Das Wort ist stärker als die Wanze

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Mai 082008
 

Wirklich gute Worte fielen unter dem Klang der ersten Hammerschläge laut Presseberichten auf der Grundsteinlegung für den neuen BND-Bau an der Chausseestraße. Die Welt schreibt heute:

Bei der Grundsteinlegung für die neue Zentrale des Auslandsgeheimdienstes in Berlin streikte die Technik. Die feierlichen Reden von BND-Chef Ernst Uhrlau und Kanzleramtsminister Thomas de Maizière (CDU) wurden durch defekte Mikros gestört. „Ich wünsche dem BND Probleme mit dem Mikrofon nur auf der Baustelle, nicht bei der Arbeit“, unkte de Maiziere, nachdem er den Grundstein mit einem kräftigen Hammerhieb in das Fundament eingepasst hatte.

BND-Umzug: Die Zähmung der widerspenstigen Spione – Nachrichten Politik – WELT ONLINE

Die Süddeutsche Zeitung listet heute auf S. 6 eine satte Liste an Versäumnissen und Rechtsverstößen durch den BND auf: Online-Durchsuchung eines afghanischen Ministers und einer Spiegel-Reporterin, Vernehmungen in ausländischen Foltergefängnissen, Belieferung der USA mit falschen Informationen über angebliche irakische Massenvernichtungswaffen, dienstinterne Querelen, die nach außen getragen wurden. Die Liste könnte weitergeführt werden.

BND-Chef Uhrlau gab sich zerknirscht: „Ich werde daran arbeiten, dass das – auch durch mich – verlorengegangene Vertrauen in den Dienst wiederhergestellt wird – durch solide Arbeit und vorzeigbare Ergebnisse.“

Bereits vor Tagen hatten Kanzlerin Merkel und das Parlamentarische Kontrollgremium öffentlich geäußert, dass das Vertrauen in den Dienst „gestört“ sei.

Ich vermute mal: Die Zerlegung des BND in zwei Teile (ein Teil zieht voraussichtlich 2013 nach Berlin, ein Teil bleibt in Pullach) wird den ohnehin angeschlagenen Dienst noch weiter schwächen. Das muss nicht von Übel sein. Ein allzu starker Geheimdienst, wie ihn sich die USA leisten, kann völlig aus dem Ruder laufen und Politik auf eigene Faust zum Schaden des Volkes betreiben, wie Tim Weiner überzeugend nachgewiesen hat. Auch das Festhalten an dem so heftig kritisierten Präsidenten Uhrlau signalisiert eindeutig: Jetzt darf nicht mehr viel Widergesetzliches passieren, sonst ist es aus mit der ganzen geheimdienstlichen Selbstherrlichkeit.

Am beachtlichsten fand ich übrigens den in der heutigen Süddeutschen Zeitung auf S. 6 vermerkten Kommentar von Kanzleramtschef de Maizière. Er soll betont haben, wie wichtig auch in Zeiten von Mobilfunk und Internet die Kommunikation von Mensch zu Mensch sei, und er fügte abschließend hinzu:

„Da brauchen wir dann später auch keine schlecht funktionierenden Mikrophone mehr.“

Das muss ja wohl heißen: Wenn wir richtig miteinander reden, und zwar von Angesicht zu Angesicht, im Geist der Ehrlichkeit, der Klarheit und Wahrheit, als Freunde, als Partner, aber auch als Gegner, dann bedarf es keiner technisch hochgerüsteten Bespitzelung, keiner „krummen Touren“, keiner Mikrophone und Wanzen mehr. Der Geheimdienst im herkömmlichen Verständnis wird überflüssig und in eine moderne Agentur zur Informationsauswertung umgewandelt.

