Gestern besuchten wir das Preisträgerkonzert von Jugend musiziert, Region Nord. Mit S-Bahn und Bus gelangten wir zum Fontanehaus Reinickendorf im bekannten Märkischen Viertel.
Wuchtige Betonbauten und die kraftvoll geschwungene Eisenskulptur prägen das Bild. Nachdem das Eis weggeschmolzen ist, bleiben Splitt und Staub liegen. Fauchende Winde treiben immer wieder kleine Fähnchen hoch.
Im Konzertsaal des Fontanehauses ist reichlich Platz. 10.000 Menschen wohnen im Märkischen Viertel, der Eintritt in das Kulturzentrum ist frei, das Konzert steht allen offen. 50 Menschen haben sich versammelt: Die Künstler selbst, deren Eltern, Lehrer, Geschwister und Freunde.
Ich lausche mit Freude, gespannt und zunehmend begeistert. Besonders beeindruckt mich der 6 Jahre alte Leo Nasseh Kateb: Er spielt das Violinkonzert A-dur von Anatoli Sergejewitsch Komarowski sicher, mit jener traumwandlerischen Freiheit von Lampenfieber, wie sie nur Kinder haben können. Mein Sohn springt hoch und überreicht ein Sträußchen mit Rosen.
Gegen Schluss reißen mich Marijn Seiffert (Altersgruppe IV) und Mengyin Wang (AG V) mit. Sie bieten Bartóks Rumänische Volkstänze für Violine und Klavier genießerisch, unbeeilt, mit Witz und Grazie. Mir fällt mein eigenes Jugend-musiziert-Erlebnis ein. Ich war damals ebenfalls Altersgruppe IV (15 Jahre), und auch ich durfte im Preisträgerkonzert auftreten – damals mit 2 Sätzen aus Bachs d-moll-Partita.
Nachher spreche ich als dreister Paparazzo die Künstlerinnen an und wir plaudern über Schule, Geige und das Leben.
Was mir gefällt: Alle diese Kinder und Jugendlichen machen etwas aus ihren Leben. Sie „haben etwas vor“ – etwas, das sie zusammenführt, etwas, das sie verbindet. Etwas, dem sie dienen, über hunderte von Stunden jedes Jahr. Dieser Dienst verändert, bildet. Dieser Dienst macht frei.
Jedes Kind, jeder Jugendliche – das möchte ich und wünsche ich mir – soll so eine Erfahrung machen können: im Sport, in der Musik, im Theater, in der Gemeinwesenarbeit, beim Gärtnern, beim Eishacken. „Irgend etwas kann jeder.“ Auch die arabischen Jungs aus Neukölln. Ich bin sicher: Wenn man sie anspricht, anleitet und führt, meinetwegen mit harter Hand, werden sie es schaffen.
Mit meinem Sohn unternehme ich dann eine „Bergwanderung“ auf den Schlittenhügel im Natur- und Freizeitpark Lübars. Eintritt frei. 10.000 Menschen leben im Märkischen Viertel, aber auch hier sind wir nahezu unter uns. Was machen die 10.000 Menschen im Märkischen Viertel jeden Tag?
Der Himmel irrlichtert grün, irisierend, ehe dunkle Nacht einfällt.
Sorry, the comment form is closed at this time.