März 132010
 

„Er war verloren und ist wiedergefunden worden“, so heißt es in der alten, ewig jungen Geschichte vom verlorenen Sohn. „Jetzt müssen wir uns doch freuen und ein Fest feiern.“

Wenn ich es recht bedenke, müsste diese Geschichte heute ebenso sehr auch als die „Geschichte vom verlorenen Vater“ erzählt werden. Wieviele Söhne und Töchter berichten mir davon, dass sie ihren Vater nie so recht gekannt, nie so recht gefunden hätten. Es ist, als hätte sich die Gestalt des Vaters verflüchtigt und müsste erst mühsam wiedergefunden werden. Der Vater – muss wiederkommen.

Die schönste Fassung dieser Geschichte von der Wiederkehr des Vaters bietet in meinen Augen Giani Stuparich, ein 1891 in Triest geborener, Italienisch schreibender Autor. Erst vor wenigen Tagen las ich seine Erzählung  „Il ritorno del padre – Die Wiederkehr des Vaters“. Ich kenne keinen anderen Autor, dem es so gut gelänge, dem zuhause verlassenen Sohn wie auch dem in der Welt verlorenen Vater Mitgefühl und Gerechtigkeit widerfahren zu lassen!

Der Vater – das ist ein Hallodri und Kneipengänger, ein Herumtreiber – so stellen ihn die Verwandten dar. Der Sohn stellt ihn sich ganz anders vor. Er meint: „Die allermeisten Verurteilungen verwandelten sich in Lobpreisungen.“  Der Vater ist stark, verständnisvoll, erfolgreich, warmherzig. So soll er zumindest sein in den Phantasien des Sohnes.

Und dann beschreibt Stuparich genau, was bei einer tatsächlichen Begegnung in Vater und Sohn vorgeht. Dieses Hin- und Herschwanken, diese Furchtsamkeit, sich auf einen anderen Menschen einzulassen! In der Begegnung mit dem kleinen Sohn erfährt der Vater seine eigene Schwäche und Verletzlichkeit. Er wehrt sich dagegen. Er möchte einfach so gehen, obwohl der Sohn gerade davor große Angst hat.

Dann bleibt er doch. Mit dem Rauch einer Zigarette bläst der Vater zum Schluss dem Sohn buchstäblich den Ruch des großen Lebens ein – im ausgetauschten Atmen ergibt sich etwas, woran so viele Vater-Sohn-Geschichten ein Leben lang sich vergeblich abmühen: die Versöhnung. Angeleitet von diesem „zarten lebendigen Gewicht, das sich in seine Brust hinabließ wie ein Anker in die beruhigt schimmernden Fluten eines stillen Hafens“, oder im Original:

Negli occhi aperti del padre passavano le luci di nuovi sentimenti, che davano alla sua faccia un’espressione di dolorante bontà. Erano stati sotto, in fondo al suo cuore quei sentimenti, repressi e soffocati da altre passioni: ora tornavano a galla, richiamati da quel dolce e vivo peso, che scendeva dentro il suo petto come un’àncora nelle acque riposate e limpide d’un porto in calma.

Ich empfehle diese meisterhafte Erzählung allen Töchtern und Söhnen, die bisher auf die Heimkehr des Vaters vergeblich gewartet haben.

Leseempfehlung: Giani Stuparich, Il ritorno del padre e altri racconti. Con una nota di Arrigo Stara. Verlag Giulio Einaudi, Turin 1961 und 1989, hier S. 18

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Feb. 272010
 

subbotnik26042008.jpg Das Bild zeigt einige litauische Freiwillige des Jahres 2009 beim Säubern des Gröbenufers. Sie beseitigten Müll und Dreck für uns, die Kreuzberger Deutschen, freiwillig und ohne Bezahlung. Für das Foto haben sie posiert, ebenfalls ohne Gegenleistung.

Es ist geschafft – wieder einmal wurde eine Straßenumbenennung gestemmt. Semantischer Müll aus vergangenen Jahrhunderten wird gesinnungsheroisch beseite geschafft. Von den Deutschen im Bezirksamt. Diesmal: das Gröbenufer, mehrfach in Wort und Bild in diesem Blog dargestellt. Mehrere Monate hat es gedauert. Am 29.09.2009 berichtet dieses Blog bereits. Die Gröbenufer-Umbenennungs-Affäre gleicht also der Opel-Rettungs-Affäre: In beiden Fällen wurde sehr sehr viel Steuergeld  und Politikerzeit für fruchtlose Pseudo-Aktivitäten verpulvert. Kein Hahn kräht danach. Aber die Politiker erzeugen den Anschein, dass die Zeit vergeht und dass sie sich sinnvoll beschäftigen.

Reiches Deutschland, reiches Kreuzberg! Es wäre spannend, in einer Kosten-Umlage-Berechnung die Lebenszeit und die Steuergelder umzurechnen, die für diese Straßenumbenennung ausgegeben wurden, die gerade jetzt in diesen Minuten stattfindet. Von den Folgekosten zu schweigen.

Ich bin sicher: Ein 5-stelliger Betrag käme heraus. Indessen plage ich armer dummer Radfahrer mich über Schlaglöcher auf den von mir reichlich benutzten Straßen, ärgere mich über fußgängerfeindliche Ampelschaltungen, quäle mich an vierreihig parkenden Grundschul-Elterntaxis vorbei. Na immerhin etwas Gutes hat diese Umbenennung: Friedrichshain-Kreuzberg zeigt damit: Es ist reich.

Und für die Beseitigung des Unrats am Gröbenufer …? Haben wir reichen Kreuzberger die lettischen und litauischen „Hilfswilligen“! DAS, liebe MitbürgerInnen,  ist Neo-Kolonialismus pur!

Trotzdem meine ich: Wir brauchen endlich ein bisschen grüne, ein bisschen rote Politik in Friedrichshain-Kreuzberg. Warum nicht etwas für ökologisch sinnvollen Verkehr versuchen? Ein bisschen rote Politik für gemeinsames Lernen in der Grundschule?  Ein bisschen sozialdemokratische Politik im Sinne der alten, sparsamen Arbeiterhaushalte, die das Geld lieber für eine Volksbibliothek oder eine Arbeiterküche ausgaben anstatt den Vergnügungen zu frönen? Warum nicht mal die Drogendruckräume in die Häuser im Eigenbesitz aufnehmen?

Eine teure Vergnügung der sich selbst beschäftigenden politischen Oberschicht ist diese Staßenumbenennung. Ausnahmsweise mal ein Zitat aus diesem Blog:

Die Grünen im Bezirk sollten sich endlich einmal ihrem Kerngeschäft widmen, etwa der Schaffung ökologisch verträglicher Strukturen im Verkehr. Dazu würde die Schaffung guter Verhältnisse für Fußgänger und Radfahrer gehören. Da tut sich viel zu wenig. Integration: Desaster! Die Schülerschaft ist von Klasse 1 an gespalten in Muslime und Nichtmuslime. Datenschutz: Nirgendwo werden die Meldedaten stärker von den Schulbehörden kontrolliert als in Friedrichshain-Kreuzberg. Naturschutz: Warum pflanzen sich so wenige Exemplare der Tierart Homo sapiens germanicus hier fort und verlassen das Biotop, sobald sie Nachwuchs haben? Ist das Biotop etwa lebensfeindlich?

Das Gröbenufer ist Geschichte

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Feb. 232010
 

22022010007.jpg Schöner, guter, aufschlussreicher Abend bei der Türkisch-Deutschen Unternehmervereinigung gestern am Kürfürstendamm! Armin Laschet, der Minister aus Nordrhein-Westfalen, stellt sein Buch „Die Aufsteigerrepublik“ vor, das dieses Blog leider viel zu spät, erst 2 Monate nach Erscheinen, nämlich am 05.12.2009 rezensiert hatte.

Laschet gelang es gestern, sein Anliegen erzählend, erklärend, „mit kurzem Aufschlag“ in etwa 15 Minuten zusammenzufassen. Serve, Volley, Punkt gemacht! Seine Botschaft: Deutschland ist „ganz oben“ und „ganz unten“ in Strukturkonservatismus erstarrt. Vorstandsvorsitzendenfamilie gebiert Vorstandsvorsitzendenfamilie. (Ich ergänze: Graues Kloster gebiert Graues Kloster). Hauptschule gebiert Hauptschule. Hartz-IV gebiert Hartz IV. Und so weiter. Laschet dagegen: Das Land braucht die Aufsteigergesinnung! Das Einwanderungsland muss allen die Sprossen zum Aufstieg bereitstellen. „Wir haben uns versündigt.“ Klares Schuldbekenntnis der deutschen Politik steht bei Laschet am Anfang, wie in der katholischen Messe! Peccavimus! Wunderbar, mirabile dictu!

