Feb 202010
 

„Das glaube ich Dir nicht, Cem!“ – so möchte ich meinem Mitschwaben und Facebook-Freund Cem zurufe, nachdem ich seinen Beitrag in der heutigen FAZ gelesen habe:

Gastbeitrag zur Hartz-IV-Debatte: Die gute Nachricht: Der Mensch ist besser – Inland – Politik – FAZ.NET

Wir wollen einen Staat, der seinen Bürgern die bestmöglichen Rahmenbedingungen bietet, damit jeder unabhängig von seiner Herkunft und der Größe des Geldbeutels seiner Eltern seine Möglichkeiten und Potentiale zum Wohle seiner selbst und der Gesellschaft voll entfalten kann. Genau das tut er aber gegenwärtig nicht. Die Bedingungen für Freiheit sind nicht gegeben. Wir leben vielmehr in einer hochgradig blockierten Gesellschaft.

Bereits hier melde ich Widerspruch an, Cem! Und zwar als Kreuzberger aus den Tiefen des Bezirks heraus, den Du wohlweislich nur zu Deinem Zweitwohnsitz erkoren hast. Ich bin im Gegenteil überzeugt: Die Bedingungen für Freiheit sind gegegeben. Es steht jedem Menschen frei, seine Potenziale in diesem Land zu entfalten. Der Staat tut genug. Er kann kaum mehr tun. Aber wir lesen weiter bei unserem Mitschwaben:

Der wichtigste Schlüssel, um diese Blockaden aufzubrechen, ist die Bildungspolitik. Bildung ist nicht nur ein Menschenrecht sondern laut OECD auch das beste Konjunkturprogramm für die Wirtschaft. Dafür muss Politik die richtigen Prioritäten für ein gerechteres und leistungsfähigeres Bildungssystem setzen: Mit höheren Investitionen ebenso wie mit einer Verbesserung von Qualität und Struktur. Gegenwärtig gehören wir im OECD-Vergleich zu den Schlusslichtern, was die Bildungschancen angeht: Diese werden von der sozialen Herkunft der Eltern diktiert, auch weil wir im dreigliedrigen Schulsystem bei den Zehnjährigen anfangen, auszusortieren. Auch deshalb wird jeder fünfte zum Risikoschüler und später viel zu oft zum Empfänger von Transferleistungen.

Erneut melde ich Widerspruch an! Es wird immer wieder mehr Geld, Strukturverbesserung, kleinere Klassen, frischere Lehrer, bessere Methoden usw. gefordert. Und genau das haben wir! Wir haben heute bessere Strukturen, kleinere Klassen, besser ausgebildete Lehrer als noch vor 20 Jahren. Und dennoch sinken vielfach die Lern-Ergebnisse. Wer ist schuld? Der Staat?

Meine Antwort lautet, und auch dies sage ich getränkt mit den jahrzehntelangen Erfahrungen aus einem Bezirk, den die FAZ-Leser und FAZ-Autoren wie Cem Özdemir sich allenfalls nur zu ihrem Zweitwohnsitz erkiesen:

Woran es fehlt, das sind die individuellen Anstrengungen. Es fehlt – mindestens bei uns in Kreuzberg – an Fleiß, es fehlt an Redlichkeit, es fehlt an Zuversicht, an Vertrauen in die eigenen Kräfte. Es werden dauernd Nebelkerzen über „gesellschaftliche Ursachen“ gezündet, es wird betrogen und getäuscht, es wird endlos gejammert und gefordert. Der Spendier- und Kümmereronkel, der Staat, soll Geld und nochmal Geld bereitstellen. Schluss damit. GET GOING! Lernt, seid fleißig, gebt euch Mühe. Zieht der Arbeit hinterher. Zieht nicht dahin, wo ihr möglichst ohne eigene Bemühung ein anstrengungsloses Leben führen könnt.

Die Gesellschaft blockiert sich selbst, indem sie ständig für alles die Schuld dem Staat oder unserer gesellschaftlichen Ordnung zuschreibt. Der Begriff der persönlichen Verantwortung ist fast völlig verlorengegangen. Man zockt gegen den Staat! Das gilt für die Steuerhinterzieher, die dem Staat jedes Jahr Milliarden stehlen, die verantwortungslosen Banker, die jahrelang nur in die eigene Tasche gewirtschaftet haben, ebenso wie für die riesige Mehrheit derjenigen Menschen, die sich aus irgendwelchen gruppenegoistischen Gründen dauerhaft zur „benachteiligten Minderheit“ erklären lassen und Anspruch auf dauerhafte besondere Förderung erheben.