Ich stimme dieser nur scheinbar utopisch klingenden Einschätzung des Ministers de Maizière im wesentlichen zu. „Das Wort ist stärker als die Wurfschleuder“, sagte einst der weithin unterschätzte Adalbert Stifter. Er erkannte: Nichts bewegt auf Dauer die Menschen mehr als das offene, freimütig ausgesprochene Wort. Dieses Prinzip, dieses Grundvertrauen in das freie Wort hat die Spaltung Deutschlands, die Teilung Europas überwunden, es waren nicht die heimlich beschafften Informationen von jenseits des eisernen Vorhangs. Nebenbei: Ein paar Milliarden Menschen auf dieser Erde glauben, dass die Welt überhaupt durch das Wort geschaffen worden sei.

Schlussfolgerung auf kurze Sicht: Das Wort ist stärker als die Wanze! Und der BND gehört unter die Kuratel unserer gewählten Volksvertreter. Wenn die vom Volk auf Zeit bestellten Vertreter, also die Regierung und das Parlament, es nicht schaffen, den Dienst auf den Pfad der Gesetzestreue zurückzuführen, dann steht es dem Souverän, also dem Volk frei, dies bei den nächsten Wahlen mit dem Stimmzettel zu quittieren.

Moderne Dienste wären effiziente Verwalter von Informationen. Sie wären Wasserträger und Zuarbeiter der demokratisch legitimierten Volksvertreter. Die meisten Informationen entstammen sowieso der Öffentlichkeit, entspringen also dem genauen Studium der frei zugänglichen Medien. Das heißt: man muss fleißig Fremdsprachen lernen, vor allem auch Arabisch und andere nur scheinbar exotische Sprachen, die 20.000 wichtigsten Internet-Sites in den 20 wichtigsten Sprachen verfolgen, den Economist, die FAZ und den Spiegel und ein paar Dutzend andere seriöse Blätter aus verschiedenen Kontinenten lesen, Wichtiges von Unwichtigem trennen. Bitte alle Gesetze – wie das absolute Folterverbot – beachten! Bitte keine Politik selber machen, das geht ins Auge!

Übrigens: Der Neubau wird viel Geld in die regionale Bauwirtschaft und in die Gastronomie spülen und sollte uns Berlinern aus diesem Grunde willkommen sein.

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I colori del giallo, oder: Italien im Spiegel des Krimis

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Mai 082008
 

Mich erreichte eine Einladung zu einem Ereignis, an dem ich selbst auch beteiligt bin.

Einladung zur Lesung und Diskussion. Macchie di rosso.

Bologna: una città, i suoi delitti, le sue scritture

mit Luigi Bernardi

Grußwort: Angelo Bolaffi, Direktor IIC Berlin

Moderation: Luca Crovi

Lesung aus dem deutschen Text: Johannes Hampel

am Donnerstag, 15. Mai 2008, um 19.00 Uhr

auf italienisch mit Simultanübersetzung

Drei Jahre nach dem schlimmsten Attentat der italienischen Nachkriegsgeschichte, dem Bombenanschlag vom 2. August 1980 auf dem Bahnhof von Bologna, wird Francesca Alinovi in ihrem Appartement mit siebenundvierzig Messerstichen niedergestreckt. In der einst ruhigen Stadt am Fuße des Apennin, in der seit dem Anschlag ohnehin ein Klima der Verunsicherung, Taubheit und Vernebelung herrschte, wirkte die Nachricht von dem Mord wie ein erneuter Schock.

Über dieses Ereignis und seine Folgen spricht der Kritiker Luca Crovi mit dem Schriftsteller und Journalisten Luigi Bernardi, der auch aus seinen Werken lesen wird.