Was mir besonders gefällt: Laschet erkennt, dass das ganze Thema keine Frage der Verteilungspolitik, keine Frage der Finanzen ist – sondern eine Sache des Umdenkens!

Ich spitzte die Ohren. Von Laschets Ansichten war ich vorher schon begeistert, blieb es auch gestern. In den Plaudereien mit den türkischen Unternehmern vor der Lesung hatte ich schon gesagt: „Ich halte dieses Buch für einen großartigen Wurf! Für einen Quantensprung in der ganzen Integrationsdebatte!“

Interessant die Aussprache nach der Lesung. Es kamen, – was?  Die üblichen Forderungen, wie gehabt: DAS PUBLIKUM: „Ihr müsst den Lehrern mehr Gehalt zahlen, dann werden auch Abiturienten mit Zuwanderungsgeschichte Lehrer werden.“ LASCHET: „Die wenigen Abiturienten mit Zuwanderungsgeschichte wollen lieber Ärzte, Anwälte oder Unternehmer werden, – aber nicht aus Geldgründen.“ DAS PUBLIKUM: „Wir brauchen kleinere Klassen, bei 36 Schülern ist kein sinnvoller Unterricht möglich, egal ob deutsche oder migrantische Kinder.“

Hierauf würde ich erwidern: Einspruch! Auch bei Klassenstärken von 50 Kindern ist sinnvolles Lernen möglich, wie in der multiethnischen Sowjetunion und im Nachkriegsdeutschland vorgeführt. Und wir haben in Berlin schon Klassenstärken in den sozialen Brennpunkten von oft unter 25 Kindern, eine zweite Lehrkraft ist routinemäßig im Raum. Was wollt ihr noch? Wer soll das bezahlen? Das ganze Berliner Schulwesen wird doch derzeit umgekrempelt!

Und noch einige andere Forderungen an die POLITIK äußerte DAS PUBLIKUM. Wie gehabt. Die Ansprüche an den allzuständigen Versorgerstaat sind weiterhin sehr hoch, das trat mir gestern wieder einmal sehr deutlich vor Augen. Das ist aber nicht die Aufstiegsmentalität, welche einzelne Politiker wie etwa Armin Laschet und neuerdings in seinen Fußstapfen sogar der Berliner Regierende Bürgermeister zu entfachen versuchen.

Der Groschen in der deutschen Integrationsdebatte ist noch nicht gefallen. Die goldenen Einsichten eines Armin Laschet sind da, man kann sie nahezu kostenlos abrufen. Niemand widerspricht ihnen mit sachhaltigen Gründen. Das Buch ist „wasserdicht“, faktengesättigt, es verströmt Zuversicht, Weisheit und Güte. Was wollen wir mehr?

Der Politiker Laschet hat mit seiner „Aufsteigerrepublik“ vorgelegt, wie es besser eigentlich nicht denkbar ist. Unsere Schulen sind viel besser als ihr Ruf. Der Ball muss nun zurückgeschlagen werden. Durch wen? Durch uns! Die Bürger müssen es jetzt stemmen. Wir armen Bürger müssen anfangen zu klettern. Wir tun es nicht. Warum? Es geht uns noch zu gut.

Und zwar denke ich mir das in all meiner Einfalt so: Nach dem 2. Weltkrieg lag das Land am Boden. Es gab nichts zu verteilen. Man brauchte den Erfolg. Und man hat ihn sich erarbeitet. Heute wird das ganze wieder verfrühstückt. Jede Kategorie will mehr abhaben von dem Kuchen, der mittlerweile durch heftige Staatschulden vorfinanziert wird. Durch wen? Durch unsere Kinder.

Kaum haben wir Jungs 300 Euro zusammen, mieten wir einen BMW Z3 für einen Tag. Für einen Tag groß rauskommen! Darum geht es uns Jungens. Wir kennen uns doch 🙂

Im U-Bahnhof ADENAUERplatz (sic!) fiel mir danach ein Plakat von Misereor ins Auge: „Gott kann nicht alles regeln.  Uns bleibt genug zu tun.“ Wer war mit ER gemeint? Der STAAT? Oder GOTT? Soll der gütige Versorgerstaat Gott spielen?

Mein Vorschlag zur Güte: Alle diese Veranstaltungen, wo man einander in guten Ansichten und Einsichten bestärkt, sollten abschließen mit einer Besinnung: „Was können wir tun? Was können wir ändern?“

Jeder Zuhörer sollte aufgefordert werden, eine Selbstverpflichtung abzugeben. Etwa so: „Ich werde morgen meine Nachbarn zum Tee einladen!“ Oder so: „Ich werde meine Kinder nicht mit dem Van zur Elite-Grundschule fahren, sondern melde sie in der staatlichen Kreuzberger Grundschule um die Ecke an.“ „Ich gebe meine Scheinadresse auf!“ „Und ich ziehe in ein Viertel um, wo sonst nur Hartz-IV-Empfänger wohnen!“ „Und ich mache meine Hausaufgaben!“ „Ich lerne Arabisch mit meinem Nachbarn!“ „Und ich lerne ein Goethe-Gedicht!“ „Ich schreibe ein Gedicht in deutscher Sprache!“

Wäre das ein Opfer? Ja! Selbstverständlich. Ein Opfer, das hundertfältige Frucht bringt.

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Nimm Hack und Spaten: Wir brauchen Eisbrecher!

 Friedrichshain-Kreuzberg, Unverhoffte Begegnung, Vorbildlichkeit, Was ist deutsch?  Kommentare deaktiviert für Nimm Hack und Spaten: Wir brauchen Eisbrecher!
Feb. 212010
 

03022010002.jpg Am heutigen Vormittag nahmen wir in der Universität der Künste (UdK) stolz die Siegerurkunde für „Jugend musiziert“ in Empfang! Es gab ein großartiges Konzert einiger der Preisträger.

Darauf folgte nach dem Mittagessen der Siegerfamilien wieder ein schöner Schlittennachmittag am Kreuzberg mit einigen Kindern – deutschen, russischen, türkischen, einem japanischen Kind. Das waren alles deutsche Kinder. Sie leben hier. Sie sprechen deutsch. Also sind es deutsche Kinder. In Kreuzberg.

Eine gute Nachricht schrieb auch gestern Cem Özdemir direkt als Kommentar in dieses Blog: Er ist wirklich ein Kreuzberger Mitbürger, wohnt hier, hat hier – entgegen meinen irrtümlichen Vorstellungen – seinen alleinigen Wohnsitz. Das freut mich natürlich besonders, denn ich meine, wir brauchen hier genau das: Zuziehende Familien von außerhalb mit Kindern. Familien, die erkennen, dass es sich lohnt hierherzuziehen.

Ich freue mich über Familien, die Wohlstand und Geld hierherbringen. Es müssen ja nicht gleich Car-Lofts sein. Ich begrüße in Kreuzberg Familien mit guten Kenntnissen im Deutschen und anderen Sprachen, mit interessanten Berufen. Ich begrüße gut ausgebildete, beruflich erfolgreiche Eltern, die dann ihre Kinder hierher in die staatlichen Kitas und Grundschulen um die Ecke schicken. Ohne Auto. Zu Fuß. Mit dem Fahrrad.

Einfach hier um die Ecke, und da um die Ecke! Weil es sich lohnt, hier in Kreuzberg gemeinsam etwas aufzubauen. Ich bin für die Durchmischung der Milieus. Es soll nicht sein, dass in Gegenden wie rings um den Kotti nur Drogen, nur Arbeitslosigkeit, nur Perspektivlosigkeit und kulturelles Vakuum vorherrschen. Dem ist nicht so, dem war nicht so! Aber der Anschein drohte!

