. Die Ärmsten unter den Kulaken werden obdachlos gemacht, sie vegetieren in den 30er Jahren unter sowjetischer Herrschaft auf den Straßen dahin und sterben wie die Fliegen.

Es gibt Augenzeugenberichte und Fotos darüber, wie hungernde ukrainische Familien in ihrer abgrundtiefen Verzweiflung nach und nach die Schwächsten töteten und danach verspeisten. Kannibalismus, Menschenfresserei aus Hunger – von Trotzki ausdrücklich gutgeheißen – war unter der Herrschaft der sowjetischen Kommunisten in der Ukraine, der einstigen Kornkammer des Russischen Reiches, ein nicht nur vereinzeltes Phänomen.

Berichte über diese Massenmorde, über die Vernichtung eines großen Teils der ukrainischen Bevölkerung erreichten sehr wohl regelmäßig das Ausland. Doch keine ausländische Macht griff ein.

Etwa 10 Millionen Ukrainer wurden in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts durch die sowjetische Führung planmäßig durch Massenerschießungen, durch Vertreibungen und Zwangsarbeit sowie durch gezieltes Verhungernlassen vernichtet. Massenerschießungen, Deportationen, häufig zum Tod führende Zwangsarbeit in der Sowjetunion: Es handelt sich zusammen mit den Kolonialgreueln in Kongo unter dem belgischen König Leopold und zusammen mit dem nationalsozialistischen Holocaust an den europäischen Juden wohl um den schrecklichsten Genozid im Europa des 20. Jahrhunderts. Je nach Bewertungsmaßstab übertrifft der Holodomor am ukrainischen Kulakentum den Holocaust an den europäischen Juden in Grausamkeit und Brutalität sogar noch oder kommt ihm nahe. Der Holodomor ist zweifellos grausamer und schrecklicher gewesen selbst noch als die auf ihn folgenden „Säuberungen“ des sowjetkommunistischen Systems der späten 30er Jahre. Denn der Holodomor dauerte länger als die Säuberungen, der Holodomor forderte nach Schätzungen 8 bis 10 Mal so viele Menschenleben, er betraf eine gesamte Bevölkerung. Und es gab fast keine Überlebenden. Selbst heute ist dieser Genozid am ukrainischen Volk, der ungesühnt und kaum erinnert dem ebenso schrecklichen Holocaust vorausging, selten Gegenstand der öffentlichen Erinnerung außerhalb der Ukraine.

Der Bildband von Hugo Portisch (ich kaufte ihn gestern auf dem Flohmarkt am Rathaus Schöneberg für € 1.-) sei allen empfohlen, die sich für eine vollständige Schreckensgeschichte des 20. Jahrhunderts im Zeitalter der Weltkriege interessieren und insbesondere das militärisch-politische Zusammenspiel zwischen der kommunistischen Sowjetunion und dem Deutschen Reich in den Jahren 1924 bis 1941 näher erkunden möchten.

Hinweis:
Hugo Portisch: „Sonderfall Ukraine“, „Die Vernichtung der Kulaken“, in:
Hugo Portisch: Hört die Signale. Aufstieg und Fall des Sowjetkommunismus. Mit einem Nachwort zur Taschenbuchausgabe. Mit zahlreichen Schwarzweißfotos. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1993, S. 124-131 sowie S. 220-223

 Posted by at 18:00
Dez 102014
 

20141025_102612

Zu den Professoren an der Leukorea in Wittenberg zählte neben Melanchthon auch zeitweilig Giordano Bruno. Von ihm sah ich im Oktober dieses Jahres, hinter dickem Panzerglas ausgestellt, hingerissen seinen handschriftlichen Stammbucheintrag „Nihil sub sole novum“ im Lutherhaus. Ich hege keinen Zweifel, das Original dieses Eintrags gesehen zu haben.

Bruno lehnte den Begriff des radikal Neuen ab. Das, was uns als neu erscheint, erscheint eben nur so. „Von der Sonne aus betrachtet“, „im wesentlichen“, war es immer schon, ist immer, und wird auch wieder sein.