Luigi Bernardi ist Journalist, Schriftsteller, Übersetzer und Verlagsberater. Zusammen mit Carlo Lucarelli leitet er die schwarze Reihe Stile Libero im Verlag Einaudi. Er ist Mitarbeiter der Tageszeitungen Il Nuovo und Il Domani di Bologna . Seine Werke sind Erano angeli (Fernandel, 1998), La foresta dei coccodrilli (Castelvecchi, 1998), Complicità (Mobydick, 1999), A sangue caldo (DeriveApprodi, 2001), Pallottole vaganti (DeriveApprodi, 2002) und Il libro dei crimini (zwei Ausgaben, Adnkronos, 2000 und 2001)

Luca Crovi, Rock-Kritiker und Radiomoderator, beschäftigt sich seit Jahren mit populärer Literatur und Comics. Dem italienischen Krimi widmet er sich mit den Monografien „Delitti di carta nostra“ (Puntozero, 2001) und „Tutti i colori del giallo“ (Marsilio, 2002). Letzteres Buch führt vor fünf Jahren zu der überaus erfolgreichen und gleichnamigen Radiosendung auf Radiodue, die 2005 mit dem Premio Flaiano ausgezeichnet wird.

Um Antwort wird bis zum 13. Mai 2008 gebeten.

E-Mail: antwort.iicberlino@esteri.it I Tel: 030 – 269 941-0 I Fax: 030 – 269 941-26

Ort: Istituto Italiano di Cultura, Hildebrandtsr. 2, 10785 Berlin

(Bus 200, Tiergartenstraße, Bus M29, Hiroshimasteg, Bus 100, Nordische Botschaften)

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Mai 072008
 

Hier in Berlin ist es mit Händen greifbar: Modernisieren, neue Erfahrungshorizonte ermessen, das ist eine Aufgabe, der sich die Politik immer wieder stellen muss. Das alte Block- und Lagerdenken wird allmählich aussterben. Die alten Schlachtrufe „Hier Linksblock-Da Bürgerlicher Block“ verblassen von Tag zu Tag mehr. Und: wir brauchen im öffentlichen Leben relativ flache Hierarchien.

Dieser Generationenwechsel steht auf vielen Politikfeldern an, so unter anderm auch beim BND. Das wird anlässlich der Grundsteinlegung der neuen BND-Zentrale in Berlin erneut deutlich. Die Berliner Zeitung schreibt heute:

«Die älteren Mitarbeiter sind im Kalten Krieg groß geworden, die neuen Mitarbeiter haben den Kalten Krieg nie erlebt», sagte de Maizière am Mittwoch im RBB-Inforadio. Außerdem werde an einer Neuorganisation gearbeitet, eine ganze Hierarchieebene werde abgeschafft. «Das alles wird dazu führen, dass der BND moderner wird.»

Berliner Zeitung – Aktuelles Berlin – Kanzleramtschef: BND-Umzug ist Generationenwechsel

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Flanieren zur Deutschen Guggenheim

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Mai 052008
 

Bin schon gespannt auf den Vortrag von Adachiara Zevi über „Wendepunkte in der italienischen Gegenwartskunst“ in der Deutschen Guggenheim, morgen, Dienstag, um 19 Uhr, Unter den Linden 13. In diesen Maiwochen lohnt sich das Flanieren auf Berlins Prachtmeile mehr noch als sonst! Wenn dann noch ein geistiger Genuss hinzukommt, steht einem gelungenen Abend nichts im Wege.
Deutsche Guggenheim

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VCD startet Fahrrad-Kampagne für Schülerinnen und Schüler

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Mai 052008
 

Sieh an – ein veritabler Verkehrsminister, Herr Wolfgang Tiefensee, tritt zum Start dieser Aktion in Berlin auch in die Pedale! Ich warte immer noch, bis der erste Staats- oder Regierungschef auf dem Velo vor dem Adlon eintrifft! „Radfahren ist uncool, wirkt unserer weitverbreiteten Neigung zur Lässigkeit entgegen, hindert mich am Gebrauch des Handys, verleiht mir ein Loser-Image, kostet Zeit und Nerven, fördert die Schattenwirtschaft wegen häufiger Diebstähle und behindert mich beim Autofahren. Autofahren fördert die Staatseinnahmen, kurbelt die Wirstchaft an, macht mich unabhängig von der BVG und bringt Punkte bei der Peer Group!“ – so lassen sich kurz die Argumente eines zwanzig Jahre jüngeren Mannes zusammenfassen, mit dem ich einmal über Radfahren, Autofahren – und – oh Schreck! – das Wandern sprach.

