Jun 172008
 

Immer wieder erschrecken uns niederschmetternde Beobachtungen und Meldungen über das ruppige Verhalten mancher Radfahrer, mancher PKW-Fahrer, mancher Taxifahrer, mancher LKW-Fahrer, mancher Busfahrer, mancher Motorradfahrer. Neueste Beispiele: In der Radwelt Nr. 3/2008, dem ADFC-Magazin, berichtet Roland Huhn auf S. 26-27 unter der Rubrik „Vorsätzliche Angriffe auf Radfahrer“ über ein bewaffnetes Gefecht zwischen einem Radfahrer und einem PKW-Fahrer. Waffen auf Seiten des PKW-Fahrers: Anhupen, Abdrängen, Beschleunigen, Überfahren, Unter-dem-Wagen-Mitschleifen. Waffen auf Seiten des Radfahrers: ausgestreckter Mittelfinger, Schlag mit der Hand auf die Motorhaube. Der Radfahrer unterlag, er trug mehrere Knochenbrüche an Arm, Becken und Schädel und schwere Verbrennungen durch den heißen PKW-Auspuff davon und musste sich langwierigen Operationen und einer Hauttransplantation unterziehen.

Aus Berlin wiederum wird ein Gefecht zwischen einem Radfahrer und einer Busfahrerin berichtet.

„Erst am Montagabend hatte in Lankwitz ein wegen eines vorangegangenen Fahrmanövers genervter Radfahrer einer 31-jährigen Busfahrerin mit einem Faustschlag das Nasenbein gebrochen.“

Erneuter Angriff auf einen Bus

Derartige Fälle, zu denen wohl jeder Verkehrsteilnehmer aus eigner Anschauung weitere Erlebnisse anfügen kann, beweisen: Im Straßenverkehr werden immer wieder tiefsitzende Instinkte ausgelöst, die im gewöhnlichen Umgang tief in unserer Seele schlummern. Nirgendwo sonst wird so schnell, so unbegründet, so maßlos beleidigt, verletzt und getötet wie im Straßenverkehr. Jedes Jahr sterben in der Europäischen Union etwa 50.000 Menschen durch zum allergrößten Teil vermeidbare Verkehrsunfälle, Hunderttausende werden verletzt. Man vergleiche bitte diese Zahl mit der Zahl der Opfer des fundamentalistischen Terrorismus pro Jahr in den europäischen Ländern, und man wird erkennen, wie ungleich und ungerecht die öffentliche Debatte verläuft. Öffentliche Aufmerksamkeit ist ein hochgradig manipulierbares Gut.

Was wir brauchen, ist ein bewusstes, beharrliches und anhaltendes „Gegensteuern“ gegen diese jäh aufflammende Feindschaft. Ich spreche von „Feindschaft“, weil nur ein so tief verwurzeltes Gefühl wie „Haß“ oder „Feindschaft“ die oben genannten Exzesse im Straßenverkehr erklären kann. Ich nehme mich selber da nicht aus, spüre selbst manchmal eine urtümlich-groteske Aggression in mir hochkochen, wenn jemand mir als Autofahrer den letzten freien Parkplatz wegschnappt oder mich als Fahrradfahrer bedrängt und gefährdet. „Wenn ihr’s nicht fühlt, ihr werdet’s nicht erkennen.“ Woher kommt dies? Psychologen bieten als Erklärung an: Revieransprüche, Imponiergehabe, Frustgefühle aus dem Alltag … die Liste ließe sich verlängern. Biologen sagen: Der Mensch hat sich durch hunderttausende von Jahren der Evolution ein sicheres Laufverhalten angeeignet. Der Mensch ist eigentlich ein leidlich angepasstes, auf zwei Beinen laufendes Tier! Fußgänger, Wanderer und Läufer brauchen deshalb keine Verkehrsordnung. Sobald der Mensch aber fährt, ist er physiologisch unter enormer Belastung; auf dieses Übermaß an Reizen reagiert er mit Abwehr, Angriff, Drohverhalten – mit einer Fülle an Stressreaktionen, die sofort wieder abflauen, wenn er das Fahrzeug verlässt.

Das Gegenteil von Feindschaft ist Freundschaft. Wie kann man Freundschaft säen, wo sonst Feindschaft blüht?

Regeltreue ist das erste. Mühsame Einhegung der destruktiven Neigungen in unserer Seele ist ein Ziel der Straßenverkehrsordnung. Ein Rot ist ein Rot – für alle, auch für Radfahrer. Die Straßenverkehrsordnung gilt für alle, die am Straßenverkehr teilnehmen. Es kann nicht dem Ermessen des einzelnen überlassen bleiben, ob er sich daran hält.
Reviergrenzen achten ist das zweite! Radfahrer gehören nicht auf den Fußweg, sondern entweder auf die Fahrbahn oder auf eine eigene Radverkehrsanlage, also den Radstreifen oder den Radweg. Sehen und Gesehenwerden, Hören und Gehörtwerden sind unerlässlich. Deshalb: funktionierendes Licht, helltönende Klingel gehören zur unverzichtbaren Grundausstattung jedes Fahrrades.

Und drittens: An den anderen denken, vorausschauen, sich in den anderen hineinversetzen sind Haltungen, die wir gewohnheitsmäßig einüben müssen.

Wir brauchen Freundschaft.

Das Motto im Straßenverkehr darf nicht lauten: Platz da, jetzt komme ich. Ich habe Recht, kapier das doch endlich, sonst kannst du was erleben!

Der Wahlspruch im Straßenverkehr lautet: Ich denke gern an dich. Ich pass auf dich auf. Sei mein Freund.

 Posted by at 08:15

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