In der Weltgeschichte vermag man mit einigem Suchen mehr und mehr Spuren der Wiederkehr des Immergleichen zu erkennen. So wogt die Debatte über die verschleppte, die verschlafene EU-Reform derzeit um den Begriff des Wirtschafts-„Direktoriums“, des Directoire, wie es ähnlich bereits in den Jahren 1795-1799 in Frankreich installiert wurde.  Sinn des Directoire war es nach dem großen Terreur, durch ein mit 5 „Direktoren“, 8 „Ministern“ und 5 „Kommissaren“ besetztes Kontrollgremium den drohenden Staatsbankrott abzuwenden. Das Vorhaben scheiterte, der Staatsbankrott war so nicht abzuwenden, Napoleon ergriff die Macht; der Versuch der Lenkungswirtschaft führte zu einer Wiederauflage des Kaiser-Gedankens. Nil sub sole novum!, hätte Bruno wohl ausgerufen.

Giscard d’Estaing empfiehlt nun nachdrücklich in seinem neuen Buch „Europa“ eine Neuauflage der Directoire-Verfassung! Und er nennt das oberste Lenkungsgremium sogar ganz ausdrücklich Directoire.

Genau dieses „Directoire“ scheint auch die Keimzelle des Gedankens der „Gouvernance économique“, der „Wirtschaftslenkung“ zu sein, wie sie seit Jahren in der EU-Debatte gefordert wird und wie sie Jean-Claude Juncker offenkundig favorisiert.

In klarem Gegensatz zur Directoire-Verfassung steht der föderative Aufbau der sozialen Markwirtschaft, wie sie die Bundesrepublik Deutschland bis 1999 verkörperte. Dass der Zentralstaat lenkend und regelnd, steuernd und vorschreibend bis in die Löhne und Gehälter, bis in die Zentralbankzinsen hineinregiert, war in der Bundesrepublik früher undenkbar; erst seit wenigen Jahren ist es durch die aus französischem Geist erschaffene EU-Apparatur hoffähig geworden.

Schwenkt also die Bundesrepublik nach dem Zwischenspiel der „Sozialen Marktwirtschaft“ eines Konrad Adenauer oder Ludwig Erhard jetzt auf die wesentlich ältere Linie des Directoire, der Gouvernance économique ein? Bundesweite Mietpreisbremse, gezieltes Ankurbeln der Inflation, Aufkauf von Staatsanleihen, ABS, Quantitative Easing, Hochpuschen der Geldmenge  usw.usw.: es gibt viele Anzeichen für diese rückwärtsgewandte, diese im Wortsinn reaktionäre Wende der Finanz- und Wirtschaftspolitik. Die Keynesianer in den USA erwarten es von uns, die  hochverschuldeten Euro-Partner erwarten es von uns. Das Directoire, also der engere Führungszirkel der EU-Kommission, soll den größten Wirtschafts- und Währungsraum der Erde retten.

Lesehinweise:
„Das Direktorium“, in: dtv Atlas Weltgeschichte, München 2006, S. 299
„Die französische Verfassung von 1795“, in: Putzger Historischer Weltatlas, 103. Auflage, Cornelsen Verlag, Berlin 2001, S. 119
Valéry Giscard d’Estaing: „Le parcours. La structure institutionelle d’Europa et le Directoire“, in: ders., Europa. La dernière chance de l’Europe. Paris 2014, S. 163-174

 

 

 Posted by at 08:17

Wir aber sind frei, mögen sie auch ihr geliebtes Geld hätscheln und hedgen!

 Antike, Eigene Gedichte, Philosophie, Staatlichkeit  Kommentare deaktiviert für Wir aber sind frei, mögen sie auch ihr geliebtes Geld hätscheln und hedgen!
Okt 132014
 

Schafe 20141004_182733

 

 

 

 

 

 

Mögen sie doch ihr geliebtes Geld hätscheln und hedgen!

Gutes, erquickendes Losschütteln der Sorgen ums Geld, das ich am Wochenende feierte! Das „Lied vom unfruchtbaren Weinberg“ aus dem Buch Jesaja wies mir den Weg!  Jesaja erkannte, dass Recht und Gerechtigkeit, dass Barmherzigkeit und Vergebung, dass Freiheit und Wahrheit über dem Willen der Fürsten und Mächtigen thronen. Das wahre Wort ist wichtiger als das Geld, das freie Wort zählt mehr als die Währung.

