Feb 272012
 

„Guten Tag, ich bin ihr Besuchsleiter. Hier auf diesem Gelände haben uns die Hitleristen gefangen gehalten“.

An meine erste Führung durch ein KZ erinnere ich mich gut. Es war Mitte der 70er Jahre. Zusammen mit einer Reisegruppe des Augsburger BDKJ besuchte ich Polen. Damals erwarb ich meine spärlichen Polnischkenntisse, die ich bis heute pflege.

Was der Überlebende des KZ Majdanek berichtet, war schwer erträglich. Die Schläge, die Quälereien, die unmenschliche Behandlung,

Aber „Hitleristen“? Darf man so einen Ausdruck verwenden? Damals hatte die DDR mit viel Aufwand es vermocht, den „Faschismus“ als Spätphase des Kapitalismus zu beschreiben. Jede Personalisierung wurde abgelehnt. Nur bei „Stalinismus“ drückte man ein Auge zu. Der XX. Parteitag der KPdSU fand es heraus: Nur Stalin und der Stalinismus hatte die Millionen und Abermillionen von Menschen umgebracht, alle anderen Kommunisten ab Lenin bis hin zu Ulbricht und Stoph waren folglich unschuldig.

Es ist spannend, an den verschiedenen Gedenkstätten des Grauens in Europa die Bezeichnungen zu lesen! Mal waren DIE DEUTSCHEN – les Allemands – die Urheber alles Bösen, dann wieder die Hitlerfaschisten, dann die Faschisten, dann die Nazideutschen, i nazisti tedeschi,  usw. usw. Immer waren die anderen die Bösen, fast immer waren die Deutschen und nur die Deutschen die Bösen. Und so ist es bis heute geblieben.

Das in den Medien entstehende Bild der Jahre 1917-1956 ist in hohem Maße verzerrt. So weiß beispielsweise kaum jemand, dass die Zahl der im inneritalienischen Bürgerkrieg Gefallenen in den Jahren 1943-1945 weit höher ist als die Zahl der von den deutschen Nazifaschisten getöteten Italiener. Der ebenfalls blutige, erbitterte  griechische Bürgerkrieg von 1946 bis etwa 1956, der Griechenland zu einem gespaltenen Land machte, ist fast völlig vergessen, und weithin unbekannt ist die innige Waffenbrüderschaft der deutschen Nazifaschisten und der ruhmreichen Sowjetarmee, die am 22.09.1939 in Brest-Litowsk in einer gemeinsamen, lächelnd-waffenstarrenden Triumphparade der Nationalsozialisten und der Kommunisten gipfelte (Video).

Aber seit jenen ersten Gesprächen mit einem ehemaligen Insassen des KZ Majdanek weiß ich, dass es schwierig ist, alle Schuld den Deutschen zu geben, zumal ja die Sowjetunion zeitgleich mit den Nazis ihre Nachbarn Polen, Lettland, Estland, Litauen, Finnland, Rumänien ebenfalls mit Angriffskriegen, Lagersystem, staatlich gedecktem Massenmord und blutiger Verfolgung quälte. In den genannten Ländern gab es häufig nur die Wahl zwischen Stalinismus und Hitlerismus. Ein drittes gab es oft nicht.

Ich weiß es genau von den Überlebenden und aus der Literatur: Freiwillige Nazis gab es unter allen Völkern Europas, also auch unter den Norwegern, Schweden, Finnen, Polen, den Russen, den Ukrainern, den Letten, Griechen, Tschechen, Italienern, Ungarn und Litauern. Aus vielen Ländern, unterworfenen und nicht besetzten, wurden Freiwilligenverbände gebildet, die Seit an Seit mit den deutschen Nazis kämpften, folterten und töteten. Von 1933- 1945 hielten sie zu Hitler. In diesem Sinne durfte man später international von Hitlerismus sprechen, und in der Tat war früher der Ausdruck Hitlerizm unter den ehemaligen polnischen KZ-Insassen durchaus gang und gäbe. In der Lagerhierarchie standen die Deutschen zwar oben, aber danach kamen gleich die unzähligen Handlanger und Verbündete, die HitleristenHitler’s willing executioners.  Die Kapos, die entscheidende Stütze des Lagersystems waren fast nie Deutsche, sondern Angehörige anderer Nationen.

Freiwillige und überzeugte Nazis gab es 1933-1945 überall, und selbstverständlich gab es damals und gibt es auch heute russische Nazis und russische Neonazis. Man sollte sich also über das Wiederaufleben der Nazis in den ostdeutschen Ländern (früher DDR) und Russland nicht wundern, zumal der Schuljugend in der Sowjetunion und der DDR das Blaue vom Himmel heruntergelogen wurde.

Freiwillige Kommunisten gab es ebenfalls überall, und zu Zeiten Stalins waren sie fast alle entschiedene Befürworter der Repression, des Gulags und der brutalen Ausmerzung der „fremdvölkischen“ Eliten, wie sie Russland etwa 1939 in Polen vollzog. Erst nach 1956 kam der Ausdruck Stalinismus in Mode.  Ein Bert Brecht, ein Nazim Hikmet hätten sich dagegen verwahrt, als Stalinisten bezeichnet zu werden. Sie waren Kommunisten und Marxisten, und sie unterstützten ohne Zweifel die Kommunistische Partei der Sowjetunion unter der Führung des großen, ruhmreichen Führers Stalin. Als Stalinisten würde ich Brecht und Hikmet dennoch nicht bezeichnen, obwohl sie die Sowjetunion bereisten und sich ein Bild von der „stalinistischen“ Repression machen konnten – hätten machen können.

Der Ausdruck Hitlerismus ist ebenso falsch oder richtig wie der Ausdruck Stalinismus.

Staunenswert aber, dass ausgerechnet diese beiden erklärten Kommunisten, Bert Brecht und Nazim Hikmet  bei der Gedenkfeier im Berliner Schauspielhaus vor wenigen Tagen mit ihren Versen als Kronzeugen des Kampfes gegen neonazistische Gewalt zitiert wurden!

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