Özdemir nennt diese Menschen die „Eisbrecher“. So berichtet es Armin Laschet in seinem Buch „Die Aufsteigerrepublik“ auf S. 146.  Am 30.06.2009 und am 25.07.2009 – also vor dem Erscheinen von Laschets Buch – erzählten wir bereits in diesem Blog von Menschen wie Mesut Özal – Menschen, die sich bewusst für dieses Land entschieden haben, obwohl ihnen auch eine zweite Option offenstand.

Diese bewusste Entscheidung für dieses Land – die scheint mir genauso wichtig wie die Entscheidung für diesen Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg.  Ich wünsche mir mehr Menschen, die sich bewusst für dieses Land entscheiden. Ich wünsche mir mehr Menschen, die sich bewusst für diesen Bezirk entscheiden. Es lohnt sich! Denn das Eis wird und muss tauen. So dick kann gar kein Eispanzer sein.

Wie sagt doch Goethe: „Nimm Hack und Spaten! Grabe selber!“

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Feb. 202010
 

„Das glaube ich Dir nicht, Cem!“ – so möchte ich meinem Mitschwaben und Facebook-Freund Cem zurufe, nachdem ich seinen Beitrag in der heutigen FAZ gelesen habe:

Gastbeitrag zur Hartz-IV-Debatte: Die gute Nachricht: Der Mensch ist besser – Inland – Politik – FAZ.NET

Wir wollen einen Staat, der seinen Bürgern die bestmöglichen Rahmenbedingungen bietet, damit jeder unabhängig von seiner Herkunft und der Größe des Geldbeutels seiner Eltern seine Möglichkeiten und Potentiale zum Wohle seiner selbst und der Gesellschaft voll entfalten kann. Genau das tut er aber gegenwärtig nicht. Die Bedingungen für Freiheit sind nicht gegeben. Wir leben vielmehr in einer hochgradig blockierten Gesellschaft.

Bereits hier melde ich Widerspruch an, Cem! Und zwar als Kreuzberger aus den Tiefen des Bezirks heraus, den Du wohlweislich nur zu Deinem Zweitwohnsitz erkoren hast. Ich bin im Gegenteil überzeugt: Die Bedingungen für Freiheit sind gegegeben. Es steht jedem Menschen frei, seine Potenziale in diesem Land zu entfalten. Der Staat tut genug. Er kann kaum mehr tun. Aber wir lesen weiter bei unserem Mitschwaben:

Der wichtigste Schlüssel, um diese Blockaden aufzubrechen, ist die Bildungspolitik. Bildung ist nicht nur ein Menschenrecht sondern laut OECD auch das beste Konjunkturprogramm für die Wirtschaft. Dafür muss Politik die richtigen Prioritäten für ein gerechteres und leistungsfähigeres Bildungssystem setzen: Mit höheren Investitionen ebenso wie mit einer Verbesserung von Qualität und Struktur. Gegenwärtig gehören wir im OECD-Vergleich zu den Schlusslichtern, was die Bildungschancen angeht: Diese werden von der sozialen Herkunft der Eltern diktiert, auch weil wir im dreigliedrigen Schulsystem bei den Zehnjährigen anfangen, auszusortieren. Auch deshalb wird jeder fünfte zum Risikoschüler und später viel zu oft zum Empfänger von Transferleistungen.

Erneut melde ich Widerspruch an! Es wird immer wieder mehr Geld, Strukturverbesserung, kleinere Klassen, frischere Lehrer, bessere Methoden usw. gefordert. Und genau das haben wir! Wir haben heute bessere Strukturen, kleinere Klassen, besser ausgebildete Lehrer als noch vor 20 Jahren. Und dennoch sinken vielfach die Lern-Ergebnisse. Wer ist schuld? Der Staat?

Meine Antwort lautet, und auch dies sage ich getränkt mit den jahrzehntelangen Erfahrungen aus einem Bezirk, den die FAZ-Leser und FAZ-Autoren wie Cem Özdemir sich allenfalls nur zu ihrem Zweitwohnsitz erkiesen:

Woran es fehlt, das sind die individuellen Anstrengungen. Es fehlt – mindestens bei uns in Kreuzberg – an Fleiß, es fehlt an Redlichkeit, es fehlt an Zuversicht, an Vertrauen in die eigenen Kräfte. Es werden dauernd Nebelkerzen über „gesellschaftliche Ursachen“ gezündet, es wird betrogen und getäuscht, es wird endlos gejammert und gefordert. Der Spendier- und Kümmereronkel, der Staat, soll Geld und nochmal Geld bereitstellen. Schluss damit. GET GOING! Lernt, seid fleißig, gebt euch Mühe. Zieht der Arbeit hinterher. Zieht nicht dahin, wo ihr möglichst ohne eigene Bemühung ein anstrengungsloses Leben führen könnt.

Die Gesellschaft blockiert sich selbst, indem sie ständig für alles die Schuld dem Staat oder unserer gesellschaftlichen Ordnung zuschreibt. Der Begriff der persönlichen Verantwortung ist fast völlig verlorengegangen. Man zockt gegen den Staat! Das gilt für die Steuerhinterzieher, die dem Staat jedes Jahr Milliarden stehlen, die verantwortungslosen Banker, die jahrelang nur in die eigene Tasche gewirtschaftet haben, ebenso wie für die riesige Mehrheit derjenigen Menschen, die sich aus irgendwelchen gruppenegoistischen Gründen dauerhaft zur „benachteiligten Minderheit“ erklären lassen und Anspruch auf dauerhafte besondere Förderung erheben.

Ich vertrete die Ansicht: Die staatliche Ordnung ist grundsätzlich in sehr guter Verfassung. Was nicht in Ordnung ist, das können wir nachbessern. Die Menschen haben es in der Hand, das beste aus ihrem Leben zu machen. Die Denke in den Köpfen ist verworren.

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Jan. 252010
 

Liest man unsere Boulevardpresse von taz bis BZ, so stellt sich als ein gesichertes Ergebnis heraus: Es gibt keine faulen Menschen, es gibt keine Faulheit! Es gibt keinen Fleiß, es gibt keine fleißigen Menschen! Immer sind die Verhältnisse an allem schuld: Die Kulturen der Herkunftsländer. Die Kultur oder Unkultur des Ziellandes. Die Großfamilien, die Kleinfamilien. Die Alleinerziehenden. Der Reichtum. Die Armut. Die zerbrechenden Familien. Die zusammengluckenden Familien.  Die Sippen. Die Vereinzelung. Für das Scheitern finden sich immer tausend Gründe.

Rotterdam, Neukölln, Paris, London – überall haben die Stadtväter und Stadtmütter alle Hände voll zu tun, um passende Strukturen für das wachsende und wuselnde niedere Volk zu schaffen, das sich in den berüchtigten Gettos zusammenballt.

Keiner der Stadtväter oder Stadtmütter wagt es auch nur zu sagen: Lernt! Arbeitet! Tut was! Ganz zu schweigen von lateinischen Formulierungen wie etwa: Stude et labora! Lerne und arbeite!

Merkwürdig: Niemand, wirklich fast niemand spricht die einzelnen Menschen direkt an, wie es etwa die antike Tugendlehre tat. Wie es ein Nachfolgerstaat des griechischen Kleinasien, nämlich der heutige türkische Staat mit großem Erfolg in seinen Grundschulen tut.

Der Begriff Tugend, an dem die Dichter und Philosophen einige hundert Jahre – von Homer bis Seneca – herumwerkelten, beruhte auf einem persönlichen Leistungsbegriff: Jede und jeder sollte das Beste aus sich machen. Das war ein Imperativ, der wirklich jedem Jungen (leider nicht den Mädchen) eingeschärft wurde, von Homers Achill angefangen. In Homers Ilias heißt es im sechsten Gesang, Vers 208:

„Versuche stets das Beste aus dir zu machen, stell dich dem Wettbewerb!“

Die ständige Arbeit an den eigenen Anlagen, an den eigenen Fähigkeiten wurde durch eine Batterie an Bildungseinrichtungen eingeschärft: Fitnessplatz (damals Gymnasion genannt), Pädagogen-Sklaven, öffentliche Rezitationen, Volksversammlungen, gemeinsame Feste und Feiern.