Nebenbei: Im Euro-City von Budapest nach Hamburg, den wir gestern nutzten, hingen viele Fahrräder in einem eigenen Gepäckabteil – großartig – wann zieht der ICE nach und erlaubt wie sein großer europäischer Bruder die Mitnahme von Fahrrädern?

Also – ich finde diese Aktion trotzdem gut!

VCD startet Fahrrad-Kampagne für Schülerinnen und Schüler – Fahrradportal > Aktuell > Neuigkeiten – Fahrradportal Nationaler Radverkehrsplan
Mit »FahrRad!« möchte der VCD das Image des Fahrrades bei den Jugendlichen verbessern und sie für das umweltschonende Zweirad gewinnen. *Denn Rad fahren ist gesund, stellt einen wichtigen Beitrag zum Umwelt- und Klimaschutz dar und trägt dazu bei, dass sich Kinder in der Schule besser konzentrieren können“, begründet Gabriele Kuczmierczyk vom VCD-Bundesvorstand das Engagement des VCD. *Wer den Schulweg mit dem Fahrrad zurücklegt, verbessert darüber hinaus seine sozialen Kontakte und übt verkehrssicheres Verhalten.“

Angesichts des verbreiteten Bewegungsmangels bei Kindern und Jugendlichen ist es nach Ansicht des VCD wichtig, die körperliche Auslastung von jungen Menschen zu fördern und der Fixierung auf das Auto als bequemes Fortbewegungsmittel entgegenzuwirken. Michaela Mohrhardt, Leiterin des Projektes beim VCD: *Obwohl das Fahrrad gerade auf kurzen Entfernungen wie Schulwegen häufig das ideale Verkehrsmittel ist, werden viele Schülerinnen und Schüler täglich mit dem Eltern-Taxi zur Schule gebracht. Mit unserer Kampagne wollen wir Lust aufs Rad fahren machen und erreichen, dass die Jugendlichen auch nach Abschluss des Projektes das Fahrrad im Alltag gerne als Fortbewegungsmittel nutzen.“

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Unter Sachsen ein Bild Europas finden

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Mai 042008
 

europa04052008013.jpg Das Wochenende führte uns durch Sachsen. Am Freitag erlebten wir eine Aufführung der Cavalleria Rusticana von Mascagni am Theater in Görlitz, am Samstag sah ich das Drei-Personen-Stück Watte des jungen britischen Dramatikers Ali Taylor im neuBAULABOR am Schauspielhaus Dresden. Zwei junge Männer auf der Schwelle zum Erwachsenenwerden suchen den Geist ihrer Mutter und finden eine junge Frau, die sich erst zwischen sie stellt und sie letztlich doch wieder miteinander versöhnt. Eine Versöhnung, die einen Abschied bedeutet, Abschied vom Geist der Mutter, Aufbruch zum Neuen, zu unbekannten Ufern. Großartig gespielt von Seán McDonagh, René Erler und Nele Jung in der hervorragenden Übersetzung von Michael Raab, die sich wie eine originale deutsche Arbeit anhörte.

Bei prachtvollem Maiwetter besichtigten wir heute den Barockgarten Großsedlitz. August der Starke ließ diese prunkvolle Anlage ab 1723 für den polnischen Weißen Adlerorden anlegen und schuf ein grandioses Gartenkunstwerk. Unter den Skulpturen fielen mir besonders die Personifikationen der vier Erdteile auf, die heute allgemein als Werke des Johann Christian Kirchner aus den Jahren 1720-1730 gelten. Eine sachkundige Broschüre vermerkt dazu:

