Feb 162009
 

Immer wieder konnten wir in diesem Blog von der religiösen Weihestimmung berichten, mit der die kommunistische Glaubensgemeinschaft ihre Gründerväter und Heiligen-Mütter umgibt. Ich habe dies selbst mehrfach erlebt, besonders eindrücklich beim Besuch des Lenin-Mausoleums in Moskau, wo ich die Sünde beging, eine Frage zu flüstern statt andachtsvoll zu schweigen. Ich spreche nicht von „quasi-religiös“, sondern von „religiös“ im Sinne einer echten Ersatzreligion. An ihrer Sprache, an ihren Bildern kann man die Religion erkennen! Wollt ihr Beispiele?

Vera Lengsfeld berichtet in ihrem Buch „Mein Weg zur Freiheit“, mit welchen Worten Heinz Kamnitzer, der Präsident des PEN-Zentrums der DDR, ihre Absicht verurteilte, bei einer Gedenkveranstaltung ein Spruchband mit einem Zitat Rosa Luxemburgs zu entrollen. Kamnitzer schrieb im Neuen Deutschland über die geplante Teilnahme der Friedensgruppen an der Luxemburg-Demo 1988:

„Was da geschah, ist verwerflich wie eine Gotteslästerung. Keine Kirche könnte hinnehmen, wenn man eine Prozession zur Erinnerung an einen katholischen Kardinal oder protestantischen Bischof entwürdigt. Ebensowenig kann man uns zumuten, sich damit abzufinden, wenn jemand das Gedenken an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht absichtlich stört und schändet.“

Beachtlich ist hier: Kamnitzer setzt die kommunistische Glaubensgemeinschaft der DDR mit einer Kirche gleich, die ihre Würdenträger und kultisch verehrte Toten hat. Ferner: Wie in der katholischen Kirche, so gab es auch im Kommunismus der DDR eine Sünde in Gedanken. Denn verwerflich und strafbar war bereits die geplante Sünde der „versuchten Zusammenrottung“ – zur Ausführung kam es ja nicht, da die Obrigkeit bereits vor der Störung des Gedenkmarsches eingriff.

Zweites Beispiel: Den Titel ihres Buches über Rosa Luxemburg schmückt Frigga Haug, Gründungsmitglied der deutschen Partei DIE LINKE, mit dem Bild La crucifixion (Die Kreuzigung) von Pablo Picasso. Das Bild zeigt eine Golgatha-Szene, ein Kruzifix. Angesichts der Schrecken unseres Jahrhunderts wird Jesus erneut gekreuzigt in einer Umgebung, die stark an Guernica von Picasso erinnert.

Während Kamnitzer Rosa Luxemburg mit einem Kardinal oder Bischof gleichsetzte, wird  die ermordete Rosa Luxemburg durch Frigga Haug gleichsam in einen Rang mit dem ermordeten Jesus Christus gerückt.

Rosa Luxemburg selbst sah sich ebenfalls in der Nachfolge Jesu Christi. In ihren Schriften zieht sich eine Art unterirdischer Verweisungszusammenhang auf das jüdisch-christliche Erbe wie Zettel und Faden durch. An vielen Stellen verwendet sie Bilder der christlichen Mystik, des christlichen Ritus. Über die ihr bekannten Massenmorde Lenins schreibt sie beispielsweise:

„Die Binsenweisheit, daß Revolutionen nicht mit Rosenwasser getauft werden, ist an sich ziemlich dürftig.“

Was für eine Sprache! Die Revolution wird als eine Art Taufe gesehen, eine Taufe, die allerdings nicht mit Wasser, sondern mit Blut erfolgt. Blut, das fließen muss, daran lässt Luxemburg keinen Zweifel. Blut zur Erlösung der Welt von den Sünden des Bösen. Und das Böse – das ist der imperialistische Kapitalismus.

In der moralischen Verdammung des imperialistischen Kapitalismus, in der Anprangerung seiner sittlichen Verderbtheit, des jämmerlichen Sündenfalls des deutschen Proletariats, nämlich der Bewilligung der Kriegskredite durch die Sozialdemokratie, scheut Luxemburg sich nicht vor einer Häufung stärkster Anklagen: „Schmach“, „Ruin“, „Gespinst von Lügen“, „ein teuflischer Witz“, „Sittenverfall“ … man könnte Seiten füllen mit den kraftvollen, geradezu mit alttestamentarischer Wucht geschleuderten Wehe-Rufen der Prophetin Rosa Luxemburg über die tiefe Not der sündigen Welt.