Und heute? Wir haben unvergleichbar mehr materiellen Reichtum angehäuft als die alten Griechen und Römer. Ein Schulkind in der ersten Klasse in Neukölln ist reicher, hat mehr Sachen, hat mehr Essen als ein Kind eines normalen Stadtbürgers im Athen des 5. Jahrhunderts. Und trotzdem verlassen die Hälfte dieser Kinder die Schule, ohne sich hinreichend präzise in Deutsch, Türkisch oder Arabisch ausdrücken zu können, während es im alten Athen eine beständig lernende, diskutierende Stadtbürgerschaft gab, die lange Passagen der Dichter auswendig konnte, eine gemeinsame Sprache sprach, Begriffe schuf, um sich miteinander über die gelingende Demokratie auszutauschen.

Grund für unsere Malaise: Der Begriff individuellen Leistens, individueller Anstrengung ist aus dem politischen Diskurs fast völlig verschwunden. Die Politik züchtet durch ihre Kümmerer-Grundhaltung eine erwartungsfrohe Schar an Hilfeempfängern heran. Diese Schar ruft lauter und lauter: „Mach du mal, Staat!“

Für alles werden die Strukturen in Haftung genommen. Dabei kann ein Gemeinwesen ohne individuelle, persönliche Anstrengung nicht gelingen.

Dieses Denken hat uns in die Sackgasse geführt.  Die Politik sieht sich als „bezahlender Dienstleister“ der Bürger. Die Bürger rufen diese Leistungen ab, sie liefern die Ideen, sie lassen den Staat machen und bezahlen. Der Staat ist der Anspruchsgegner, die Bürger haben ein Recht darauf, dass der Staat ihre guten Ideen finanziert und dass er für die guten Ideen bezahlte Stellen schafft.

Ich meine: Koordination, Bündelung, alles schön und gut. Aber das Ganze kann nur funktionieren, wenn der Staat den Kindern und Eltern wieder und wieder, mit großer Strenge, klar macht: „Du, du einzelner Bürger, bist im wesentlichen für dein Leben verantwortlich. Du musst selbst dafür sorgen, dass dein Leben gelingt. Für Faulheit gibt es keine Entschuldigung. Lerne und arbeite!“

Ich vermisse diese Botschaften schmerzlich im politischen Tagesgespräch.

Lest hier im Tagesspiegel einen interessanten Überblick über die wacker mit Windmühlen kämpfenden Großstädte Europas:

Kampf den Ghettos
Umweltsenatorin Anja Hajduk: „Die besten Ideen für einen Stadtteil kommen häufig von Menschen, die selbst in dem Quartier leben. Mit Engagement und Begeisterung setzen sie sich für Verbesserungen ein.“ Unter dieser Prämisse soll die Verwaltung künftig bei Projekten und Maßnahmen als niedrigschwelliger und generationsübergreifender Dienstleister fungieren, der Verbände vor Ort wie Kirchen, Sportvereine und Wohnungsunternehmen in alle Planungs- und Entwicklungsschritte einbindet. Oft wird nur durch vernünftige Absprache untereinander, also Koordination und Vernetzung, Effizienz erzielt, die in haushaltspolitisch schwierigen Zeiten mitunter auch noch volks- und betriebswirtschaftliche Vorteile beschert. Die Koalition will mit „Rise“ der sozialen Spaltung der Stadt entgegentreten und versuchen, dass sich an bestimmten Punkten der Elbmetropole keine Armut verfestigt. Die Praxis sieht trotzdem vielerorts anders aus.

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Jan. 242010
 

Friedrichshain-Kreuzberg als Vorreiter beim Klimaschutz und bei der Integration der Migranten, ein klares positives Leitbild für unseren Bezirk, eine Politik der ausgestreckten Hand – dahin müssen wir kommen, ich werde mich zusammen mit anderen dafür ins Zeug legen.

So schrieb ich am 26.11.2007 in diesem Blog.  Seither habe ich wieder und wieder in diesem Blog für die Kraft des positiven Leitbildes geworben, so etwa am 02.12.2007, am 28.12.2009, am 14.01.2010, zuletzt noch einmal bei meiner Bewerbung als Kreisvorsitzender  vergangenen Samstag, die ich unter das Motto „Die zusammenwachsende Stadt“ stellte.

Endlich greifen andere Menschen diese Idee auf. Berlin braucht ein positives Leitbild, es muss die Vorreiterrolle bei den Fragen von nationalem Interesse beanspruchen! Das Thesenpapier von Klaus Wowereit und  Michael Müller leistet aus sozialdemokratischer Sicht das, was von seiten der Berliner Christdemokraten seit Jahren aussteht und was ich bisher umsonst versucht habe zu bewirken: Ein knappes, einprägsames, nach vorne weisendes Leitbild zu den Themen Bildung, Stadtentwicklung, Wirtschaft, Integration, Ökologie.

Was ist der Unterschied zwischen Sozialdemokraten und Christdemokraten? Antwort: Die eher linken Kräfte weisen die Hauptverantwortung und das Hauptversagen dem Staat zu. Der einzelne Bürger wäscht seine Hände in Unschuld!  Ein herrliches Besipiel dafür: Die heute berichtete Äußerung Jürgen Trittins, es gebe in Berlin Gettos. Er spricht heute im Tagesspiegel (S. 7) davon, dass der Staat in manchen Berliner Bezirken gescheitert sei. Soziale Verelendung und Bildungsmisere grenze ganze Generationen aus. Das ist das linke Denken! „Der Staat ist an allem schuld. Der Staat muss alles richten.“

Was ist dran? Nun, wir gehen in eine dieser Gettoschulen. Migrantenquote etwa 95%. Und siehe da: Es ist eine der besten! Der Staat versagt nicht, Herr Trittin. Es sind die Bürger, die einzelnen Familien, die versagen. Der Staat kann kaum mehr machen als er schon tut.  Jetzt sind wir Bürger an der Reihe.

Erster Schritt: Melde-Ehrlichkeit. Die Lage sähe anders aus, wenn die guten deutschen bildungsbewussten Eltern ihren Nachwuchs zu uns in die Gettoschulen schickten und sich nicht pro forma ummeldeten! Wir alle stehen in der Verantwortung.  Wenn ein Jürgen Trittin zu uns nach Kreuzberg zöge, wenn die Bundestagsabgeordneten und Bundestagsmitarbeiter ihre Kinder standortnah in Kreuzberger und Neuköllner Grundschulen schickten. Kommt alle! Es gibt noch freie Plätze in unseren Gettoschulen!

Die Trittinschen Gettos sind nicht allein durch Staatsversagen, sondern auch durch individuelles Versagen, durch Milieuegoismus und grenzenlose Passivität der Hilfeempfänger entstanden. Durch einen Mangel an Gemeinsinn, einen Mangel an Fleiß, einen Mangel an Verantwortungsgefühl. Und durch die verhängnisvolle Stadtbaupolitik der SPD- und der CDU-geführten Senate. Durch Wegschauen und Wegziehen der Bürger. Trittin und Wowereit ducken sich weg davor! Kommt zurück nach Neukölln und Kreuzberg!

Zurück zur Leitbild-Debatte! Ich bin nach wie vor überzeugt, dass auch die Berliner Christdemokraten ein Leitbild brauchen. Statt ewig weiter von den allüberall lauernden Linksextremisten zu phantasieren, wie es manche immer noch mit Wollust tun.  Ein Leitbild, das viel stärkere Anreize für den einzelnen setzt. Nicht noch mehr Gelder, noch mehr Mittel für die „Soziale Stadt“, die „Solidarische Stadt“. Sondern mehr Beiträge der Bürger fordert, mehr ehrenamtliches Engagement, mehr  individuelle Verantwortung, weniger Staatsverantwortung, mehr Eigenverantwortung. In einem Wort: Wir brauchen die „Zusammenwachsende Stadt“. Nicht als Werk des Staates von oben her. Sondern als gelebte, von unten aufwachsende Solidarität.

Die Stadt wächst zusammen als Werk der Bürger.

Gemeinsam gelingt die zusammenwachsende Stadt.

Einen ersten Hinweis in dieser Richtung liefert Barbara John, ehemals Mitglied der CDU Kreuzbergs,  auf S. 8 des Tagesspiegels heute. Sie lehnt zu recht ein Integrationsgesetz ab, das ein Sonderrecht für „Berliner mit Migrationshintergrund“ schüfe. Darunter würde z.B. auch mein Sohn fallen, der soeben eine Klasse mit Erfolg übersprungen hat, obwohl seine Mutter eine Migrantin der ersten Generation ist, wie sie im Buche steht.

