Unter dem Namen RosadeLuxe plante einer der 2005 ausgewählten Entwürfe zum Rosa-Luxemburg-Denkmal ein Modelabel zu entwickeln, das in Lizenz an Modefirmen verkauft werden sollte. Daraus wurde nichts, heute zieren stattdessen 60 Zitate Rosa Luxemburgs den Luxemburg-Platz in Berlin-Mitte.Viele kennen somit weiterhin nur herausgerissene Zitate dieser wichtigen Galionsfigur der kommunistischen Bewegung. Der größere Zusammenhang wird von den Passanten leider buchstäblich mit Füßen getreten.
Das Buch von Frigga Haug „Rosa Luxemburg und die Kunst der Politik“, erschienen 2007 im Argument Verlag, räumt mit zahlreichen Vorurteilen auf, die diese Frau heiligenscheinartig umwabern. Wer keine Zeit hat, die Werke und Briefe Luxemburgs zu lesen, sollte mindestens die umfangreiche Zitatsammlung in Haugs höchst verdienstvollem Bändchen studieren.
Rosa Luxemburg war zeit ihres Lebens überzeugte Marxistin. Dass die Menschheitsgeschichte notwendig auf den Kommunismus zulaufe, daran glaubte sie unerschütterlich. An keiner Stelle wich sie davon ab, dass sie die gewaltsame Umwälzung der kapitalistischen Ordnung und die darauf folgende Diktatur des Proletariats für notwendig und unausweichlich hielt. Die Liquidierung der Verfassungsgebenden Versammlung, ausgeführt am 19.01.1918 durch Lenin, begrüßte sie ausdrücklich ebenso wie den massiven Terror gegen das „Lumpenproletariat“, gegen „Abweichler“ und „bourgeoise Elemente“, die sich der Oktoberrevolution entgegensetzten.
Haug weist schlüssig nach, dass alle Versuche, die innere Einheit der revolutionären kommunistischen Parteien zu spalten oder Rosa Luxemburg gar zu unterstellen, sie wende sich gegen die Oktoberrevolution, ja sie habe sich innerlich vom Marxismus verabschiedet, wie dies etwa Hannah Arendt annimmt, zum Scheitern verurteilt sind (Haug, a.a.O. S. 164).
Warum sind aber viele so sehr von Luxemburg fasziniert? Luxemburg arbeitete wie Liebknecht, Lenin und Stalin auf die gewaltsame Errichtung einer Räterepublik hin, deren Entstehung selbstverständlich nicht „mit Rosenwasser getauft sein würde“, wie sie selbst in ihrer blumigen, mit religiösen Wendungen durchtränkten Bildersprache sagt. Wodurch unterscheidet sich Rosa Luxemburg von anderen kommunistischen Führern, die sie kannte, auf die sich bezog, die sie wiederum schätzten, wie etwa Lenin und Stalin?
Mit einem weiteren Bild gibt sie selbst Auskunft. Sie weist nämlich die Alternative „entweder Maschinengewehre oder Parlamentarismus“ als „Vereinfachung“ zurück (Haug, a.a.O. S. 142). Für sie heißt es foglich: Sowohl Maschinengewehr als auch Parlamentarismus. Zwar wird sie nicht müde, den deutschen Reichstag als „parlamentarischen Kretinismus“, als „Haus der tödlichsten Geistesöde“, als „verfallende Ruine“ zu bezeichnen, dennoch fordert sie zur Teilnahme an den Wahlen und zur aktiven Mitarbeit in den Parlamenten auf. Sie schreibt:
„Wir wollen innerhalb der Nationalversammlung ein siegreiches Zeichen aufpflanzen, gestützt auf die Aktion von außen. Wir wollen dieses Bollwerk von innen heraus sprengen“ (Haug, a.a.O. S. 60).
Was die russischen Kommunisten handstreichartig, gestützt allein auf Maschinengewehre, Erschießungskommandos, Tscheka und Straflager bewirkten, das wollte sie durch Unterwanderung des bestehenden Systems erreichen.
Durch beharrliche Erziehung und Belehrung der Massen, nicht nur durch Terror und physische Vernichtung der Gegner, wollte sie den Weg zur Diktatur des Proletariats ebnen: Weltrevolution auf die etwas sanftere Art.
Innerhalb der kommunistischen Bewegung verlangte sie Meinungsfreiheit. Sie kritisierte den absoluten Vorrang, den die russischen Kommunisten gegenüber den KPs aller anderen Länder für sich beanspruchten. Deshalb sagte sie in ihrem Aufsatz über die russische Revolution: „Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenken.“ Damit ist gemeint: Für die Revolution sind verschiedene Lösungsansätze denkbar und zulässig. Solange man die Diktatur des Proletariats anerkennt, darf es laut Luxemburg keine Denkverbote geben. Kein Marxist hat das Recht, einem anderen Marxisten die eigenständige Denkbewegung zu verbieten. So kritisierte sie scharf, dass Lenin alle anderen sozialistischen Parteien, etwa die Sozialrevolutionäre, liquidierte. Luxemburg verlangte nach der Beseitigung der bürgerlichen Ordnung eine ungehinderte Meinungsfreiheit für alle Revolutionäre, nicht nur für die Bolschewiki, sondern auch für die Sozialdemokraten, die ja damals noch marxistisch eingestellt waren.