Ich vertrete die Ansicht: Die staatliche Ordnung ist grundsätzlich in sehr guter Verfassung. Was nicht in Ordnung ist, das können wir nachbessern. Die Menschen haben es in der Hand, das beste aus ihrem Leben zu machen. Die Denke in den Köpfen ist verworren.

 Posted by at 12:47

  3 Responses to “Des globbiDr net, Cem!”

  1. Guter Kommentar, bayerischer grüner Löwe, der bei aller Überspitzung meine Argumente zutreffend widergibt! Von einem Dreijährigen Pünktlichkeit einzufordern, wäre absurd. Aber schon von einem Sechsjährigen machen unsere Schulen genau das. Die Schulen verlangen mit vollem Recht von den Eltern und von den Schülern pünktliches Erscheinen. Schon das pünktliche Erscheinen zum Unterricht ist ein Riesenproblem. Auch wir (ich meine meinen Sohn und mich) sind nicht gut darin. Wir müssen dran arbeiten. Ausreden – etwa „Wir müssen so weit zur Schule gehen“ – darf es nicht geben. „Dann müssen Sie früher losgehen!“

  2. Der Lieblingsgrüne des Grünen Löwen aus München wohnt also im Viertel seines schwarzen Lieblingsbloggers!

    Kreuzberg, du hast es gut!

    Apropos Argumentation:

    Ich stelle mir ein dreijähriges Kind in einer Kreuzberger Familie vor, die im Alltagsstress steckend nicht viel Förderung für dieses Kind leistet. Das Kind lernt von seinen Eltern nicht, zu lernen, lernt nicht sich anzustrengen, sich zu bilden … Es wird frühzeitig vor den Fernseher gesetzt, oder was da heute das bequeme Ablenkungs- und Stillstellungsmedium sein mag.

    Nun kommt Johannes Hampel und sagt dem Dreijährigen: „Du musst dich anstrengen! Du musst dein Leben in die eigene Hand nehmen! Übernimm die Verantwortung für dich selbst!“

    Der Dreijährige schaut Onkel Johannes verständnislos an.

    Johannes Hampel versucht es ein Jahr später wieder, und immer wieder Jahr für Jahr … und eines Tages ist der Junge 15 oder 18 – und unser schwarzer Verantwortungspolitiker erklärt ihm nun altersgerecht: „Alles steht bereit, Junge, du musst nur zugreifen! Nimm dein Leben in deine eigene Hand! Ich hab’s dir doch schon seit deinem 3. Lebensjahr gepredigt!“

    Seltsam, der Kreuzberger Junge funktioniert nicht, wie Johannes Hampel meint, dass er doch funktionieren müsste. Irgend etwas ist da schief gelaufen. Johannes Hampel meint, der Fehler müsse in dem Jungen selber liegen –

    – DENN es ist schließlich nicht die Familie, nicht die familiäre und nachbarschaftliche Umwelt, es sind nicht die Eltern und Verwandten, die ein Kind prägen — nein, es ist etwas anderes: ein metaphysisch freier Wille in uns, der sich für oder gegen ein irdisches Wollen und Streben entscheidet.

    Es ist also ganz egal, was die Eltern uns als Kinder lehren, ihr Beispiel ist egal, ihre Worte und Taten sind egal – der metaphysisch freie Wille im Kind entscheidet, ob es seine Hausaufgaben macht oder nicht, ob es nach guten Noten strebt oder nicht, ob es sein Leben in die eigene Hand nimmt oder nicht.

    Wozu braucht man eigentlich noch Eltern, wenn es eine so machtvolle innere Instanz gibt, die uns ohne Beispiel und Erziehung der Eltern auf den Weg bringt? Ja, ich weiß, es ist ganz nett, Eltern zu haben, aber es ist doch ziemlicher Luxus.

    „ICH erziehe mich SELBST!“ sagte vor einigen Jahrzehnten der dreijährige Johannes Hempel selbstbewusst, und was Papa und Mama Hampel dann noch ergänzend beitrugen, nahm er dankbar als Zugabe an.

    Münchhausen lässt grüßen!

  3. Wenn mein Zweitwohnsitz in Kreuzberg ist, wo soll denn dann bitte schön mein Erstwohnsitz sein? Ich wohne mit meiner Familie in Kreuzberg und habe hier meinen Erst-, Zweit-, Dritt- und sonstigen Wohnsitz. D.h. ich habe nur einen Wohnsitz. Leider ist auch der Rest ähnlich gut recherchiert, deshalb höre ich hier auf und sage auf gut Schwäbisch: Erscht denga, dann schwätza bzw. schreiba!
    Mit freundlichen Grüßen
    Cem Özdemir

    PS: Bin schon gespannt, ob mein Kommentar auch mit abgedruckt wird.

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