Mein Sohn beweist: Auch als Berliner Kind mit Migrationshintergrund kann man Erfolg haben. Armes Migrationskind braucht Fleiß, armes Migrationskind braucht Eltern, die hinterdrein sind, die ihre Erziehungspflicht ernstnehmen. An Geld fehlt es nicht, es fehlt nicht an den Strukturen. Und das Letzte,was wir brauchen, ist ein Integrationsgesetz mit „positiver Diskriminierung.“

 Posted by at 14:43

Ist die Berliner SPD jetzt CDU geworden? Berlin soll Modellstadt werden

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Jan. 232010
 

In eine Art Kurskorrektur zur früheren eigenen Politik scheint – unter dem betäubenden Schlag des neuesten Sozialatlas – die Berliner SPD einzuschwenken. Sie übernimmt also sozusagen die Rolle der Opposition zu sich selbst. Versäumnisse des SPD-/Linke-Senats werden im neuesten Thesenpapier indirekt eingestanden. Fehlsteuerungen der Integrationspolitik werden im Ansatz offenbar richtig erkannt und Vorschläge zur Besserung werden in Aussicht gestellt. Das berichtet soeben der Tagesspiegel:

Berlin soll Modellstadt werden

Berlin zu einer Modellstadt für grüne Zukunftsindustrien und hervorragende Bildungseinrichtungen von der Kita bis zur Hochschule entwickeln, in der soziale Integration „beispielhaft für die Republik gelebt wird“.

Mein Kommentar: Statt immer nur den Finger auf wunde Punkte zu legen, wird vorbildliches Verhalten gefordert. Damit wird der CDU das Konzept „Vorbild“ streitig gemacht. Richtig!

Berlin müsse zur solidarischen Stadt werden, in der „die Bürger füreinander eintreten“ und durch den Staat dabei unterstützt werden, ihr Leben eigenständig bestreiten zu können.

Kommentar: Ein klares Bekenntnis zum Subsidiaritätsprinzip. Dies entspricht nicht der früheren traditionellen Berliner SPD! Vorrang des Individuums vor dem Kollektiv, – ein Kernbestand der christdemokratischen Politikauffassung!

Der Akzent liegt auf der unteren Ebene – nicht mehr auf der von oben ordnenden, staatlichen Verteilungsgerechtigkeit der alten Sozialdemokratie. Die Erneuerung Berlins aus dem bürgerlichen Geist! Berlin braucht eine Erneuerung aus dem Geiste des Bürgertums. Richtig. Das würde die CDU ebenfalls sagen.

 „Wir brauchen eine neue Industrialisierung Berlins“, steht im Thesenpapier. Zweiter Schwerpunkt der Senatspolitik soll die Integrationspolitik „als Aufstiegsprogramm“ werden. Der Hochschulzugang für junge Menschen ohne Abitur soll weiter geöffnet und die Zahl jugendlicher Migranten ohne Schulabschluss halbiert werden.

Richtig! Auch das ist eine relativ neue Erkenntnis! Berlin braucht viel mehr Arbeitsplätze in der Industrie. Der Dienstleistungssektor reicht nicht. Das haben die IHK und die Wirtschaftswissenschaftler schon seit längerem gesagt.

Wowereit lobte am Sonnabend auch vorbildliche private Initiativen wie die Roland Berger-Stiftung, die sich um die Ausbildung von Kindern aus sozial schwachen Familien kümmert. Besonders wichtig sei es, die Hilfen zur sozialen Integration zu individualisieren. Das gehe nur mit einem starken ehrenamtlichen, bürgerschaftlichen Engagement. „Die Maßnahmen dürfen auch nicht an der Haustür der Familien enden“, Wowereit. Individuelle Hilfen seien aufwändig, aber immer noch kostengünstiger, „als wenn jemand ein ganzes Leben lang im staatlichen Unterstützungssystem verharrt.“ Auch SPD-Chef Müller forderte von den Familien, ihren Beitrag zur Integration zu leisten. Es gehe zum Beispiel nicht, dass Schüler(innen) vom gemeinsamen Schwimm- und Sportunterricht ausgegrenzt werden.

Kommentar: Mehr fordern, weniger fördern! Die SPD vollzieht die Abkehr vom Kümmerer-Staat. Der Einzelne muss mehr tun, der Staat kann nicht mehr so viel tun, schon aus Etatgründen. Die Familien werden stärker in die Pflicht genommen. Alles richtig.

Der Regierende Bürgermeister wies darauf hin, dass er die Leitung einer Arbeitsgruppe der Bundes-SPD „Zukunftswerkstatt Integration“ übernommen habe, um das Thema von Berlin aus bundesweit voranzutreiben.

Absolut richtig! Er nimmt endlich das Heft in die Hand, zeigt Initiative! Oder tut mindestens so.

Im laufenden Jahr will die Berliner SPD eine „Dialogoffensive“ starten, um ihre politischen Ziele verständlich zu machen. Wowereit geht auf Tour durch alle zwölf Bezirke, vier Hauptstadtkonferenzen sind geplant und die SPD-Abgeordneten sollen auf „Wahlkreistagen“ für Projekte wie das neue Integrations- und Klimaschutzgesetz werben.

Alles richtig. Das erinnert an die „Dialogtour“ der CDU, die vor der Einführung des neuen Parteiprogramms durch ganz Deutschland führte.

Mein Gesamteindruck: Dieses Thesenpapier der Berliner SPD weist – dem Zeitungsartikel nach zu urteilen – absolut in die richtige Richtung. Erstaunlich. Mein Kompliment an die Autoren! Jetzt muss Wowereit mit seinem Senat leisten, was das Papier fordert. Allerdings kommt das Papier zu spät. Es hätte so bereits zu Beginn von Rot-Rot II vorliegen müssen.

Die SPD macht es richtig: Sie bestreitet der CDU die Hoheit über Kernbereiche der christdemokratischen Politikauffassung: Vorbildsetzung, Vorrang des Individuums vor dem Staat, stärkere Verantwortung der unteren Ebenen – das waren früher einmal Kennzeichen der CDU, und diese Merkmale beansprucht nun die SPD für sich. Das war Kernbestand der katholischen Soziallehre. Der Katholik Wowereit wird dies wissen. Schlau gemacht! Denn der Wind hat sich gedreht.

Die Nähe zwischen der aktuellen Berliner SPD und früher eindeutig christdemokratischen Konzepten wird erneut deutlich. Es zeigt sich, wie hart umkämpft in der Berliner Landespolitik die berühmte Mitte ist. Dies war seit jeher so. Im Moment sehe ich die SPD klar in der Vorhand.

Berliner CDU – du musst dich ganz warm anziehen! Du musst jetzt schnell nachlegen. Die SPD ist dir vorangegangen. Wo ist dein Leitbild? Wo sind deine Thesenpapiere? Wann kommt der große Wurf zur Integration, zur Wirtschaftspolitik? Wo sind die Menschen, die diese Konzepte glaubhaft vertreten? Bedenke: Der Wähler hat nicht so viel Geduld!

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Die zusammenwachsende Partei

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Jan. 122010
 

Nur eine zusammenwachsende Partei kann das Leitbild „Die zusammenwachsende Stadt“ glaubwürdig vertreten!

Was halte ich davon, wenn persönliche Querelen aus den Parteien nach draußen getragen werden?  Meine Antwort ist klipp und klar: Gar nichts. Und deshalb würde ich gerne Parteifreunde aus der CDU Neukölln nach Friedrichshain-Kreuzberg zu unserem CDU-Parteitag am Samstag einladen. Um ihnen zu zeigen, wie man fair, freundschaftlich und demokratisch um die besten Lösungen ringt. Ich meine: Man soll innerhalb von Parteien, innerhalb der Gremien ringen und streiten. Von mir aus dürfen ruhig auch mal für ein paar Minuten die Fetzen fliegen – vorausgesetzt, das Tischtuch wird nicht zerschnitten. Man sieht sich immer ein zweites Mal! Frank Henkel hat das letztes Jahr auf einer Regionalkonferenz bei der CDU Friedrichshain-Kreuzberg, auf der ich mich ebenfalls zu Wort meldete, treffend und klar ausgedrückt: „Lasst uns um Lösungen streiten, meinetwegen wie die Kesselflicker. Aber nach draußen muss die Partei geschlossen auftreten.“ Absolut richtig! 100 Pro Zustimmung, Herr Henkel!