„Das Geld, das geliebte Geld ist stärker als Recht und Gerechtigkeit, die Währung ist wichtiger als das gegebene Wort!“

So sprechen die Heuchler und Krämerseelen.
Sie haben das gute C ihres Namens in ein € verwandelt.
Auf dem € singen sie, auf das € schwören sie,
wie sie sich früher auf das C beriefen. So sprachen sie:

„Jeder, der angreift das hohe, das zweigestrichene €,
ist eine Schande für unsere Heimat. Eine Schande für Deutschland!
Ihn treffe der Bannfluch.
Denn das € ist heilig. Mit dem schändlichen Zweifler
setzen wir uns an keinen Tisch.  Alles dürft ihr bezweifeln,
am zweigestrichenen €, das aus dem tiefen C hervorging,
dürft ihr nicht zweifeln. Von dieser Frucht dürft ihr nicht nicht essen!
Esst – oder ihr werdet gestopft! Ein Greuel sind uns all jene,
die das Geld nicht zum obersten Wert erklären.
Scheitert das zweigestrichene €, so scheitert der Kontinent.“

Also verehrten sie das Geld, das Geld ward ihnen zum Maß aller Dinge.
Ihm unterjochten sie alle Völker. Eine eiserne Hecke umschlang den Weinberg,
gefangen waren die Menschen im Weinberg wie irrende Schafe.
Was half ihnen all das Jammern und Zagen, das Pochen und Feilen am zweigestrichenen €?

Dieser Weinberg verfiel dennoch, im Süden des Weinbergs verdorrten die Böden,
im Norden des Weinbergs blähten sich Hoffahrt und Stolz. Geiz und Habsucht,
Zank und Hader verkehrten die einen gegen die andern,
wandten das Herz des Südens gegen das Herz des Nordens.

„Il attendait le droit et voici l’iniquité, la justice et voici les cris.“

Statt Gerechtigkeit – Schlechtigkeit, statt Barmherzigkeit
herrschte  Schmächtigkeit im Weinberg!

Bitter wurde der Wein, sauer wurden die Trauben,
von denen sich die Trinker betranken.
Den Trinkern und den Töchtern und Söhnen der Trinker
wurden die Zähne stumpf.

Da ertönte die Stimme – und von denen, die sie hörten, wußte später  niemand mehr,
ob sie von innen oder von oben kam:

„And now I will tell you
What I will do to my vinyard:
I will remove its hedge —“

Das ist zu Deutsch: Ich werde die Hecke des Weinbergs einreißen,
den Schafen werde ich die Freiheit zurückgeben,
sie sollen sich tummeln auf grüner Au!

Und wieder ertönte die Stimme:

„Ich sag‘ es euch: ein Kerl, der auf den € spekuliert,
Ist wie ein Tier, auf dürrer Heide
Von einem bösen Geist im Kreis herum geführt;
Und rings umher liegt schöne grüne Weide.“

Auf, ihr Kerls, hängt euer Herz nicht länger ans Geld, ringsherum ist grüne Weide.
Lasst euch nicht einzwängen, lasst euch nicht hätscheln, lasst euch nicht hedgen!

Atmet frei! Sprengt eure Fesseln!

Geht! Atmet! Dehnt euch, streckt euch.

Ihr könnt! Glaubt! Ihr seid frei!

 

Quellen Europas:
Le chant de la vigne, in: Le livre d’Isaïe. In: La Bible de Jérusalem. Les éditions du cerf, Paris 1998, Seite 1234, hier: Kapitel 5, Vers 7
The Book of Isaiah, in: The Holy Bible. Revised Standard Version. CollinsBible, Stonehill Green 1952, Seite 603, hier Kapitel 5 Vers 5
Johann Wolfgang Goethe. Faust. Texte. Herausgegeben von Albrecht Schöne. Deutscher Klassiker Verlag, Frankfurt 1999, S. 80, hier: Vers 1830

 Posted by at 22:58
Okt 102014
 

2013-04-09-17_48_05-300x225

Er hoffte auf Rechtsspruch, doch siehe da: Rechtsbruch.“ So äußerte sich der aus Jersualem stammende  israelische Publizist, Dissident und Lyriker Isaiah Nabi (hier zitiert  in deutscher Übersetzung aus dem Hebräischen) am vergangenen Sonntag in Kapitel 5, Vers 7 seines weltweit gelesenen Bestsellers „Das Buch Jesaja“. Wird Isaiah Nabi heute endlich den längst ihm zustehenden Friedens-Nobelpreis erhalten? Verdient hätte er ihn seit langem! Isaiah beklagt die Erosion des Rechts-Bodens, er gerät in Zorn über die Aushöhlung der Rechtlichkeit im Weinberg eines Freundes.