Wie Karl Marx selbst sah sie voraus, dass bei der Errichtung der Diktatur Fehler und Irrtümer unterlaufen. Sie forderte: Wir müssen beständig korrigieren, nachbessern, lernen, die Revolution gelingt nicht über Nacht. Agitation, Belehrung der unreifen Massen, gemeinsam voneinander und miteinander lernen ist ebenso wichtig wie der bewaffnete Kampf.
Zeit lassen ist wichtig! Dass die Revolution in Russland so schnell und leicht gelang, sah sie nicht voraus. Für Deutschland rechnete sie mit längeren Zeiträumen – da das deutsche Proletariat schmachvoll versagt hatte, indem es die Kriegskredite bewilligt hatte.
Wie stünde Rosa Luxemburg zu Hartz IV, zu 1-Euro-Jobs und ähnlichen Entwürdigungen? Hierüber hat sie sich eindeutig geäußert. Sie fordert nämlich eine allgemeine Arbeitspflicht für alle. Arbeit, Arbeit, Arbeit! Sie schreibt in der Sozialisierung der Gesellschaft:
„Damit alle in der Gesellschaft den Wohlstand genießen können, müssen alle arbeiten. Nur wer irgendeine nützliche Arbeit für die Allgemeinheit verrichtet, sei es Handarbeit oder Kopfarbeit, darf beanspruchen, dass er auch Mittel zur Befriedigung seiner Bedürfnisse von der Gesellschaft bekommt. Ein müßiges Leben, wie es jetzt die reichen Ausbeuter führen, hört auf“ (Haug, a.a.O. S. 92).
Mit diesen und anderen Gedanken stand Luxemburg nicht allein: Ab Januar 1918 begann Lenin, ein weitgespanntes System an Arbeits- und Umerziehungslagern einzurichten, die teilweise die Politik der Massenhinrichtungen ersetzten. Es waren die Anfänge des GULAG.
Aber auch mit ihrer Lehre von der Unterwanderung der bestehenden Institutionen, mit ihrem nachdrücklichen Beharren auf Höherbildung und Umerziehung der unreifen Massen konnte sich Luxemburg letztlich doch durchsetzen. Nach 1945 gelangten viele europäische kommunistische Parteien nicht durch plötzliche Machtergreifung, sondern durch die Eliminierung konkurrierender Parteien aus Koalitionsregierungen heraus an die Macht. Wie Luxemburg vorgeschlagen hatte, leisteten sie die vollkommene Mimikry an ein parlamentarisches System, um dann ihr eigenes System an die Stelle der von innen heraus gesprengten Ordnung zu rücken.
Rosa Luxemburg ist viel stärker in den Hauptstrom der kommunistischen Bewegung eingebunden, als dies manche Romantiker wahrhaben wollen.
Dies wäre auch die Kritik, die man an Haugs Buch anbringen könnte: Die Verfasserin unterschätzt die Wirkmacht Rosa Luxemburgs, sie deutet ihre Gedanken weithin so, als sei es reine Theorie der Revolution und nicht „revolutionäre Realpolitik“, wie Luxemburg ihren Ansatz selbst nannte.
Zu recht hat die Partei „Die Linke“ Rosa Luxemburg als Ikone geehrt, indem sie die ihr nahestehende Stiftung so benannte. Alle, die am Ziel eines Umsturzes der bestehenden Ordnung festhalten, werden aus den Schriften Rosa Luxemburgs reichlich Belehrung ziehen können. Man braucht nur Geduld, Zeit, Arbeit und Bildung der Massen.
Wer heute entspannt über den Rosa-Luxemburg-Platz mit seinem Denkzeichen schlendert, sollte aufmerksam die Sätze dieser herausragenden Revolutionärin lesen und in einen Zusammenhang einbetten. Ihre Zeit ist noch nicht abgelaufen. Für ein Franchising als RosadeLuxe – viel zu schade!
Zu diesem Thema findet statt:
Dienstag, 17. Februar 2009, 18.30 Uhr, Café Sybille, Karl-Marx-Allee 72, Friedrichshain. Start der Gesprächsreihe Politik ohne Phrasen – Vera Lengsfeld lädt ein mit dem Titel: Taugt Rosa Luxemburg als Ikone der Demokratie? Diskussion mit Halina Wawzyniak (Linke), Prof. Manfred Wilke, Manfred Scharrer
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