Stillschweigend ging man von der Vorrangstellung Europas aus, nur der Erdteil Asien, der schon lange bekannt war und als Ursprung des Reichtums und zahlreicher Gewürze Respekt genoss, wurde ebenso „zivilisiert“ wie Europa dargestellt, während Afrika und Amerika als „Wilde“ erschienen. Der Erdteil Australien fehlt, er war zwar schon entdeckt worden, jedoch noch wenig bekannt. (aus: Der Königliche Lustgarten zu Großsedlitz. Die Skulpturen, Barockgarten Großsedlitz, 2004, S. 37)

So nähern wir uns denn dem Bilde Europas aus jener Zeit, in der alle die Errungenschaften, die das reflektierte Selbstbild Europas bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein wesentlich bestimmten, entfaltet worden sind. Wir sehen eine gekrönte Frauengestalt mit majestätisch in die Ferne gerichtetem Blick. Helm, Schild und mehrerere Kanonenkugeln in diesem Helm, der auf einem Stapel von Büchern ruht, sollen beweisen: Europa, eine edle Schöne, ist wehrhaft, kriegstüchtig, zur Herrschaft bestimmt, gestützt auf wissenschaftlich unterlegte Kriegskunst. Weintrauben und kostbares Gewand beweisen den Reichtum des Erdteils. Zirkel und Winkelmaß symbolisieren den stürmischen Fortschritt der mathematischen Wissenschaften und die Blüte der Baukunst. Den Oberkörper umschmeichelt ein Hermelinfell, seit alters den Königen und Kaisern vorbehaltener Ausweis besonderer Würde. Die Bischofsmütze, auf welcher ein Szepter ruht, steht für das Bündnis zwischen Altar und Krone, wobei ich mich frage, ob das räumliche Darunter der Bischofsmütze auch die Unterlegenheit der Landeskirche unter dem Patronat des Königs ausdrücken soll. Wer weiß es?

Das Bild oben zeigt die beschriebene Statue der Europa am heutigen Tage.

In der heutigen Süddeutschen Zeitung erhebt Thomas Urban seine warnende Stimme. Die Europäische Union dürfe sich – sozusagen als Europa „im Griff Russlands“ – nicht durch die mächtigen Verhandlungspartner im Kreml über den Tisch ziehen lassen. Dies gelte insbesondere dann, wenn die Interessen der drei baltischen Länder empfindlich beeinträchtigt würden. Hier habe die Europäische Union die gesammelte Russland-Erfahrung dieser Neumitglieder sträflich vernachlässigt, auch deshalb, weil sich der Wind unter Putin gedreht habe und eine kritische Befassung mit der Geschichte der Sowjetunion nicht mehr möglich sei:

Selbstverständlich müssen EU-Politiker dieser Stimmung an der Moskwa Rechnung tragen. Auch Esten, Letten, Litauer und Polen wollen Russland keineswegs isolieren, sondern einen Dialog führen. Es sind ja keine eifernden Nationalisten, die von Tallinn bis Warschau das Sagen haben: So gehörte der estnische Präsident Toomas Hendrik Ilves, der als Sohn antikommunistischer Emigranten in den USA aufgewachsen ist, früher der sozialistischen Fraktion im Europa-Parlament an. Sein litauischer Kollege Valdas Adamkus, der einen ähnlichen Lebenslauf hat, vertritt liberalkonservative Positionen, ebenso wie Donald Tusk, der polnische Premierminister.

Diese Politiker sind alle an einer starken Europäischen Union interessiert. Doch im Gegensatz zu vielen ihrer Kollegen in Westeuropa glauben sie, dass man gegenüber Moskau anders auftreten müsse: durchaus verbindlich in der Form, aber härter in der Sache. Sie werfen den Regierungschefs der alten EU-Staaten vor, die imperialistischen Ziele, die der Kreml mit seiner Energiepolitik verbindet, schlicht zu ignorieren. Sie übersähen außerdem, dass Nato und EU lebenswichtig für die jungen Demokratien in Osteuropa seien.