Wie in Israel am Sonntag – so auch heute in Kreuzberg!  Es gibt eine Erosion des Rechtsstaates von innen und von unten her zu beklagen. Eine Art Unterhöhlung der Rechtsstaatlichkeit setzen mit Zutun des Bezirksamtes Friedrichshain-Kreuzberg und des Berliner Senats die neuen Hausbesitzer – fälschlich „Flüchtlinge“ genannt – in der Gerhart-Hauptmann-Grundschule seit Winter 2012/1013 ins Werk. Wir einfachen steuerzahlenden Bürger dürfen seit Monaten beobachten, wie die beteiligten Politiker – vielleicht mit Ausnahme des redlichen Hans Panhoff (Grüne) – seit Monaten einander den schwarzen und grünen Peter zuschieben. Neuester cooler Move, mit dem Bürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne) den Grünschwarzen Peter an die Adresse von Senator Frank Henkel (CDU) zurückschiebt: „Er hätte schon längst räumen können. Er muss nicht warten, bis der Bezirk die Polizei zu Hilfe ruft.“

Tja, Freunde, was grünes Bezirksamt und rot-schwarzer Senat seit Monaten in dieser Sache  abliefern, könnte als Volksbelustigung durchgehen, wenn es nicht so bitter ernst wäre – bitter ernst, und wahnsinnig teuer.

Dann sollte man sich morgen die Lage einmal vor Ort anschauen. Gnädig wie sie nun einmal sind, haben die Hausbesitzer – fälschlich immer noch Flüchtlinge genannt – für morgen in die gute Stube eingeladen. Die tatsächlichen Herren und Besitzer des Hauses laden morgen zum Tag der offenen Tür in der Gerhart-Hauptmann-Schule. Großzügig!

Aber das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg steht den neuen Herren der Gerhart-Hauptmann-Schule in Großzügigkeit  nicht nach! Das Bezirksamt hat für die wahren Besitzer der Gerhart-Hauptmann-Grundschule die Spendierhosen angezogen. Da müssen Kitas, Bibliotheken, soziale Dienste, Schulküchen eben zurückstecken: Haushaltssperre im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg! Aber lest selbst, was der Tagesspiegel berichtet:

Die Situation hat den Bezirk in Finanznot gestürzt: Es fielen 1,5 Millionen Euro zusätzliche Kosten an, etwa für Wachschutz (593 000 Euro), Bewirtschaftung des Gebäudes (628 000 Euro), Unterbringung von Roma-Familien (65 000 Euro) und freiwillige Geldzahlungen an die Bewohner (97 000 Euro), wie aus der Antwort auf eine Kleine Anfrage im Abgeordnetenhaus hervorgeht. Der Bezirk hat eine Haushaltssperre verhängt.

via Gerhart-Hauptmann-Schule: Flüchtlinge laden zum „Tag der offenen Tür“ – Berlin – Tagesspiegel.

Bild: ein Blick auf die versperrte Gerhart-Hauptmann-Schule

 Posted by at 10:12

Steht der Bundesrepublik Deutschland die Staatskrise bevor – oder ist sie schon da?

 Grundgesetz, Staatlichkeit  Kommentare deaktiviert für Steht der Bundesrepublik Deutschland die Staatskrise bevor – oder ist sie schon da?
Okt 092014
 

Schafe 20141004_182733

 

 

 

 

 

Von einer bevorstehenden Staatskrise der Bundesrepublik Deutschland sprach kürzlich Jürgen Stark bei der Vorstellung eines Buches von Hans-Werner Sinn. Haben Jürgen Stark, der ehemalige Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank EZB, und der Buchautor Hans-Werner Sinn recht? Steht die Bundesrepublik Deutschland wirklich vor einer Staatskrise? Nimm und lies – tolle lege:

http://www.welt.de/wirtschaft/article133062562/Deutschland-steht-vor-einer-Staatskrise.html

Ja oder nein? Ich meine: wir erleben in der Tat eine massive, bereits voll erblühte  Sinnkrise in der Bundesrepublik Deutschland. Nicht viele spüren dies heute schon. Aber sie ist da. Wenn diese Sinnkrise erkannt wird, gelingt es vielleicht noch, eine echte Staatskrise Deutschlands und vieler anderer europäischer Länder abzuwenden.