Mein Vorschlag zur Güte: Arbeitet ein Leitbild aus, hinter dem sich alle Parteimitglieder und die meisten Wähler versammeln können. Leitbilder sind grundsätzlich von Personen zu trennen. Dann gilt es, in einem zweiten Schritt zu prüfen: „Wer kann dieses Leitbild am besten, am überzeugendsten verkörpern?“ Den stellen wir vorne hin!

Ich glaube: Gerade in Städten wie Berlin, die sich schnell ändern,  sind wir Christdemokraten aufgefordert, eine Haltung zum gesellschaftlichen Wandel zu entwickeln, die alle Bevölkerungsschichten mindestens verstehen und nachvollziehen können. Wir müssen um das Vertrauen aller Milieus, aller Gruppen werben. Die sogenannten „bürgerlichen“ Schichten, die sogenannten „alternativen“, die sogenannten „linken“ Milieus, die sogenannten Extremisten, die sogenannten Kriminellen  – alle alle alle muss man ansprechen, muss man für sein Leitbild zu gewinnen versuchen!

(Wie es der Jude aus Nazaret ebenfalls tat).

Wieder und wieder müssen wir christlichen Demokraten herausstreichen, wie wichtig Verantwortung für eine freiheitliche Gesellschaft ist. Es gibt keine Freiheit ohne Verantwortung. Verantwortung sehe ich zunächst als die Verantwortung jeder einzelnen Frau, jedes einzelnen Mannes, jedes einzelnen Kindes für alles das, was sie oder er tut, lässt und unterlässt. Diese Grundüberzeugung müssen wir in viele kleine Bilder, in viele kleine Geschichten übersetzen. Sie wie ich das seit zweieinhalb Jahren in diesem Blog versuche.

Mit gewissem Erfolg: Gestern durchstieß dieses kleine private Blog die Schallmauer der 1000 Leser an einem einzigen Tag, der über 2000 Seitenzugriffe! Hurra! Die genauen Zahlen für den gestrigen Tag sind: 1.099 Leser an einem einzigen Tag, 2.154 Seitenzugriffe an einem einzigen Tag. Es ist eine phantastische Zahl für ein kleines, rein privates Blog wie dieses hier! Jeder weiß doch, dass private Blogs in der Regel kaum mehr 15-30 Leser pro Tag haben.

Soll ich den Ausdruck der Statistik am Samstag beim Parteitag der CDU Friedrichshain-Kreuzberg vorlegen? Besser nicht, das könnte als großmäulig ausgelegt werden. Mein rednerisches Vorbild wird eher sein: klein, zusammengesunken dasitzend, mit leiser Stimme sprechend, mit hängenden Schultern, unsicher nach Worten ringend. So sind wir. So werde ich mich präsentieren. Ein echtes Bild des Jammers!

Am meisten gefreut hat mich der Zuspruch des sozialdemokratischen grünen Löwen aus München in den Kommentarspalten! Danke, grüner Löwe! Jede Stimme, jedes Löwengebrüll zählt gleichermaßen!

Und unsere christdemokratische Haltung muss so nach außen getragen werden, dass demokratische Mehrheiten mit anderen Parteien erreichbar sind. Dafür gilt es Bündnisse mit vielen Kräften in der Gesellschaft zu knüpfen.

Was es zu vermeiden gilt, sind Anliegen und Vorhaben, die vorhersagbar zu einem gespaltenen Votum führen. Mancher hat versucht, durch zugespitzte Entscheidungen eine Stimmungswende herbeizuführen. So etwas habe ich immer für falsch gehalten.

Innerparteilicher Streit um Personalien, allerlei Nickligkeiten und Animositäten dürfen nicht nach außen getragen werden.

Das genaue Gegenteil dessen, was ich vorhabe, lese ich soeben im Tagesspiegel. Genau so soll man es nicht machen:

Wie sich Neuköllns CDU selbst zerlegt
Mit politischen Inhalten hat dieser Streit fast nichts zu tun. Für eine ganze Reihe politischer Menschen ist er dennoch existenziell. Es geht um Macht, um Ämter. 2011 steht in Berlin die nächste Wahl zum Abgeordnetenhaus an.

 Posted by at 11:05
Jan. 062010
 

Und hier kommt Futter für euch! Mit den nachstehenden Gedanken stellte ich mich gestern der Nominierung und konnte die Parteifreunde von CDU umdenken dafür gewinnen, mich als Kandidaten ins Rennen um den Kreisvorsitz zu schicken. Und jetzt ran ans Leitbild! Lest selbst. Kommentiert. Macht euch Gedanken.

1.       1. “Die Aufsteigerrepublik” Armin Laschets, “die soziale Marktwirtschaft”, “die wachsende Stadt” eines Ole von Beust – das alles sind Beispiele für prägnante, positiv nach vorne weisende Leitbilder. Diese müssen das Fundament der Politik in Bezirk und Bundesland bilden. Leitbilder ruhen auf Leitbegriffen wie etwa der Menschenwürde oder der Freiheit  auf.

2.       2. “Einigkeit und Recht und Freiheit”, das ist ebenfalls ein solches Leitbild. Wir erkennen: Leitbilder müssen klar sein, sie müssen einfach sein, und sie müssen oft wiederholt werden. Sie sind keine Selbstverständlichkeit. Sie müssen durch Wiederholung und Werbung in Fleisch und Blut übergehen.

3.       3. Das Arbeiten für das Leitbild muss das Auftreten der Partei prägen. Wir brauchen Sätze wie etwa: „„Das Wichtigste ist, dass die Kinder eine Zukunft erarbeiten können““, oder: „“Das Wichtigste ist, dass unser Bezirk, unsere Stadt Erfolg hat.“ Was können wir dafür tun?“

4.       4. Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg ist wie die Stadt Berlin durch eine starke Zerklüftung und zunehmendes Auseinanderdriften der verschiedenen Bevölkerungsteile geprägt. Die zersplitterten Milieus versuchen nun, das jeweils Beste für sich herauszuholen, da sie sich keinem gemeinsamen Leitbild verantwortlich wissen. Die Politik, der Staat wird fast nur noch als „Anspruchsgegner“ wahrgenommen, nicht als gemeinsame Sache. So sind etwa die Autozündeleien ein, aber auch nur ein Ausdruck dieses Anspruchsdenkens: „Ich hol mir was ich will und wenn ich es nicht krieg dann schlag ich zu.“

5.       5. Die Stadt kann zusammenwachsen, wenn die Menschen zu Personalität und Subsidiarität zurückfinden. Personalität heißt, dass jede und jeder sich als unverwechselbare, unendlich wertvolle, freie, verantwortliche Einzelpersönlichkeit erfahren kann. Subsidiarität bedeutet, dass die jeweils niedrigste Ebene des Zusammenlebens die erste Zuständigkeit beansprucht: Der Einzelne – die Familie –  die Schule – der Betrieb – das Haus – die Nachbarschaft: das sind diese untersten Ebenen. Sie gilt es zu stärken und zur Verantwortung zu rufen.

6.       6. Die Politik der zusammenwachsenden Stadt steigt von unten nach oben auf. Im Gegensatz zur von oben herab ausgleichenden, verteilenden Gerechtigkeit, wie sie etwa die SPD bevorzugt, muss die CDU die Allzuständigkeit der oberen Ebenen bewusst zurückdrängen. „Die Politik“ muss sehr viel bescheidener auftreten. Sie darf nicht so viel versprechen. „“Wir kümmern uns um euch“,“ –dieser Satz führt die CDU in die Sackgasse eines Versorgungsstaates. Statt dessen muss es heißen: „“Kümmere dich um dich selbst, um deine Familie, um deine Nächsten. Lerne. Arbeite.  Ihr seid die Schmiede eures Glücks. Der Staat kann euch nicht glücklich machen.““

7.       7. Hat man sich auf dieses Leitbild geeinigt, so gilt: Bei allen Aktionen der CDU Friedrichshain-Kreuzberg muss der Aspekt des Zusammenwachsens durchscheinen. Die Partei muss Partner in der Zivilgesellschaft suchen und dauerhafte Bündnisse eingehen. Das setzt voraus, dass die CDU dem Unions-Gedanken volles Vertrauen schenkt.