 

Thomas Urbans Weckrufe sollten nicht ungehört verhallen, so meine ich, zumal er ja keineswegs Russland als „nicht-europäisch“ in die Ecke stellt, sondern ein gerüttelt Maß an Interessenpolitik anmahnt. Einigkeit macht stark – auch und vor allem gegenüber einem selbstbewusst auftretenden Partner, dem es nicht an neu erblühtem Selbstbewusstsein gebricht: Russland.

 Posted by at 21:24

Unterwegs zu einer demokratischen Regierungskunst

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Mai 042008
 

Die Süddeutsche Zeitung bringt am Wochenende auf S. 7 einen guten Hintergrundbericht über Thomas de Maizière, den Minister im Kanzleramt. Journalist Stefan Braun hebt den unaufgeregten, im Hintergrund wirkenden, kenntnis- und faktenreichen Manager der Macht hervor, dessen Einfluss auf Entscheidungen weit größer sei als die Öffentlichkeit wahrhabe. Am meisten sticht in meinen Augen in diesem Artikel die Wendung „kommunikative Missverständnisse“ hervor: de Maizière erläuterte dieses Thema vor Bonner Schülern bei seiner Rückkehr in sein ehemaliges Gymnasium. Wir zitieren:

Die Abiturklassen haben sich in der Aula versammelt, es folgen zwei Stunden Fragen und Antworten – mit einem Thomas de Maizière, der die Kanzlerin, die Politik in Berlin und die Welt erklärt. Der bei jedem Thema – ob China, BND oder Gesundheit – die Interessenkonflikte, die Kompromisssuche, die „kommunikativen Missverständnisse“ erläutert. Sie glauben ihm, sie hängen an seinen Lippen. Es gibt sehr viel Beifall. Er macht derlei Ausflüge immer wieder.

Ein „kommunikatives Missverständnis“ – ist das nicht ein Widerspruch in sich? Ich vermute, nein! Viele politische Botschaften kommen deswegen anders an, als sie gemeint waren, weil die Sprechenden oder Schreibenden zwar das Richtige meinen, es aber so ausdrücken, dass es beim Hörer oder Leser ganz anders „ankommt“. Berühmtes Beispiel: Jene „Peanuts“ des Bankchefs. Diese – wie Physiker sagen – „Phasenverschiebung“ unserer Kommunikation vorwegzunehmen und so für eigene Zwecke zu nutzen, dass ein vertretbares Ergebnis erzielt wird, scheint mir einer der wichtigsten Aspekte demokratischer Regierungskunst zu sein – nebenbei auch der entscheidende Erfolgsfaktor für Politikerinnen und Politiker, die gewählt und wiedergewählt werden wollen.

 Posted by at 20:36
Mai 032008
 

subbotnik260420081.jpg schneiderhampellucas_097.jpgAm Freitag, 25. April, besuchte ich die zweite Auflage von „Doppelgedächtnis„, der verdienstvollen Vortragsreihe, die die „Gesellschaft zur Förderung der Kultur im erweiterten Europa“ anbietet. Diesmal versammelten wir uns im Deutschen Historischen Museum. Monika Flacke, die Gastgeberin des Hauses, warf in ihrer Begrüßung gleich einen Stein ins Wasser. Sie stellte fest: Es fehlt uns in Europa ein gemeinsames Narrativ. Wir können wohl einzelne Erzählstränge aufarbeiten und prächtig ausstellen, aber es gibt keinen gemeinsamen Faden, keinen gemeinsamen Gedächtnisraum.