Die drohende Staatskrise oder besser  die aktuelle Sinnkrise der Bunderepublik Deutschland drückt sich meines Erachtens unter anderem – aber nicht nur – darin aus, dass ganz wesentliche Teile des derzeitigen politischen Führungspersonals (namentlich die Kabinette Merkel I, II und III, die CDU/CSU als Kollektiv, die SPD, die FDP insgesamt und die Bündnisgrünen als Kollektiv) die EU-Verträge und namentlich die Einheitswährung Euro höher werten als den Grundsatz der Bindung demokratischen Handelns an das Recht und an die Vernunft – und höher sogar als das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland.

Diese Geringerschätzung des Grundgesetzes, des Rechts und der Vernunft halte ich meinerseits für falsch. Denn die zwischen Regierungen geschlossenen Verträge, etwa die EU-Verträge, haben meiner festen Überzeugung nach einen geringeren Wert als die Verfassungen der demokratischen EU-Staaten oder das deutsche Grundgesetz.

Die genannten politischen Kollektive und Parteien haben beispielsweise – doch ist dies nur eines von vielen möglichen Beispielen – wiederholt und explizit den Erhalt des Euro als höherwertig gegenüber dem Erhalt der Bundesrepublik Deutschland bewertet: „Scheitert der Euro, dann scheitert Europa“, „Der Euro sichert Deutschlands Wohlstand“, „Der Euro sichert den Frieden in Europa„, ist das wörtlich und sinngemäß von Bundeskanzlerin Merkel und anderen oft und oft vorgetragene Glaubensbekenntnis dieser fahrlässig herbeigeführten Staatskrise der Bundesrepublik Deutschland. Der Erhalt des Euro, der innige, geradezu in singendem Tonfall vorgetragene Glaube an den Euro wurde zum höchsten Gut erklärt, der Euro wurde so Symbol und oberste Richtschnur allen politischen Handelns.

Das aber — ist eine reine Glaubenssache. „Believe me … believe me„, „Glaubt mir … so glaubet mir … “ so lautete die flehentlich vorgetragene Bitte, oder vielmehr das Gebet um Glauben bei jener berühmten Pressekonferenz am 26. Juli 2012, mit welcher – so das europäische Glaubensbekenntnis – der Euro, zugleich der Wohlstand Deutschlands, zugleich der Frieden in Europa und zugleich das unerschütterliche Vertrauen in das Geld als oberste Richtschnur allen politischen Handelns ein für allemal gerettet worden ist. Tolle lege – nimm und lies:

http://www.ecb.europa.eu/press/key/date/2012/html/sp120726.en.html

Die genannten politischen Kräfte  haben sich also wieder und wieder dafür entschieden, den EU-Verträgen und dem Euro höheren Wert als dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland einzuräumen. Und am schlimmsten: Nicht einmal die doch vorgeblich höher als das Grundgesetz gewerteten EU-Verträge werden von genau diesen Regierungen und genau diesen Parteien eingehalten. Eine geistige Bankrotterklärung.

Politik beginnt mit dem Erkennen dessen, was bereits eingetreten ist. Dann beginnt die Umkehr vom Irrweg der Schafe.

„Denket um, verzeiht einander, erlasst einander die Schuld.“ Not tut jetzt eine Umkehr, eine Besinnung auf das, was Europa zusammenhalten und wieder zusammenführen könnte.

Wenn es denn – trotz aller Glaubensbekenntnisse – nicht der Euro und nicht das Geld ist – wer oder was könnte es sein?

Bild: Schafe im Schloss, friedlich eingehegt auf dürrem Feld. Aufnahme vom vergangenen Samstag. Schloss Britz, Bezirk Neukölln, Berlin, Deutschland, Europäische Union.

Buchhinweis:

Hans-Werner Sinn: Gefangen im Euro. Redline Verlag, München 2014

 

 Posted by at 11:08