Alle werden dieses Leitbild freudig begrüßen. Keiner wird sich der Anziehungskraft dieser guten Idee entziehen. Statt immer nur mehr für sich zu verlangen, werden die Menschen sagen: „Da will ich mitmachen!”

Gemeinsam gelingt die zusammenwachsende Stadt. 

 Posted by at 13:37
Jan. 042010
 

31122009.jpg  Geht alles schlitternd den Berg runter – wie hier zu sehen am schneebestäubten Kreuzberg? Als „nackte Panik“ bezeichnet Peter Sinram von der Berliner GEW den Vorschlag des Berliner Bildungssenators Zöllner, Menschen aus anderen Berufen in einem bis zu 1000 Stunden umfassenden Fortbildungsangebot zu Erziehern (und Erzieherinnen) fortzubilden. Als „lachhaft“ verwirft Alke Wierth in der heutigen taz auf S. 21 dieses Ansinnen, in nur einem Jahr gestandene Mannsbilder zu vollwertigen Erziehern und Lehrern umschmieden zu wollen.

Bildungspolitik: Maurer sollen Kitas retten – taz.de
HandwerkerInnen und andere Berufsgruppen sollen zu ErzieherInnen fortgebildet werden, um dem Personalmangel in Kitas und Schulen zu begegnen, so der Plan von Schulsenator Zöllner. Macht das Sinn?

Ich bin von Zöllners Vorschlag hingegen begeistert. Ich halte ihn für goldrichtig. Landauf, landab hören wir die Lehrerinnen und Pädagoginnen klagen: „Den Kindern fehlen männliche Vorbilder, sie kennen keine Väter mehr, die arbeiten oder je gearbeitet haben.“ Ein Erzieher, ein Lehrer, der vorher schon in einem anderen Beruf gearbeitet hat – etwa als Maurer, etwa als Landwirt, Ingenieur, Steuerberater, Notar  oder Installateur – der kann nach entsprechender Schulung  den Kindern Unschätzbares beibringen: Fleiß, Arbeitsorganisation, Zupacken, Zimmern und Tischlern. Genauigkeit, Hartnäckigkeit, Ordnung.

Maurer sollen nach Weiterbildung von einem Jahr nicht gut genug für die Erziehung sein? „Es muss schon eine richtige akademische Ausbildung her.“ Sicher! Man muss Dinge wie „Gender-Mainstreaming“ oder „geschlechtsspezifische Benachteiligung“ fehlerfrei mindestens drei Mal aufsagen können. Das finde ich oft lachhaft.

Na, Ähnliches höre ich immer wieder über Politiker: „Ein Maurer als Abgeordneter? Das kann nicht gutgehen!“ So zitiert Mariam Lau in ihrem 2009 erschienen Buch über die CDU eine resignierte Berliner CDU-Politikerin: „Ein Bezirksstadtrat ist die einzige Chance für jemanden ohne Abitur, ein B5-Gehalt zu beziehen.“ Auch hier schwingt immer wieder durch: „Für die Politik muss man akademisch gebildet sein.“ Dieses elitäre Grundverständnis von Politik fällt mir besonders bei den Grünen immer wieder auf. Ohne Abitur plus Fachhochschulstudium braucht man dort gar nicht irgendeinen Leitantrag zu verstehen zu versuchen. Aber auch die anderen Parteien stehen mit der Handwerker- und Arbeiterquote nicht wesentlich besser da.

Dieses Vorurteil gegenüber der nicht-akademischen Ausbildung und Praxis, dieses Herabschauen auf alles, was nicht mindestens 13 Jahre die Schulbank gedrückt hat, teile ich nicht. Ich stelle mich in diesem Falle ganz klar auf die Seite Jürgen Zöllners.

Wir wollen fleißige Handwerker sehn – auch in der Kita, auch in der Schule!

Quellenangabe:
taz heute, S. 21
Mariam Lau: Die letzte Volkspartei. Angela Merkel und die Modernisierung der CDU. DVA, Stuttgart 2009, hier: S. 217

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Dez. 212009
 

 Kein anderer deutscher Politiker liefert so brillante Analysen zum politischen  Tagesgeschäft, kein anderer deutscher Politiker kann den Funktionswandel des politischen Systems seit den Jahren 1989/90 so unbestechlich erklären wie Wolfgang Schäuble. Ich erinnere mich an einige seiner SPIEGEL- und ZEIT-Beiträge. Jeder von ihnen hat mir eine Einsicht geliefert, die ich so oder so ähnlich schon dunkel geahnt hatte – aber eben nicht die Kraft, nicht die Erfahrung hatte, sie auch auszusprechen. Ob man Schäubles Einschätzungen der Lage immer zustimmt, bleibe dahingestellt – aber in seinen hinter die Fassade dringenden, meta-politischen Aussagen halte ich ihn für unübertroffen unter den deutschen Politikern.

Um so überraschter war ich am vergangenen Donnerstag, ihn bei der Gesellschaft zur Förderung der Kultur im erweiterten Europa in sehr aufgeräumt-erzählerischer, zwangloser, persönlicher Haltung zu erleben. Thema war erneut: Das Doppelgedächtnis der „alten“ und „neuen“ EU-Staaten. Zsuzsa Breier hob zu Beginn hervor, wie weit wir noch von einer gemeinsamen europäischen Erinnerungskultur entfernt seien. Dazu sei noch sehr viel mehr Erzählen und Benennen nötig. Viel zu wenig werde von den Verbrechen der Kommunisten geredet. Mart Laar, der ehemalige estnische Ministerpräsident, arbeitete in klaren, unzweideutigen Worten heraus, welchen Weg Estland und die ehemaligen Ostblockstaaten insgesamt gegangen seien: weg aus der Unterjochung durch das Zwangssystem des Kommunismus, hin zu Selbstbestimmung, schmerzhaften Reformen, mühsamen Aufbauprozessen.

Schäuble fand von Anfang an einen sehr persönlichen Ton. Ich sah, mit welcher Aufmerksamkeit er durch seinen frei schweifenden Blick das Publikum zu „lesen“ versuchte! Immer wieder richtete er auch das Wort direkt an uns Zuhörer. Etwa als er sich klar für das repräsentative und gegen das direkte Modell der Demokratie aussprach: „Machen Sie nicht den Fehler, Volksabstimmungen einzuführen! Sonst kommt so ein Blödsinn heraus wie das Schweizer Minarettbauverbot.“ Es gelte vielmehr, mühselige Einsichten „von oben herab“  durch „nachholende Zustimmung“ in politisches Handeln umzusetzen. Schäuble verwies zu recht darauf, dass die Generation „Adenauer und seine Mitstreiter“ viele grundlegende Weichenstellungen durchsetzten, die zweifellos bei direkten Volksabstimmungen damals durchgefallen wären. Regierungskunst ist eben auch, das für richtig Erkannte zu tun, auch wenn die Mehrheiten erst nachher zustande kommen.

Zwei Mal kam Schäuble zu der Feststellung: „So sind wir.“ So sind wir – wir werden die Freiheit dem Zwang vorziehen. Und wir werden den größeren Wohlstand dem freiwilligen oder erzwungenen Verzicht und der Mangelwirtschaft vorziehen.Wir können Politik nur mit den Menschen machen, wie „wir“ (nicht „sie“) eben sind.

„So sind wir.“ Dieser eine Satz hat mich am meisten beeindruckt! Hier wurde nicht von komplizierten Systemen oder Funktionen, vom „christlichen Menschenbild“ oder ähnlichem doziert. Hier sprach einer, der sich ausdrücklich einbezog. Der sich selbst für fehlbar, unvollkommen und beschränkt ausgab und ausdrücklich auf eine Stufe mit seinen Wählern stellte.

Den Vorwurf, es werde zu wenig von den Verbrechen der Kommunisten gesprochen, parierte Schäuble mit folgendem Hinweis: „Mir hat mein Freund Ignatz Bubis erzählt, wie lange es dauerte, bis seine Verwandte über die Schrecken des KZ zu reden anfing. Es dauerte bis in die 80er Jahre.“ Schäubles Botschaft war: Man sollte nicht zu viel in den Schrecken der Vergangenheit wühlen, sondern beherzt und entschlossen die großen Aufgaben der Zukunft anpacken, etwa die Festigung und Vertiefung der Europäischen Union. Hier sei er keineswegs mit dem Erreichten zufrieden. Die einseitig verfolgte Idee des Nationalstaates habe sich überlebt. Der Nationalstaat bedürfe der Überwölbung durch Europa – aber auch der Stärkung der untergeordneten, der regionalen und lokalen Ebenen. Hier klang das Subsidiaritätsprinzip durch, das – so Schäuble – leider nicht durchgängig genug beachtet werde.