Tibor Pichler von der Slowakischen Akademie der Wissenschaften legte den Schwerpunkt seiner Überlegungen auf einen ganz besonderen Raum europäischer Geschichte: das Habsburgerreich mit seinen Nachfolgestaaten. Es sei diesem Gebilde nicht gelungen, aufkommende nationale Bestrebungen und den Wunsch nach demokratischer Repräsentation auszubalancieren. TomᚠGarrigue Masaryk habe sich exemplarisch an der Aufgabe abgearbeitet, den Eigenwert eines neuen, aus der Konkursmasse Österreich-Ungarns hervorgegangen, ethnisch begründeten Nationalstaates, der Tschechoslowakei, „im Dienste des Rechts“ zu verankern. Hierbei habe er im Spannungsfeld zwischen im eigentlichen Sinne „politischen“ und „holistisch-tribalistischen“ Grundauffassungen von Staatlichkeit gestanden.

Der Beitritt der zweiten slowakischen Republik zur Europäischen Union kam dabei fast einer zweiten Staatsgründung gleich.

Ich hätte gern mehr über die Gründe dafür erfahren, weshalb die Slowaken zwei Mal, im Jahr 1939 und im Jahr 1993, die Tschechoslowakei so eilig verließen. War die Staatskunst etwa eines Masaryk auf Dauer doch nicht ganz ausreichend, um die zahlreichen ethnisch grundierten Missverhältnisse und Misstöne zwischen Tschechen einerseits und Slowaken, Deutschen, Ungarn und anderen Minderheiten andererseits auszugleichen? Wie kam es, dass die beiden Staaten Slowakei und Ungarn sich ab 1939 bzw. 1940 als willfährige Bündnispartner des kriegführenden Deutschen Reiches etablierten? An solchen Detailfragen, die normalerweise ausgeblendet bleiben, würde sich Wert und sachlicher Erkenntnisgewinn derartiger verdienstvoller Vortragsveranstaltungen bemessen. Immer wieder schlägt – so meine ich – stattdessen bei den Völkern im östlichen Mitteleuropa ein Hang zur Viktimisierung durch, zu jener Haltung also, die konsequent und über das gesamte 20. Jahrhundert hinweg für sich beansprucht, Opfer der beiden Großmächte Deutschland und Sowjetunion gewesen zu sein. Aber mindestens für die Tschechoslowakei gilt: sie war bis 1939 ein demokratischer Staat, dem es gleichwohl an Zustimmung bei wesentlichen Bevölkerungsgruppen fehlte. Warum das? Was können wir aus den giftigen Animositäten der ethnischen Gruppen lernen?

O ihr Ungarn, Slowaken, Ukrainer, Slowenen und ihr anderen Völker: erzählt uns mehr von euch, sagt, wie es war, gleitet nicht allzu schnell, allzu ungenau über die lächelnden Oberflächen der Begriffsbildungen hinweg, seid weniger Philosophen, seid mehr Berichterstatter, Erzähler, – wir in Deutschland, Frankreich oder Italien wissen viel zu wenig von euch! Schildert doch mal bitte eine einzige Situation, aus der wir lernen können, was in euch vorgeht, „wie ihr tickt“! Wer war Horthy, wer war Hlinka, wer war Hácha, wer war Tiso? Selbst Historiker in Deutschland wissen mit diesen und anderen Namen kaum etwas anzufangen. Kroaten, Serben, Ruthenen: Seid kein Buch mit sieben Siegeln, ihr seid doch genauso Kerneuropa wie wir! Zeigt uns Bilder, gebt uns Fäden in die Hand, mit denen wir euer Schicksal verstehen können!

Einen meisterhaften Querschnitt durch die europäische Geschichte des 20. Jahrhunderts lieferte Edward Lucas vom Economist ab. Profunde Detailkenntnisse, gepaart mit einem unerbittlichen Blick auf die zahlreichen Ungereimheiten, Heucheleien und Halbwahrheiten, mit denen die zahlreichen europäischen Völker sich ihre eigene Geschichte mehr oder minder selbstgefällig zurechtlegen. Lucas sparte niemanden aus, weder Großbritannien noch Russland, noch die baltischen Staaten. Und endlich, endlich, brach auch heftige Kritik am aktuellen Regierungshandeln durch: so etwa, wenn er Deutschlands mit den europäischen Partnern nicht abgestimmtes Vorgehen bei den Gasgeschäften mit Russland angriff. Der Machtwille des Kreml dürfe auf keinen Fall unterschätzt werden, und durch Uneinigkeit schwäche sich die Europäische Union gegenüber den Verhandlungsführern im Kreml auf empfindliche Weise.