Sich selbst sah Luxemburg weder als Bischöfin noch als Kardinälin – sondern als leidende Gottesmagd, als eine Art politischer Christus – wobei der Gott hier nicht der Gott des Judentums, sondern die Weltgeschichte ist.

Sie nennt ihre Verfolgung ausdrücklich den „Golgathaweg eigener bitterer Erfahrungen“  – und fast in einer Vorwegnahme ihrer Hinrichtung schreibt sie, wie sich das vierfache „Kreuziget ihn“ gegen sie selbst richtet – als Forderung der Kapitalisten, dann der Kleinbürger, und dann – wir zitieren wörtlich aus Rosa Luxemburgs Werken:

dann der „Scheidemänner, die wie Judas Ischariot die Arbeiter an die Bourgeoisie verkauft haben und um die Silberlinge ihrer politischen Herrschaft zittern“; und schließlich:

„Kreuziget ihn! wiederholen noch wie ein Echo getäuschte, betrogene, missbrauchte Schichten der Arbeiterschaft und Soldaten, die nicht wissen, dass sie gegen ihr eigenes Fleisch und Blut wüten, wenn sie gegen den Spartakusbund wüten .“

Immer wieder wird hervorgehoben, dass Rosa Luxemburg Jüdin war – um so verblüffender ist es zu sehen, wie stark ihr gesamtes Denken und Fühlen von im engeren Sinne christlichen Motiven durchdrungen ist, bis hin zu einer ausdrücklichen Selbststilisierung als weiblicher Messias in der Nachfolge Jesu Christi.

Wer diese messianischen Antriebe bei Rosa Luxemburg und im Kommunismus nicht sieht, wird Luxemburg und den Kommunismus nicht begreifen. Wer die Bibel nicht kennt, wird auch Rosa Luxemburg oder Karl Marx nicht verstehen können.

Wir beschließen diese kleine abendliche Betrachtung mit einem Blick auf ein Andachtsbild, das ich gestern am Potsdamer Platz aufnahm:

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Wir sehen Rosa Luxemburg auf einem Reststück der Berliner Mauer – es ist jene Stelle, die, wie die Legende will, am 9. November 1989 erstmals durchbrochen ward. Umgeben ist Rosa (lateinsch: die Rose, Symbol der Unschuld) von einem Herzen – dem Symbol der Liebe. Ein rotes Kreuz ist über das Gesicht gezogen – so entsteht die Gekreuzigte, der weibliche Messias.  Unten dann – das Friedenssymbol, welches eine Weiterentwicklung altchristlicher Grabsymbolik darstellt, wie man sie etwa in den Katakomben Roms findet: Der Kreis mit den drei Armen stellt das Wasser des ewigen Lebens dar, wie es das verlorene Paradies umfloss. Zugleich bilden die drei Flüsse eine Vorwegnahme der göttlichen Dreifaltigkeit.

Die namenlosen Schöpfer dieses hochverdichteten Mahnmals haben etwas geschaffen, wozu sich der öffentliche Wettbewerb für ein Rosa-Luxemburg-Denkmal nicht die Freiheit nehmen konnte: Sie haben eine starke Aussage zu Leben und Botschaft Rosa Luxemburgs getroffen, indem sie sie in drei Jahrtausende europäischer Religionsgeschichte, in die neueste deutsche Geschichte buchstäblich einritzten.

Hingehen lohnt. Religiöses Schweigen ist nicht mehr vorgeschrieben. Wir sind frei.

Literaturnachweis:

Frigga Haug: Rosa Luxemburg und die Kunst der Politik, Argument Verlag, Hamburg 2007, hier: Umschlagbild

Auch zu folgender öffentlicher Veranstaltung lohnt sich das Hingehen:

Dienstag, 17. Februar 2009, 18.30 Uhr, Café Sybille, Karl-Marx-Allee 72, Berlin-Friedrichshain.  Start der Gesprächsreihe “Politik ohne Phrasen – Vera Lengsfeld lädt ein” mit dem Titel:  ”Taugt Rosa Luxemburg als Ikone der Demokratie?” Diskussion mit Halina Wawzyniak (Linke), Prof. Manfred Wilke, Manfred Scharrer

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