„Wenn es eine umfirmierte NSDAP gegeben hätte, wenn sie nach 1945 nicht verboten worden wäre, dann hätten die Nazis ähnlich hohe Stimmengewinne erzielt wie die umbenannte SED nach 1990.“  Diese mutige Aussage bekräftigte Schäuble noch einmal, als ein Zuhörer energisch den Kopf schüttelte. Geschäft der Demokratie sei es, das gesamte Spektrum der Meinungen zuzulassen und durch unablässiges Werben und Kämpfen für die als richtig erkannte Sache einzutreten. Gerade in diesen Passagen wurde deutlich, dass dem politischen Menschen Wolfgang Schäuble jeder eifernde, jeder rechthaberische Zug fehlt. Ich meine: Zwischen dieser klug abwägenden, um die Verführbarkeit des Menschen wissenden Weltsicht und dem, was man als stumm leidendes Mitglied etwa auf Versammlungen der Berliner CDU um die Ohren gewatscht bekommt, liegen wahrhaftig Welten.

Einbeziehung, Ausgleich, klare Friedenspolitik – unter diesen Grundworten ließen sich weitere Anmerkungen zusammenfassen. Einer privilegierten bilateralen Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Russland, wie sie bis 2005 gepflegt wurde, erteilte Schäuble deshalb eine klare Absage: „Wir dürfen als Deutsche keine Russlandpolitik machen ohne unsere europäischen Partner einzubeziehen.“

Mein persönliches Fazit des Abends lautet: Mart Laar und Wolfgang Schäuble teilen wesentliche Grundeinsichten.  Sie gehen davon aus, dass die Politik eines freien Europa aktiv-vorwärtsblickend sein muss, im Bewusstsein der zum Glück überwundenen Spaltung Europas klare Ziele verfolgen muss, ohne die Gräben der Vergangenheit durch gefährliches Verschweigen oder nicht zielführendes Darin-herum-Wühlen künstlich offenzuhalten.

Ich fasse also den gesamten Abend so in zwei Worten zusammen: „Wer nicht gegen uns ist, der sei für uns! Wer noch nicht für uns ist, dem reichen wir die Hand hin!“

Die Kraft der Freiheit wird stärker sein als die Knechtschaft eines Systems. Der politische und wirtschaftliche Erfolg des Europäischen Projekts wird stärker sein als das Spaltungsdenken. Und die Idee der Eigenverantwortung wird dem übermäßigen Machtanspruch der Systeme und Bürokratien in jederlei Gestalt widerstehen müssen.

Dem kann ich nur zustimmen. Denn: So sind wir.

Unser Foto zeigt von links nach rechts:  Wolfgang Schäuble, Mart Laar, Moderator Konstantin von Hammerstein

 Posted by at 00:47
Dez. 062009
 

Bereits im 5. Jahrhundert vor Christus zeichnet sich ein Gegensatz zwischen orientalischer Herrschaftskultur und europäischer Freiheitskultur ab. In den Persern des Aischylos, aber auch im Buch Ester der Hebräischen Bibel wird dies exemplarisch fassbar.

Die orientalische, die östliche Herrschaftskultur beruht auf der Unterwerfung des Einzelnen unter die göttlich überhöhte Vorrangstellung der Macht. Die Macht des Selbstherrschers setzt das Recht, schützt den Einzelnen vor Anmaßungen anderer, verlangt aber bedingungslose Anerkennung und Verherrlichung. Bis zum heutigen Tage herrschen in den meisten Nachfolgestaaten der antiken Großreiche des Ostens autokratische, auf Unterwerfung beruhende Regierungen. Die einzige Ausnahme stellen Israel und – mit allerdings erheblichen Einschränkungen – die Türkei und teilweise Libanon dar. Alle anderen Staaten vom Maghreb bis nach Pakistan sind autokratische oder diktatorische Regimes, in denen sich niemals über die Jahrtausende hin eine echte Freiheitskultur entfaltet hat.  Die Bürger dieses Staaten sind an ihre Versorgungsdiktaturen gewöhnt. Die Macht setzt sich durch, gestützt auf einen willfährigen Polizei- und Beamtenapparat.

Aus diesen Ländern der Versorgungsdiktaturen kommen die „problematischen“ Migrantengruppen zu uns. Da sie in ihren Herkunftsländern niemals aktive Teilhabe am öffentlichen Leben erlangt haben, setzen sie ihre Karriere als Versorgungsempfänger in Deutschland nahtlos fort. Folge: es kommt ihnen gar nicht in den Sinn, etwa Elternabende zu besuchen. Alles, was der Staat macht, wird von den Bürgern hingenommen. Weder wird der Staat kritisiert, noch wird er aktiv verändert. Der Staat – hier also vertreten durch die Schule – soll seine Versorgungsleistungen erbringen. Zu diesen Leistungen gehört auch die Erziehung der Kinder. Man liefert Kinder ab, und die Schule soll sie erziehen. Der Islam mit seinem starken Akzent auf Endgültigkeit, mit seinem geschlossenen Weltbild, mit seiner nicht-diskursiven Ethik eignet sich ideal als Kitt solcher autokratischer Herrschaftsverbände.

Ganz anders das europäische Modell der abendländischen Leitkulturen! Europäische Leitkulturen sind dynamisch. Sie entstehen aus dem häufig streitigen Gegeneinander unterschiedlicher Machtpole und Machtinteressen. Machtverherrlichung ist nicht ihr Hauptzweck, sondern Befragung, Bekämpfung oder auch Sicherung der stets gefährdeten Macht. Europäische Leitkulturen sind nach vorne offen, sie zeichnen sich durch stetes Umdeuten der Herkünfte aus. Zu den europäischen Leitkulturen gehören deshalb untrennbar offene Kanonbildungen – ja der Kanon kultureller Werte und Werke ist selbst Gegenstand fortlaufender Neudeutung und Neuschaffung.

In der Berliner Schulpolitik herscht riesige Verwirrung über die Herkunftsländer unserer Migranten – sofern man sie überhaupt zur Kenntnis nimmt.  Unser Sozialsystem wird von den Zuwanderern aus Türkei, Libanon oder Jordanien als bruchlose Fortsetzung der orientalischen Versorgungsdiktaturen erlebt und dankbar entgegengenommen. Die orientalisch-islamische Herrschaftskultur wird meist unbefragt weitergegeben. Dies erfahre ich auf Schritt und Tritt bei der Begegnung mit jungen migrantischen Männern in Kreuzberg.

Diese jungen migrantischen Männer wachsen in ein kulturelles Vakuum hinein, da die deutsche Gesellschaft – also wir – es nicht mehr vermag, ihre eigenen Werte überzeugend zu formulieren. Vielmehr wird in der deutschen Politik der Staat zunehmend zum „Anspruchsgegner“ gemacht, der uferlos auswuchernde Versorgungs- und Glückseligkeitswünsche zu befriedigen hat. Diese Grundhaltung „Versorge uns oh Staat!“ reicht bis weit in die CDU und die FDP hinein.

Man kann dies auch an den neuesten Schulreformversuchen ablesen. So wird etwa in der Broschüre des Berliner Senats zur neuen Sekundarschule nirgendwo die Rolle der Familie oder der fundamentale Beitrag des Einzelnen erwähnt – vielmehr wird das gesamte Schulwesen als eine Art BVG-Verschiebebahnhof dargestellt. Es kommt nur darauf an, den richtigen Waggon zu erwischen, alles andere regelt der Staat für die Schüler.

Ich halte dies für gefährlich. Wir brauchen nicht den Untertan, den unmündigen Leistungsempfänger. Wir brauchen den mündigen, seiner Rechte und Freiheiten bewussten Menschen und Bürger, der seine Glückseligkeit nicht vom Staat erwartet, sondern selbst dafür arbeitet.

 Posted by at 21:28