Gesamteindruck: Anregende, wichtige Gedanken, denen kaum zu widersprechen war, bei denen ich aber gerne an vielen Stellen nachgehakt hätte. Die Fragestellung war jedoch zu umfassend, als dass sie wesentliche neue Einsichten hätte erbringen können. Daraus sollte man niemandem einen Vorwurf machen, am allerwenigsten den Vortragenden.

Entschiedenen Widerspruch muss ich dagegen einlegen, wenn wieder und wieder Russland als diejenige Macht dargestellt wird, vor der wir in Europa etwa Angst haben müssten. Russland – so meine langjährige Erfahrung – ist heute ein zutiefst europäisches Land, das mit vielen anderen Ländern Europas gemeinsame Züge trägt: darunter ein starkes nationales Sonder- und Sendungsbewusstsein, gekoppelt mit einer tiefgreifenden Überformung durch kirchliche, in diesem Falle ostkirchliche Legitimationsbestrebungen. Wir in der westlichen Hälfte Europas haben nicht den mindesten Grund, unsere Geschichte als etwas grundlegend Besseres auszugeben. Es gab Despotie, Unrechtsregime, Brutalitäten über mehr als 2 Jahrtausende hinweg in ganz Europa. Wir erleben nur derzeit, seit etwa 1945 bzw. 1990 einen historisch gesehen kurzen Moment, in dem Rechtsstaatlichkeit, Freiheit und Menschenwürde ein größeres Gewicht haben – zu unserem Glück sind wir vereint, und diese Einheit haben wir nur durch tatkräftige Hilfe der USA und der Sowjetunion erringen können. Aber wir sollten ganz Europa „wohnlich, sturmfest, gastfreundlich“ ausgestalten. Dazu gehört, dass wir Russland, den Islam und die Türkei als Bestandteile unserer gesamteuropäischen Geschichte ernstnehmen und vom hohen Ross unserer Überlegenheit herunterkommen.

Unser heutiges erstes Bild zeigt drei junge Litauer, die wir einen Tag später, am 26. April, bei unserer Radttour durch Kreuzberg trafen. Sie hatten sich am Kreuzberger Ufer der Spreee, dem Gröbenufer, mitten in Berlin, zu einem tatkräftig-fröhlichen Subbotnik zusammengefunden. Sie räumten den Müll und Unrat weg, den andere über Wochen hinweg achtlos weggeschmissen hatten. Was für ein Bild: Diese jungen Balten, die sich zu einem Gastaufenthalt bei uns Berlin befinden, räumen unseren deutschen Dreck weg! Die Veröffentlichung des Bildes in unserem Blog erfolgt mit freundlicher Zustimmung der Abgebildeten.

Das zweite Bild zeigt Frau Schneider, stellvertretende Direktorin der Katholischen Akademie Berlin, den Blogger und  Edward Lukas.

10 Minuten nach der Begegnung mit den Litauern trafen wir übrigens an jenem Samstag einen Trupp etwa acht junger Deutscher, die sich nach einer durchgezechten und durchgekifften Nacht an der Brommybrücke häuslich niedergelassen hatten: es fehlte nicht an behaglichen Decken, weiterem Bölkstoff, Musik und würzigem Geruch afghanischen Krautes. Zur Begrüßung drehten sie erst einmal den CD-Player so laut auf, dass wir uns kaum mehr verständigen konnten. Die Botschaft der Deutschen an uns Kreuzberger Radwanderer war klar: „Wir sind hier zuhause, diese Brücke gehört uns, ihr seid hier nicht willkommen!“

 Posted by at 20:34